Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Brian Fallon
Rockstar im Reihenhaus

"Local Honey” heißt das neue Album von Brian Fallon, dem langjährigen Sänger und Gitarristen von The Gaslight Anthem. Nach fünf Alben hat die Band hingeschmissen - was ist da schiefgelaufen?

Von Marcel Anders | 05.04.2020
    Ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren sitzt in einem dunklen Zimmer auf einem Bett und spielt akustische Gitarre.
    Träumt davon, mit seinem Nachbarn Bruce Springsteen aufzunehmen: Brian Fallon (Kelsey Hunter Ayres)
    Musik: "Vincent"
    Seit 2018 sind Gaslight Anthem Geschichte und Brian Fallon ist endgültig solo unterwegs.
    Brian Fallon: "Wir waren unzufrieden mit der Art, wie sich die Band entwickelt hat. Es war, als ob alles viel zu schnell ging und wir völlig vereinnahmt wurden. Irgendwann erreichten wir den Punkt, an den jede Band mal kommt, an dem alle denken: Es ist nicht mehr dasselbe. Von jetzt an können wir nur noch Platten machen, die nicht mehr ganz so toll sind. Oder wir sagen: Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben - vielleicht sollten wir es dabei belassen."
    Seine Solokarriere hatte er bereits 2016 eingeleitet: "Local Honey" ist nun sein dritter Alleingang. Der mittlerweile 40-Jährige lebt als Vater von zwei Kindern ein bürgerliches Leben im Eigenheim und schreibt über seine alltäglichen Sorgen.
    Fallon: "Ich denke viel darüber nach, was wichtig für mich ist. Und ein Großteil meines Publikums kann sich damit identifizieren, weil es ihm ähnlich geht und es mit mir großgeworden ist. Deswegen habe ich das Gefühl, dass ich zu Freunden mit derselben Denkweise spreche. Klar, habe ich auch jüngere Hörer. Aber die meisten sind in meinem Alter und sitzen im selben Boot."
    Musik: "21 Days"
    Auf "Local Honey" serviert Fallon Alltagsgeschichten aus der Provinz von New Jersey, der Welt der aufgeräumten Vorstadtsiedlungen, gemähter Rasen, Grills, Pick-up-Trucks und Menschen, die das Rückgrat der amerikanischen Gesellschaft bilden, sich aber keine Krankenversicherung oder Fernreisen leisten können und ihre Kinder nicht auf Eliteunis schicken können. Sie suchen das Glück vor der eigenen Haustür. Wie Fallon: Er widmet seiner Frau gefühlvolle Balladen, erteilt seinen Kindern praktische Lebenshilfe oder beschreibt seinen schmerzhaften Nikotinentzug. Politische Kommentare oder Kampfansagen sucht man indessen vergeblich.
    Fallon: "Ich habe es versucht, aber was das betrifft, vermag ich meine Gedanken nicht so gut auf den Punkt zu bringen. Ich deute die Dinge, die ich sagen will, eher an, und wer sie hören will, erkennt sie hoffentlich auch. Aber ich bin nicht in diesem Geschäft, um den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Meine persönliche Meinung äußert sich eher in der Art, wie ich das Leben sehe. Das ist mir wichtiger als Kandidaten zu empfehlen, die eh alle vier bis acht Jahre wechseln."
    Musik: "Horses"
    Ganz neues Level
    Fallon ist kein Poet und kein Revoluzzer. Er sieht sich als Stimme der ganz normalen Leute, mit denen er seine Erfahrungen und Erlebnisse teilt. Die sind oft simpel - im Gegensatz zu seiner Musik. Denn nach dem erdigen Rock von Gaslight Anthem versucht er sich nun an filigranem Americana, an Folk, Country und Bluegrass, verfeinert mit atmosphärischen Sounds. Der Einfluss von Produzent Peter Katis, der sonst The National betreut, und Fallon auf ein ganz neues Level führt. Ursprünglich basieren dessen Songs nur auf Gitarre und Klavier, das Fallon eigens für dieses Album gelernt hat.
    Fallon: "Ich wollte einfach besser werden. Und ich hatte Ideen, von denen ich wusste, dass ich sie nicht ohne Klavier umsetzen konnte. Ein Instrument, das ich schon immer spielen wollte. Das Schlüsselmoment war, als ich Tori Amos Version von Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" gehört habe. Die war so brillant, dass ich dachte: Ich muss jetzt Klavier lernen oder es zumindest versuchen. Und das habe ich. Ich bin zwar keine Tori Amos, aber ich kann spielen."
    Musik: "You Have Stolen My Heart"
    31 Minuten lang
    Mit Anfang 40 erweist sich Brian Fallon als reifer, versierter Musiker. Ein Multiinstrumentalist, ein charismatischer Barde mit gepflegter Reibeisenstimme und ein Komponist von stimmungsvollen, dichten, fast cineastischen Stücken. Der Mann aus New Jersey malt intensive Klangbilder zwischen Romantik, Euphorie und Melancholie. Dass "Local Honey" gerade mal 31 Minuten dauert, fällt dabei kaum ins Gewicht.
    Fallon: "Ich war mir da erst nicht sicher. Aber letztlich meinte ich: Die Leute hören diese Stücke auf dem Weg zur Arbeit, beim Autofahren, im Bus oder Zug. Sie haben also nicht wirklich viel Zeit, von daher müssen es gar nicht 15 Songs zu sein. Das wäre zu viel für die heutige Zeit. Und so ein großartiges Album wie "The Pretender" von Jackson Browne umfasst ja auch nur acht Stücke. Das sagt alles."
    Musik: "When You´re Ready"
    Eigentlich wollte Brian Fallon Ende April auf Tour gehen. Doch wegen der Coronavirus-Pandemie ist auch er gezwungen, sämtliche Termine zu verschieben. In dieser Zwangspause verbringt er Zeit mit seiner Familie, schreibt neue Songs und startet neue Projekte, vielleicht auch mit der Band seines berühmten Nachbarn.
    Fallon: "Erst, wenn Bruce aufhört, für die E-Street-Band zu singen, wenn er mich anruft und sagt: Ich brauche jemanden, der meinen Part übernimmt, weil ich es nicht schaffe, auf Tour zu gehen. Springst du für mich ein?´ Dann bin ich sofort am Start. Ich meine, Springsteen hat meine Nummer – und ich seine. Aber wir sind nicht wirklich Nachbarn. Er wohnt die Straße runter, da, wo die Häuser größer sind. Ich habe nur ein kleines."