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"Bring Down The Walls"
Gefängnismauern mit House-Musik einreißen

Das Projekt "Bring Down The Walls" in New York sucht Antworten auf die Masseninhaftierung von Menschen in den USA. Der Künstler Phil Collins hat eine ehemalige Feuerwache in eine "Schule für radikales Denken" verwandelt. Zum Projekt gehören auch ein House-Album und ein temporärer Nachtclub.

Von Thomas Reintjes | 07.05.2018
    Der britische Künstler Phil Collins und seine Co-Organisatorinnen sitzen auf einem Podium vor einer Plakatwand mit der Aufschrift "Bring Down The Walls"
    Der britische Künstler Phil Collins und seine Co-Organisatorinnen des Projekts "Bring Down The Walls", das von den NGO's Creative Time und The Fortune Society präsentiert wird (Deutschlandradio/Thomas Reintjes)
    Samstagnachmittag. Langsam füllt sich der große Saal in der ehemaligen Feuerwache 31 in Downtown Manhattan. Jeden Samstag im Mai verwandelt sich die Garage, die zu klein geworden ist für moderne Feuerwehrautos, in eine "Schule für radikales Denken". Gleich der erste Vortag heute macht klar, welches radikale Gedankengut hier verbreitet werden soll:
    "Everything is based on race, right? There's nothing that doesn't have a color to it."
    Ehemalige Gefangene besser bilden
    "Einführung zum Standpunkt der radikalen Abschaffung" lautet der Vortrag. Es geht um die Abschaffung von Gefängnissen. Darum, die Zahl von mehr als zwei Millionen Inhaftierten in den USA drastisch zu reduzieren. Und die rassistische Ungleichbehandlung im amerikanischen Justizsystem zu überwinden. In der Pause frage ich die Rednerin Bianca van Heydoorn: Gefängnisse abschaffen - ist das radikal oder verträumt?
    "Ich denke nicht, dass das verträumt ist. Denn das ist jetzt schon Realität. Es gibt Communitys, wo Menschen nicht im Gefängnis landen müssen. Die bekommen eine gute Bildung, Sicherheit, Zugang zu Behandlung von psychischen Problemen und Behandlung von Drogenproblemen und so weiter. Also, das ist keine Raketenwissenschaft oder Magie. Wir wissen, was zu tun ist."
    Bianca van Heydoorn arbeitet am John Jay College in Brooklyn daran, ehemalige Gefangene besser zu bilden. Die Ressourcen, die derzeit eingesetzt werden, um Menschen einzusperren, sollten ihrer Meinung nach besser dafür verwendet werden, zu verhindern, dass so viele Menschen im Gefängnis landen.
    Neben Vorträgen gehören noch andere Elemente zum Projekt "Bring Down The Walls". Es gibt beispielsweise auch eine kurze Stadtführung. Direkt hinter der Feuerwache im Süden Manhattans liegt nämlich das Justizviertel. Keine Hundert Meter entfernt steht ein Klotz von einem Gebäude. Statt Fenstern hat es schmale horizontale Schlitze - Arrestzellen für 900 Menschen. Über einen unterirdischen Gang ist es direkt mit den Gerichtsgebäuden verbunden. Auf der Straßenseite gegenüber bietet eine Reihe von Geschäften Kredite für Kautionszahlungen an. Viele Menschen sitzen deshalb in amerikanischen Gefängnissen, weil sie sich ein paar Hundert Dollar Kaution nicht leisten können.
    Die Erfinder der House-Musik
    Der britische Künstler Phil Collins hat "Bring Down The Walls" konzipiert. Ein wichtiger Teil des Projekts ist Musik. Wie passt das zusammen?
    Phil Collins: "In den 80ern sind zwei Dinge gleichzeitig passiert: einerseits die riesige Anzahl von Gefängnissen, die in den Staaten gebaut werden und damit einhergehend der Profit und die wirtschaftlichen Aspekte hinter diesem politischen Impuls, Menschen wegzusperren, vor allem die Armen und People of Color. Gleichzeitig entsteht in den 80-ern Musik, wie man sie nie zuvor gehört hat: House-Musik - und zwar in genau diesen Communitys, den schwarzen und lateinamerikanischen Communitys in Chicago, Detroit und New York.
    Einige der größten House-Hits hat Collins neu aufgenommen. Das Album "Bring Down The Walls" bietet er im Netz an. Gesungen werden die Songs von Menschen, die die Brutalität des amerikanischen Justizsystems selbst erlebt haben. Amanda Cruz beispielsweise singt "Love Can't Turn Around". Sie hat auf der berüchtigten New Yorker Gefängnisinsel Riker's Island eingesessen, während sie schwanger war. Musik, sagt sie, hat ihr geholfen, das zu überstehen.
    Und Phil Collins sagt, Musik bringe unterschiedlichste Menschen zusammen:
    "In den 90-ern bin ich hier viel in Clubs gegangen, wirklich außergewöhnliche Nachtclubs mit einem sehr vielfältigen Publikum, aus allen Bevölkerungsschichten. Das hat mich wirklich verändert und mir einen anderen Blick auf die Dinge gegeben."
    Deshalb verwandelt sich die alte Feuerwache 31 in Manhattan an jedem Samstagabend im Mai erneut. Von der "Schule für radikales Denken" in einen Club, in dem vermeintliche Klassen- und Rassenunterschiede keine Rolle spielen, in dem man sich freitanzen kann.