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Briefzustellung ist "eine einfache Dienstleistung"

Florian Gerster, Präsident des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste, hat das gestrige Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zum Mindestlohn bei Postdiensten mit Erleichterung aufgenommen. Das Gericht hatte entschieden, der vom Bundesarbeitsministerium verordnete Mindestlohn für alle Postdienstleister sei rechtswidrig.

Florian Gerster im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Weniger melodisch klingt die Begründung des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg, das gestern entschieden hat, die Ausdehnung des Mindestlohnes auf die gesamte Briefbranche sei rechtswidrig.
    Florian Gerster ist Präsident des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste, vormals Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. Guten Morgen!

    Florian Gerster: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Gerster, knallten gestern die Sektkorken in Ihrem Arbeitgeberverband?

    Gerster: Nein. Wir sind da noch sehr provisorisch eingerichtet und haben da keinen Sekt zur Verfügung. Die Unternehmensvertreter, die haben auch jeweils in ihren Büros beraten, wie es jetzt weitergeht.

    Heinemann: Dann bewerten Sie das Urteil bitte nüchtern.

    Gerster: Sehr nüchtern und sehr erleichtert. Das Gegenteil wäre eine Katastrophe gewesen. Dann hätten wir wahrscheinlich noch vor Weihnachten schlechte Nachrichten bekommen.

    Heinemann: Wieso?

    Gerster: Weil ich damit gerechnet hätte, dass bei einer Bestätigung des Postmindestlohns von fast 10 Euro in der Stunde in der Spitze Unternehmen Arbeitsplätze abgebaut, vielleicht sogar ganze Standorte geschlossen hätten.

    Heinemann: Welche Unternehmen?

    Gerster: Ich will einfach zitieren, weil das nicht meine Aufgabe ist, unternehmerische Entscheidungen bekannt zu geben. TNT Post hat überlegt, ob es mit dem Briefdienst in Deutschland bleiben kann, und TNT Post ist ein großer Dienstleister, unser größtes Mitgliedsunternehmen, aber ich kenne auch viele kleinere, denen es ähnlich geht.

    Heinemann: Herr Gerster, man kann doch die deutsche Weihnachtspost nicht im Ausland austragen?

    Gerster: Was wollen Sie damit sagen?

    Heinemann: Dass die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland bei der Post nicht funktioniert.

    Gerster: Ja. Entschuldigung! Es geht nicht darum, ob Arbeitsplätze ins Ausland transferiert werden, sondern es geht darum, ob ein Monopolist ausschließlich Post zustellt, oder ob es faire Wettbewerbsbedingungen gibt mit übrigens auch wettbewerbsfreundlichen Preisen und damit bei einem vergleichbaren Gesamtaufwand mehr Dienstleistung erbracht wird von verschiedenen Anbietern.

    Heinemann: Was bedeutet denn dieses Urteil jetzt für die Kunden?

    Gerster: Für die Kunden bedeutet es, dass sie eine realistische Hoffnung haben können, dass nicht nur Geschäftskunden, sondern in absehbarer Zeit auch Privatkunden, und das nicht nur in Ballungsgebieten, die Möglichkeit haben werden, die Post über verschiedene Dienstleister zuzustellen, Mehrwertdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, also Sendungsverfolgung, verschiedene Arten der Zustellung, Abholung von Post. Das ist im Augenblick nur in Ballungsgebieten möglich und im Wesentlichen nur bei Geschäftskunden, mit wenigen Ausnahmen. In Berlin zum Beispiel gibt es Pin-Briefkästen, aber das ist keinesfalls bundesweit der Fall. Aber wenn sich jetzt der Markt entwickelt, wird in wenigen Jahren das ähnlich sein wie bei der Telefonie.

    Heinemann: Das ist die eine Seite; auf der anderen Seite stehen die Briefzusteller, die gerne von ihrer harten Arbeit auch leben möchten.

    Gerster: Sie haben Recht und ich habe volles Verständnis dafür, dass die Briefträger der Post, wie sie früher genannt wurden, ihre sehr hohen Löhne verteidigen wollen. Aber bitte schön: Es gibt Wettbewerb, es gibt auch Produktivität und Briefzustellung ist eine sehr ehrenwerte, aber ist eine einfache Dienstleistung, für die Löhne jenseits der 10 Euro nach oben, wie das bei der Deutschen Post AG sich eingebürgert hat, einfach nicht realistisch sind.

    Heinemann: Herr Gerster, wie lebt man von 6,50 Euro Stundenlohn?

    Gerster: 6,50 Euro ist nach unserem eigenen Tarifvertrag die Untergrenze für Ostdeutschland. Ich weiß, dass in Ostdeutschland hundert Tausende Arbeitnehmer nicht wesentlich mehr verdienen, übrigens auch in Tarifen, die DGB-Gewerkschaften ausgehandelt haben, also zum Beispiel in der Gastronomie, im Friseurhandwerk. Ich verteidige Löhne in dieser Größenordnung nur im Übergang. Mit anderen Worten: wenn Produktivität erhöht wird, weil dann zum Beispiel auch Dienstleister mehr Briefe dichter zustellen können, in Ballungsgebieten, aber dann später auch auf dem Land, dann können auch höhere Löhne gezahlt werden. In Berlin zum Beispiel haben sie bei der Pin-Mail AG bereits seit Jahren ein Lohnniveau, das deutlich über acht Euro liegt.

