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Buchkritik
Humorvolles aus dem Leben eines Hirnforschers

"Dein Gehirn weiß mehr als du denkst" - mit diesem provokanten Titel legt der Tübinger Hirnforscher Niels Birbaumer ein unterhaltsames Buch vor. Das Werk bietet viel Wissens- und Staunenswertes abseits üblicher Diskussionen über Gehirn und Geist.

Von Michael Lange | 16.06.2014
    Ein schnell fahrendes Auto
    Konfrontationstherapie mal übersteigert: "Ich fuhr wie eine gesengte Sau." (picture alliance / dpa - Nicolas Armer)
    Niels Birbaumer war nicht immer der angesehene Professor, der er heute ist. Als Jugendlicher gehörte er zu einer "Halbstarken-Gang" und stach auch schon mal zu.
    "Die Schere steckte im Fuß, und der Kerl schaute mich zunächst nur verdutzt an. Dann schrie er wie am Spieß und ich hatte ein Problem. Denn die Lehrer holten natürlich die Polizei."
    Aber zum Glück erwies sich der Rabauke als lernfähig. Er wurde zum weltweit geachteten Hirnforscher mit einer klaren Botschaft. In seinem Buch "Dein Gehirn weiß mehr als du denkst" präsentiert er sie erstmals einer breiten Öffentlichkeit.
    "Die Entwicklung der Persönlichkeit folgt keiner inneren Logik und keinem im Vorhinein angelegten göttlichen oder genetischen Plan."
    Das Gehirn und mit ihm die Persönlichkeit des Menschen entwickelt sich immer weiter. In seinem Innern entstehen ständig neue Kontakte, alte Verbindungen werden gelöscht. In der Medizin lässt sich das nutzen – und zwar viel mehr als bisher üblich.
    "Die enorme Plastizität des Gehirns bedeutet eben auch, dass man Krankheiten und Unglück nicht fatalistisch hinnehmen muss, sondern lernen kann, sie vollständig zu bewältigen."
    Gezieltes Lernen als Medizin
    Vollständig gelähmte Menschen können lernen, über ihre Gehirnaktivität zu kommunizieren. Auch die Folgen von Schlaganfall, Parkinson, Depression oder Angsterkrankung lassen sich durch gezieltes Lernen besser bekämpfen als mit Medikamenten. Sogar ein Psychopath kann durch Gehirntraining Mitgefühl entwickeln. Davon ist Niels Birbaumer überzeugt.
    Und manchmal greift der Hirnforscher selbst zu äußerst unkonventionellen Therapien, wie bei einem Patienten namens Horst, der unter einer lähmenden Angst litt.
    "Ich packte den bewegungslosen Horst in meinen alten Mercedes, schnallte ihn fest und fuhr los. Rauschte bei Rot über Kreuzungen, ließ die Reifen quietschen und fabrizierte waghalsige Überholmanöver. Um es kurz zu machen: Ich fuhr wie eine gesengte Sau – und die Kur schlug an."
    Wer annimmt, dass der ehemalige Rabauke und jetzige Professor Spaß an dieser Aktion hatte, liegt natürlich völlig falsch.
    Zielgruppe:
    Geeignet für wissensdurstige Gehirne, die sich selbst besser kennenlernen wollen und bereit sind, mehr aus sich zu machen.
    Erkenntnisgewinn:
    Viel Wissens- und Staunenswertes, abseits üblicher Diskussionen über Gehirn und Geist. Das lernfähige Gehirn sagt danke.
    Spaßfaktor:
    Die humorvollen Anekdoten aus dem Leben eines Hirnforschers garantieren höchsten Lesegenuss. Gut, dass Niels Birbaumer heute lieber schreibt statt zuzustechen.
    Niels Birbaumer und Jörg Zittlau: "Dein Gehirn weiß mehr als du denkst"
    Ullstein-Verlag, 272 Seiten, 19.99 Euro