Lange: Herr Schmoldt, das letzte Treffen war im Juli. Einen Termin für die nächsten Gespräche gibt es wohl noch nicht. Hat das Interesse der Regierung und der Arbeitgeber am Bündnis für Arbeit abgenommen?
Schmoldt: Davon kann man nicht ausgehen. Es zeigt eben nur, wie schwierig ein solcher Weg ist, den wir ja versuchen, im Rahmen unserer Konsensdemokratie zwischen unterschiedlichen Beteiligten zu Verabredungen zu kommen, wie wir unsere unbestreitbaren Probleme, die wir haben, einer gemeinsamen Lösung zuführen. Ich verstehe auch die Ungeduld nicht so ganz, denn das große Beispiel in den Niederlanden hat immerhin 1982 begonnen und hat viele Jahre gebraucht, bis es dann endlich auch durchgreifend Erfolg hatte und dass es sichtlich von allen Beteiligten akzeptiert wurde.
Lange: Inwieweit teilen Sie denn die Kritik der HBV-Delegierten, die ja auch lautet, es ist ein Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit gegen die Interessen der Arbeitnehmer. Die Sparpolitik der Regierung gehe nach wie vor zu Lasten von Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Rentnern.
Schmoldt: So etwas kann natürlich nur jemand formulieren, der geglaubt hat, dass wir im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit - so heißt es ja richtig, und es ist auch vernünftig, alle drei Punkte zu benennen und zu behandeln - unseren Wunschzettel abgeben und die Arbeitgeber und die Bundesregierung erfüllen das alles. Der ist natürlich enttäuscht, aber realistischerweise konnte davon niemand ausgehen.
Lange: Aber Sie selbst bemängeln ja auch, die Arbeitgeber hätten Zusagen bisher nicht eingehalten, es gebe zu wenig Neueinstellungen. Ist da nach zwei Jahren nicht der Moment gekommen zu fragen, ob dieses Bündnis dann doch der geeignete Rahmen ist, um die Interessen von Arbeitnehmern durchzusetzen?
Schmoldt: Herr Lange, wer aus diesem Bündnis aussteigt muss dann ja die Frage beantworten, wo er denn einsteigen will. Ich halte es geradezu für verrückt, dass wir als Gewerkschaften, nachdem wir dieses Bündnis für Arbeit gewollt haben, nachdem wir es auf dem Bundeskongress beschlossen haben, nachdem die Arbeitgeber alles versucht haben, das Bündnis zu zerstören und wir haben es bisher nicht zerstören lassen, selber diejenigen sind, die daran die Axt anlegen. Das ist verrückt. Das ist auch nicht zukunfts-bezogen.
Lange: Ein guter Teil der Diskussionen hat sich doch in den parlamentarischen Raum zurückverlagert: Arbeits- und Sozialrecht, Betriebsverfassungsgesetz, Rentenrecht. Das muss ja auch nicht unbedingt schlecht sein. Aber welche Funktion kann dort das Bündnis für Arbeit noch haben?
Schmoldt: Herr Lange, das muss auch so sein. Wir dürfen im Bündnis für Arbeit weder den Anspruch noch den Eindruck erwecken, dass wir Ersatzparlament oder Ersatzregierung oder Ersatztarifvertragsparteien sind. Die Aufgabe in diesem Bündnis ist es, gemeinsam Lösungsvorschläge zu entwickeln, die dem Land weiterhelfen und die Probleme helfen zu lösen. Dann müssen die jeweils Verantwortlichen - und ich habe gerade drei genannt - dieses umsetzen. Zu diesem Diskussionsprozess im Rahmen dieses Bündnisses gibt es keine Alternative.
Lange: Was sind denn die Themen, die demnächst im Bündnis für Arbeit vorab besprochen werden müssten?
Schmoldt: Wir hatten uns ja darauf verständigt, dass wir zwei Themenbereiche besonders intensiv bereden wollen. Nachdem es ja nun endlich gelungen ist, die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich nach oben zu bringen, sind die beiden nächsten Themenbereiche Qualifizierung, also der Weg zur Wissensgesellschaft, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben zu können, und der zweite Themenbereich ist, endlich einen Einstieg zu finden in die Beteiligung der Beschäftigten, der Arbeitnehmer in Unternehmensergebnissen und Unternehmenskapital. Das sind die beiden großen Themen.
