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"Bündnis für Erziehung muss auf breitere Beine gestellt werden"

Die SPD-Familienpolitikerin Nicolette Kressl hat kritisiert, dass Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ihren Vorschlag zu einem Bündnis für Erziehung zunächst nur mit den christlichen Kirchen beraten hat. Ziel des Bündnisses müssten alle gesellschaftlichen Gruppen sein, so Kressl.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Gestern rief Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein Bündnis für Erziehung aus. Gemeinsam mit Vertretern der beiden großen christlichen Kirchen beriet sie über Möglichkeiten, Kindern wieder eine stärker werteorientierte Erziehung zu vermitteln. Kritiker aus muslimischen und jüdischen Organisationen bemängelten, nicht eingeladen worden zu sein. Und auch Erziehungsverbände und die Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft äußerten Unverständnis über das Treffen der Ministerin allein mit den Kirchenvertretern. Von der Leyen selbst verteidigte ihre Entscheidung. Die großen Kirchen stellten nun einmal einen großen Teil der Kindertagesstätten in freier Trägerschaft. In einem zweiten Schritt, so die Ministerin, sollten zudem andere Gruppen hinzugezogen werden. Die CDU-Politikerin betonte aber auch - Zitat -, "unsere gesamte Kultur gründet sich auf die christliche Kultur". - Am Telefon ist nun Nicolette Kressl. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig unter anderem für die Bereiche Familie, Jugend, Bildung und Forschung. Finden Sie denn diesen Fokus auf christliche Werte, den Frau von der Leyen da gestern gezogen hat, in dem Bündnis für Erziehung gelungen?

    Nicolette Kressl: Den Fokus auf Werte wie Respekt, Achtung der Menschenwürde und Vertrauen halte ich für ganz wichtig. Aber Ziel des Bündnisses muss es natürlich sein, Eltern in ihrer Erziehungsarbeit zu unterstützen und das in alle gesellschaftlichen Gruppen zu tragen. Dabei muss schon deutlich werden, dass diese Werte eben nicht nur von den christlichen Kirchen getragen werden. Deshalb muss das Kind "Bündnis für Erziehung" auf wesentlich breitere Beine gestellt werden.

    Engels: Waren sie als SPD denn in die Vorbereitung dieses Bündnisses schon einbezogen?

    Kressl: Wir haben das Ziel, diese Erziehungsfähigkeit zu unterstützen von Eltern, im Koalitionsvertrag vereinbart, aber in die konkreten Vorbereitungen waren die Fraktionen insgesamt nicht einbezogen.

    Engels: Das heißt also diese Verengung auf christliche Werte, die jetzt einige bemängeln, das stößt durchaus auch auf Ihre Kritik?

    Kressl: Ich halte es nicht für so problematisch, dass wir sagen müssen, das Bündnis sei jetzt schon gescheitert, aber ich bin davon überzeugt, dass es wie gesagt sehr schnell auf breitere Beine gestellt werden muss, weil wir ja, wenn wir über Integrationsdefizite bei uns sprechen, sehen müssen, dass es eben nicht nur mit den christlichen Kirchen gelingen kann, diese Defizite aufzuheben.

    Engels: Frau von der Leyen hat aber angekündigt, erst im Herbst möglicherweise weitere Gruppen hinzuziehen zu wollen, dabei möglicherweise auch muslimische Verbände. Ist das die richtige Reihenfolge oder kommt das dann zu spät?

    Kressl: Sie hat angekündigt, formal, in das Bündnis die anderen Religionsgemeinschaften und zum Beispiel auch die Wohlfahrtsverbände im Herbst einzubeziehen. Ich hoffe aber sehr, dass sie sehr schnell jetzt auf die Verbände zugeht und mit ihnen bespricht, wie eine weitere Zusammenarbeit aussehen kann.

    Engels: Die Grünen fürchten schon eine neue Leitkultur-Debatte. Würden Sie das auch sehen?

    Kressl: Ich will nicht, dass wir jetzt dieses entstandene Bündnis schon im Vorfeld kaputt reden, weil das Ziel muss ja gemeinsam sein. Wie gesagt, ich hoffe, dass durch eine schnelle Einbeziehung von anderen Verbänden und Institutionen, die ja alle diese Werte auch mittragen, eine große Akzeptanz dann auch da sein wird.

    Engels: Wissen Sie denn schon, welche konkreten Instrumente in diesem Bündnis für Erziehung vorgesehen sind, möglicherweise ja auch Instrumente, die Geld kosten?

