Donnerstag, 18. April 2024

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Briten im französischen Périgord (4/5)
Parlamentarierin im Weinberg

Von London aus ist man schnell in Bergerac – schneller als in York. So kann die Britin Sue Temperley gut zwischen dem House of Lords und ihrem Weingut in Frankreich pendeln. Eigentlich hätte sie sich längst gern im Périgord zur Ruhe gesetzt – wenn sie nicht in London gegen den Brexit stimmen müsste.

Von Simonetta Dibbern | 21.10.2017
    Die britische Parlamentarierin Sue Temperley im Traktor
    Mal sitzt sie im Flugzeug oder im House of Lords, mal auf dem Traktor im französischen Weinberg: Sue Temperley (Deutschlandradio / Simonetta Dibbern)
    "We are very lucky, I mean the view is fantastic."
    Sue Temperley schwärmt vor romantischer Kulisse - sanft geschwungene Hügel in der Abendsonne – das Château Lestevenie liegt wirklich schön. Die Temperleys machen einen der besten Weine der Gegend, hatte Martin Walker gesagt.
    "Oh you have seen Martin? He must have finished his book on the Périgord, very busy ..."
    Der Martin, viel beschäftigt, gerade jetzt, wo an er an seinem Buch über das Périgord sitzt … Sue Temperley trifft ihn dennoch von Zeit zu Zeit. Zuletzt bei der Versammlung der Grands Consuls de la Vinée de Bergerac – der ehrwürdigen Wächter über die Weinqualität der Region.
    "Sie sollten ihn sehen in seiner Robe, es ist beeindruckend! Und sehr sehr mittelalterlich, alle Konsule tragen Hüte und lange Gewänder .. wir waren bei der Weihung eines neuen Konsuls dabei, der muss dann schwören, Gutes zu tun, für den Wein und für die Region, diese Tradition ist hunderte Jahre alt."
    Dordogne? "Da ziehen alle Engländer hin"
    Seit auch ihr Wein mehrere Preise bekommen hat, sind die Temperleys Teil der Bergerac-Gemeinde. Vor acht Jahren haben die Briten das Weingut gekauft, es ist ein kleines Haus mit gerade mal 15 Hektar Land. Humphrey , Sues "husband" , hat sich damit einen Kindheitstraum erfüllt:
    "Er hat schon mit elf Jahren seine ersten Reben gepflanzt, in Somerset, und später, als Landwirt, hat er es auch in größerem Stil versucht. Und dann haben wir uns gesagt: Wir werden nicht jünger. Wenn wir das ernsthaft betreiben wollen, sollten wir jetzt anfangen. Und so haben wir uns in verschiedenen Regionen Frankreichs umgesehen – manche Orte waren zu heiß, manche zu nass – die Dordogne kam uns überhaupt nicht in den Sinn, hier ziehen alle Engländer hin, dahin gehen wir auf keinen Fall!"
    Doch der Preis war günstig – jetzt produzieren sie Wein aus den vorgeschriebenen Traubensorten.
    "Dies ist Bergerac Appellation. Das heißt, wir dürfen nur drei Rebsorten anbauen Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc. Das ist so vorgeschrieben. Eine seltsame Regel, finde ich – doch wenn wir uns nicht daran halten, ist es kein Bergerac, sondern eben Landwein. «
    Für die Weinherstellung ist Ehemann Humphrey zuständig – und an diesem Nachmittag kümmert er sich auch um die englischen Touristen, die zur Weinprobe gekommen sind. Sue packt mit an, dafür hat sie eigens Treckerfahren gelernt.
    "Alle denken, dass die Ernte am meisten Arbeit ist. Aber es sind die Monate Mai und Juni, wenn die Stöcke schnell wachsen, sie müssen immerfort beschnitten werden."
    Ist sie also sehr stark?
    "Ja, ich bin stark. Sollen wir Armdrücken machen? Die Leute sind oft erstaunt. Ich sehe aus wie eine nette alte Dame – wobei ich selten so elegant gekleidet bin wie heute. Aber es ist so heiß, dass ich ein Kleid anziehen musste."
    Sue sitzt im House of Lords – um gegen Brexit zu stimmen
    Anfang 60 ist sie – und elegantes Auftreten gewöhnt: Wenn sie nicht gerade Wein in Frankreich anbaut, macht Sue Politik im britischen Parlament: Für die Liberalen sitzt sie im House of Lords. Als Baroness Miller of Chilthorne Domer.
    "Eigentlich wäre ich schon in Rente gegangen, doch ich bleibe, solange ich gegen den Brexit stimmen kann. Und weil landwirtschaftliche Themen mein Fachgebiet sind, passt das ganz gut. Ich fahre nicht zu jeder Parlamentssitzung, von den 30 Wochen bin ich ungefähr 20 da – auf jeden Fall versuche ich bei jeder Abstimmung dabei zu sein, die mich betrifft."
    Immer, wenn es um den Brexit geht. Oder, Sues anderes großes Thema, um Atomwaffen. Ihr Ziel ist es, dass auch Großbritannien die gerade mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Kampagne zum Verbot von Atomwaffen unterstützt.
    "Was natürlich schwierig ist, für Großbritannien und auch Frankreich, weil es in beiden Ländern noch Atomkraft gibt. Daran müssen wir arbeiten, darum engagiere ich mich. Viel lieber wäre ich das ganze Jahr hier – doch im Vereinigten Königreich interessieren sich nicht viele Leute für Nuklearthemen. Und wenn ich nicht da bin, wären es noch weniger."
    Dumm ist nur, dass sie nicht gerne fliegt.
    Könnten sie nach dem Brexit auch dieses Weingut betreiben?
    Wieder trifft eine Besuchergruppe ein, wieder Briten. Humphrey holt neue Gläser.
    So ist es nicht immer, sagt Sue, glücklicherweise, sonst würden sie ja gar nicht mehr zum Arbeiten kommen. Schließlich machen sie die meiste Arbeit zu zweit, nur beim Flaschenabfüllen hilft die örtliche Kooperative. Doch natürlich hofft sie, dass die Nachfrage bleibt, nach ihren weißen und roten Weinen mit dem springenden Hasen auf dem Etikett, auch nach dem Brexit:
    "Für den Tourismus wird sich wohl wenig ändern. Ich denke, schwieriger wird es auf der professionellen Ebene, für Richter zum Beispiel – wird ihre Ausbildung hier anerkannt? Wir mussten uns für das Weingut offiziell bewerben. Die französische Regierung prüft, ob du Landwirt bist oder vergleichbare Qualifikationen hast. Humphreys Qualifikation reichte aus, wegen der gegenseitigen Anerkennung in der Europäischen Union. Heute wäre das vielleicht anders- und nach dem Brexit sowieso. Es wird also manche Veränderungen geben. Und ich muss mir einen französischen Führerschein besorgen!"