Lange: Jetzt hat sich Arbeitgeberpräsident Hundt ja durchaus positiv über das Bündnis für Arbeit geäußert. Es habe geholfen, Verkrustungen aufzulösen. Sie haben selbst festgestellt, die Arbeitgeber hätten das Fass zum Platzen gebracht. Muss das Sie nicht misstrauisch machen, wenn die das jetzt so gut finden?
Schmoldt: Herr Lange, das würde ich so nicht sagen, denn auch die Arbeitgeber sind inzwischen intelligent genug, und gerade Herr Hundt, zu wissen, dass wir in Deutschland - und das ist nun mal auch ein Ergebnis unserer sozialen Marktwirtschaft - solche Gesprächsrunden brauchen, um dem Land zu helfen, ein paar Probleme zu lösen. Andere Länder haben andere Mittel, aber wir sind hier durchaus vergleichbar mit den Niederländern und die haben ein sehr erfolgreiches Bündnis auf den Weg gebracht. Wir haben immer gesagt, das sei unser Beispiel, und nun darf man nicht zu schnell den Atem verlieren.
Lange: Kommen wir auf die Kritik der HBV zurück. In Zeiten, als die Konjunktur nicht gut lief, haben die Gewerkschaften Zugeständnisse gemacht. Jetzt läuft die Konjunktur gut, und jetzt sieht es so aus, als ob die Gewerkschaften davon nichts abbekommen. Da ist doch auch ein bisschen was dran?
Schmoldt: Das ist ja auch meine Kritik, dass die Arbeitgeber eben noch nicht die notwendige Einstellungsoffensive fahren. Da muss man die Arbeitgeber dann auch dazu entsprechend bringen. Nur ich weis nicht, wie die HBV es schaffen will, die Arbeitgeber zu dem eigentlich notwendigen Handeln zu bewegen, wenn nicht über solche Bündnisgespräche. Natürlich werden wir irgendwann in den Betrieben mehr an Druck entwickeln müssen, aber das alles kann kein Grund sein, sich aus dem Bündnis zu verabschieden.
Lange: Herr Schmoldt, der Fraktionschef der Grünen, Rezzo Schlauch, hat angeregt, angeschlagenen Betrieben für eine bestimmte Zeit Löhne unter Tarif zu gestatten. Sie haben das heftig kritisiert. Aber im Fall Holzmann ist doch nichts anderes geschehen. Ist das für Sie ein Sündenfall?
Schmoldt: Nein. Wenn er das nur angeregt hätte, wäre es ja auch in Ordnung. Außerdem würde das unseren Tarifverträgen entsprechen, die wir schon seit vielen Jahren haben. Der Fraktionsvorsitzende hat leider etwas anderes vorgeschlagen. Er hat vorgeschlagen, die Tarifautonomie zu unterhöhlen, anzukratzen und am Ende natürlich abzuschaffen. Dagegen werden und müssen die Gewerkschaften sich wehren. Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir tarifvertraglich diese notwendige betriebliche Flexibilität auf den Weg bringen und die Betriebsparteien dann auch den entsprechenden Spielraum haben, in solchen von Ihnen gerade geschilderten Situationen zu handeln. Deshalb darf man aber die Tarifautonomie nicht antasten.
Lange: Kann es sein, dass die Empörung der Gewerkschaften auch deshalb so besonders heftig ist, weil sie diesen Vorstoß gerade aus der Richtung nicht erwartet haben?
Schmoldt: Es ist natürlich schon etwas erstaunlich, dass gerade die Grünen sich dieses Themas bemächtigen. Das war ja bisher die Spezialität der FDP und von Herrn Henkel. In der Vergangenheit haben die Grünen sich sehr wohl zur Tarifautonomie und zur Koalitionsfreiheit bekannt. Das muss nachdenklich stimmen, wenn es offenbar nun bei den Grünen solch wirtschaftsliberale Vorstellungen gibt, die weder sage ich mal zu der Partei passen und schon gar nicht in diese Regierungskoalition.
Lange: Angenommen die Arbeitgeber und die Wirtschaft kommen Ihrer Forderung nicht nach und schaffen nicht mehr Stellen, es bleibt bei diesen vielen Überstunden, können Sie sich vorstellen, dass dann auch für Sie irgendwann einmal das Ende der Bescheidenheit gekommen ist, dass man dann sagt, dann wollen wir jetzt aber auch unseren Teil an dem Produktivitätsfortschritt in Mark und Pfennig bekommen?
