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Bündnis für Arbeit

Müller: Vier mal bereits saßen Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber an einem Tisch. Ein mal wurde die Runde kurz vorher abgesagt. Gestern nun erneut ein Treffen im Kanzleramt, und nach den Worten von Gerhard Schröder ist ein Durchbruch erzielt worden. Verhandlungspartner einigten sich darauf, Wege für einen vorzeitigen Ruhestand zu finden, ohne jedoch die umstrittene Formel ‚Rente mit 60‘ zu erwähnen. Zum Zweiten soll die Tarifpolitik in den nächsten Jahren in den Dienst der Beschäftigung gestellt werden, sprich: Die Gewerkschaften sind wohl bereit, sich bei den Lohnforderungen zurückzuhalten. Führende Wirtschaftswissen-schaftler jedoch haben, bei der Runde gestern sei schlichtweg ‚nichts herausgekommen‘. Am Telefon begrüße ich nun Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Guten Morgen.

    Hundt: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Hundt, wissen Sie, warum der Bundeskanzler von ‚Durchbruch‘ gesprochen hat?

    Hundt: Ich meine, wir haben als Ergebnis des gestrigen fünften Gespräches zum Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit in der Tat eine für die Zukunft außerordentlich wichtige Weichenstellung für die Tarifpolitik und für die Tarifautonomie erzielt. Natürlich sind damit nicht die Probleme gelöst, aber es ist eine Richtung vorgegeben, die es den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden in den einzelnen Branchen jetzt möglich machen sollte, zu längerfristigen, mehrjährigen Tarifabschlüssen zu kommen, die den Wirtschaftsaufschwung stärken und die sich deshalb auch positiv auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes auswirken wird.

    Müller: Ist das keine Selbstverständlichkeit?

    Hundt: Wenn Sie so wollen, ist das im Interesse des Landes und der wirtschaftlichen Entwicklung in gewissem Umfang durchaus eine Selbstverständlich-keit. Nur – einzelne Tarifabschlüsse der letzten Jahre, und ganz besonders auch der des Jahres 1999 haben diesem Kriterium eben nicht entsprochen, und deshalb hat gerade der 99er Abschluss entscheidend dazu beigetragen, dass sie positive Entwicklung aus den Jahren 97 und 98 abrupt unterbrochen worden ist.

    Müller: Ist es denn im Sinne der Unternehmen, dass nichts Genaueres konkreter festgelegt wurde?

    Hundt: Wir können im Rahmen dieses Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, in dem sich ja die Wirtschaft, die Politik und die Gewerkschaf-ten zusammensetzen, natürlich keine Tarifpolitik betreiben, genau so wenig, wie wir dort Politik betreiben können. Politik bleibt Angelegenheit der Regierung und Tarifpolitik Angelegenheit der Tarifvertragsparteien. Aber wir haben dort eine zukunftsträchtige Lösung im Sinne von Orientierungen gefunden, die zu dem erwünschten positiven Ergebnis führen sollte.

    Müller: Ist die ‚Rente mit 60‘ nun tot?

    Hundt: Die Rente mit 60 und die Finanzierung über Tariffonds wird es mit der deutschen Wirtschaft nicht geben. Dieses habe ich auch im Rahmen des gestrigen Bündnisgespräches ganz deutlich und uneingeschränkt erneut erklärt. Wir werden Lösungen suchen, und zwar von Branche zu Branche sicherlich unterschiedlich, die eine Erleichterung des vorzeitigen Übergangs in den Ruhestand ermöglichen. Ich denke, im wesentlichen wird dieses durch Ausgestaltung der Altersteilzeit sein können. Ich denke auch an Lösungen einer erweiterten Altersvorsorge, beispielsweise auf betrieblicher Ebene. Und ich bin darüber hinaus der Meinung, dass – so, wie es in der Vergangenheit auch schon der Fall gewesen ist, denken Sie an die Versicherungswirtschaft – eben neue Lösungen gefunden werden können, die auch ein vorzeitiges Ende des Erwerbslebens ermöglichen.

    Müller: Sprechen wir, Herr Hundt, noch einmal über diesen sogenannten tarifpolitischen Spielraum, der erstmals fixiert und eingeräumt worden ist von den Gewerkschaften. Sie haben gestern auch darauf nochmal verwiesen. Wo ist denn das Zugeständnis der Unternehmer?

    Hundt: Das Zugeständnis der Unternehmer ist, Lösungen zu suchen, die einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand ermöglichen, die – wie gesagt – von Branche zu Branche unterschiedlich sein werden. Wie diese – aus unserer Sicht – entscheidend wichtige Komponente als Zugeständnis der Gewerkschaften zu erreichen, nämlich den Verteilungsspielraum in den Tarifrunden der vor uns liegenden Jahre am Produktivitätsfortschritt zu orientieren.

