Freitag, 29. März 2024

Archiv

Buddhismus
"Die Zeit der großen Lehrer ist vorbei"

Sehr langsam kommt in buddhistischen Gruppen eine Debatte über Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt in Gang. Immer wieder wird buddhistischen Meistern vorgeworfen, ihre besondere Stellung auszunutzen und ihre Anhänger gefügig zu machen. Beim Buddha-Talk in Hamburg wird das Thema vorsichtig angesprochen.

Von Mechthild Klein | 18.06.2019
Figuren des historischen Buddha im Meditationsraum der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg.
Die Rolle des Meisters steht in Hamburg auf dem Prüfstand (Deutschlandradio / Mechthild Klein)
Im Haus der buddhistischen Gesellschaft Hamburg im Osten der Stadt singen rund ein Dutzend Frauen und Männer eine Art buddhistisches Glaubensbekenntnis – auf Pali. Übersetzt heißt das:
"Der Vollendete ist ein vollkommen Erwachter, der Erhabene.
Vor dem Buddha, dem Erhabenen, verbeuge ich mich."
Zweimal im Monat wird hier der Buddha-Talk ausgerichtet. Das ist eine Veranstaltungsreihe, bei der Lehrer aus verschiedenen buddhistischen Schulen über ihre Lieblingsthemen referieren. Raimund Jinavaro Hopf hatte den Buddha-Talk vor zweieinhalb Jahren mitgegründet:
"Es ist ja so, dass zum Buddhismus die Selbstlosigkeit zugehört. Und trotzdem ist es so, dass die meisten Gruppen um sich selber kreisen. Und das hat den Anlass gegeben, man könnte auch eine Veranstaltung machen, die nicht für die eigene Gruppe wirbt. Sondern die alle Zugänge gleichermaßen anbietet."
Hauptstadt der Weltreligionen
Hopf ist seit drei Jahrzehnten auf buddhistischen Pfaden unterwegs. Er lebte in Indien, Thailand und Japan. Heute verortet er sich in einer Theravada-Schule, der Suttana-Gruppe. Mit seinen Wegbegleitern sucht der ehemalige Mönch nach einem traditionsübergreifenden Konzept.
Hamburg gilt als die Hauptstadt der Weltreligionen. Allein unter den Buddhisten existieren 50 bis 60 verschiedene Gruppen mit ihren Meditationsangeboten.
"Und die Idee ist, unter den vielleicht 80 Angeboten an einem Ort verschiedenen Menschen die Möglichkeit zu geben, verschiedene Traditionen kennen zu lernen. Ohne das Gefühl zu haben, jetzt muss ich hier bleiben. Es gibt ja drei Schulen, die praktisch heute präsent sind: der Zen-Buddhismus, tibetische Gruppen und Theravada-Gruppen", erklärt Hopf.
Selten finden Buddhisten mit asiatischen Wurzeln den Weg zum Buddha-Talk. Die bleiben lieber in ihrer eigenen Gruppe und versuchen nach Ansicht von Hopf, ihre Tradition zu bewahren. Sie unterstützten die Nonnen- und Mönchsorden in ihren Pagoden und versorgten ihre Lehrer meist sehr großzügig mit allem Notwendigen. Im Gegenzug kümmerten sich die Ordensleute um die Rituale zu Geburt, Heirat und Tod.
Debatte über Machtmissbrauch
Die westlichen Buddhisten seien da anders orientiert:
"Der Westen zeichnet sich dadurch aus, dass er sehr stark an den Inhalten und an der Meditation interessiert ist, weniger an Zeremonie. Und ich würde nicht sagen, dass es uns trennt, aber es unterscheidet die traditionellen asiatischen Buddhisten."
Seine Schülerinnen und Schüler werfen ihm inzwischen öffentlich gewalttätiges und missbrauchendes Verhalten vor: Sogyal Rinpoche hier bei der Eröffnung eines buddhistischen Zentrums in Brandenburg
Der Machtmissbrauch von Lehrern wie Sogyal Rinpoche hat die deutschen Buddhisten in eine Krise gestürzt (picture-alliance / dpa / Patrick Pleul)
Im Buddha-Talk steht nicht nur sanfte Alltagsbewältigung auf der Agenda. Ganz zart hat in der deutschen buddhistischen Szene auch eine Debatte um Machtmissbrauch durch geistliche Lehrer begonnen. In Hamburg gibt es aktuell zwei tibetische Organisationen, die davon betroffen sind, dass ihre spirituellen Oberhäupter zurückgetreten sind. Und zwar nach massiven Vorwürfen von Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch in Frankreich und Nordamerika. Die Rigpa-Gruppe mit Sogyal Rinpoche an der Spitze und die Shambhala-Gruppe mit ihrem ehemaligen spirituellen Leiter Sakyong Mipham Rinpoche.
Buddhismus in der Krise
"Es gibt ja den Ausspruch eines Politikers in England: Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut. Und das trifft auch auf den Buddhismus zu. Je stärker die Macht eines einzelnen Lehrers, je stärker ist Missbrauch möglich. Und die Abkehr von dem Ideal eines überragenden Lehrers, besonders in Gruppen, die Missbrauch erlebt haben, die findet ja gerade statt. Viele Gruppen, die Lehrer verloren haben oder deren Lehrer zurücktreten mussten - überwiegend im Zen und im tibetischen Buddhismus – orientieren sich ja komplett neu. Und ich hoffe, das machen sie radikal genug, um da was Gutes draus zu machen."
Raimund Hopf sieht den Buddhismus durchaus in einer Krise. Die Lehre Buddhas nutzten diese Meister im Westen als Geschäftsmodell zur eigenen Bereicherung.
"Wir haben hier die Situation in Deutschland, dass eine große Gruppe hauptsächlich einem Lehrer folgt und ihre ganze Identität in diesem einen Lehrer ruht. Wenn dieser Lehrer infrage gestellt wird, ist die ganze Bewegung infrage gestellt. Das ist fast eine sektiererische Organisation, wenn man einem Lehrer folgt, den man nicht kritisieren kann. Das würden wir allerdings kritisieren als nicht buddhistisch haltbar."
Betroffene sind bislang fast ausschließlich missionierende Gruppen, in denen deutsche Buddhisten ohne Migrationshintergrund angedockt haben. Hopf glaubt: Kritik an Fehlentwicklungen sei notwendig.
"Wir haben diese Gruppen alle eingeladen. Auch dieses Jahr laden wir von der Rigpa-Gruppe eine Vertreterin ein, um die Veränderungen und die Prozesse transparent darzustellen. Wir laden dazu ein, Veränderung zu gestalten, kritisieren aber gleichzeitig, was passiert. Aber wir kritisieren nicht die Menschen in den Gruppen."
"Eine gute Krise"
Der Prozess der Aufklärung ist teilweise noch nicht abgeschlossen und Gegenmaßnahmen zum Machtmissbrauch müssen noch erarbeitet werden. Viele Mitglieder seien noch geschockt von den Vorwürfen, andere trauerten um den Verlust des Meisters.
"Wenn die Gruppen daran festhalten und einen Lehrer wieder re-inthronisieren, dann ist das eine andere Situation. Dann kann das sein, dass man sich davon stärker distanzieren muss. Im Moment würde ich sagen, das ist ein Reinigungsprozess, also eine gute Krise auch, wo man noch abwarten muss, was daraus wird. Ich bin da weder zu optimistisch noch pessimistisch. Aber realistisch gesehen ist die Zeit der großen Lehrer vorbei. Eigenverantwortung ist angesagt."