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Briefe an Beethoven
„Lieber Ludwig, ohne Deine Musik wäre das Leben ärmer“

Wegen der Virus-Pandemie werden selbst Beethovens Werke nur in kleiner Besetzung gespielt, schreibt der Violinist Frank Peter Zimmermann in seinem Brief an den Komponisten. Doch dessen Musik gebe Publikum und Musikern Kraft – so wie zu Beethovens Zeiten, als Krieg, Hunger und Napoleon wüteten.

Von Frank Peter Zimmermann | 28.09.2020
    Der Geiger Frank Peter Zimmermann in München, im Herkulessaal, im März 2011.
    Bedauert sehr, dass es keine Violinsonate aus Beethovens letzter Schaffenszeit gibt: Violinist Frank Peter Zimmermann (imago / Michel Neumeister)
    Lieber Ludwig,
    was soll ein einfacher Musiker einem Genie schreiben? Einem gottbegnadeten Menschen, dem selbst Riesen wie Schumann, Wagner, Brahms und Bartók zu Füßen lagen. Es gibt so viele Fragen, die ich lumpiger Geiger Dir stellen möchte. Du hast ja einmal Herr Schuppanzigh als Lump bezeichnet. Vor allem dem Menschen Beethoven würde ich gerne viele Fragen stellen. Solch eine tiefempfundene Musik kann nur einem wahrhaftig tiefen Menschen entspringen.
    Schon als Kind: Wie viele Stunden am Klavier gesessen!
    Deine harte Kindheit mit den Sorgen und Problemen, der frühe Tod der Mutter, der trinkende, unberechenbare Vater, und Dein frühes Pflichtgefühl, Deine Pflicht, Verantwortung für die Familie zu übernehmen. Aber auch, wie viele Stunden Du jeden Tag schon als Kind am Klavier gesessen hast, um allein so eine gewaltige Virtuosität zu erlangen, muss man tausende Stunden üben. Gleichzeitig hast Du schon früh Deinen unerschöpflichen Drang, Ideen und Einfälle aufzuzeichnen. Auch wenn Du sie erst 30 Jahre später, wie etwa im Schlusssatz der neunten Sinfonie, verwirklicht hast.
    Dann Deine Studien beim Bonner Meister Neefe, Deine frühe Verehrung für den Gott der Musik: Wie sehr hat dich das "Wohltemperierte Klavier" beeinflusst. Johann Sebastian war Dein eigentlicher Meister, oder?
    Sich mit revolutionärer Musik Respekt verschafft
    Als Duisburger möchte ich Dich aber auch nach Deiner Verbundenheit mit dem Rheinlande fragen. Haben Dich die arroganten und falschen Wiener am Anfang überhaupt halbwegs wahrgenommen mit Deinem Bonner Akzent? So musstest Du Dir mit Deiner revolutionären Musik den Respekt verschaffen, langsam, am besten selbst spielend auf dem Klavier. Später dann immer lauter schreiend, und Du hast sie alle in den Sack bekommen – als Piefke und ohne Adelstitel. Übrigens, in Wien glaubt man mittlerweile, Du seist ein Österreicher – und dort hat sich nach 200 Jahren nicht viel verändert.
    Dein Violinkonzert fing übrigens erst 40, 50 Jahre nach der Uraufführung an, von den Geigern und dem Publikum verstanden zu werden. Seitdem sprechen wir von dem Mount Everest aller Violinkonzerte. Wie schade, dass Du nicht selbst die Kadenzen dazu geschrieben hast. Es ist übrigens auch ein Jammer, dass es keine Violinsonate aus Deiner letzten Schaffenszeit gibt. Die zehnte Sonate op. 96 stößt gewiss das Tor zu Deiner späten Philosophie auf, der langsame Satz vor allem, natürlich auch die Variationen des letzten Satzes, sind schon auf dem Wege zur "Missa", dem a-Moll-Quartett oder der Sonate op. 110. So etwas an Violinsonate, das hätte ich mir gewünscht. Oder gar ein spätestens Streichtrio oder etwas für Sologeige. Ja, ja, ich weiß, der Johann Sebastian hat es schon vollendet …
    EIn junger Mann mit kurzen blonden Haaren sitzt in Jackett und Hemd gekleidet an einem geöffneten Konzertflügel und blickt zur Seite.
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    Einen Geburtstag, den die ganze Welt feiern wollte
    Nun hast du bald Deinen 250. Geburtstag und den wollte die ganze musikalische Welt feiern. Wir erleben aber heuer eine Virus-Pandemie, selbst Deine Werke werden nur in kleiner Besetzung gespielt. Dein Violinkonzert habe ich übrigens neulich mit einigen Musikern, etwa fünf ersten Geigen, nach Monaten einer Zwangspause aufgeführt, und alle Tuttis zur Verstärkung selbst mitgespielt.
    Deine Musik hat wie eh und je dem Publikum und auch uns Musikern Kraft gegeben, so wie sie Dir die Kraft gab. Als Krieg, Hunger, Angst, Napoleon und die Krankheit in Deiner Zeit wüteten. Ohne Deine Musik wäre das Leben ärmer.
    Es grüßt Dich
    Dein Frank Peter Zimmermann