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Bsirske: Anspruch auf gutes Geld

Kurz vor der dritten Tarifrunde für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder fordert Frank Bsirske, Bundesvorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, ein Ende des Reallohnverlusts trotz Aufschwung. Mit den "klammen Kassen" dürfe man nicht weiterhin kommen.

Frank Bsirske im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Mit der Wirtschaft geht es wieder bergauf. Trotzdem oder gerade deshalb müssen sich die Deutschen, so wie es aussieht, in den kommenden Wochen darauf einstellen, mit massiven Streikaktionen konfrontiert zu sein. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer hat ja bereits Anfang der Woche Arbeitsniederlegungen angekündigt. Nun könnte nach den Warnstreiks der vergangenen Tage auch an Deutschlands Schulen, Hochschulen, an Unikliniken, in der Verwaltung und bei der Polizei der Ausnahmezustand Realität werden, um nur einige Beispiele zu nennen. Heute nämlich beginnt die dritte und entscheidende Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder.

    Mitgehört hat Frank Bsirske, er ist der Bundesvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Einen schönen guten Morgen, Herr Bsirske.

    Frank Bsirske: Schönen guten Morgen!

    Heckmann: 50 Euro und drei Prozent mehr, im Schnitt bedeutet das eine Erhöhung um fünf Prozent. Der Verhandlungsführer der Länder, Hartmut Möllring, der spricht von einer Forderung als dem Wolkenkuckucksheim.

    Bsirske: Ja, das tut er, aber ich meine, das ist ja ein Argument, das wir in dieser Form ungefähr schon seit Jahrzehnten kennen. Die Arbeitgeber lehnen die Forderung der Gewerkschaften ab, wir weisen darauf hin, dass vor dem Hintergrund von Reallohnverlust im letzten Jahrzehnt, einer zunehmenden Lohnschere zwischen der Entwicklung der Löhne im öffentlichen Dienst einerseits und in der Privatwirtschaft andererseits, Handlungsbedarf besteht, weil eine solche Schere nicht gut ist für die Beschäftigten, auf Dauer auch nicht gut ist für die Attraktivität des öffentlichen Dienstes, und für die Konjunktur auch nicht, denn Konsumschwäche dämpft die Konjunktur.

    Heckmann: Ihre Forderung würde die Länder 1,4 Milliarden Euro kosten, rechnet Herr Möllring vor, und wenn die ganze Sache dann noch auf die Beamten übertragen wird, was normalerweise getan wird, würde man auf eine Summe von 4,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr kommen. Glauben Sie, dass die Steuerzahler für eine solche Summe Verständnis haben?

    Bsirske: Ja, warum nicht! Wir müssen doch ein Interesse daran haben, einen Schutzschirm aufzuspannen für den Aufschwung, in einer Situation, wo der Export sich zunehmenden Risiken ausgesetzt sieht, in der Euro-Zone, in der Europäischen Union, bei unseren Haupthandelspartnern dort und in den USA, und die Binnenkaufkraft dringend gestärkt werden muss, und wir sehen ja, dass die Haushaltskonsolidierung eine Folge von Wachstum ist. Das Wachstum braucht Impulse und der Abschluss für 1,8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – das ist der Abschluss, der die größte Anzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einbezieht, neben dem Einzelhandel -, der hat natürlich volkswirtschaftlich eine enorme Bedeutung, und daran müssen auch die Bürgerinnen und Bürger ein Interesse haben, denn es geht um die Stabilisierung des Aufschwungs und es geht um die Arbeits- und Lebensbedingungen von mehreren Millionen Menschen in diesem Land.

    Heckmann: Wenn Sie von einem Schutzschirm sprechen, Herr Bsirske, dann höre ich schon den einen oder anderen anmerken, wie viele Schutzschirme sollen wir eigentlich noch aufspannen, auch angesichts der Haushaltslage der Länder. Ich meine, da sind im Zuge der Krise gigantische Schulden aufgetürmt worden, fast 600 Milliarden Euro.

    Bsirske: Ich finde ja, dass es durchaus vernünftig wäre, nicht nur Schutzschirme für Banken und Banker aufzuspannen, sondern auch mal für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist das eine. Das andere ist natürlich, dass wir eine Situation haben, wo die Haushaltssituation der Länder eine Folge von Wirtschaftskrise und Finanzmarktkrise und eine Folge politischer Entscheidungen ist. Allein die Steuergeschenke für Hoteliers, für reiche Erben, für große Unternehmen, das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, hat die Länder zwei Milliarden Euro an Einnahmen jedes Jahr gekostet, und wenn wir dann noch in den Blick nehmen, dass sich diese Finanzministerien ein organisiertes Steuervollzugsdefizit leisten wegen mangelnder Stellenbesetzung in der Betriebsprüfung, und zwar gemessen an den eigenen Anhaltszahlen der Finanzministerien, gemessen an dem, was sie selbst für notwendig halten, dann wird schon deutlich, dass es erhebliche Reserven gibt, die erschlossen werden sollten, und solange wir fünf bis sechs Milliarden – ich nehme die Zahlen der Rechnungshöfe der Länder und des Bundesrechnungshofes -, auf fünf bis sechs Milliarden Euro, die auf ein organisiertes Steuervollzugsdefizit zurückzuführen sind, verzichten, solange muss uns eigentlich niemand kommen mit klammen Kassen und damit, dass für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kein Geld da ist, denn eins kann nicht passieren, dass wir fortsetzen, was sich im letzten Jahrzehnt vollzogen hat, Reallohnverlust trotz Aufschwung, Umverteilung von unten nach oben. Das ist ein Weg, der nicht fortgesetzt werden wird.