    Müller: Dürfen diese Lösungen auch etwas kosten?

    Hundt: Diese Lösungen werden natürlich etwas kosten. Aber die Kosten müssen eine angemessene Höhe im Rahmen der Produktivitätssteigerung, der Inflationsrate und anderer wirtschaftlicher Kennzahlen mit berücksichtigen.

    Müller: Werden durch den vorzeitigen Ruhestand Arbeitsplätze geschaffen?

    Hundt: Wenn wir auf der Grundlage des Ergebnisses gestern jetzt eine längerfristige mehrjährige Tarifpolitik in den einzelnen Branchen vereinbaren mit moderaten Lohnabschlüssen, deutlich unter der Produktivitätssteigerungsrate, dann bin ich sicher, dass der insgesamt mögliche wirtschaftliche Aufschwung, der schon möglich ist, weil die makroökonomischen Daten entsprechend stehen, verstärkt werden kann und wir in Deutschland eben auch eine positive Auswirkung auf den Arbeitsmarkt haben. Wir haben in Deutschland die Möglichkeiten, im gerade zu Ende gegangenen Jahr 1999, bei weitem nicht genutzt. Und hier ist nun – ich möchte sagen – mit die Voraussetzung geschaffen, unsere Position für die Zukunft zu verbessern.

    Müller: Das war BDA-Chef Dieter Hundt. Vielen Dank für das Gespräch Herr Hund und Auf Wiederhören.

    Hundt: Ich danke Ihnen.

    Müller: Mitgehört in Frankfurt hat Jürgen Peters, stellvertretender Vorsitzender der IG Metall. Guten Morgen.

    Peters: Einen schönen Guten Morgen.

    Müller: Herr Peters, auch an Sie die Frage – Sie haben die Antwort von Herrn Hundt eben gehört –: Ist die Rente mit 60 tot?

    Peters: Nein, nein. Wissen Sie, das ist ohnehin ein falscher Begriff. Ich habe den Eindruck, einige konservieren geradezu diesen falschen Begriff. Wir wollen eine weitere Zugangsvoraussetzung für ein vorzeitiges Ausscheiden Älterer, damit Jüngere einsteigen können. Und ich bin froh, dass mindestens in diesem Bündnis so weit Klarheit ist: Man will die Brücke zwischen alt und jung bauen. Jetzt werden wir sehen, ob es tatsächlich den Durchbruch gebracht hat, wie der Kanzler optimistisch erklärt hat, denn das ist jetzt Sache der Tarifvertragsparteien, eine Lösung zu suchen. Und ob sie eine finden, das werden wir sehen. Der Kanzler jedenfalls hat deutlich gemacht: Er wird das seine tun, er wird die gesetzliche Voraussetzung dafür schaffen, wenn die Tarifparteien sich einigen.

    Müller: Helfen Sie uns doch, Herr Peters, ein bißchen weiter mit dem Durchbruch – ja oder nein. Muss man nicht immer Lösungen suchen und finden?

    Peters: Ja, natürlich. Aber wissen Sie: Wenn jemand von vornherein eine Blockade aufbaut und immer ‚nein‘ sagt, dann hat man natürlich Zweifel, ob es überhaupt eine Lösung gibt. Und wenn dieses ‚nein‘ bleibt, hat natürlich der Gesetzgeber im Grunde genommen etwas zu tun, wo er von vornherein weiß, es hat gar keinen Sinn. Also hat man versucht, im Bündnis für Arbeit zu testen, ob nun die Bereitschaft da ist, diesen Brückenschlag zu wagen zwischen alt und jung. Und dass das natürlich – wenn Sie so wollen – Kosten verursacht, ist ja ohne Zweifel. Wir haben aber ausdrücklich gesagt: Wir sind bereit, das im Rahmen der Tarifpolitik abzufangen. Wir wollen nicht, dass die Sozialversicherungskassen belastet werden. Also müssen wir jetzt mit den Metallarbeitgebern solche Lösung zu versuchen zu verabreden. Und ich bin froh, dass das jetzt noch klappen kann, das heißt, in diese Tarifrunde mit eingeführt werden kann.

    Müller: Der Satz – Herr Peters – ‚Rente mit 60‘ taucht ja nicht mehr auf in diesem Kompromisspapier von gestern. Hat das Symbolwirkung?

