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Brüderle: Unternehmen müssen sich um ihre Tochtergesellschaften selbst kümmern

Für Wirtschaftsminister Rainer Brüderle ist es an der Zeit, Sonderregelungen aufzugeben und wieder in die Bahnen der sozialen Marktwirtschaft einzuschwenken. Der US-Autobauer General Motors habe das Geld und die Möglichkeiten, seinem deutschen Tochterunternehmen Opel zu helfen.

Rainer Brüderle im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Opel erhält keine Staatsbürgschaft in Milliarden-Höhe. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle von der FDP hat Nein gesagt. Anschließend – das war vorgestern – konterte zunächst die Kanzlerin Angela Merkel, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, und machte den Betroffenen damit Mut. Gestern Nachmittag aber hat sie dann doch eingestehen müssen, in Berlin im Gespräch gegenüber den vier Ministerpräsidenten der Opel-Standortländer Thüringen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen, dass sie alleine bürgen müssen, wenn sie denn wollen. Die Opelaner an den Standorten sind jedenfalls sauer und enttäuscht.

    O-Ton Opelaner: "Jetzt muss man sehen, wie es überhaupt hier weitergeht, ob das Werk hier überhaupt noch bestehen bleibt, oder etwas anderes noch kommt." – "Wenn sie hier das Werk zumachen, kriegen die im Ruhrgebiet kein Auto mehr verkauft. Jeder hat Angst um seinen Job!" – "Ich weiß nicht, was man dazu sagen soll. Ich habe da kein Verständnis mehr für, für diesen Wirtschaftsminister. Tut mir leid."

    Meurer: So weit Stimmen von Opelanern und dieser Wirtschaftsminister, wie er gerade genant wurde, Rainer Brüderle, ist jetzt bei uns im Interview. Guten Morgen, Herr Brüderle.

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Was würden Sie den Arbeitnehmern sagen, wenn Sie ihnen jetzt gegenüberstünden?

    Brüderle: Dass wir uns absolut richtig verhalten haben. Wir müssen ja auch die Arbeitsplätze aus der Bundessicht sehen bei anderen Herstellern, bei Volkswagen, bei Audi, bei Mercedes, bei BMW. Wenn man einem Hersteller so massiv von Staatsseite hilft, verzerrt das den Wettbewerb, gefährdet Arbeitsplätze woanders, wird keiner ein Auto mehr kaufen, weil man einem großen Hersteller einseitig sehr stark unter die Arme greift. Wir haben einen Markt mit erheblichen Überkapazitäten, weltweit 30, 35 Prozent Überkapazitäten. Da muss sich ein Anpassungsprozess am Markt entwickeln. Wenn dann der Staat zu Gunsten eines massiv eingreift, belastet er die anderen. Das müssen Sie die Arbeitnehmer von VW oder Mercedes mal fragen.

    Meurer: Aber es hat ja auch schon Bürgschaften gegeben in anderen Fällen. – Ist das eine Entscheidung gewesen doch auf dem Rücken der Arbeitnehmer bei Opel?

    Brüderle: Nein, überhaupt nicht! Sie müssen die Arbeitnehmer auch bei anderen Herstellern mitbeachten. Das ist eine volkswirtschaftliche Betrachtung. Man muss auch sehen: General Motors hat ja alle Möglichkeiten, sich selbst zu helfen, und es ist ja die gute Botschaft, dass auch der Chef von Opel, Herr Reilly, für die Mitarbeiter sagte, es wird kein Standort aufgegeben und das Sanierungsprogramm wird nicht verschärft, sondern wie beschlossen weiter fortgesetzt. Das bestätigt ja auch von einer anderen Seite her die Einschätzung. Und es kann ja nicht angehen, wenn ein Konzern über zehn Milliarden Euro flüssige Mittel hat, wenn er im ersten Quartal schon rund 900 Millionen Gewinn macht – für das Jahr gibt es Prognosen auf etwa vier Milliarden -, dann kann er selbst seiner Tochter helfen. Das ist der Normalfall. Es gab ja von der Vorgängerregierung ein Konzept, Opel zu helfen, indem man eine eigene Gründung vornimmt mit Magna, dieser Vorschlag, der damals kam, und da sagt General Motors nein, es gibt etwas Besseres, wir verkaufen das nicht, wir machen es selbst. Okay, dann müssen sie es aber auch im Kern selbst machen, und darum geht es. Sie haben das Geld, sie haben die Möglichkeiten und können nicht ausschließlich praktisch die Ressourcen bei den europäischen Steuerzahlern einsammeln, um ihre Aufgabe zu erledigen. Das ist im Privatleben so, das ist im Wirtschaftsleben so. Eine Mutter hat die Verantwortung für ihre Tochter.

