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Britischer Drogenexperte auf Kollisionskurs mit der Regierung

Wie gefährlich ist Cannabis? Sehr gefährlich, sagt die britische Regierung. Nicht so schlimm wie Alkohol, findet hingegen Drogenexperte Professor David Nutt. Das Problem dabei: Nutt leitet den Sachverständigenrat der Regierung - und wurde nun gefeuert.

Von Ruth Rach |
    Schon Anfang des Jahres machte er Schlagzeilen: Professor David Nutt, Top-Drogenexperte der britischen Regierung, erklärte, Reiten sei riskanter als Ecstasy - wenn man die Zahl der Todesfälle miteinander vergleiche. Jacqui Smith, damalige Innenministerin, war außer sich. Der Pharmakologe müsse sich entschuldigen. In puncto Rauschgift verfolge die Regierung eine Politik der Null-Toleranz.

    Nun steht der Professor erneut im Rampenlicht. Denn er verschärfte seine Kritik an der staatlichen Drogenpolitik und wurde prompt entlassen. Die Folge: hitzige Diskussionen in der Öffentlichkeit und im Parlament. Natürlich könne der Wissenschaftler seine Meinung äußern, erklärt Innenminister Alan Johnson aber:

    "Mit seiner Kritik an meiner Vorgängerin, am Premierminister, und an der Regierung hat er unser politisches Konzept unterminiert und mein Vertrauen verloren."

    David Nutt gilt als führender Drogenexperte in Großbritannien. Vor eineinhalb Jahren wurde er zum Vorsitzenden des Drogensachverständigenrats der Regierung ernannt. Übrigens ein Ehrenamt - auch die anderen Mitglieder des Gremiums werden nicht bezahlt. Kernpunkt ihrer Kritik: die derzeit geltende Klassifizierung für illegale Drogen, die je nach Schädlichkeit in drei Stufen eingeteilt werden. Cannabis liegt innerhalb dieses Systems in der mittleren Kategorie B, Ecstasy in der gefährlichsten Kategorie A, zusammen mit Heroin, Kokain Crack und LSD. Totaler Unsinn, erklären die Drogensachverständigen. Professor David Nutt:

    "Politiker glauben, dass sie die Tatsachen kennen. Wissenschaftler kennen die Tatsachen."

    In der Rangliste für Rauschmittel des Drogensachverständigenrats sind auch Alkohol und Tabak aufgelistet. Wenn man sich die Schäden vor Augen hält, die durch diese beiden Drogen verursacht würden, so seien sie weitaus gefährlicher als Cannabis, LSD und Ecstasy. Die These hat erbitterte Diskussionen ausgelöst - und zahlreiche Radiosendungen mit hoher Hörerbeteiligung.

    "War es gerechtfertigt, den Drogenzar David Nutt zu entlassen? Und welche Folgen werden seine Äußerungen für gefährdete Jugendliche haben?"
    "In Großbritannien gibt es mehr Drogensüchtige als im übrigen Europa. Aber die Klassifizierung ist falsch. Alkohol und Tabak richten einen viel größeren Schaden an. Und das sollte die Öffentlichkeit wissen."

    "Der Professor darf keine gemischten Botschaften an junge Leute richten: Das ermutigt sie nur, gravierende Fehlentscheidungen zu treffen."

    Wie aber steht es um die Meinungsfreiheit von Regierungsberatern? Und wie um die Unabhängigkeit der Wissenschaft? Kritiker werfen der Regierung vor, Erkenntnisse zu unterdrücken, wenn sie ihr nichts ins Konzept passen.

    Innenminister Alan Johnson müsse sich für die Entlassung entschuldigen, fordert der Liberaldemokrat Chris Huhne während einer turbulenten Sitzung im Parlament und fragt, ob die Regierung nur noch blinde Ja-Sager in ihre Expertengremien holen wolle.

    Besonders beunruhigt sind britische Wissenschaftler. Die Labour Regierung schlage wichtige Forschungsergebnisse absichtlich in den Wind und treffe unwissenschaftliche populistische Entscheidungen.

    "Ich war zutiefst schockiert", sagt Professor Martin Plant, ein Drogenexperte von der Universität Bristol. Seinen Kollegen gehe es nicht anders.

    Der Innenminister stellt die Grundlage infrage, auf der die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Regierung aufbaut. Forscher müssen die Freiheit haben, ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen. Wozu gibt es denn sonst überhaupt Wissenschaft und Forschung?

    Aus Protest gegen die Entlassung ihres Vorsitzenden sind inzwischen zwei Mitglieder des Drogensachverständigenrats zurückgetreten. Für nächste Woche haben sie eine öffentliche Sitzung einberufen. Gut möglich, dass dann weitere Rücktritte bekannt gegeben werden. Bei den Treffen soll auch über neue Richtlinien beraten werden, um die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Sachverständiger zu gewährleisten.