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Bsirske: Unter sechs Prozent hätte es kein Ergebnis gegeben

Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, sagt, dass der Abschluss im öffentlichen Dienst ein richtiger Schritt nach vorne sei. ver.di hätte im Abschluss auch eine ausgeprägte soziale Komponente unterbringen wollen, doch das sei wegen des kategorischen Widerstands der Arbeitgeberseite nicht machbar gewesen, so Bsirske.

Frank Bsirske im Gespräch mit Friedbert Meurer | 02.04.2012
    Friedbert Meurer: Die meisten Beschäftigten im öffentlichen Dienst dürften wohl zufrieden sein. Samstagfrüh endeten die Tarifverhandlungen, es hat eine Einigung gegeben und man hat sich auf ein Plus verständigt von 6,3 Prozent für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen, verteilt auf zwei Jahre. Das klingt gut, hat aber einen Schönheitsfehler: Die Forderung von ver.di, dass die unteren Gehaltsgruppen mindestens 200 Euro monatlich mehr bekommen sollen, die wurde abschlägig erteilt und findet sich im Vertrag nicht wieder. Deswegen gab es ein langes Tauziehen in der großen Tarifkommission. - Ich habe mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft ver.di gesprochen, Frank Bsirske, und ihn gefragt: Ist der Tarifvertrag sozial ungerecht?

    Frank Bsirske: Wir hätten gerne in dem Tarifabschluss eine ausgeprägte soziale Komponente untergebracht. Das war aber gegen den kategorischen Widerstand der Arbeitgeberseite nicht machbar. Und wenn man sich mal sich vor Augen hält, was unsere Hauptziele in dieser Tarifbewegung waren - wir wollten deutliche und nachhaltige Reallohnverbesserungen durchsetzen, gleichzeitig den Lohnabstand auf den Durchschnitt der Gesamtwirtschaft verkürzen bei den Löhnen, wir wollten für die Auszubildenden was tun, ganz wichtig, unbefristete Übernahme nach der Ausbildung bei bestandener Prüfung, wir wollten, dass das Ergebnis auf die Beamten zeit- und inhaltsgleich übertragen wird, und wir wollten für die Flughäfen eine zusätzliche Komponente durchsetzen -, und wenn man mal das Ergebnis an diesen Zielen jetzt misst, dann muss man sagen, haben wir uns doch in vielen Punkten auch behaupten und durchsetzen können.

    Meurer: Warum ist denn nicht ein kleiner Sockelbetrag herausgesprungen, also 100 Euro?

    Bsirske: ... , weil die Arbeitgeberseite kategorisch Nein gesagt hat. Wir haben jetzt natürlich auf der anderen Seite nach zehn Monaten 4,9 Prozent Lohnerhöhung und nach 18 Monaten 6,3 Prozent Lohnerhöhung, und wenn man das mit Zins und Zinseszins rechnet, sind wir bei 6,42 Prozent Lohnerhöhung. Das ist natürlich schon ein Sprung, nach zehn Monaten 4,9 Prozent plus. Da muss man erst mal in der Tariflandschaft was Vergleichbares suchen und finden. Und ich glaube, da gibt es im Moment jedenfalls für 2012 überhaupt noch keinen vergleichbar guten Abschluss.

    Meurer: Wenn Sie unter sechs Prozent geblieben wären, Herr Bsirske, hätten dann vielleicht die Arbeitgeber nachgegeben und gesagt, okay, dann ist Luft und Spielraum da für einen Sockelbetrag?

    Bsirske: Wenn wir unter sechs Prozent geblieben wären, hätte es kein Ergebnis gegeben und dann wären die Tarifverhandlungen gescheitert. Dann wären wir mit großer Sicherheit wahrscheinlich in die von den Arbeitgebern angerufene Schlichtung gegangen und dann anschließend, wenn da keine substanzielle Verbesserung des Ergebnisses möglich gewesen wäre, in den Streik gegangen, denn auch unter sechs Prozent hätte es arbeitgeberseitig keine soziale Komponente gegeben.

    Meurer: Das alles kostet Geld, das ist der andere Kritikpunkt, Herr Bsirske. Zwei Milliarden Euro Kosten rechnen die kommunalen Arbeitgeber, vier Milliarden Euro im nächsten Jahr. Passt das zu allen Bekenntnissen zum Schuldenabbau?

    Bsirske: Also das so etwas Geld kostet, ja natürlich kostet das Geld. Man kann eben gute Erziehung - Kitas, man kann gute Pflege - Krankenhäuser, man kann einen funktionieren öffentlichen Personennahverkehr und eine funktionierende Abfallwirtschaft nicht auf Dauer zum Schnäppchenpreis bekommen. Und wenn die Bürgerinnen und Bürger von den Beschäftigten im öffentlichen Dienst zurecht gute Arbeit erwarten, dann ist doch klar: Dafür braucht es gute Leute und die können dann umgekehrt auch einen Anspruch haben auf gutes Geld. Das gehört zusammen, gute Leute, gute Arbeit, gutes Geld.

    Und was die Bezahlbarkeit angeht: Ja, da muss Schluss damit gemacht werden, dass eine strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte organisiert wird durch eine Steuerpolitik, die die Spitzenverdiener, die reichen Vermögensbesitzer und reiche Erben begünstigt und die die Bundesrepublik, was die tatsächliche Besteuerung von Kapital- und Unternehmensgewinnen betrifft, in den letzten Jahren in ein Niedrigsteuerland verwandelt hat.

    Meurer: Auf der anderen Seite: eine Mehrheit der Deutschen sagt, in Spanien, in Griechenland müssen die Leute sparen und sparen und selbst genehmigen wir uns einen Aufschlag.

