Donnerstag, 18. April 2024

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Britische Bürger drei Monate vor dem Brexit
Zwischen Entsetzen, Ratlosigkeit und Hoffnung

Für die einen ist er eine große philosophische Enttäuschung, andere sind von Befürwortern zu Gegnern geworden und wieder andere sind weiter überzeugt: Der Brexit ist der einzig richtige Weg. Dlf-Korrespondent Friedbert Meurer hat in London britische Nachbarn gefragt, wie sie aktuell zum EU-Austritt stehen.

Von Friedbert Meurer | 31.12.2018
    Ein Mann demonstriert mit anderen Brexit-Gegnern auf dem Londoner Parliament Square. Er trägt einen blauen Zylinder mit der Aufschrift: "Stop Brexit". Außerdem hält er ein Plakat mit einem Zitat von Arron Banks hoch: "I think we would have been better to remain." Im Hintergrund ist eine Frau zu sehen, die ein Plakat mit der Aufschrift hochhält: "Brexit: is it worth it?"
    Manche Briten sind darüber entsetzt, wie inkompetent ihre Regierung mit dem Brexit umgeht und fordern endlich Fakten (imago stock&people)
    Wir sitzen zu viert an unserem Esszimmertisch, vor dem Fenster steht noch der geschmückte Tannenbaum. Es ist alles wie bei unserem letzten Talk vor zwei Jahren, nur dass der Glühwein noch nicht fertig ist. Aber Diana legt schon einmal los. Sie ist immer noch eine eingefleischte Brexit-Anhängerin, ärgert sich aber sehr, wie das alles abläuft.
    "Ich bin nicht die Einzige, die für den Brexit war, die jetzt entsetzt ist. Unsere Regierung handelt das miserabel. Ich bin gegen den Ausstiegsvertrag, der mit der EU ausgehandelt wurde."
    "Ich war überrascht, wie inkompetent unsere Regierung ist"
    "Ich war überrascht, wie inkompetent unsere Regierung ist", pflichtet Jason bei, auch er ein Brexit-Befürworter. Inzwischen haben wir alle unseren Becher Glühwein vor uns stehen. "Diese prinzipienlose ständige Vor und Zurück. Es ist jetzt Zeit, sich zu entscheiden, statt dieses elende Verzögern. Wir sind doch weltweit zur Lachnummer verkommen."
    Die Brexiteers sind frustriert, die Remainer haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden. James` Sohn geht mit meiner Tochter zusammen zur Grundschule. James war beim letzten Mal Ende 2016 entsetzt darüber, dass es zum Brexit kommt.
    "Ich fühle mich nicht betrogen, so ist halt Demokratie. So haben die Leute abgestimmt. Aber persönlich ist es für mich eine große philosophische Enttäuschung."
    "Die Mehrheit wollte den Austritt aus der EU", das gesteht auch Felix zu. Er ist Deutscher, lebt seit 20 Jahren in London und ist mit einer Engländerin aus Coventry verheiratet. Wir sehen uns häufiger in unserer Straße oder auf dem Weg zur Schule. Was ich aber nicht wusste: Felix hat jetzt doch den britischen Pass angenommen und scherzt darüber.
    "Die Queen ist eine Deutsche, deswegen dachte ich: Das mit dem Pass ist in Ordnung."
    Das hast du schön gesagt, grinst James. Denn eigentlich ist das nur bedingt lustig. Ohne Brexit hätte Felix nicht die britische Staatsbürgerschaft gebraucht. Jasons Ehefrau hat das mit dem Pass schon vor zwei Jahren gemacht - sie ist ebenfalls eine Deutsche. Jason erzählt, dass er von einem Ehepaar gelesen hat - er Arzt, sie Deutsche -, die sich so über den Brexit verkracht hätten, dass sie sich jetzt scheiden lassen. Seine Methode, das zu verhindern, ist: abschalten!
    "Ich bin nur ein Mensch. Was wir in den Fernsehnachrichten sehen, da kann man ja doch nichts machen. Das ist doch eine konstante Panikmache. Uns würde es schlechter gehen. Wir würden Engpässe bei Medikamente und Lebensmitteln haben."
    "Ich bin sicher, dass es einen Plan B gibt"
    Felix dagegen, ist sich sicher, dass Großbritannien unter dem Brexit leiden wird. Aber bitte: jeder habe die Freiheit, sich selbst zu schaden. James sieht, sollte es zum Brexit-Chaos kommen, den Vorteil, dass dann Labour bald die nächsten Wahlen gewinnt und für mehr Gerechtigkeit sorgt. Aber James glaubt, dass Theresa May einen Plan B hat.
    "Kann sein, dass das nur mein Optimismus ist. Aber ich bin sicher, dass es einen Plan B gibt."
    Auch Diana glaubt das, und spricht von einem doppelten Bluff Mays. "No Deal" ist ein Bluff, also Ausstieg aus der EU ohne Vertrag, und eine zweite Volksabstimmung, das sei auch ein Bluff. Überhaupt sind alle gegen ein zweites Referendum, das schade der britischen Demokratie.
    "Vor zwei Jahren saßen wir hier und ich war wirklich aufgebracht", erinnert sich jetzt Felix, der Deutsche, an unsere letzte Runde.
    "Ich hatte das Gefühl, die Nachbarn wollten nicht mehr, dass ich hier bleibe. Jetzt bin ich darüber hinweg. Ich bin nur traurig um die Zukunft dieses Landes."
    Angst, sich als Brexiteer zu outen
    Auch Diana und Jason, die beiden Brexit-Befürworter, sehen nach meinem Eindruck die Zukunft nicht mehr so rosig wie vor zwei Jahren. Aber die EU hat sie während der Verhandlungen weiter abgeschreckt. Diana lässt jetzt am Ende erkennen, dass sie hier in London manchmal aufpassen muss, sich als Brexiteer zu outen.
    "Viele Freunde fragen mich manchmal verstohlen: 'Hast du für den Brexit gestimmt?‘ 'Gott sei dank, sagen die dann, gut, das zu hören.‘ Man darf das nicht zugeben. Das ist auch furchtbar."