    Heckmann: Sie haben gerade eben die angebliche Lohnschere zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft angesprochen. Jetzt argumentiert die Arbeitgeberseite, im öffentlichen Dienst habe es im Zuge der Krise immerhin keine Lohnkürzung gegeben und keine Kurzarbeit.

    Bsirske: Wau, das stimmt! Wir haben 2008 und 2009 etwas aufgeschlossen auf die Tariflohnentwicklung in der Privatwirtschaft. Aber sehen Sie, wenn wir das letzte Jahrzehnt mal insgesamt betrachten und das Jahr 2000 mit 100 gleichsetzen, dann sind wir im öffentlichen Dienst der Länder 2010 bei 116,3 gewesen, im Schnitt der Privatwirtschaft, was die Tariflohnentwicklung angeht, bei 123 Punkten und in der Metallindustrie und Chemieindustrie bei 127 bis 128 Punkten. Da hat sich eine Lücke aufgetan, die wir schließen müssen, angesichts zunehmenden Fachkräftemangels und angesichts natürlich einer Lebenssituation von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch bei den Ländern, die im Grunde von dem Entgelt, das sie für ihre Arbeitskraft und ihre Arbeit bekommen, auch anständig über die Runden kommen müssen, denn wir erwarten ja von ihnen auch gute Arbeit, von den Krankenschwestern, von den Berufsfeuerwehrleuten, von den Lehrkräften, von den Straßenmeistern. Sie alle müssen gute Arbeit leisten. Ich finde, dann haben sie auch einen Anspruch auf gutes Geld.

    Heckmann: Ja. Gute Arbeit müssen alle Arbeitnehmer leisten. – Herr Bsirske, bisher haben die Arbeitgeber kein Angebot vorgelegt. Erwarten Sie, dass sich das jetzt ändert? Herr Möllring hat ja das als sehr wahrscheinlich bezeichnet. Und was passiert, wenn kein Angebot vorgelegt wird?

    Bsirske: Nun, ich glaube, dass die Signale deutlich in Richtung eines Angebotes gehen. Entscheidend wird ja sein, wie sieht das Angebot aus. Ist es so ausgelegt, dass Reallohnverlust programmiert ist? Wir haben eine Inflationsrate, die liegt bei über zwei Prozent mittlerweile, Tendenz steigend. Dafür sorgt schon der Ölpreis. Wird das eigentlich sozusagen in den Blick genommen, oder wird hier Reallohnverlust programmiert? Sehen Sie, das sind die Fragen, die uns beschäftigen werden, wenn die Arbeitgeberseite ein Angebot vorlegt, und wie das aussieht, das bleibt mal abzuwarten.

    Heckmann: Von den Warnstreiks – letzte Frage, Herr Bsirske – in Ostdeutschland vor allem waren gestern auch Schulen betroffen. Ist es eigentlich in Ordnung aus Ihrer Sicht, wenn die Gewerkschaften Schülerinnen und Schüler zu Geiseln ihrer Tarifpolitik machen?

    Bsirske: Ach Gott, sehen Sie, Lehrkräfte sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie Sie und ich, und wenn wir auf die Situation der Lehrkräfte gucken, der angestellten Lehrkräfte, dann stellen wir fest, da wird die Frage, welcher Entgeltgruppe ihre Tätigkeit zugeordnet wird, nach wie vor seit Jahrzehnten einseitig von den Arbeitgebern per Richtlinie geregelt, statt das in freien Verhandlungen mit den Gewerkschaften auszuhandeln. Und jetzt zahlen die Lehrkräfte für diese Praxis im Prinzip mit mehreren hundert Euro Entgeltdifferenz auf ihre verbeamteten Kolleginnen und Kollegen bereits im Brutto, aber auch auf Angestellte in vergleichbarer Tätigkeit und vergleichbarer Qualifikation. Dass das den Arbeitgebern gefällt, verstehe ich ja, aber den 204.000 Lehrkräften an den Schulen kann das nicht gefallen, und wenn die Arbeitgeberseite da nicht dazu kommt, dass auch das in freien Verhandlungen ausgehandelt werden kann, dann muss sich niemand wundern, dass die Lehrkräfte sagen, das geht so nicht weiter, und dann zeigen wir mal, dass auch unsere Arbeit wichtig ist und dass wir nicht länger als Arbeitskräfte zweiter Klasse behandelt werden wollen.

    Heckmann: Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Länder gehen in die entscheidende Phase. Wir haben gesprochen hier im Deutschlandfunk live mit Frank Bsirske, Bundesvorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Herr Bsirske, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

    Bsirske: Ich bedanke mich auch!