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Brok: Können Flüchtlingsproblem nicht in Europa lösen

Nach dem Flüchtlingsdrama von Lampedusa fordert der CDU-Politiker Elmar Brok die Probleme in den Herkunftsländern anzugehen. Um Massenwanderungen zu verhindern, müsse man den Menschen in Afrika eine Perspektive geben, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament.

Elmar Brok im Gespräch mit Gerd Breker | 10.10.2013
    Christiane Kaess: Begleitet von Protesten haben die EU-Kommission und Italiens Regierungschef Enrico Letta gestern auf Lampedusa eine offenere Haltung Europas in der Flüchtlingspolitik gefordert. Der Notstand Lampedusas ist ein europäischer und Europa kann sich da nicht abwenden, das verlangte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Mein Kollege Gerd Breker hat gestern Abend mit dem CDU-Außenpolitiker Elmar Brok gesprochen. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Gerd Breker hat ihn zuerst gefragt: Kann der Beschluss der EU-Innenminister, an der bisherigen Flüchtlingspolitik festzuhalten, im Lichte des Dramas von Lampedusa doch nicht die letzte Antwort Europas bleiben.

    Gerd Breker: Der Innenminister-Rat gestern mit der Botschaft, wir halten an der europäischen Flüchtlingspolitik fest, da ändert sich auch im Lichte des Dramas von Lampedusa nichts, das kann doch nicht die letzte Antwort gewesen sein. Da muss von Europa doch mehr kommen?

    Elmar Brok: Es kommt auch mehr, denn es sind, seitdem das Europäische Parlament auch für diese Fragen zuständig ist, neue Entscheidungen getroffen, und gerade morgen wird das Europäische Parlament Eurosur entscheiden, das entscheidende rechtliche und praktische und finanzielle Möglichkeiten gibt, die unerlaubte Einwanderung stärker zu kontrollieren, aber auch sehr viel stärker Hilfe zu leisten für Flüchtlinge in Not, sowohl im praktischen Verfahren als auch im zur Verfügung stellen von 250 Millionen Euro, die erst einmal damit verbunden sind.

    Breker: Es kann doch gar nicht sein, Herr Brok, dass Fischer, die da sind und Ertrinkende sehen, denen nicht helfen dürfen.

    Brok: Dies ist ein italienisches Gesetz. Das widerspricht europäischer Gesetzgebung. Das wird nicht durch Europa verboten, sondern durch eine italienische Gesetzgebung, die vor elf Jahren in Italien beschlossen worden ist. Ich finde ein solches Gesetz unerträglich und halte es mit europäischen Rechtsvorschriften nicht für vereinbar.

    Breker: Es ist ja auch irgendwie die Frage bei diesem Flüchtlingsdrama, was wir da erlebt haben, und all die Särge, die nun im Hangar auf dem Flughafen stehen, für welche Werte Europa eigentlich steht.

    Brok: Nun, wir sehen, wir können die Probleme der Welt nicht auf europäischem Boden lösen. Wir müssen natürlich Menschen retten. Wir müssen sehr viel stärker die Instrumente von Frontex, von Beobachten, von europäischen Instrumenten, die zur Verfügung stehen, benutzen, also durch Mitarbeiter von Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass solche Flüchtlinge sehr viel früher erkannt werden, dass Schlepperbanden früher erkannt werden. Wir müssen sehen, dass Europa sieben Milliarden Euro in der gegenwärtigen Finanzperiode für die nordafrikanischen Staaten gibt. Dieses muss auch stärker dafür eingesetzt werden, dass die gar nicht auf diese Schiffe hinauf kommen, wie insgesamt die Entwicklungspolitik hier neu angesetzt werden muss und wo wir sehr viel mehr tun müssen, damit in den Herkunftsländern die Probleme gelöst werden. Aber es kann nicht sein, wenn in diesen Ländern etwas nicht schnell funktioniert, sie keine geeignete Flüchtlingspolitik in nationaler Verantwortung haben, dass dann automatisch Europa dafür verantwortlich ist. Italien könnte jederzeit diese Menschen von der Insel herunterbringen und aufs Festland bringen und nicht in einem überfüllten Flüchtlingslager zu halten. Auch Deutschland nimmt Flüchtlinge auf. Wir werden in diesem Jahr fast 100.000 Zuwanderung in diesem Bereich haben, sodass, glaube ich, alle miteinander hier etwas tun müssen. Aber es ist unsere Sorge und hier müssen wir europäische Solidarität üben und durch europäische Gesetzgebung Länder dazu zwingen, dass Flüchtlinge anständig behandelt werden.

