Donnerstag, 28. März 2024

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Brok: Sparen, Strukturveränderungen und Wachstum gehören zusammen

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok hält Konjunkturprogramme für "rausgeworfenes Geld", wenn keine Strukturveränderungen mit ihnen einhergehen. Brok setzt auf Qualifikation von Mitarbeitern, Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen und Forschung. Eine Neuverschuldung hält er nicht für den richtigen Weg.

Elmar Brok im Gespräch mit Christoph Heinemann | 30.04.2012
    Christoph Heinemann: "Es ist möglich, die gute Führung öffentlicher Haushalte mit Wachstum zu versöhnen. Das ist die Herausforderung dieses Augenblicks." Dieser Erkenntnisstand von Michel Barnier, der innerhalb der Europäischen Union, der Kommission, für den Binnenmarkt zuständig ist. Über Sparanstrengungen und Wachstumsförderung wird gegenwärtig gestritten, in einigen EU-Ländern sind Ermüdungserscheinungen beim Sparen erkennbar. Und nach der Kritik des französischen Präsidentschaftskandidaten Francois Hollande an Angela Merkels striktem Sparkurs hat die Bundeskanzlerin nun ihrerseits für den EU-Gipfel im Juni eine Wachstumsagenda angekündigt.
    Am Telefon ist der CDU-Europapolitiker Elmar Brok, er ist Mitglied des Europäischen Parlaments. Guten Tag!

    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Brok, wendet sich die Europäische Union vom Sparen ab?

    Brok: Nein! Sie komplettiert nur das Programm. Es muss eine Haushaltsdisziplin da sein, die Regeln müssen eingehalten werden, das hat man im letzten Jahrzehnt versäumt und ist einer der Gründe für die gegenwärtige Situation, neben den Konsequenzen vom Finanzmarkt, der auch reguliert sein muss, und jetzt muss es zu Strukturveränderungen kommen. Geld wird nur sinnvoll benutzt, wird nur Gewinne und Arbeitsplätze produzieren, wenn es auf Strukturen trifft, die Wettbewerbsfähigkeit mit sich bringen, und deswegen müssen wir sagen, Sparen, Strukturveränderungen, Wachstum, alles drei gehört zusammen, hat immer zusammengehört und auf dieser Grundlage muss man das Konzept aufbauen.

    Heinemann: Welche Strukturen wollen Sie verändern?

    Brok: Dazu gehört beispielsweise die höhere Wettbewerbsfähigkeit, die in den Unternehmen gemacht werden müssen. Das haben deutsche Unternehmen im letzten Jahrzehnt erheblich gemacht. Das bedeutet die bessere Verwendung von Mitteln. Wir geben große Mengen an Strukturfondsmitteln aus. In der kommenden Periode von 2014 bis 2020 werden das 360 Milliarden Euro sein wie in der letzten Sieben-Jahres-Periode. Das trifft nur auf falsche Bedingungen, etwa in Griechenland. Geld ist genug da, aber dieses Geld muss verwandt werden, dass daraus Entwicklungsmöglichkeiten entstehen, Arbeitsplätze entstehen. Deswegen nicht für irgendwelchen Kram ausgeben oder im Ruhrgebiet den 20. Gasometer zum Industriemuseum machen, sondern Qualifikation von Mitarbeitern, Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen, Forschung, Infrastrukturmaßnahmen, nicht nur Straßen, die damit im Zusammenhang stehen. Das ist die Möglichkeit, dass schwache Länder, Gruppen und Regionen innerhalb der Europäischen Union die Wettbewerbsfähigkeit bekommen, damit sie bestehen können in diesem europäischen Binnenmarkt, in dem gerade die großen Länder, die großen Industrieländer wie Deutschland, ungeheueren Nutzen haben.

    Heinemann: Heißt Strukturveränderung auch Konjunkturprogramme?

    Brok: Wenn Konjunkturprogramme kommen, ohne dass die Strukturveränderungen da sind, ist es herausgeworfenes Geld, wie wir an vielen Beispielen sehen, und aus diesem Grunde sind die Strukturveränderungen, die auch durch Gesetzgebung zustande kommen müssen - bei uns war das 2010 beispielsweise -, ohne diese Strukturveränderungen wird nichts nützen und deswegen muss hier zuerst angesetzt werden.

