Archiv


Brüderle bringt Jamaika-Koalition ins Gespräch

FDP-Bundesvize Rainer Brüderle hat ausgeschlossen, dass die hessische FDP von ihrer Koalitionsaussage zugunsten der CDU abrückt. Die CDU als stärkste Partei müsse nun ausloten, ob es Einigungsmöglichkeiten mit den Grünen gebe. Eine sogenannte Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen würde ein Stück Bewegung in die politische Landschaft bringen.

    Gerd Breker: "Spannend" war gestern in Wiesbaden ein arg strapaziertes Wort. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen war vorhergesagt worden und so kam es denn auch. Hauchdünn am Ende der Unterschied zwischen der Union und der SPD und ebenfalls hauchdünn der Unterschied zwischen den beiden traditionellen Lagern: schwarz/gelb auf der einen Seite und rot/grün auf der anderen Seite. Das alles zementiert durch die Tatsache, dass die Linke knapp aber doch den Einzug in den Landtag schaffte. Eins ist gewiss: wenn es in den kommenden Wochen um die Regierungsbildung gehen wird, dann könnte das Wörtchen "spannend" erneut Konjunktur haben.

    Am Telefon begrüße ich den stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Rainer Brüderle. Guten Tag Herr Brüderle!

    Rainer Brüderle: Ich grüße Sie! Guten Tag.

    Breker: Bei aller Freude über die Zugewinne Ihrer Partei, irgendwie ist das ja ein Deja vu wie bei der Bundestagswahl. Da hatte die FDP ebenfalls zugelegt, aber die Union entsprechend verloren und im Bund so wie in Hessen wie gerade gehört einfach zu viel.

    Brüderle: Es ist dort eine schwierige Konstellation. Wir haben sehr gut abgeschnitten, das beste Ergebnis seit 38 Jahren, genauso wie wir in Niedersachsen gut abgeschnitten haben und es wird sich jetzt erweisen, was das Ergebnis ist. Gibt es eine Große Koalition wie auf Bundesebene? Darauf haben Sie angespielt. Die Union ist zwar nur ein Zehntel entfernt, aber sie ist stärkste Partei im hessischen Landtag. Nach guter Tradition sondieren die als erste, ob etwa auch eine Jamaika-Koalition in Betracht kommt, ob die Brücken zwischen CDU und Grünen baubar sind, dass das ein Diskussionsthema sein kann. Oder ob Frau Ypsilanti jetzt nur verkündet, wer alles sich bewegen müsste, aber in Wahrheit bei der geheimen Wahl sich von den Linken wählen lässt, um dann Ministerpräsidentin von Hessen mit Unterstützung der Linken zu werden. Das ist eine interessante, spannende, aber auch nicht einfache Konstellation.

    Breker: Herr Brüderle, wir haben ja sowohl in Hannover als eben auch in Wiesbaden, wo es in der Tat weiterhin spannend ist, das Phänomen, dass wir nun ein Fünf-Parteien-System haben. Das bedeutet doch auch für die FDP, dass sie dazulernen muss. Es ist nicht mehr so wie es früher war.

    Brüderle: Ja. Die Grünen müssen vielleicht auch zulernen.

    Breker: Alle müssen zulernen!

    Brüderle: Alle müssen sich darauf einstellen, dass die Konstellation sich verändert hat. Aber wenn sie sich vor der Wahl sich eindeutig klar festlegen, dann müssen sie nach der Wahl auch ihr Wort halten. Die gleichen die jetzt sagen, die FDP soll sich das überlegen, würden uns anschließend wieder zerreißen und sagen, die FDP ist umgefallen. Außerdem hat ja die SPD merkwürdigerweise vor der Wahl und nach der Wahl überall verkündet, wer sich alles bewegen muss, außer der SPD. Also das ist eine Konstellation, wo man Kurs halten muss. Wenn man vor der Wahl eine klare Aussage trifft, muss man sie anschließend halten. Man muss sich vor Wahlen immer überlegen: Macht man eine Koalitionsaussage, wenn man eine macht welche macht man und wenn man sie gemacht hat, dann gilt sie natürlich auch nach der Wahl.

    Breker: Nur Herr Brüderle es gibt doch auch so etwas wie staatspolitische Verantwortung. Eine Regierung muss doch gebildet werden.

    Brüderle: Die gilt nicht nur für die FDP, sondern auch für andere.

