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Brussig hält deutsche Fußballer für chancenlos

Der Schriftsteller Thomas Brussig hält einen deutschen Erfolg bei der Fußball-Weltmeisterschaft für eine Wunschvorstellung. "Also ich denke, dass die deutsche Nationalmannschaft keine Chancen bei der WM hat, dass möglicherweise schon im Achtelfinale Schluss ist", sagte Brussig.

11.05.2006
    Bernd Gäbler: Die Kindheit ist ja immer prägend für das eigene Fanverhalten. Waren Sie auch ein richtiger Fan der DDR-Auswahl, der DDR-Nationalmannschaft?

    Thomas Brussig: Ja, also man kann sich das ja nicht aussuchen, für wen man Fan ist, also das kommt über einen wie die, also man kann sich ja auch nicht für die sexuelle Orientierung entscheiden, und so ist das eben auch mit dem Fansein. Also ich war als Fan irgendwie immer auf der falschen Seite, als Berliner war ich für den BFC, das war die erfolgreichere Mannschaft, aber natürlich irgendwie auch die langweiligere als Union, die einfach die Street Credibility und die Tradition und auch die interessanteren Fans hatte. Ich war einfach für den BFC, also für die falsche Mannschaft. Ich war für die DDR-Fußballnationalmannschaft, was mir auch zahllose Stunden der Pein und des Haare-Ausraufens eingebracht hat.

    Gäbler: Dann, 1990, gab es das berühmte Wort von Franz Beckenbauer, weil nun die DDR dazu käme, würde Deutschland im Fußball unschlagbar. Ab da wurden Sie dann Fan der gesamtdeutschen neuen Nationalmannschaft?

    Brussig: Na ja, das hat noch eine Weile gedauert. Also ich gehörte zu denen, die der deutschen Einheit erst mal gar nichts abgewinnen konnten, weil es hatte in meiner Lebensgeschichte einfach keine Identifikation zu Deutschland gegeben. Es hat bis zur Fußball-WM '98 gedauert, bis ich dann wirklich für die deutsche Mannschaft war.

    Gäbler: Spielt es heute noch eine Rolle, dass zum Beispiel die Spieler Schneider, Ballack, ich glaube sogar Robert Huth, ihre Wurzeln, ihre biografischen Wurzeln im Osten des Landes haben?

    Brussig: Für mich nicht und in der Nationalmannschaft wohl auch nicht.

    Gäbler: Es gab eine Aussage von Günter Netzer einmal, dass Michael Ballack deswegen nicht so sehr zum Führungsspieler geeignet sei, weil er aus dem Osten käme und deswegen dem Kollektivismus statt der Ausprägung seiner Individualität verpflichtet sei. War das völlig neben der Kappe oder war das kränkend?

    Brussig: Ach, na ja, mein Gott, wenn Günter Netzer an Astrologie glauben würde, dann würde er das mit der astrologischen Konstellation begründen können. Wenn Netzer Recht hätte, dann müssten wir ja so einen Spieler haben, also einen, der das Spiel an sich reißt, der die Mannschaft nach vorne treibt. Ob er nun aus dem Osten oder aus dem Westen kommt, ist mir wurscht, aber im Moment haben wir ihn nicht in Deutschland.

    Gäbler: Halten Sie das, was rund um Klinsmann im Moment passiert an Kritik, an Aufbruch zunächst, für eine Parabel, eine Metapher oder eine Parallele zu dem Reformprozess im Land insgesamt, oder ist das alles viel zu hoch gehängt?

    Brussig: Ich bin kein Freund davon, dass man so gesellschaftliche Prozesse am Fußball festmacht. Also ich mache das zwar auch hin und wieder. oder ich habe mal da eine Bühnenfigur erschaffen, die hat das getan, aber das ist doch eher parodistisch. Also Politik ist das eine, und der Fußball ist das andere. Wenn wir an die WM denken, wenn ich an die WM denke, ich habe noch vor einem Jahr ungefähr gesagt, die Chance der deutschen Mannschaft liegt darin, dass beim Fußball nicht unbedingt der Beste gewinnt. Der Confederations Cup, das war zwar schöner Fußball, aber es war überhaupt, also dass da irgendwelche Anzeichen für Weltmeister zu erkennen sind, das fand ich vollkommen übertrieben. Also ich denke, dass die deutsche Nationalmannschaft keine Chancen bei der WM hat, dass möglicherweise schon im Achtelfinale Schluss ist.

    Gäbler: Sie haben am Anfang gesagt, rund um die 90er Jahre taten Sie sich schwer mit dem Begriff "Deutschland". Ist es jetzt zu pathetisch, wenn ich sage, ist das inzwischen für Sie Heimat?

    Brussig: Das ist nicht pathetisch. Aber noch was zu Deutschland: Ich finde, dass sich in der deutschen Nationalmannschaft durchaus auch die Integration der deutschen Gesellschaft abbildet und noch stärker abbilden könnte. Also ich finde es einen Fehler, dass so ein Spieler wie Valerian Ismael, der Deutsch spricht, der seit Jahren in Deutschland spielt und der einbürgerungswillig ist, natürlich mit der Perspektive Nationalmannschaft, dass er nicht eingebürgert wird, weil er eben keine deutsche Abstammung hat. Das finde ich schade, und ich habe gestern meinen Kollegen Feridun Zaimoglu gehört, der gesagt hat, ja, die Integrationsgeschichte ist eine Erfolgsgeschichte, aber wenn ich an solche Dinge denke, da sind noch Wünsche offen. Es wäre nämlich auch wirklich eine Gelegenheit, dass wir unser Bild vom Deutschsein, was ist Deutsch, darüber verändern, dass eben in unserer Nationalmannschaft Spieler spielen wie Asamoah, Owomoyela oder, ja, mit Altintop hat es eben nicht geklappt. Aber die gehören da auch hin, die gehören in die Nationalmannschaft so, wie sie eben in diese Gesellschaft gehören.