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Brückenteilzeit
"Dieses verbindliche Recht auf Rückkehr finde ich fast schon gefährdend"

Eltern pflegen, Kinder hüten, kürzertreten: Ab 2019 können Beschäftigte zeitweise ihre Arbeitszeit reduzieren. Das mittelständische Outdoor-Unternehmen Vaude hat schon jetzt eine hohe Teilzeitquote. Die neue Brückenteilzeit sei dennoch eine hohe Herausforderung, sagt Chefin Antje von Dewitz im Dlf. 

Antje von Dewitz im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 02.01.2019
    Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Spezialisten Vaude, gestikuliert am 28.03.2013 während eines Interviews in ihrem Büro in Obereisenbach (Baden-Württemberg).
    Antje von Dewitz leitet ein oberschwäbisches mittelständisches Unternehmen, das seinen Mitarbeiter*innen verschiedene Arbeitszeitmodelle anbietet (dpa / picture alliance / Felix Kästle)
    Sina Fröhndrich: Wie reagieren Sie, wenn Sie einen Teilzeitantrag auf den Tisch bekommen?
    Antje von Dewitz: Ich frage, warum, oder ich erkundige mich interessiert über die Hintergründe, weil, das passiert bei uns eigentlich dauernd. Bei uns arbeiten, ich glaube, fast 50 Prozent in Teilzeit.
    Fröhndrich: Das heißt, kein Stöhnen nach dem Motto, wie sollen wir das jetzt organisieren?
    von Dewitz: Im Gesamten stöhne ich schon ein bisschen, weil mit 50 Prozent Teilzeit ist es schon sehr anspruchsvoll, hier gemeinsam große Veranstaltungen zu machen, wo alle da sind, weil wir haben ja nicht nur Teilzeit; bei uns kann man auch mobil arbeiten. Das heißt, bei uns hat jeder das Recht, von Zuhause zu arbeiten. Das heißt, wann treffen wir uns denn alle mal und wann sehen wir uns, das ist echt schwierig zu organisieren und zu koordinieren.
    Mitarbeiter sollen balanciertes Leben führen
    Fröhndrich: Trotzdem machen Sie das.
    von Dewitz: Ja, weil ich einerseits ganz persönlich erlebt habe, wohin das führt, was es an Energie kostet, wenn man nicht so leben darf, wie man das gerne möchte. Mir hat das damals wahnsinnig Energie gestohlen. Ich habe bei einer Agentur gearbeitet und wollte gerne ein bisschen flexibler arbeiten, um meinen Kindern gerecht zu werden, und dann haben die gesagt, nee, das sehen die gar nicht. Dann habe ich das Gefühl gehabt, jetzt wird mir gerade der Stecker gezogen. Ich habe dann da gekündigt, weil das war für mich so: okay.
    Das ist das ganz persönliche Erleben, aber das kann ich auch gut übertragen auf die Kollegen hier. Wir arbeiten ja in der Outdoorbranche. Bei uns sind ganz, ganz viele Kollegen, für die die Work-Life-Balance extrem wichtig ist, die einfach gerne draußen sind, die mit ihrer Familie, mit ihren Freunden ein balanciertes Leben führen, ein ganz aktives bewusstes Leben. Und wir haben schon diese Philosophie, dass wir daran glauben und es auch erleben, wenn Du hier als ganzer Mensch bei uns bist, so wie Du leben möchtest und so kannst Du bei uns leben, mit Deinen Werten, mit Deiner Vorstellung, wie Du Dein Leben gestalten willst, dass wir dann den Mensch in vollem Saft kriegen, in voller Energie, dass es einfach für beide Seiten eine Erfüllung ist, sowohl für den Mitarbeiter als auch für das Unternehmen, das dann einen sehr engagierten Mitarbeiter hat.