Schmoldt: Herr Lange, ich kann nicht erkennen, dass wir bescheiden waren. Wir waren mit Sicherheit verantwortungsbewusst.
Lange: Aber Sie waren immer etwas bescheidener als die Kollegen von der IG Metall?
Schmoldt: Das würde ich nicht sagen. Wenn Sie sich unsere Tarifverträge ansehen und bewerten, sind sie materiell mindestens genauso gut wie die der IG Metall, im großen und ganzen sogar noch besser. Zum zweiten kann man die Frage der Überstunden tarif-vertraglich klären. Da haben wir einen Tarifvertrag, dass Überstunden grundsätzlich in Freiheit zu gewähren sind. Das hat uns geholfen, das Ausmaß der Überstunden deutlich zu reduzieren, um mehr als die Hälfte. Das können andere Bereiche und Branchen natürlich auch machen. Wenn die Arbeitgeber sich wirklich nicht bewegen, dann wird man mit ihnen darüber reden, was das für Konsequenzen hat. Wir haben wieder Tarifrunden im Jahre 2002. Wir werden zu neuen Bündnisrunden zusammenkommen, um dort Verabredungen zu treffen. So kleinkariert und engstirnig können die Arbeitgeber ja nicht sein zu glauben, dass sie überhaupt nichts leisten müssen und nur immer den anderen beiden, nämlich der Regierung und den Gewerkschaften, etwas abfordern können.
Lange: Wie lang ist Ihr Atem? Was ist Ihre zeitliche Perspektive? Wann muss sich dort etwas tun, damit Sie auch diese Bündnisgespräche vor Ihren eigenen Mitgliedern vertreten können?
Schmoldt: Im Frühjahr muss deutlich erkennbar sein, dass sich auch der Arbeitsmarkt belebt. Im Frühjahr wird es ja auch die nächste Bündnisrunde geben. Insoweit ist das eine gute Gelegenheit, dann auch die Erfolge zu überprüfen und dann auch Rechenschaft abzulegen.
Lange: Inwiefern kann die Debatte um das Betriebsverfassungsgesetz diese Bündnisgespräche gefährden?
Schmoldt: Wenn die Arbeitgeber darauf bestehen, dass es ein Bündnisthema wird, und zwar in dem Sinne, dass im Bündnis dazu konkrete Vorstellungen und Vorschläge entwickelt werden, dann ist das eine sehr große Belastung. Wenn es lediglich darum geht, auch im Bündnis für Arbeit darüber zu reden, weil es ja ein Thema ist, dem auch wir mit Recht eine große Bedeutung zumessen, dann ist das mit Sicherheit keine Belastung fürs Bündnis.
Lange: Ich weis nicht ob in den Bündnisgesprächen, aber Sie verlangen, dass die Arbeitgeber durchaus auch einen Teil der privaten Rentenvorsorge mittragen sollen. Auch das ein Thema für die Bündnisgespräche?
Schmoldt: Das denke ich gehört dahin, zumal wir ja über die Renten und auch über die Steuerreform im Bündnis geredet haben. Diese Thema Aufbau einer eigenen, kapital-gedeckten Altersvorsorge, ist ja auch in einem thematischen Zusammenhang mit der Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmenserfolg, am Unternehmenskapital. Insoweit ist das ein Thema, das dort hingehört.
Lange: Können Sie in dieser Frage mit der Unterstützung von Arbeitsminister Walter Riester rechnen?
Schmoldt: Davon gehe ich fest aus. Walter Riester hat ein hohes Interesse daran, dass diese Säule aufgebaut wird. Walter Riester wird uns mit Sicherheit unterstützen, wenn wir die Arbeitgeber in dieser Frage auch zu einer Finanzierung heranziehen, die für mich ganz selbstverständlich ist. Sie sparen nicht nur in der absoluten Höhe der Sozialversicherungsbeiträge, sondern sie sparen ja auch für diese vier Prozent, die es hinterher einmal sein werden, die Sozialversicherungsbeiträge. Die können sie durchaus den Arbeitnehmern freigeben. Das hilft den Arbeitnehmern, ihren Aufbau zu finanzieren.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. - Danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio