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Brisante Akten in Erfurt

Im deutschen Sport entfaltet sich ein neuer Dopingskandal - die Dimensionen sind bisher nur im Ansatz zu erahnen. Auslöser ist ein laufendes Ermittlungsverfahren der Erfurter Staatsanwaltschaft gegen einen Mediziner. Der Doktor war Vertragsarzt am Olympiastützpunkt Thüringen und soll Blutdoping bei Topathleten praktiziert haben.

Von Grit Hartmann | 15.01.2012
    Die Nationale Antidoping-Agentur NADA hält sich erkennbar bedeckt. Nur wenig gibt sie preis zur Frage, wie sie sportrechtlich umgeht mit der Strafsache gegen den langjährigen Arzt am Olympiastützpunkt Erfurt. Der erste Satz: Die NADA sei "frühzeitig über das grundsätzliche Vorgehen der Staatsanwaltschaft informiert" gewesen und habe zudem "eigene Ermittlungen angestellt". Der zweite: Ein Disziplinar-, sprich: Dopingverfahren laufe bereits. Dritter und letzter Satz: "In anderen Fällen prüfen wir dies."

    Dass die NADA sonderlich energisch prüft, darf bezweifelt werden. Denn die Agentur ist nicht bloß "über das grundsätzliche Vorgehen" der Thüringer Ermittler informiert. Hannes Grünseisen, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt, sagt, sie habe sogar "vollumfänglich Akteneinsicht" in das Verfahren gegen den Mediziner. Und was in den Akten steckt, das ist nach Deutschlandfunk-Informationen mindestens in einem zweiten Fall ein glasklarer Dopingverstoß. Er ist so unmissverständlich, dass sich die Frage aufdrängt: Was genau prüft die NADA eigentlich? Doch der Reihe nach:

    Das Verfahren gegen den Arzt wurde von der Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaft München I eingeleitet und Ende 2010 nach Erfurt abgegeben. Sie stieß bei den Ermittlungen gegen Unbekannt im Fall Claudia Pechstein auf die Umtriebe des Mediziners.

    Die Münchner stellten ihr Verfahren im letzten Sommer ein. Da ermittelten die Erfurter Kollegen längst mit Hochdruck gegen den Arzt, der für den Olympiastützpunkt Eisschnellläufer, Radsportler und Leichtathleten betreute. Öffentlich wurde das, als die Fahnder im April 2011 mit einem Durchsuchungsbefehl in der Praxis des Arztes und im Olympiastützpunkt am Steigerwald einmarschierten. Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz, lautet der Vorwurf. Der Doktor soll an Topathleten eine Methode praktiziert haben, die nach dem Kodex der Welt-Antidoping-Agentur als Doping gilt: UV-Bestrahlung des Blutes. Dafür wird Blut entnommen, bestrahlt und wieder injiziert. Angeblich verbessert dies den Sauerstofftransport.

    Nach Deutschlandfunk-Informationen wurden in der Arztpraxis verräterische Computerdateien beschlagnahmt. Sie dokumentieren zum Beispiel, dass ein Topathlet schon im Jahr 2005 den Blut-Service in Anspruch nahm. Auch ein aufgezeichnetes Telefonat, noch von den Münchnern zu den Akten gegeben, entlarvt angeblich diesen Sportler: In dem empfiehlt er die Spezialität des Erfurter Doktors einem anderen Athleten. Der äußert Bedenken, fragt, ob das nicht Doping sei. Antwort des Tippgebers: UV-Bestrahlung sei doch nicht nachweisbar. Eindeutiger kann ein Höchstleister kaum formulieren, dass er dopt und sich dessen bewusst ist. Staatsanwalt Grünseisen, nach diesen Akteninhalten befragt, sagt nur, das könne seine Behörde "nicht kommentieren". Zugleich weist er darauf hin, dass Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz nach fünf Jahren verjähren. Das heißt: Ein solcher Fall wäre für die Ermittlungen gegen den Arzt uninteressant. Der Athlet würde auch nicht als Zeuge befragt – im Gegensatz zu anderen, die ab 2006 Kunden des Mediziners waren. Grünseisen sagt, bisher seien zehn Sportler gehört worden: Eisschnellläufer, Radsportler, Leichtathleten.

    Die NADA müsste sich für all das brennend interessieren: Sie hat von den drei betroffenen Spitzenverbänden das so genannte Ergebnismanagement übernommen, entscheidet also allein über Doping-Sanktionen. Auch der handfeste Altfall aus 2005 ist sportrechtlich nicht verjährt - Dopingverstöße sind acht Jahre lang zu ahnden. Fragen zu diesem Fall konnte die NADA bisher nicht beantworten. Ihr Sprecher Berthold Mertes sicherte zu, es werde geprüft, ob Auskunft möglich sei.

    Dem ersten Verfahren gegen eine Eisschnellläuferin vom ESC Erfurt müssten also weitere folgen. Noch ist offen, bei wie vielen Athleten und seit wann der Mediziner die Eigenblut-Behandlung praktiziert hat. Im Herbst 2001 zum Beispiel begleitete der Arzt die Eisschnellläufer in ein Höhentrainingslager zur Vorbereitung auf die Winterspiele in Salt Lake City. Auch damals bot seine Praxis schon Blutbestrahlung an. Noch bekannter als dieser Doktor, zu dem Athleten nicht nur aus Erfurt pilgerten, ist übrigens sein einstiger Praxispartner. Bei dem handelt es sich um einen Kollegen mit ausgewiesener Doping-Expertise, um Horst Tausch. Der Medizinalrat war bis 1989 Verbandsarzt der DDR-Schwimmerinnen. Als ihr Doper bekam er 1999 zehn Monate Bewährungsstrafe.