    Heinemann: Aber was heißt in strukturschwachen Regionen "Übergang"? Übergang wohin?

    Gerster: Übergang zu höheren Löhnen, zu höherer Produktivität.

    Heinemann: In strukturschwachen Regionen?

    Gerster: Ja. Sie müssen ja sehen, welche Menschen bei uns eine Chance bekommen. Das sind mit Teilzeitjobs, zunächst vielleicht sogar mit 400-Euro-Jobs Arbeitslose gewesen, die nun eine Chance haben, für einige hundert Euro einen 400-Euro-Job oder eben bei einer Teilzeittätigkeit allmählich in die Berufstätigkeit reinzukommen und, wenn es gut geht, wenn die Produktivität es zulässt, wenn die Nachfrage es zulässt, wenn die Kunden da sind, dann auch allmählich in eine Vollzeittätigkeit reinzuwachsen. Das machen wir ja mit arbeitsmarktpolitischen Mitteln an vielen Stellen und deswegen beobachte ich mit Freude, dass die Briefdienstleister, die länger im Markt sind und besser im Markt sind, dann auch höhere Löhne zahlen.

    Heinemann: Herr Gerster, sehen Sie sich, sieht Ihr Verband sich jetzt ab sofort nicht mehr an den Mindestlohn gebunden?

    Gerster: Wir haben einen eigenen Mindestlohntarifvertrag und unsere Mitgliedsunternehmen zahlen mindestens im Westen 7,50 und im Osten 6,50. Es gibt einige Unternehmen in unserem Verband, die zahlen allerdings den überhöhten gesetzlichen Mindestlohn. Die werden jetzt die Chance haben, das wieder zu differenzieren.

    Heinemann: Das heißt, es beginnt jetzt eine Abwärtsspirale?

    Gerster: Die Differenzierung heißt zum Beispiel auch – das ist ganz interessant -, dass die Pin-Mail AG Berlin, als sie auf 9,80 Euro gehen musste, Zulagen abschaffen musste, die für Anwesenheit gezahlt wurden. Wenn jemand wirklich im ganzen Jahr nur ein paar Tage krank war, kriegt er entsprechend mehr Geld. Das ist nicht Minus, sondern Plus. Das mussten sie alles abschmelzen. Alle Zulagen, die Anreize sind für gutes Arbeiten, mussten abgeschmolzen werden, weil der überhöhte Postmindestlohn, der dann gezahlt werden musste, eine solche Differenzierung nach oben einfach nicht mehr zuließ, ohne das Geschäft zu gefährden.

    Heinemann: Herr Gerster, Sie haben eben den eigenen Tarifvertrag angesprochen. Die Briefdienstleister haben eine eigene, so genannte Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste "GNBZ" ins Leben gerufen, der vorgeworfen wurde, sie habe nur die Aufgabe, diesen Mindestlohn zu drücken. Das Kölner Arbeitsgericht hatte diese GNBZ für nicht tariffähig erklärt. War doch ziemlich peinlich oder?

    Gerster: Ich bin, Entschuldigung, insofern beteiligt: Ich habe einen Tarifvertrag unterschrieben. Ansonsten habe ich mit diesen Dingen nur am Rande zu tun. Und Sie müssen auch sehen: Die Legitimität einer Organisation am Anfang ihres Bestehens ist immer ein Thema, das man nicht beurteilen kann wie nach 50 Jahren ÖTV und später ver.di. Das sind verschiedene Themen. Und Sie wissen auch, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Tariffähigkeit der Gewerkschaft überhaupt nicht zum Thema gemacht hat, weil das bei den Urteilskriterien, die gestern eine Rolle gespielt haben, überhaupt nicht ausschlaggebend war.

    Heinemann: Gleichwohl gibt es das Kölner Urteil. Werden Sie mit dieser nichttariffähigen Gewerkschaft weiter zusammenarbeiten?

    Gerster: Das wird sich zeigen. Es gibt auch andere Gewerkschaften, mit denen wir im Gespräch sind. Ich schließe nicht aus, dass bei ver.di sich irgendwann einmal vernünftige Leute durchsetzen, die zum Beispiel Haustarifverträge machen mit Unternehmen, die schon über acht Euro in der Stunde zahlen.

    Heinemann: Herr Gerster, was bedeutet das Berliner Urteil grundsätzlich für die Diskussion über Mindestlöhne in Deutschland?

    Gerster: Das Berliner Urteil bedeutet, dass Mindestlöhne nicht auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt werden können, die bereits tariflich gebunden sind, also dass man nicht im Grunde genommen sogar mit einer Minderheit eine Mehrheit binden kann. Und das ist gut, weil die Tarifautonomie Verfassungsrang hat und dadurch auch geschützt werden muss. Man muss also hinnehmen, dass es in Branchen auch unterschiedliche Tarifniveaus gibt. Das gilt zum Beispiel für die Zeitarbeit. Da ist es besonders umstritten. Man muss das hinnehmen und man muss die Arbeitnehmer, die diese Tätigkeiten ausüben wollen, und die Arbeitnehmer, die sie dafür finden, davor schützen, dass sie durch eine Monopolsituation an die Wand gedrückt werden.

    Heinemann: In den "Informationen am Morgen" sprachen wir im Deutschlandfunk mit Florian Gerster, dem Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gerster: Vielen Dank.