    Heinemann: Herr Brok, was sollten sich die Staaten der Europäischen Union Wachstumsimpulse kosten lassen?

    Brok: Ich glaube nicht, dass es ein richtiger Weg ist, zu großen neuen Verschuldungen zu kommen, denn dann fangen wir wieder von vorne an, wir werden das Vertrauen der Märkte nicht gewinnen, sondern wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Dreiklang stimmt, Haushaltsdisziplin plus Strukturveränderungen und darauf Geld setzen, und jetzt müssen wir erst mal sehen, ob wir nicht mit dem vorhandenen Geld, das sinnvoll eingesetzt wird, auskommen. Für Griechenland beispielsweise liegen allein 16 Milliarden Euro in Brüssel auf einem Bankkonto, altes Geld, das Griechenland zusteht, das sie bisher nicht benutzen können, weil sie nicht in der Lage sind, Projekte vorzulegen. Ich glaube, dies ist der richtige Weg, der seriöse Weg.

    Heinemann: Wie kann man das fördern?

    Brok: ... , indem die Regierungen ihre Hausarbeit machen und dass wir aufseiten der Europäischen Union sehr viel stärker darauf achten, dass die Strukturveränderungen unterstützt werden, das, was wir auch bei uns an Gesetzgebung machen können, aber insbesondere auch, dass die Bedingungen für die Vergabe von Mitteln an solche Dinge geknüpft werden.

    Heinemann: Herr Brok, würgt der gegenwärtige Sparkurs die Volkswirtschaften ab?

    Brok: Wenn der Sparkurs allein da ist, ja. Deswegen muss es mit einer solchen Strukturveränderung verbunden werden. Wenn man sich das letzte Griechenland-Paket anschaut, ist da schon noch wenig von Sparen die Rede, sondern mehr von diesen Strukturveränderungen. Das ist in der deutschen Diskussion etwas untergegangen. Es sind beispielsweise allein auch 80 Milliarden Euro herausgefunden worden von altem Geld, was wir jetzt unmittelbar für kleine und mittlere Unternehmen ausgeben können, das ist kein neues Geld, und ich glaube, hier müssten wir entsprechend ansetzen, dass es auf solche Strukturen trifft.

    Heinemann: In welchem zeitlichen Rahmen?

    Brok: Ich glaube, wir haben auch durch die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank etwa zwei Jahre Zeit, diese Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Aber wenn wir es schaffen, Haushaltsdisziplin, Strukturveränderungen und damit Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum zustande zu bringen, wird die Europäische Union in zwei, drei Jahren die stärkste Region der Welt sein, denn die Briten und insbesondere die Amerikaner geben immer mehr Geld aus und versuchen, das Problem durch die Gelddruckmaschinen zu lösen. Wir sind dabei, Strukturveränderungen und Seriosität durchzusetzen.

    Heinemann: Herr Brok, wie viel dieser gegenwärtigen Wachstumsrhetorik ist dem französischen Präsidentschaftswahlkampf geschuldet?

    Brok: Das spielt sicherlich eine große Rolle und es ist sicherlich auch eine Kampagne vieler Sozialisten, dass sie sagen, Sparen oder Wachstum, und nicht sehen, dass gerade die Länder, die solide gewirtschaftet haben, am meisten Wachstum haben und am meisten Arbeitsplätze haben. Die Strukturveränderungen machen, dass wir etwa nach der Berufsausbildung weniger Jugendarbeitslose haben als die Länder, die das nicht gemacht haben. Ich bin gerade in Santiago de Compostela in Gesprächen mit der spanischen Regierung, Wolfgang Schäuble wird auch heute da herkommen. Da sehen wir, dass es hier gerade diese Strukturschwächen sind, die zu dieser hohen Arbeitslosigkeit führen, und deswegen muss man hier entsprechend ansetzen.

    Heinemann: Wenn es am kommenden Sonntag in Frankreich zu einem Machtwechsel kommen sollte, dann ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis Konjunkturprogramme auf der europäischen Tagesordnung stehen werden. Wie sollte die Bundesregierung dann reagieren?

