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Bündnis für Arbeit

Wagener: Am Telefon ist nun der Hauptgeschäftsführer des BDI, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ludolf von Wartenberg. Guten Morgen!

    Von Wartenberg: Guten Morgen Herr Wagener.

    Wagener: Herr von Wartenberg, ein eher unbefriedigendes Ergebnis der 7. Runde. So der allgemeine Tenor. Für wen vor allem wird noch zu klären sein. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sah allerdings schon gestern unmittelbar nach dem Treffen einen Zwei-zu-Null-Erfolg der Arbeitgeberseite. Was sind das denn eigentlich für zwei Treffer?

    Von Wartenberg: Herr Wagener, zunächst einmal finde ich Ihre Einleitung als Wortwahl aus dem 18. Oder 19. Jahrhundert. Es hat sich nicht Arbeit, Kapital und Regierung getroffen, sondern es haben sich die Gewerkschaftsvorsitzenden getroffen mit dem Wirtschaftsverbandspräsidenten und der Regierung.

    Wagener: Steht bei mir aber in Anführungszeichen.

    Von Wartenberg: Das hörte man nur nicht heraus. - Und wenn sich derartige Herren für ihre Organisationen treffen, dann muss man fragen, mit welchen Erwartungen kann ich denn eine derartige Gesprächsrunde bewerten. In einem Bündnis wird einfach nichts entschieden. Es ist kein Verfassungsorgan, ist keine Regierung, ist kein Koalitionspartner. Es wird also nichts entschieden. Es wird höchstens etwas empfohlen, und empfohlen werden kann nur etwas, wenn alle drei gemeinsam meinen, okay, dieser Sache nehmen wir uns an und diese Angelegenheit können wir dann überzeugend bei unseren Mitgliedern werten. Entscheiden letztendlich tun die Unternehmen. Entscheidend ist, wie die Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und den Unternehmensverbänden beziehungsweise Arbeitgeberverbänden ausgeht. Entscheidend ist letztendlich die Bundesregierung, die die Rahmendaten setzt. Empfehlungen als solche haben es aber nun mal in sich, dass sie zum Konsens hintendieren. Bei den beiden Punkten, die gestern diskutiert worden, die Frage der Mitbestimmung und die Frage der Überstunden, gibt es halt keinen Konsens. Insoweit hat man eine Empfehlung gemacht, auf die man sich verständigen könnte, nämlich beim Abbau von Überstunden realistisch zu sein, diese mit Flexibilisierungsinstrumenten zu beantworten als zu glauben, man könnte diese 1,8 Milliarden Überstunden einfach umverteilen und es entstehen dadurch mehr Arbeitsplätze.

    Wagener: Nehmen wir gerade mal dieses Stichwort Überstundenabbau. Hier gilt ja wohl seit gestern, wenn du nicht mehr weiter weist, gründe einen Arbeitskreis. Was soll denn dieser Arbeitskreis zum Abbau dieser Überstunden von fast zwei Milliarden pro Jahr als Ergebnis irgendwann präsentieren?

    Von Wartenberg: Herr Wagener, mir ist nicht bekannt, dass ein Arbeitskreis gegründet wird. Das müssen Sie verwechseln. Es ist ein Arbeitskreis gegründet "Arbeit durch Innovation". Das ist etwas ganz anderes. Zum Thema Überstunden selbst ist beschlossen worden, dass sowohl die Tarifvertragsparteien als auch der Gesetzgeber versuchen, alle Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitpolitik einzusetzen. Das sind tarifliche Vereinbarungen von Arbeitszeitkonten, das ist die Frage der Jahresarbeitszeiten, die Schaffung von Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten als eine investive Arbeitszeitpolitik. In diesem Bereich sind die Tarifpartner in erster Linie gefordert, ist der Betriebsrat und ist der Unternehmenschef gefordert. Sehen Sie, es ist ja von Betrieb zu Betrieb und von Branche zu Branche, von Ort zu Ort völlig unterschiedlich, wie Überstunden gefahren werden. Es gibt Branchen, da gibt es überhaupt gar keine Überstunden, und es gibt Branchen, da ist einfach die notwendige Flexibilität, Krankheit, betriebliche Störung, vorübergehender kurzer Auftrag, nur durch flexible Überstundenregelungen zu beantworten. 40 Prozent aller Überstunden werden mit einem Freizeitausgleich ausgeglichen. Wie wollen wir denn die Freizeit mit neuen Arbeitsplätzen umrechnen. Man kann hier also zu keiner Lösung kommen, weil das einfach nicht geht.

    Wagener: Was geht denn? Ist eine dezentrale Überstundenlösung denn im Bereich des machbaren?

