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Britischer Buchhandels-Coup

Überraschend hat Waterstones eine Kooperation mit Amazon bekannt gegeben. Es gehe dabei "um wirtschaftliches Kalkül", meint Holger Ehling. Europas größter Buchhändler sei bislang im E-Book-Geschäft "schwachbrüstig aufgestellt", müsse aber "dort präsent sein, um seine Position verteidigen zu können."

Das Gespräch führte Dina Netz | 21.05.2012
    Dina Netz: Einen "unbarmherzigen Geld machenden Teufel" hat der Chef der britischen Buchhandelskette Waterstones, James Daunt, Amazon mal genannt. Umso überraschender ist heute die Meldung, dass Waterstones eine Kooperation mit Amazon eingeht, eine "weitreichende Partnerschaft", wie es heißt, die die Gewichte im E-Book-Geschäft in Großbritannien erheblich verschieben dürfte. Die Kindle-Lesegeräte werden künftig in Waterstones-Läden verkauft, in den Geschäften sollen eigene Digital-Abteilungen entstehen.

    Ich bin jetzt verbunden mit dem Kollegen Holger Ehling, der die Entwicklungen auf dem Buchmarkt seit vielen Jahren beobachtet. Herr Ehling, Amazon versucht ja gerade, weltweit im stationären Vertrieb Fuß zu fassen. Warum überhaupt tut sich nun eine Buchhandelskette mit einem E-Book-Händler zusammen?

    Holger Ehling: Nun, es geht bei Waterstones um wirtschaftliches Kalkül. Waterstones – das muss man wissen – ist Europas größter Buchhändler. Man hat etwa 300 Filialen in Großbritannien, macht circa eine Milliarde Euro Umsatz pro Jahr. Allerdings ist man im E-Book-Geschäft bisher ausgesprochen schwachbrüstig aufgestellt. In Großbritannien, anders als in Deutschland, ist das E-Book-Geschäft mittlerweile signifikant, wir haben dort in einigen Bereichen zehn, zwölf Prozent Marktanteil. Das heißt, ein solches Unternehmen wie Waterstones muss dringend dort präsent sein, um weiterhin seine Position verteidigen zu können. Es gibt für Waterstones dort nicht viele Alternativen: Entweder man macht es selber, oder man schließt sich einem bereits etablierten Konkurrenten an, und das hat man jetzt getan.

    Netz: Waterstones hatte ja vorher durchaus auch mit anderen E-Book-Händlern gesprochen: mit Kobo, mit Barnes & Noble. Was könnte jetzt den Ausschlag für eine Kooperation mit Amazon gegeben haben, die man ja, wie wir gehört haben, vorher noch verteufelt hat?

    Ehling: Nun, es ist sicherlich so: Amazon ist dort, wo es in den Markt geht – ob das in Deutschland ist, in Frankreich, in Spanien, oder eben auch in Großbritannien – der 600-Pfund-Gorilla, der im Raum steht. Man hat ungeheuere tiefe Taschen, die man leeren kann für das Marketing, und man hat auch gar keine Angst, eine ganze Weile lang negative Zahlen zu schreiben, um einen Markt zu erobern. Das drückt die Konkurrenz ganz gewaltig an die Seite, und für Waterstones war es letztlich eine Rechnung, ob man mit einem Kollegen wie Barnes & Noble zusammengeht, ob man mit einem Unternehmen wie Kobo aus Kanada zusammengeht und auf eigene Rechnung mit eigenen Mitteln, mit eigenem Marketing versucht, gegen Amazon anzukämpfen, oder ob man sich dem großen Gorilla anschließt und versucht, in dessen Windschatten tatsächlich Geschäfte zu machen. Es ist letztlich eine Rechnung, wo Sympathien keine Rolle mehr spielen, sondern es geht darum, dass man selber überlebt und nicht allzu viel verbrennt im Geschäft.

    Netz: Herr Ehling, die US-Supermarktkette Target, die hat Anfang Mai bekannt gegeben, dass sie die Kooperation mit Amazon für den Kindle-Verkauf stoppt, weil die Kunden bei Target gucken und dann bei Amazon kaufen würden. Dahinter stecken auch die Geschäftspraktiken von Amazon. Vielleicht können Sie darüber ein bisschen was sagen.

    Ehling: Ja. Amazon ist nicht nur im Buchhandel als "der Gott war bei uns" verschrien. Amazon hat vor einigen Monaten eine App für die Smartphones auf den Markt gebracht, mit der man die Barcodes auf verschiedenen Waren einfach scannen kann. Man sendet das dann zur Amazon-Zentrale und bekommt sofort den Preis mitgeteilt, den dieses Produkt bei einer Bestellung bei Amazon kosten würde. Das ist natürlich schon eine ziemlich verteufelte Angelegenheit. Man drückt damit den stationären Handel, der sowieso durch physische Präsenz und lokale Steuern benachteiligt ist, noch weiter an den Rand. Das will sich Target nicht mehr gefallen lassen und man wird sicherlich sehen, dass auch im sonstigen stationären Handel Amazon Schwierigkeiten haben wird. Bereits jetzt weigern sich US-Buchhändler, Amazon-Titel im Druck – Amazon hat dort einen eigenen Verlag -, diese gedruckten Titel von Amazon überhaupt ins Programm zu nehmen.

    Netz: Heute ist der internationale Tag der kulturellen Vielfalt, ich habe es Anfang der Sendung schon gesagt. Herr Ehling, gibt es auf dem europäischen Markt denn überhaupt noch Ernst zunehmende Konkurrenz zu diesen US-amerikanischen E-Book-Anbietern, speziell zu Amazon?

    Ehling: Es gibt Amazon, Apple und demnächst auch noch Google. Ansonsten gibt es lange nichts. Auch die lokalen, die nationalen Champions wie Waterstones, die sich jetzt an Amazon angehängt haben, wie Thalia oder Weltbild und Hugendubel hier in Deutschland, wie die Fnac in Frankreich, haben letztlich bislang es nicht vermocht, eine angemessene Konkurrenz darzustellen. Ob das in Zukunft der Fall sein wird, wage ich zu bezweifeln. Wir werden sicherlich ein Oligopol der großen amerikanischen Jungs bekommen und die lokale, nationale Konkurrenz wird dahinter herhumpeln und sich die Haare raufen und schreien.

    Netz: Vielen Dank für diese Einschätzungen – Holger Ehling war das über die Kooperationsvereinbarung zwischen der britischen Buchhandelskette Waterstones und Amazon und über den E-Book-Markt im allgemeinen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.