    Breker: Aber gehört dazu nicht auch, Herr Brok, dass man die Erkenntnis endlich sich eingesteht, solange es keine legale Einreise gibt, wird es immer eine illegale geben und damit werden Schleuser Geschäfte machen können?

    Brok: Ja was heißt legale Einreise? Heißt das, die Grenzen sind offen für alle, die aus Afrika oder aus anderen Staaten in Nahost kommen? Welche Konsequenzen werden damit verbunden? Wird dann die Zuwanderung noch so zunehmen, dass dieses dann vom europäischen Bürger nicht mehr ertragen wird, der sicherlich sich einiges wird zumuten lassen müssen? Deswegen ist es, glaube ich, sehr viel stärker, dass wir ein Gesamtkonzept entwickeln, dass wir sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen, dass in den Herkunftsländern die Menschen bessere Lebensbedingungen haben. Was müssen die einen Mangel an Lebensperspektiven haben, dass sie unter diesem Risiko aus ihren Ländern herausgehen, in dem Wissen, dass dieses mit Lebensgefahr verbunden ist, und deswegen müssen wir da sehr viel mehr machen. Wir in Europa müssen verstehen, wenn wir Massenwanderung verhindern wollen, müssen wir den Menschen zu Hause eine Perspektive geben. Deswegen ist eine sofort angesetzte höhere Entwicklungshilfe nicht Caritas, sondern dies ist eine Frage, die auch in unserem eigenen Interesse wie in dem Interesse der betroffenen Menschen ist. Das müssen wir, glaube ich, begreifen. Dies kann nicht mit repressiven Methoden oder mit Öffnung von Grenzen gelöst werden, das muss sehr viel weiter gehen.

    Breker: Nur, Herr Brok, wenn wir uns anschauen, woher die Menschen kommen, etwa aus Somalia, da wird doch dann das Argument, man müsse die Lebensbedingungen der Menschen in ihrer Heimat verbessern, irgendwo ein scheinheiliges Argument. Somalia ist seit Jahrzehnten ein Staat, der gar kein Staat ist.

    Brok: Es gibt sicherlich immer Notwendigkeiten, in bestimmten Flüchtlingsbereichen zu helfen, und deswegen muss auch klar sein, dass sowohl im Asylverfahren als auch in den Verfahren, wo man nicht Anspruch auf Asyl hat nach den normalen Regeln der Genfer Konvention, man eine subsidiäre Unterstützung hat, wo wir jetzt in europäischer Gesetzgebung diese Maßnahmenbreite sehr viel größer gemacht haben und dieses auch entsprechend finanziell in den Mitgliedsstaaten unterstützen von der europäischen Ebene her. Ich glaube, das ist ein wichtiger Ansatzpunkt, dass für den Augenblick der Not Menschen nach Europa kommen können, aber nicht mit dem Anspruch, permanent in Europa zu bleiben. Man muss, glaube ich, ein bisschen Asyl, aber auch diese Frage, Zugang zu erlauben aus humanitären Gründen, bei solchen Bedrohungen unterstützen. Man darf niemanden zurückschicken, der beim Zurückgehen um sein Leben fürchten muss.

    Kaess: Der CDU-Außenpolitiker Elmar Brok, er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, und das Gespräch führte mein Kollege Gerd Breker.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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