    Breker: Das gilt für alle, ja klar!

    Brüderle: So ist das.

    Breker: Was lernt denn die FDP daraus? Sie haben eben Jamaika gesagt. Das heißt Sie können sich vorstellen, gemeinsam mit den Grünen unter Führung der Union in Wiesbaden zu regieren?

    Brüderle: Das ist ja eine andere Konstellation, auch keine einfache, wo zwei bürgerliche Parteien mit einer linken Partei sind oder wo zwei linke Parteien mit der FDP sind, zumal - ich sage noch einmal - "was man vor der Wahl sagt, muss man nach der Wahl halten" für die FDP gilt. Dieser Grundsatz gilt zu beherzigen. Ansonsten verliert man sehr schnell wieder Zustimmung und Vertrauen bei den Bürgern. Wir werden zukünftig in der Tat schwierige Konstellationen kriegen, aber Sie sehen auch in Hannover, in Niedersachsen, dass es gelingen kann, sehr wohl für eine Zweier-Konstellation eine Mehrheit zu kriegen. An der FDP hat es nicht gelegen. Wir haben mit 9,4 Prozent nun wirklich ein anständiges Ergebnis eingebracht. Die Union ist abgestürzt. Wenn sie sich anders verhalten hätte, dann hätten wir Niedersachsen und Hessen.

    Breker: Herr Brüderle, Sie haben auch gesagt, was man vor der Wahl sagt, das muss man hinterher auch halten. Also sollte man in Zukunft möglichst auf Seiten der FDP aufpassen, was man vor der Wahl sagt? Dieses vorzeitige Festlegen und einseitige Festlegen, was ja insbesondere von Guido Westerwelle betrieben wird, auf die Union als Partner, ist das ein Fehler?

    Brüderle: Das hängt von den Konstellationen ab. Ich habe im Lande Rheinland-Pfalz - ich bin da jetzt schon längste Zeit Vorsitzender - Konstellationen gehabt, wo man sich klar festlegt. Es gibt auch Konstellationen, wo man keine Aussage trifft. Es ist eigentlich in der FDP damals seit Walter Scheel die Übung geworden, dass man Koalitionsaussagen trifft. Das muss jeder Landtagsverband bei Landtagswahlen selbst entscheiden. Das entscheidet nicht die Zentrale, nicht die Bundespartei. Auf Bundesebene muss die Bundespartei entscheiden, aber dann, wenn Wahlen anstehen, und nicht eineinhalb oder zwei Jahre zuvor sich genau die Überlegung vor Augen halten: trifft sie eine Aussage ja oder nein und wenn sie eine trifft, welche trifft sie. Nur wenn man sich festlegt, dann muss man zur Festlegung auch stehen. Es ist aber in der Tat richtig: man muss sich sorgfältiger denn je überlegen, ob man solche Aussagen macht oder nicht macht. Aber wenn man sie macht, muss man Wort halten.

    Breker: Insofern hatte ja Wolfgang Gerhardt mit seiner Kritik vor dem Dreikönigstreffen eigentlich recht weitsichtig gehandelt?

    Brüderle: Die Frage stellt sich doch heute überhaupt nicht, sondern sie stellt sich voraussichtlich im September 2009, wenn die Bundestagswahl ist. Da muss man vorher Entscheidungen treffen, Aussagen ja/nein und wenn ja welche. Wenn man heute die Schnittmengen sieht, sind sie auf der Bundesebene eher ein Stückchen höher mit der Union als mit anderen. Aber wir sehen ja auch den Linksruck, den die Union in der Bundespolitik in der Großen Koalition mitgemacht hat. Das hat ja der Union nicht genutzt. Wir müssen sehen: Auch in Niedersachsen hat sie rund sechs Prozentpunkte verloren. Sie hat ja in beiden Wahlen dramatisch verloren: in Hessen zwölf und dort sechs Prozent. Das heißt der Kurs, den sie auf Bundesebene fährt, den Linksruck, den die Frau Merkel ja auch in der CDU durchführt, zahlt sich für die Union nicht aus. Im Gegenteil! Wir sind die einzigen, die unsere Position halten, und ich darf auch sagen bei dem Wettlauf der beiden großen Parteien, eine rot lackiert, eine schwarz lackiert, beide falsch programmiert - wer ist der schönste Sozi im Land? -, hat Herr Rüttgers in Düsseldorf angefangen mit dem ALG I.