    Bsirske: Und die Leute in Griechenland werden in eine Katastrophenpolitik hineingetrieben, die die Wirtschaft abwürgt. Und was die Bundesrepublik angeht: Wir leben ja in einem System kommunizierender Röhren in der Europäischen Union. Da müssen die Leistungsbilanz-Überschussländer und zu denen gehört vor allem Deutschland auch etwas tun für die Stärkung des Binnenmarktes. Ohne dass dies passiert, haben Länder wie Spanien und Griechenland auch keine Chance, aus ihrer Situation herauszukommen. Das sind die Zusammenhänge.

    Und für die nationale Seite muss man noch feststellen: Das letzte Jahrzehnt war für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein verlorenes Jahrzehnt, was die Löhne angeht. Das kann so nicht fortgesetzt werden. Und die Menschen haben gesagt, so geht es nicht weiter, wir müssen uns jetzt wehren und wir müssen dafür sorgen, dass Geld ins Portemonnaie kommt. Da haben wir jetzt im öffentlichen Dienst einen guten und richtigen Schritt nach vorne gemacht und jetzt werden andere folgen.

    Meurer: Es gibt noch ein anderes Thema, über das viel geredet wird, und das ist die Schlecker-Pleite. Der Generalsekretär der FDP, Patrick Döring, geht Sie jetzt ziemlich hart an, Herr Bsirske. Er wirft Ihnen persönlich Heuchelei vor. Sie hätten zum Boykott, ver.di hätte zum Boykott gegen Schlecker aufgerufen, mit zu den Problemen des Unternehmens damit beigetragen, zum Niedergang der Firma Schlecker. Bereuen Sie den Boykottaufruf?

    Bsirske: Es gibt keinen Boykottaufruf von ver.di auf Gesamtorganisationsebene, hat es in Sachen Schlecker in den letzten Jahren überhaupt nie gegeben. Was es gegeben hat, ist eine harte Auseinandersetzung mit einer Politik, die die alte Belegschaft weitestgehend entlassen wollte, die die Belegschaft neu zusammensetzen wollte in diesen XL-Märkten.

    Meurer: Da gab es einen Boykottaufruf in Hessen! Es gab einen Boykottaufruf im Bezirk Hessen. Wir haben ihn gelesen.

    Bsirske: Möglicherweise hat da ein örtlicher Bezirk übers Ziel hinausgeschossen, aber das ist völlig untypisch für das Vorgehen, das wir bundesweit organisiert haben. Wir haben uns dagegen gewehrt, dass Schlecker aus der Tarifbindung heraus wollte, wir haben uns dagegen gewehrt, dass er die Frauen sozusagen völlig entsichern wollte. Ich habe einen Arbeitsvertrag gesehen, wo eine Kollegin für ein halbes Jahr befristet eingestellt wurde, bundesweit versetzbar, für einen Stundenlohn von fünf Euro und etwas. Das sind Verhältnisse, die man nicht hinnehmen kann. Ansonsten ist Herr Döring auf dem Weg nach der Methode "Haltet den Dieb", von der eigenen Verantwortungslosigkeit abzulenken. Dass es eine Partei zulässt, dass mehr Frauen entlassen werden als sie selbst diese Partei bei den letzten Landtagswahlen Wähler und Wählerinnen hatte, das spricht für sich. Das ist eine Politik der sozialen Verantwortungslosigkeit und Ignoranz. Bei jedem Finanzspekulanten entwickelt diese Partei mehr Empathie und mehr Verständnis als bei Tausenden von Verkäuferinnen.

    Meurer: Aber wo zieht man die Grenze? Wann hilft der Staat und wann nicht? Wenn er bei Schlecker hilft, muss er auch vielen anderen helfen, die Pleite gehen.

    Bsirske: Der bayrische Wirtschaftsminister hat ja praktisch zeitgleich bei einer Großbäckerei versucht zu helfen, während er Schlecker die Bürgschaft verweigert hat, also den Frauen da. Ich denke, in einer solchen Situation ist es absolut sozial verantwortlich gehandelt, wenn man einen Kredit der KfW (Anm. d. Redaktion: Kreditanstalt für Wiederaufbau) durch eine Bürgschaft sichert und unterlegt. Dass ausgerechnet diese Kleinstpartei sich da in den Weg gestellt hat und das verweigert hat, dass Herr Seehofer in Bayern sich dem untergeordnet hat und seinen Wirtschaftsminister hat die Politik bestimmen lassen, das ist ärgerlich, aber es spricht Bände.

    Meurer: Selbst die Kanzlerin sagt, der Arbeitsmarkt sieht jetzt anders aus. Bekommen die 11.000 nicht auch einen Job ohne eine Transfergesellschaft?

    Bsirske: Erst mal ist das so, dass das niemand genau weiß. Jedenfalls wäre eine Transfergesellschaft für die Sicherung dieser Kolleginnen sehr viel besser gewesen. Jetzt sind sie in die Vereinzelung entlassen. Außerdem ist das Risiko sehr groß, dass im Zuge von Tausenden von Kündigungsschutzklagen, die natürlich jetzt auch auf die Tagesordnung gesetzt sind, auch noch die anderen 12.000, 13.000 Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Für all das trägt die FDP die Verantwortung, weil sie sich einer Bürgschaft in den Weg gestellt hat. Diese verantwortungslose Politik, finde ich, gilt es zu geißeln und Herr Döring lenkt da nur von den eigenen Taten ab.

    Meurer: Frank Bsirske, der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, nach der Einigung im öffentlichen Dienst im Tarifstreit und zu den Bürgschaften, den geplatzten Bürgschaften im Fall Schlecker. Herr Bsirske, besten Dank und auf Wiederhören!

    Bsirske: Ja!

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