    Fröhndrich: Das heißt, man gewinnt am Ende auch, wenn man auch Teilzeitmodelle zulässt?
    von Dewitz: Würde ich so sehen, ja. Wir haben in der Vergangenheit mehr oder weniger fast alles zugelassen, immer mit dem Grundsatz, wir versuchen, es möglich zu machen. Da muss ich sagen, da müssen wir vielleicht aus unternehmerischer Sicht eine bessere Balance hinkriegen, damit wir das auch tatsächlich organisatorisch alles noch stemmen können. Aber vom Grundsatz her, denke ich, ist es ein Win-Win für beide Seiten.
    Elternzeit und Teilzeit sorgen für viel Bewegung, aber wenig Fluktuation
    Fröhndrich: Wie stopfen Sie am Ende die Löcher, die da vielleicht entstehen, nicht nur durch Teilzeit für eine bestimmte Zeit, sondern auch durch Elternzeit? Sie haben ja um die 500 Mitarbeiter, da ist der Pool ja auch gar nicht so groß. Jetzt sind Sie auch nicht in einer großen Stadt beheimatet, können jetzt nicht aus dem Vollen schöpfen, was Fachkräfte angeht. Wie stopft man denn die Lücken und welche Versprechen können Sie dann diesen "Lückenfüllern" geben?
    von Dewitz: Das ist das Schwierigste eigentlich. Wir haben jedes Jahr etwa 50 Leute in Elternzeit, weil wir ein hoch fruchtbares Unternehmen sind. Unsere Kinderquote ist fünfmal über dem deutschen Durchschnitt. Das heißt: Allein wegen der Elternzeit fallen ganz viele Leute raus und kommen wieder, nicht nur in Teilzeit, sondern gehen und kommen. Da das zu besetzen und dann zu sagen, nur für zwei Jahre, und dann ist der super, dann muss ich den aber wieder gehen lassen, das ist echt schwierig. Aber im Prinzip ist es ein hoher Aufwand einerseits, aber andererseits ergibt sich dadurch, dass bei uns generell so viel Bewegung drin ist, dadurch, dass Leute in Teilzeit gehen und wiederkommen, eine Auszeit machen, eine Elternzeit machen – bei uns ist insgesamt wenig Fluktuation, aber viel Bewegung im Unternehmen.
    Fröhndrich: Das heißt, Sie sind gar nicht so sehr darauf angewiesen, sage ich mal, wenn jetzt in einem Jahr 20 Leute gleichzeitig sagen, wir möchten reduzieren von 100 auf 70 Prozent – dann wird ja da eine Menge an Prozenten frei -, dass Sie das dann innerhalb des Unternehmens umschichten können und jetzt gar nicht so sehr gucken müssen, für die nächsten zwei Jahre können wir so und so viele Jobs anbieten?
    von Dewitz: Das ist für uns nicht das große Problem. Die frei werdenden Stellen oder Stellenanteile zu füllen, ist bei uns eigentlich nie das Problem. Für uns ist mehr das Problem, wenn wir jetzt 20 Leute in Elternzeit haben und die kommen dann nächstes Jahr und sagen, jetzt wollen wir alle wiederkommen. Das ist manchmal richtig, richtig schwer. Weil was ist, wenn dann keine Stelle frei ist, wenn das nicht geklappt hat mit einer befristeten Besetzung, oder aber, wenn wir gerade in einer totalen Sparphase sind, oder sonstiges? Diese Verpflichtung, die daraus ergeht, jeden zurückzunehmen, die ist manchmal aus unternehmerischer Sicht fast schon riskant.