    Meurer: Sie bekommen ja auch viel Zustimmung für Ihre Entscheidung. Freuen Sie sich über Ihren persönlichen politischen Erfolg?

    Brüderle: Nein. Das ist keine Frage der Freude, sondern das ist ein ganz schwieriger Abwägungsprozess. Ich komme ja aus einer Region, aus Mainz, wo Rüsselsheim vor der Haustür liegt. Ich war zwölf Jahre Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, habe schon mal einen Fall von Opel in Kaiserslautern gehabt. Ich kenne das! Ich weiß auch die Ängste und die Empfindungen der Mitarbeiter, die damit betroffen sind. Das ist eine außerordentlich schwierige Entscheidung, aber am Schluss nimmt ihnen das keiner ab, dass sie unter Abwägung aller Pros und Contras entscheiden müssen. Es gibt ja hier ein geordnetes Verfahren bei dem sogenannten Deutschlandfonds, wo die Bürgschaft beantragt wurde, und da gibt es zwei Stufen. Das erste ist der Lenkungsrat, das sind Experten, auch Gewerkschaftsvertreter, die einhellig die Auffassung vertreten haben, dass die Kriterien dieses Förderprogramms nicht erfüllt sind. Das Zweite war ein Lenkungsausschuss, aus dem die vier Ressorts, die betroffen sind, Justiz, Wirtschaft, Finanzen und Kanzleramt, dort vertreten sind durch Staatssekretäre, die sich auch nicht auf ein Ja zu dieser Förderung verständigen konnten.

    Meurer: Da gab es aber ein Tauziehen zwischen CDU und FDP. Wie haben Sie es geschafft, Herr Brüderle, sich gegen die Kanzlerin durchzusetzen?

    Brüderle: Ich sehe da gar keinen Gegensatz zur Kanzlerin. Die Kanzlerin hat ja gesagt, "nicht das letzte Wort gesprochen", und ich habe sie gefragt, so hat sie das auch interpretiert, dass sie sagt – und da hat sie ja auch Recht -, es gibt ja neben den Fördermöglichkeiten des Bundes auch die Fördermöglichkeiten der Länder, und das war Gegenstand des Gesprächs gestern. Die Länder sind ja ernsthaft dabei, ihre Möglichkeiten, die sie eigenständig haben, zu überlegen. Insofern war die Aussage richtig, beim Bund ist eine Entscheidung getroffen, nein, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, weil das zu Wettbewerbsverzerrungen führt, aber wenn die Länder in ihrer Zuständigkeit – und sie sind eben dichter dran, das ist eine regionale, zum Teil lokale Betrachtung – anders entscheiden, ist es deren Entscheidungsmöglichkeit. So hat die Kanzlerin ihre Aussage erklärt.

    Meurer: Aber die Länder haben doch gedacht, da kommt jetzt was vom Bund?

    Brüderle: Ja, gut. Erwartungen sind immer da. Jeder von uns hat Erwartungen. Sie erwarten vielleicht auch, dass Sie irgendwo dieses oder jenes bekommen. Aber es war ja nach einem langen Prozess – dieser Antrag ist am 8. Februar eingereicht worden – absolut transparent und offen dargelegt und am Schluss stand nach diesem Prozess eine Entscheidung. Das ist ja nicht irgendwie aus der Hüfte heraus oder kurzfristig gemacht worden. Da stehen ja vielfältige Überlegungen, Einschaltungen von Wirtschaftsprüfern, sogenannten Mandataren, die das bewertet haben, die es eben als sehr, sehr ehrgeizig und sehr, sehr hochriskant eingestuft haben. Und die Kerntatsache ist: hier ist ein Konzern, der die Ressourcen hat, der seiner Tochter nicht bisher hinreichend helfen wollte und der das ausschließlich auf den Staat weiterschob, und schlichtweg: Die Kriterien dieses Förderprogramms waren nicht erfüllt.

    Meurer: Noch mal zu dieser politischen Frage. Das kommt ja nicht häufig vor, dass der Eindruck zumindest entsteht, ein Minister setze sich gegen die Kanzlerin durch. Hat Frau Merkel vielleicht gedacht, sie kann den Weg über die Europäische Investitionsbank gehen?