    Peters: Was da auftaucht ist, dass eine weitere Zugangsvoraussetzung neben der Altersteilzeit gemacht wird. Das ist das, was wir wollen. Insoweit bin ich froh, dass der Kanzler deutlich macht: Jawohl, er will diesen Weg gehen. Ob wir das nutzen können, hängt eben jetzt davon ab, ob die Metallarbeitgeber jetzt mit uns eine solche Vereinbarung treffen. Wir haben immer gesagt: Wir wollen ein vorzeitiges Ausscheiden. Dass das fälschlicherweise immer ‚Rente mit 60‘ bezeichnet wurde, ist jetzt mal was ganz anderes. Die Zugangsvoraussetzung – die soll einfacher sein, klarer sein und sie soll einen Anspruch des Einzelnen auf ein vorzeitiges Ausscheiden möglich machen. Es darf eben nicht ins Belieben der Unternehmer gestellt werden, ob jemand ausscheiden darf oder nicht. Und es muss in jedem Verlauf sichergestellt werden, dass, wenn jemand davon Gebrauch macht und altersbedingt ausscheidet, dass dann ein Jüngerer die Chance des Einstiegs hat. Nur so wird ein Schuh draus, nur so kriegen wie die Arbeitslosigkeit weg.

    Müller: Sie sagen also, die Gewerkschaften lenken ein bei der Frage ‚Lohnpolitik‘ bzw. ‚Lohnforderung‘ in den nächsten Jahren. Nun war in der letzten Woche noch von vier Prozent die Rede. Ihre Gewerkschaft . . .

    Peters: . . . nun warten Sie mal ab . . .

    Müller: . . . da wollte ich Sie nach fragen: Wissen Sie schon etwas genauere Zahlen?

    Peters: Das soll nun nicht der Rundfunk vermitteln, sondern da werden wir heute – respektive morgen – im Kreise des Vorstandes behandeln, und dann werden wir mit den Bezirken darüber reden, was hier an Lohnzahlen gedacht werden muss.

    Müller: Aber unter vier?

    Peters: Wie bitte?

    Müller: Unter vier.

    Peters: Unter vier? Ich glaube, Sie träumen. Aber nochmal: Wir beider verhandeln jetzt hier nicht und wir beide werden auch nicht die Forderung der IG Metall definieren. Ich möchte nochmal etwas dazu sagen: Im Bündnis für Arbeit wird natürlich seitens der Arbeitgeber immer wieder versucht – und Herr Hundt hat es ja auch wieder eigenwillig interpretiert –, die Gewerkschaften möglichst zu disziplinieren. Er redet immer davon, dass hier eine moderate Tarifpolitik Arbeitsplätze schaffen wird. Wir haben über 16 Jahre ungewollt eine moderate Tarifpolitik hinter uns. Das Ergebnis dieser moderaten Tarifpolitik ist aber nicht, dass wir in unseren ‚blühenden Landschaften‘ ein Übermaß an Arbeitsplätzen hätten. Im Gegenteil! Wir haben in der Zeit mehr Arbeitsplätze verloren als sonst. Das heißt: Diese moderate Politik, die Herr Hundt dort beschreibt, führt nicht zu mehr Beschäftigung, sondern im Gegenteil: Sie führt zu weniger Beschäftigung.

    Müller: Herr Peters, kommen wir doch auf den Boden der Realität und der Tatsachen zurück und hören wir auf zu träumen. Es ist auch die Formulierung ‚Differenzierte Regelungen‘ zu finden, und zwar nach Branchen und Betrieben. Ist das das Ende der Flächentarifverträge?

    Peters: Nein, nein. Wir haben immer schon differenzierte Tarifabschlüsse zwischen den Branchen gehabt. Das Handwerk und die Industrie haben schon immer unterschiedliche Wege beschritten, natürlich auch die Chemieindustrie zur Metallindustrie. Es gab schon immer solche Differenzierungen, und ob es jetzt in der Frage eine sehr ausgefächerte Differenzierung geben wird, das wird sich ja zeigen. Meist setzt jemand ein Beispiel, und die anderen finden es durchaus nachahmens-wert und bauen dann ihre eigene Tarifpolitik darauf auf. Also, wir werden sehen, wie sich die Sache entwickelt.

    Müller: Das heißt aber: Mehr Flexibilität bei den Tarifverträgen. Ich glaube, das kann man festhalten.

    Peters: Wissen Sie, wir haben über 400 Tarifverträge, die alle unterschiedlich sind. Ich weiss jetzt nicht, dass Sie mit dem Begriff ‚Flexibilisierung‘ meinen. Wenn Sie meinen, dass dort beispielsweise die Arbeitszeit variabler gemacht wird, dann muss ich Sie enttäuschen. Wir haben eine Fülle von solchen unterschiedlichen Regelungen in den Tarifverträgen. Man muss also - glaube ich - mal genauer sagen, was man meint.

    Müller: Jürgen Peters war das, der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Peters: Auf Wiederhören.