    Brok: Ich glaube nicht, denn die Europäische Union hat ja nicht den Haushalt dafür, Konjunkturprogramme zu machen, die Konjunkturprogramme müssten national gemacht werden, dann werden sie verpuffen. Ich glaube, dass Herr Hollande sich dann sehr schnell zwischen seinem Wahltag und der Amtsübernahme darauf einstellen muss, sich an die europäischen Regeln zu halten, und ich bin optimistisch mit der Wachstumsstrategie, bei der natürlich Kompromisse gemacht werden müssen, wie sie von der Europäischen Kommission, auch mit Zustimmung der Bundesregierung gegenwärtig entwickelt werden, wo er sich dann anschließen muss.

    Heinemann: Francois Hollande und Angela Merkel liefern sich gegenwärtig ein Fernduell. Wird der Ton zwischen Paris und Berlin rauer, wenn Hollande zum Staatspräsidenten gewählt wird?

    Brok: Also bei Hollande ist das sicherlich jetzt ein Teil der Kampagne, die Eigenständigkeit hervorzustreichen. Aber ich glaube, Angela Merkel ist mehr auf dem Weg, die Brücke inzwischen zu bauen, damit das Gespräch geführt werden kann. In diese Bemerkung ist viel hineininterpretiert, aber nicht wirklich die Unterschiede deutlich gemacht, denn diese Unterschiede werden im entscheidenden Augenblick, glaube ich, nicht so groß sein und wie immer werden die Deutschen und Franzosen sich dann einigen, egal welche parteipolitische Richtung im jeweiligen Land an der Macht ist.

    Heinemann: Wo liegen die Unterschiede?

    Brok: Natürlich gehen Sozialisten erst vom keynsianischen Prinzip aus, Geld ausgeben und die Frage wird sich schon in Ordnung bringen lassen. Aber angesichts der knappen Kassen, der hohen Defizite, die an den Märkten Schwierigkeiten machen, ist dieser Spielraum überhaupt nicht vorhanden und deswegen müssen wir sehen, dass dies nicht der richtige Weg ist, sondern dass wir den schweren Weg der Strukturveränderungen machen müssen, damit wir die Wettbewerbsfähigkeit hinbekommen, und ob der Rückgang von 62 auf 60 Renteneintrittsalter der richtige Weg ist, auch diese Erkenntnis hat Herr Hollande noch vor sich.

    Heinemann: Und Sie bekommen am laufenden Band E-Mails, wie wir gerade im Hintergrund hören. Ganz kurz eine andere Frage noch: Wir berichten gleich über die Lage in der Ukraine beziehungsweise Forderungen von Politikern. Wie sehen Sie das? Sollten deutsche Politiker, sollten europäische Politiker die Fußball-EM in der Ukraine boykottieren?

    Brok: Also wir sollten Janukowitsch keine Möglichkeit geben und - ich habe gerade heute noch ein Gespräch mit Mitgliedern der Timoschenko-Partei gehabt - nicht ein Forum geben. Das darf nicht zum Gewinn der Regierung werden. Aber wir sollten deutlich machen, dass die Solidarität mit Timoschenko und den anderen Oppositionsführern vorhanden ist. Deswegen: Wer hingeht, sollte auch vorher ins Gefängnis gehen und Julia Timoschenko und andere besuchen und dies wirklich öffentlich machen, und vor allen Dingen sollte auch gewährleistet sein, dass in dem Rahmen, wo dies möglich ist und mit den sportlichen Dingen vereinbar ist, auch vor allem der DFB und die Nationalmannschaft deutlich machen, dass sie sich der Lage der Opposition im Lande voll bewusst ist.

    Heinemann: Aber Politiker sollten hingehen?

    Brok: Ich glaube, wenn man das miteinander verbinden könnte, nicht neben Janukowitsch zu sitzen, aber im Stadion bei den Sportlern zu sein, aber gleichzeitig öffentlich wirksam die Opposition zu besuchen, dann kann das auch Sinn machen. Aber wenn man das mit der Opposition nicht machen kann oder will oder es nicht funktioniert, sollte man wegbleiben.

    Heinemann: Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Brok: Ich danke auch. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.