    Brüderle: Das ist eine ganz andere Frage. Zunächst noch mal: Sie hat das klar dargelegt, dass ihre Bemerkung sich bezog auf die Fördermöglichkeiten der Länder. Insofern sehe ich auch keinen Gegensatz. Im Übrigen wurde die Kanzlerin von mir über jeden Schritt der Entscheidung klar informiert und ich habe ja auch das, was ich erklärt habe nach dem Lenkungsausschuss, mit den dort vertretenen Staatssekretären in der Formulierung mit abgestimmt gehabt. Insofern war das ein Prozess, der absolut fair und geordnet, wie es sich für eine funktionierende Regierung gehört, durchgeführt wurde.

    Eine andere Frage ist, ob Opel sich an die Europäische Investitionsbank wendet, die eigentlich ja mehr Entwicklungsprojekte betreibt, aber auch bei dem Prozess, schneller in umweltfreundliche Autos hineinzukommen.

    Meurer: Geht da noch was über diesen Weg?

    Brüderle: Das muss die EIB prüfen. Ich kann Ihnen nur ganz klar sagen: Wenn es am Schluss wieder auf eine Bürgschaft des Bundes rausläuft – und das Übliche ist, dass die EIB keine eigenen Risiken übernimmt, sondern komplett das wieder beim Bund abliefert als Bürgschaft -, würde bei gleichen Kriterien die gleiche Entscheidung getroffen werden.

    Meurer: Nach derzeitigem Stand der Dinge ist das ein Nein, denn Opel gilt nicht als kreditwürdig genug für die EIB.

    Brüderle: Es ist eine reine hypothetische Diskussion. Man weiß nicht, ob sie sich an die EIB wenden, ob sie einen Antrag stellen, was für einen sie stellen, was die Bewertung ist. Ich kann nur sagen: Wenn die gleichen Gegebenheiten da sind, wie sie jetzt da waren, kann es auch nur die gleiche Entscheidung geben.

    Meurer: Müssten Sie, Herr Brüderle, jetzt den vier Ländern eigentlich abraten, auf Landesebene Bürgschaften zu erteilen und zu gewähren?

    Brüderle: Das ist nicht meine Aufgabe, ihnen Ratschläge zu geben. Das müssen sie eigenständig entscheiden, und ich war selbst zwölf Jahre auf dieser Seite als Landeswirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, und diese Eigenstaatlichkeit im Föderalismus, ihre eigene Entscheidung, wird aus guten Gründen sehr hoch gehalten und das müssen sie selbst entscheiden, die brauchen keine Ratschläge vom Bundeswirtschaftsminister.

    Meurer: Die "FAZ" grübelt heute ein wenig über Ihre Entscheidung, Herr Brüderle. Das erinnere sie an die Vorgänge von 1982, als die FDP auch marktwirtschaftliche Grundsätze hochgehalten hat und dann die Koalition mit der SPD platzte. Ist Ihnen doch in den letzten Tagen die Idee gekommen, es könnte langsam vorbei sein?

    Brüderle: Nein! Mir ging es darum – und ich war ja gebunden, solange der Prozess lief -, eine korrekte und gut begründbare und nachvollziehbare Entscheidung zu treffen, und solange ein Verfahren läuft, muss das ja rechtsstaatlich abgewickelt werden. Jeder kleine, mittlere oder größere Unternehmer hat das Recht, in Deutschland einen Antrag nach bestehenden Förderprogrammen zu stellen. Ich habe die Pflicht, das korrekt zu prüfen. Solange dieser Prozess läuft, wenn ich da eine wertende Aussage während des Prozesses vornehme, mache ich den ersten Fehler in der Behandlung eines Antrages bis hin zu Anfechtungsmöglichkeiten. Insofern musste ich mich zurückhalten, um dann zu entscheiden. Ich habe eine klare innere Kompassorientierung, das ist die soziale Marktwirtschaft. Wir haben viele Notmaßnahmen ergriffen wegen der Finanzmarktkrise, der weltweiten Wirtschaftskrise, und jetzt ist auch die Zeit generell wieder zum Exit, wieder rauszugehen aus diesen Sonderregelungen, die wir hatten, in die normalen Bahnen der sozialen Marktwirtschaft, die darauf beruhen, dass man zunächst mal Eigenverantwortung hat und dass Unternehmen sich um ihre Tochtergesellschaften zunächst mal selbst kümmern müssen.

    Meurer: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Brüderle, danke schön und einen schönen Tag. Auf Wiederhören!

    Brüderle: Danke Ihnen, Herr Meurer.