    Breker: Allerdings Sie sagen, Herr Brüderle, die Union macht einen Linksruck durch innerhalb der Großen Koalition. Das ist sicherlich nicht verkehrt. Auf der anderen Seite ist Roland Koch genau derjenige gewesen, der eigentlich für das Konservative in der Union steht, und er hat dramatisch verloren.

    Brüderle: Ja, aber er hat das auch nicht überzeugend authentisch und glaubwürdig vermitteln können.

    Breker: Kann Roland Koch eigentlich, Herr Brüderle, aus Ihrer Sicht noch Ministerpräsident von Hessen sein?

    Brüderle: Das muss die Union für sich entscheiden. Da habe ich ihr keine Ratschläge zu geben. Gerade wenn jemand unten liegt, dann muss man nicht nachtreten. Es ist eine klare Aussage, was die Wähler dort dokumentiert haben. Wenn man zwölf Prozentpunkte verliert, ist das ja schon ein sehr deutlicher Punkt. Aber die Union muss die Schlussfolgerungen daraus ziehen und da habe ich ihr jetzt öffentlich keine Ratschläge zu geben, wie sie mit ihrem Vorsitzenden umgeht.

    Breker: Herr Brüderle, kommt nicht der Punkt und ist er nicht in Wiesbaden gekommen, wo eigentlich die Sache wichtiger ist als die Personen? Muss jetzt nicht eine funktionierende Regierung in Wiesbaden her mit einer respektablen Mehrheit? Wenn Sie sagen, es könnte durchaus die Jamaika-Koalition sein, muss die nicht befördert werden? Muss man nicht darauf drängen?

    Brüderle: Das ist jetzt Aufgabe insbesondere der Union, da sie ganz knapp, aber immer noch die stärkste Partei ist, solche Sondierungen durchzuführen. Da ist die Schlüsselfrage, ob die Union mit den Grünen Brücken finden kann oder nicht finden kann. Wenn sie das finden kann, dann kann das ein Thema sein. Sie sagen ja mehrfach zurecht: Die Konstellationen ändern sich grundlegend. Sie haben sich grundlegend geändert. Sie werden sich möglicherweise weiter ändern. Deshalb müssen diese Sondierungen geführt werden, aber ich sage vorher, wie ich die anderen einschätze. Die werden vor der Hamburg-Wahl nichts machen, weil sie alle Angst haben, wenn sie sich in eine bestimmte Richtung bewegen, dass dies die Hamburg-Wahl negativ berührt. Deshalb erwarte ich erst nach der Hamburg-Wahl sehr ernsthafte Konstellationen, aus denen heraus man folgern kann was sich gibt, ob die Frau Ypsilanti sich doch weil geheime Wahl von den Linken wählen lässt und sagt "ich bin Ministerpräsident, kann mich gegen die Stimmen ja nicht wehren, bin gewählt dabei", ob sie auf Große Koalition marschieren - das haben sie ja im Bund auch erst bestritten und am Schluss haben sie es gemacht und kleben ja heute wirklich dicht beieinander wie Pattex, die beiden großen Parteien -, oder ob diese neue Variante, nämlich Jamaika, die auch ein Stück Bewegung in die politische Landschaft hinein bringen würde, ernsthaft ausgelotet wird. Man muss wenigstens diese Gespräche und diese Versuche starten, um zu sehen was geht und was nicht geht. Nur starr zu verharren ist natürlich auch keine Lösung.

    Breker: Und Sie würden auf Ihre Kollegen in Wiesbaden dementsprechend Einfluss ausüben?

    Brüderle: Ich will meine Meinung da nicht hinterm Berg halten, aber es ist ihre Entscheidung. Ich bin fast 25 Jahre Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz. Die Letztentscheidung was wir in Rheinland-Pfalz machen - war für mich immer klar - trifft die FDP Rheinland-Pfalz, sonst niemand. Wir hören uns die Freunde an. So werden sie sich sicherlich auch unsere Meinung anhören. Aber die Letztverantwortung haben die Landesverbände. Wir sind keine zentralistische Partei, sondern eine föderale, liberale freiheitliche Partei.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle. Herr Brüderle, danke für dieses Gespräch.

    Brüderle: Ich danke Ihnen!