    Fröhndrich: Wenn wir noch mal auf die Brückenteilzeit zurückkommen. Können Sie denn verstehen, dass es da Widerstand auch bei Mittelständlern gibt, auch bei kleineren Unternehmen, die sagen, jetzt gibt es dieses Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, jetzt müssen wir das irgendwie alles organisieren? Können Sie verstehen, dass man da als Unternehmenslenker/lenkerin das ein bisschen kritisch sieht?
    von Dewitz: Ja, das kann ich total verstehen. Das kann ich super nachvollziehen. Ich tue mich da selber schwer, weil das ist die höchste Herausforderung in dem Bereich, dass dann gewährleistet sein muss, dass der in zwei Jahren dann auch wieder die Stelle zurückkriegt. Was mache ich denn die zwei Jahre? Ich habe kein Problem, das zu besetzen, aber ich habe schon ein Problem damit, dafür zu garantieren, dass nach zwei Jahren diese 30 Prozent oder wie auch immer dann genau wieder frei sind. Weil ich muss ja auch selbst kreative Lösungen finden, wie ich es besetze. Manchmal ist der Markt sehr eng und dann kriege ich tatsächlich vielleicht nur jemanden, der dann aber Vollzeit arbeitet, oder der einen unbefristeten Vertrag kriegt oder so. Ich finde ein Recht auf Teilzeit überhaupt kein Thema. Aber dieses verbindliche Recht auf Rückkehr – ich bin jetzt kein Experte des Gesetzes, aber wenn, egal wie die unternehmerische Realität aussieht, dann finde ich das schon fast gefährdend.
    Extrameile "Brückenteilzeit" müssten die engagierten Unternehmen wieder laufen
    Fröhndrich: Das heißt, man hätte vielleicht auf dieses Gesetz eher verzichten sollen und eher appellieren sollen und über Beispielunternehmen wie Sie sprechen, wo eine Teilzeit möglich ist, aber vielleicht nicht für einen bestimmten Zeitraum, sondern dass man dann ein bisschen guckt. Bei Ihnen gibt es ja sicherlich auch Kolleginnen, die nach gewisser Zeit in Teilzeit wieder auf Vollzeit gehen wollen, und Sie schauen dann vielleicht, ob das oder wann das machbar ist. Oder wie handhaben Sie das im Moment?
    von Dewitz: Genau. Wir handhaben das flexibel. Wir machen das möglich, was möglich geht, und berücksichtigen natürlich immer erst die Interessen der Mitarbeiterinnen, die aufstocken wollen, bevor wir Externe reinholen. Aber wir machen das nach den unternehmerischen Gegebenheiten.
    Wir haben schon einen höheren Aufwand, höhere Kosten, einen höheren Personaleinsatz auch, um diese ganzen Herausforderungen zu lösen, und dann kriege ich das noch on top drauf. Das ist wirklich schwierig. Vor allem finde ich, da jetzt mal ganz subjektiv für Vaude gesprochen: Wir sind da sowieso schon Vorreiter. Das heißt aber, wenn so eine Regelung kommt: Unsere Mitarbeiter sind die ersten, die das dann auch in Anspruch nehmen, weil bei uns die Kultur so ist, dass es gelebt wird und dass es akzeptiert ist. Ein Unternehmen, wo das nicht akzeptiert ist und nicht gelebt wird, da werden sich die Mitarbeiter auch nach wie vor nicht trauen, das in Anspruch zu nehmen, oder sehr, sehr zögerlich. Das heißt, die Extrameile müssen die engagierten Unternehmen wieder laufen. Das finde ich echt schwierig.
    Fröhndrich: Das heißt, das laufende Jahr wird bei Ihnen noch mal komplizierter als ohnehin schon?
    von Dewitz: Ja, mal gucken. Ich meine, wir sind sowieso sehr flexibel. Ich bin gespannt, inwieweit das bei uns dann zum Tragen kommt. Bei uns gibt es auch die Möglichkeit auf unbezahlten Urlaub. Das haben wir gerade eingerichtet. Wir haben dieses mobile Arbeiten. Wir haben sowieso schon immer die Flexzeit, die flexible Arbeitszeit. Wir nutzen alle Möglichkeiten der Elternzeit. Ich bin gespannt, ob wir nicht schon einen so hohen Grad der Flexibilität erreicht haben, dass es jetzt wirklich kommt oder nicht. Da bin ich jetzt echt selber gespannt. Aber aus der Erfahrung raus: Wenn so eine Regelung kommt, dann wird die immer bei uns zuerst genutzt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.