    Kressl: Zuerst wird es eine Wertedebatte geben. Ich halte es auch für wichtig, gemeinsam zu überlegen, wie diese Werte in der Gesellschaft wieder stärker verankert werden und damit Familien und Eltern auch weniger allein gelassen werden in der Vermittlung dieser Werte. Ich habe die ehemalige Vorsitzende der Ethikkommission aus dem Bundestag Margot von Renesse vor kurzem gesprochen, die mir beschrieben hat, dass Familien auch wirklich alleine gelassen werden. Wenn zum Beispiel in der Straßenbahn ein Kind früher nicht aufgestanden ist, dann haben sehr viele sich darum gekümmert. Inzwischen sieht man, manchmal schert sich niemand mehr darum. Das sind so gesellschaftliche Debatten, die wir auch wirklich wieder anstoßen müssen.

    Engels: Ein zweites Thema, das neben dieser Problematik jetzt rund um dieses Bündnis für Erziehung angesprochen wird, ist das Dauerthema Erziehungsgeld. Da will ja die Koalition noch in diesem Monat ein Konzept vorlegen und Ursula von der Leyen wird in ihrer eigenen Fraktion zum Teil heftig angegangen wegen der Regelung, wonach möglicherweise auch Väter für mindestens zwei Monate die Haupterziehung übernehmen müssen. Sonst hat man keinen Anspruch auf die volle zwölfmonatige Förderung. Sie stehen in diesem Punkt hinter Frau von der Leyen. Wird sie sich denn da durchsetzen?

    Kressl: Ich gehe davon aus, dass die Kritiker auch sehr bald erkennen, dass es ja gar nicht darum geht, dass nicht zwölf Monate Elterngeld bezahlt werden wird, sondern dass es nur darum geht, dass die Lohnersatzleistung dann nicht zwölf Monate bezahlt wird. Der Sockelbetrag wird sicher für alle gleich bezahlt werden. Ich wünsche mir sehr und ich gehe eigentlich auch davon aus, dass klar ist, dass Frauen und Männer sich partnerschaftlich Erziehung teilen wollen. Das hat ja auch mit dem Thema von vorhin zu tun. Da hoffe ich sehr, dass wir da gemeinsam auch diese Partnermonate durchsetzen können.

    Engels: Wollen Sie denn dort jetzt noch eine Änderung, wenn Sie sagen, möglicherweise, der Sockelbetrag ist eh nicht betroffen, oder soll es doch schon so fixiert werden, diese zwei Monate soll der jeweils andere Partner sich um die Betreuung kümmern?

    Kressl: Es war nie so, dass es einen Zwang gab, dass der andere das tun muss, und es wäre auch keine Änderung zu sagen, diesen Sockel bekommen alle. Das war von Anfang an so vorgesehen. Es geht darum, dass der Kern des Elterngeldes ja bedeutet, dass 67 Prozent des bisherigen Nettogehaltes bezahlt werden. Diese Lohnersatzleistung würde reserviert sein zwei Monate für den Vater, zwei Monate für die Mutter und das andere dann frei entscheidbar. Es geht da nun wirklich nicht um den Zwang und wir können auch in kein Gesetz - und werden das auch nicht tun - reinschreiben, dass der Vater oder die Mutter das tun muss.

    Engels: Nun halten Kritiker wie der Ministerpräsident Rüttgers oder auch CDU-Ministerpräsident Althaus dem entgegen, der Staat solle sich nicht einmischen, wer zu Hause auf die Kinder aufpasst.

    Kressl: Diese Kritik geht ja davon aus, dass es im Moment schon eine Wahlfreiheit gibt, wer denn sich um die Kinder kümmern will. Die Wirklichkeit ist ja anders. Wenn der Vater gerne auch eine Zeit zu Hause bleiben möchte, sind die Rahmenbedingungen im Moment sehr schlecht. Es fällt eine hohe materielle Leistung aus. Ich bin ganz sicher, dass wir das Gegenteil von dem, was die Kritiker behaupten, erreichen, nämlich durch das Elterngeld erreichen wir mehr Wahlfreiheit für die Entscheidung, wer sich auch eine Zeit lang zu Hause um das Kind kümmern kann.
    Der sechs Monate alte Hans schaut vor dem Berliner Reichstag aus seinem Kinderwagen.
    "Ziel des Bündnisses muss es natürlich sein, Eltern in ihrer Erziehungsarbeit zu unterstützen und das in alle gesellschaftlichen Gruppen zu tragen." - Nicolette Kressl (AP)