    Von Wartenberg: Nein. Es ist der Markt, der entscheidet. Wir haben uns immer wieder mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, der deutsche Arbeitsmarkt ist der verfestigtste, den es weltweit gibt. Diese Rigidität kann ich nicht mit den gegenwärtigen Dingen überwinden. Der Arbeitgeber, also der Unternehmer, hat häufig keine andere Möglichkeit, als mit den Arbeitnehmern gemeinsam das flexible Instrument der Überstunden zu nehmen, um vorübergehende Veränderungen - ich sprach von Störungen, Krankheitsfällen, Konjunkturentwicklungen - aufzufangen, bevor er sich hineinbegibt in ein verfestigtes Arbeitsverhältnis.

    Wagener: Nicht zuletzt mit Blick auf den Abbau der Überstunden haben ja die Gewerkschaften jahrelang relativ bescheidene Lohnrunden akzeptiert. Nach dem Stand von gestern dürfte die Zeit der Bescheidenheit ja nun vorbei sein. Stellen Sie sich auf höhere Tarifrunden ein?

    Von Wartenberg: Nein. Das wäre verfrüht, dies zu sagen. Die Überstundendiskussion hatten wir schon vor einem Jahr. Das ist richtig. Übrigens wurde schon die 35-Stunden-Woche mit dem Argument geführt, dass dadurch Arbeitsplätze entstehen. Das hat sich inzwischen auch nicht als das wahre Instrument herausgestellt. Wir werden eine Reihe von Maßnahmen diskutieren: bei der Qualifizierung der Frage, die ältere Arbeitnehmer nicht frühzeitig verrentet werden, sondern wie sie als Facharbeitskräfte ausgebildet werden. Das ist ja viel perspektivischer als das, was bisher geschehen ist. Das sind Pakete, wo sich eine Tarifrunde im nächsten Jahr vielleicht mit anderen Themen beschäftigt, als sich nur auf die Entwicklung des Lohnes zu konzentrieren.

    Wagener: Die Gewerkschaften hatten sich gewünscht, 25 Prozent dieser Überstunden abbauen zu lassen. Falls die Arbeitgeber überhaupt ernsthaft darüber nachdenken, einigermaßen in diese Richtung zu gehen, was würden Sie sich denn im Gegenzug von den Gewerkschaften wünschen? Wo sollte Verzicht geübt werden?

    Von Wartenberg: Nein, wir können nicht zusagen, dass 25 Prozent der Überstunden abgebaut werden. Wir hatten vor 30 Jahren doppelt so viele Überstunden wie heute. Das war eine ganz andere Zeit. Heute haben wir angeblich 1,8 Milliarden Überstunden. Das sind pro Arbeitnehmer, Herr Wagener, eine Stunde in der Woche und bei völlig unterschiedlichen Branchen und Betrieben. Man kann so nicht rechnen. Man kann nicht sagen, das ist ein Eins-zu-null- oder Zwei-zu-Null-Sieg des Bündnisses von gestern. Ich finde es war ein Gespräch, welches klar und deutlich gemacht hat, dass es Punkte gibt, wo wir uns verständigen können, bei der Frage der Qualifizierung, bei der Frage der Qualifizierung insbesondere von älteren Arbeitnehmern, bei der Frage der Ausbildung. Da gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die vorgeschlagen wurden. Die können die Tarifverhandlungen begleiten. Auch die Frage der Nutzung von Flexibilisierungsmöglichkeiten in den Tarifverträgen für die Einstellung und für den Abbau von Überstunden. Aber das zu quantifizieren, das wäre unverantwortlich.

    Wagener: Wo liegen denn noch Annäherungspunkte bei der Betriebsverfassungsreform?

    Von Wartenberg: Ich glaube, da gibt es im Bundestag wohl kaum Änderungen im Vergleich zu dem Entwurf der Regierung. Wir hatten gestern noch mal versucht, die insbesondere im Mittelstand ja sehr störende und zur Emotionalisierung treibende Veränderung des Schwellenwertes von 300 auf 200 Arbeitnehmern zu diskutieren, bei dem ein Arbeitnehmer freigestellt wird. Das findet im Mittelstand kein Verständnis. Da gibt es eine Emotion, die im Prinzip schon so weit geht, dass man mit einem gestörten Investitionsverhalten rechnen muss. Um das zur Beruhigung zu bringen, darüber in aller Ruhe einmal zu diskutieren, hatte der Präsident des DIHT vorgeschlagen, dort ein Memorandum entstehen zu lassen nach dem Motto, warten wir doch mal zwei Jahre ab, wie sich das entwickelt und bewertet. Das ist abgelehnt worden. Ich rechne mit keinen Änderungen mehr im Parlament. Das ist leider so. Das Parlament notifiziert das, was die Regierung verabschiedet hat. Wir werden darüber debattieren. Wir werden an das Parlament appellieren, dass es autonom selbst entscheiden kann, um noch Verbesserungen einzuführen, aber ich rechne ernsthaft nicht damit.

    Wagener: Zwischen dem ersten Treffen im Dezember 1998 und dem siebenten von gestern liegen mehr als zwei Jahre, aber nur 100.000 Arbeitslose weniger. Wozu brauchen wir eigentlich ein Bündnis für Arbeit?

    Von Wartenberg: Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit - so heißt es - ist eine Gesprächsrunde. Sie kann Empfehlungen geben an die Regierung, wenn sie zu gemeinsamen Empfehlungen kommt. Wir haben gerade festgestellt, es gibt drei, vier Punkte, die in den letzten Monaten diskutiert wurden, wo Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände keine gemeinsame Empfehlungen abgeben. Wir glauben, wenn man unseren Empfehlungen folgen würde, also insbesondere eine höhere Flexibilität in der Arbeitsrechts- und Arbeitsmarktpolitik und nicht diese Form der Mitbestimmung, wir glauben auch, wenn man unseren Empfehlungen gefolgt wäre zu einer anderen Steuer- und Rentenpolitik, dass dann die Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze besser gewesen wären. Aber im Endeffekt entscheidet das die Bundesregierung und entscheidet das der Bundeskanzler, was er mit dem Rat des Bündnisses macht und was er mit dem Rat der einzelnen Bündnisteilnehmer anfängt. Er hat sich dafür entschieden, er lässt sich daran messen, wie sich die Arbeitslosigkeit entwickelt. In Wahrheit sind es aber auch marktwirtschaftliche weltweite Bedingungen. So optimistisch wie das gestern anklang sehen wir die konjunkturelle Entwicklung zur Zeit nicht. Das Risiko- und Gefahrenpotential aus den USA, aus Japan kommt langsam. Wir müssen uns schleunigst anstrengen, zu einer lebhafteren Binnenkonjunkturentwicklung zu kommen und nicht nur abhängig zu sein vom Export, und da fehlt noch einiges.

    Wagener: Dennoch: wir haben ordentliche Konjunkturdaten, wir haben relativ moderate Tarifrunden hinter uns, wir haben eine Steuerreform und wir haben einen schwachen Euro. Wann wenn nicht jetzt sollte man das Arbeitslosenproblem angehen, Herr von Wartenberg?

    Von Wartenberg: Sie haben völlig Recht, Herr Wagener: wann wenn nicht jetzt können wir ernsthaft zu Reformmaßnahmen kommen. Die Reformmaßnahmen müssen in einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie in einer stringenteren Reform der Sozialbereiche liegen, Renten- und Gesundheitspolitik. Sie verfolgen es in den Medien: mit einer Rentenpolitik kommt man zu einem halben Ergebnis. In der Steuerpolitik haben wir einen für die Kapitalgesellschaften bemerkenswerten Fortschritt realisiert. Das haben wir auch überall lobend erwähnt. Aber der Mittelstand, auf den es ja auch ankommt, wird erst fünf Jahre später entlastet. Das führt eben mit der Mitbestimmungsdebatte zusammen zu einer gewaltigen Emotionalisierung, die der Bundeskanzler hätte voraussehen können.

    Wagener: Der Kanzler hat sich dennoch gestern weit vorgewagt und kund getan, dass bis zur nächsten Bundestagswahl die Arbeitslosenquote um die drei Millionen sein soll. Wie ist denn Ihre Prognose für die nächsten zwei Jahre?

    Von Wartenberg: Es wäre schön, wenn der Kanzler Recht behält. Wir arbeiten ja dran. Es liegt ja auch in unserem gemeinsamen Interesse. Wir sind ja nicht Wahlkampfgegner. Wir wollen ja, dass wir die Chancen jetzt nutzen, zu einem vernünftigen wirtschaftlichen Aufschwung beizutragen. Was ich am Kanzler gestern am erfreulichsten fand, dass er gesagt hat, in Zukunft können auch Themen diskutiert werden, die kontrovers sind. Das zeichnet ein Bündnis aus. Man kann nicht nur zusammenkommen und das unterschreiben, wo man gemeinsamer Meinung ist. Das ist dann im Prinzip das Kommuniqué. Man muss auch mal festhalten, wo wir einen Dissens haben, wo eine Kontroverse ist. Erst mit dieser Debatte, die dadurch auch in der Öffentlichkeit transparent wird, kommt man zu einer besseren Meinungsbildung, die sich den marktwirtschaftlichen Entwicklungen eher anpasst. Das ist immerhin eine Zusage gewesen in der gestrigen Pressekonferenz, die anders war als noch das, was wir einige Tage vorher gehört hatten.

    Wagener: Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ludolf von Wartenberg, heute Morgen im Deutschlandfunk. - Danke für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio