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Bündnis90/Die Grünen
Von Selbstzweifeln keine Spur

Die kleinste Bundestagsfraktion zu werden, war für die Grünen ein Dämpfer. Doch sowohl in Europa als auch in den Bundesländern feiert die Partei Erfolge. Deshalb bemüht sie sich, den anstehenden Generationswechsel so behutsam wie möglich anzugehen - auch wenn die Grünen viele bekannte Gesichter verlieren werden.

Von André Bochow | 30.05.2014
    Simone Peter, die Kandidaten Sven Giegold und Rebecca Harms sowie Cem Özdemir. (v. l.) stehen nach der Europawahl auf der Bühne der grünen Wahlparty in Berlin und freuen sich über die erste Hochrechnung.
    Freude in der Parteispitze: Simone Peter, die Kandidaten Sven Giegold und Rebecca Harms sowie Cem Özdemir bei der ersten Hochrechnung der Europawahl. (v. l.) (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    "Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten. Sie haben sich ja gar nicht verändert. Oh, sagte Herr K. und erbleichte."
    Mit diesen Worten Bertold Brechts leitet die langjährige Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, ihren Abgang von der Parteispitze ein. Es ist der 19. Oktober 2013. Ein Sonnabend. Die Bundestagswahl liegt noch keine vier Wochen zurück. Die Spannung in der Berliner Radsporthalle Velodrom ist groß. Roth ist erstaunlich gefasst. Ihre letzten Worte an die Delegierten entlehnt die ehemalige Managerin der Band "Ton, Steine, Scherben" einem Lied der "Toten Hosen."
    "Auf Wiedersehen. Die Zeit mir euch war wunderschön. Es ist wohl besser jetzt zu gehen. Ich will keine Träne sehen. Schönen Gruß. Und auf Wiedersehen."
    "Erst mal ist das schon ein wahnsinniger Schnitt. Sie müssen sich überlegen: Zwölf Jahre immer auf der Überholspur. Zwölf Jahre immer online. Zwölf Jahre immer sozusagen im Kampfmodus."
    Wenige Tage vor dem Länderrat am Sonnabend, den die Grünen auch "Kleiner Parteitag" nennen, sitzt die 59-Jährige in ihrem Bundestagsbüro mit dem wunderbaren Blick auf die Reichstagskuppel. Um den Länderrat müssen sich andere kümmern. Claudia Roth ist jetzt Vizepräsidentin des Bundestages. Die Größe des Arbeitszimmers entspricht der Würde ihres Amtes. Aber es ist auch ein Claudia-Roth-Zimmer. Einen alten, aufgearbeiteten großen Holztisch umstehen schöne verschiedenfarbige Stühle. Überhaupt zeigt der Raum die Farbenliebe seiner zeitweiligen Bewohnerin. Claudia Roth genießt längst ihren neuen Job. Außerdem freut sie sich an diesem Montag nach der Europawahl über das Abschneiden ihrer Partei. Sie meint, dass die Grünen – anders als bei der jüngsten Bundestagswahl – mit dem überzeugen konnten, was Politiker Inhalte nennen.
    "Also das Thema TTIP, Freihandelsabkommen, war ein richtig großes Thema. Da waren die Veranstaltungen knackevoll. Und bei Weitem nicht nur von grünen Anhängern. Das Thema Klimawandel, das bewegt die Menschen. Und die Menschen sagen auch - Moment mal, wie will ich das denn im kleinen Nationalstaat regeln? Das geht doch gar nicht. Oder Gen-Technik."
    Die Ex-Vorsitzende kommt schnell in Fahrt. Es gibt aus ihrer Sicht eine Menge, wofür die Grünen stehen. Dabei ist es eigentlich nur ein paar Monate her, dass die Partei in der Wählergunst regelrecht abstürzte. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima lagen die Grünen 2011 in den Umfragen bei 28 Prozent der Stimmen und vor der SPD. Von Volkspartei war damals die Rede und von einem eigenen Kanzlerkandidaten. Im September des vergangenen Jahres holten die Grünen dann zwar ihr drittbestes Ergebnis bei Bundestagswahlen, aber die 8,4 Prozent verstanden alle trotzdem als schwere Niederlage. Verbotsdebatten, Steuerdebatten und Pädophiliedebatten wurden als Gründe dafür ausgemacht.
    Claudia Roth wurde mit Reden und filmischen Erinnerungen verabschiedet.
    Claudia Roth bei ihrer Verabschiedung. (picture alliance / dpa Bernd von Jutrczenka)
    Keine einsamen Streiter
    Andere machten den wirklichen und vermeintlichen Linksruck der Partei verantwortlich: Denn viel zu sehr sei im Wahlkampf das Thema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt gestellt worden, sagen Parteienforscher. Dafür sei aber die Ökologie viel zu kurz gekommen. Das sehen manche bei den Grünen ähnlich. Aber bei Weitem nicht alle. Schon gar nicht der ewige Vordenker der Grünen, Jürgen Trittin. In seinem recht bescheidenen Arbeitsraum schüttelt der ehemalige Fraktionschef zu solchen Thesen den Kopf.
    "Man darf, weder im Guten noch im Schlechten, Ökologie und Gleichheit trennen. Weil: Das ist der bequemste Weg, die Ökologie abzuschießen."
    Und weil das doch etwas abstrakt klingt, beschreibt Trittin die Fallstricke eines Irrglaubens.
    "Ökologie, das ist etwas für Latte-Macchiato-Säufer, besserverdienende Gutmenschen im Prenzlauer Berg. Aber der arme Arbeiter, der hat damit ja nichts am Hut, und der prekarisierte Migrant schon gar nicht."
    Schräg gegenüber von Trittins Schreibtisch hängt ein Bild von Clint Eastwood aus dem Sergio Leone-Western "Eine Handvoll Dollar". Ein Geschenk seiner Frau. Trittin erzählt gern, dass der Film auf einen japanischen Samurai-Film zurückgeht. Vor Analogien sollte man sich aber hüten. Auch wenn der einstige Bundesumweltminister nie die Beliebtheitsgrade einer Claudia Roth erreicht hat, war er keineswegs der einsame Streiter, sondern der unumstrittene Spitzenkandidat der Grünen. Zusammen mit Katrin Göring-Eckardt – bestimmt von der Basis per Urwahl. So wie Roth und der weibliche Teil der Fraktions-Doppelspitze Renate Künast, trat auch Trittin im vergangenen Herbst zurück. Die These, dass die Grünen im Bundestagswahlkampf die falschen Themen bedient hätten, relativiert er.
    "Ich glaube, dass heutzutage kaum eine große Partei ein Thema in einem Wahlkampf setzen kann. Vielleicht abgesehen von solchen Kampagnen, die dezidiert an niedere Instinkte appellieren. Die CSU hat das zum Jahreswechsel mit den angeblichen Sozialbetrügern so praktiziert. Aber ansonsten müssen sich Parteien in Wahlkämpfen auf das einstellen, was medial gesetzt wird an Themen. Und die waren an den Themen ökologische Transformation, Energiewende relativ wenig interessiert."
    Grüne-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt
    Grüne-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt (dpa / Christian Charisius)
    Hoffnung und Enttäuschung
    Das zumindest hat sich ein wenig geändert. Dank einer allmählich erstarkenden Protestbewegung, die von parteiunabhängigen Mobilisierungsorganisationen wie zum Beispiel von "Campact" angeführt wird. 1,3 Millionen Menschen haben sich im Campact-Netzwerk organisiert. Proteste gibt es zu verschiedenen Themen. Den Anfang machen Internet-Petitionen; doch dabei soll es nicht bleiben. Am 10. Mai demonstrieren in Berlin 12.000 Menschen auf den Straßen und auf der Spree für die Rettung der Energiewende. Am Ende ziehen die Demonstranten vor das Konrad-Adenauer-Haus, die Parteizentrale der CDU. Die Kanzlerin-Partei gilt den Demonstranten als Hauptfeindin der Energiewende. Die Bands "Revolverheld" und "Seed" spielen vor einer bunten Menge. Viele sind ernsthaft besorgt.
    "Ich sehe die Zukunft der Windkraft im Moment als sehr gefährdet an. Weil zu viel Unklarheit ist, zu viel Unsicherheit und es keine klaren Richtlinien für die Zukunft geben wird."
    Jan Teut plant Windkraftprojekte. Es geht ihm durchaus um die Umwelt. Aber auch um seine Firma. Er hofft für die Zukunft auf die Grünen. Antje Kirchner, Antibraunkohlekämpferin aus der Lausitz, hat eher ambivalente Gefühle gegenüber der grünen Partei.
    "Die grüne Partei ist leider enttäuschend für mich, weil sie hat ja für den Jugoslawienkrieg gestimmt und hat auch bei Afghanistan nicht unbedingt dagegen geredet. Ist sicherlich für uns in der Lausitz sicher erst einmal die Pro-Partei, weil sie auch gegen neue Tagebaue sind und gegen die Verockerung der Spree. Aber auf dem internationalen Parkett oder auf dem bundesweiten Parkett spielen sie nicht die Rolle, die ich haben möchte."
    Diese dezidiert linke Haltung einer ehemaligen Wählerin wird den Grünen nicht mehr schaden. Die meisten Parteimitglieder und Wähler sind zufrieden mit der realpolitischen Ausrichtung in Außen-und Militärpolitik. Aber machen möglicherweise gesellschaftliche Bewegungen – wie Campact - die Grünen überflüssig? Jürgen Trittin glaubt das ganz und gar nicht.
    "Auch die großen Demonstrationen gegen die Laufzeitverlängerung sind immer von einem breiten politischen Spektrum getragen worden. Gelegentlich würde man sich von den Bewegungen schon ein höheres Bewusstsein darüber wünschen, welche Partei dann am meisten zu solchen Demos, die sie mit veranstalten, mobilisiert. Das sind die Grünen."
    Tatsächlich aber haben es die Grünen seit dem 22. September schwer, wahrgenommen zu werden. Die kleinste Partei im Bundestag hat gerade als einzige gegen die Rentenbeschlüsse der Großen Koalition gestimmt. Aber wenn es um die Krise in der Ukraine geht, dann wirken die Grünen angesichts der Russlandversteher aus der stärksten Oppositionskraft, der Linkspartei, wie ein Anhängsel der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD. Annalena Baerbock, die einzige grüne Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg, versucht da etwas gerade zu rücken.
    "Es gibt ja jetzt gerade mit Blick auf unsere neue Fraktions-und Parteiführung so den Vorwurf: Na ja, wofür stehen die Grünen denn überhaupt noch? Sind die noch sichtbar? Wenn die Themen Energiepolitik von der SPD und Gabriel so stark übernommen wurden. Ich finde, man muss da schon noch einmal überdenken, dass dieser Vorwurf nicht neu ist. Der ist nicht erst gekommen, seit Jürgen Trittin und Renate Künast nicht mehr Fraktionsvorsitzende sind, sondern der stand eigentlich schon seit dem Atomausstieg und nach Fukushima im Raum. Und dass man das in der Diskussion auseinanderhält, dass das parallele Prozesse bei uns sind. Was kommt nach dem Atomthema als großes Thema für die Grünen? Und dass das nicht zeitgleich mit dem Generationswechsel bei uns in der Partei und der Fraktion zusammenfällt."
    Keine verletzende Auseinandersetzung
    Die 33-jährige Annalena Baerbock ist personifizierter Teil des Generationswechsels bei den Grünen. Die dunkelhaarige junge Mutter einer zweijährigen Tochter hat auch als Bundestagsneuling wenig Hemmung, wenn sie im Plenum ans Rednerpult tritt. Ihr forscher Auftritt wird von einem bescheidenen Motto konterkariert, dass sie sich von den Xhosa, einem Volk in Südafrika, geborgt hat. Es lautet: "Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht dieser Welt verändern." Klingt vielleicht eher nach Claudia Roth als nach Jürgen Trittin, aber nicht unbedingt nach etwas ganz Neuem. Dass Baerbock, die in einem kleinen niedersächsischen Dorf Aufgewachsene, in das für Grüne eher unwirtliche Brandenburg zog und dort Politik machte, ist schon eher ein Novum für die stark westgeprägte Partei, deren Bündnis90-Anteil gern mal unter den Tisch fällt. Aber sonst? Ist sonst noch etwas anders an der nächsten grünen Generation? Es gibt weniger Grabenkämpfe zwischen den Parteiflügeln, sagt die Wahlpotsdamerin.
    "Und wir Jüngeren schleppen auch nicht dreißig Jahre innerparteiliche Auseinandersetzungen mit zum Teil auch persönlichen Verletzungen mit uns herum, sondern viele kennen sich auch aus der Jugendorganisation, wo man intensiv diskutiert hat und danach gemeinsam Bier getrunken hat."
    Und noch etwas ist neu. Die Grünen sind nicht mehr im Bund, sondern in den Ländern stark. In sieben Bundesländern regieren sie mit. Den Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit ernten nicht die Bundes-, sondern die Landespolitiker. Annalena Baerbock:
    "Wir hatten vorher noch nie einen grünen Ministerpräsidenten, wir haben noch nie in so vielen Ländern mitregiert. Und ich finde das auch als Bundespolitikerin wahnsinnig bereichernd, weil Bundespolitik oft abstrakt ist. Und deswegen ist es, glaube ich, für uns als Partei auch sehr wichtig, dass wir durch unsere Regierungsbeteiligung in so vielen Ländern deutlich machen: Was bedeutet das eigentlich für das Zusammenleben vor Ort, wenn Grüne mitregieren."
    Macht aus den Ländern
    Besonders stark sind die Grünen in Baden-Württemberg. Fritz Kuhn ist Oberbürgermeister in Stuttgart, Boris Palmer in Tübingen, Dieter Salomon in Freiburg und die grün-rote Landesregierung führt seit 2011 Winfried Kretschmann an. Kretschmann ist so sehr Realpolitiker, dass die CDU im Ländle sich um die Rückkehr zur Macht sorgt, wenn der 66-Jährige bei der nächsten Landtagswahl erneut antreten sollte. Kürzlich reiste der grüne Ministerpräsident nach Berlin. Auf einer Pressekonferenz ließ er die Länder-Muskeln spielen – nicht der Bundesregierung, sondern seinen eigenen Leuten gegenüber:
    "Ich denke, wir konnten heute noch einmal deutlich machen, dass wir in sieben Ländern mitregieren, in einem sogar die Regierung führen. Im Bund ist die Situation natürlich anders. Dort sind wir die kleinste Oppositionsfraktion im Bundestag. Und ich glaube, es ist ein Anliegen der Gesamtpartei, dass wir die tatsächliche Stärke, die wir haben, in dem wir eben in einem Großteil von Ländern mitregieren, dass wir die auch zum Tragen bringen."
    Winfried Kretschmann, Grüne, Ministerpräsident in Baden-Württemberg
    Winfried Kretschmann bringt als erster grüner Ministerpräsident ein großes Selbstbewusstsein mit. (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Die von Kretschmann offenbar als mäßig bedeutend betrachtete grüne Bundespolitik wird in der Fraktion von Katrin-Göring Eckardt und von Anton Hofreiter geleitet. Vor allem der Biologe und Verkehrsexperte aus Bayern muss zu Beginn der Legislaturperiode einiges ertragen. Früher ging er als Original mit hochgelobtem verkehrspolitischen Expertenwissen durch, jetzt muss Hofreiter viel Häme einstecken. Weil plötzlich seine Haarlänge ein Thema ist. Weil er kein guter Redner ist. Und weil alle an Jürgen Trittin denken, wenn er über die Ukraine spricht. Das muss man aushalten, sagt Hofreiter tapfer. Und dass das Machtzentrum der Grünen in die Länder verlagert wird, glaubt er nicht. In welches Land denn?
    "Selbstverständlich ist ein Ministerpräsident in Baden-Württemberg, auf Baden-Württemberg bezogen, weitaus mächtiger als eine kleine Opposition in Deutschland, auf Deutschland bezogen. Aber das Machtzentrum für die bundespolitische Politik hat sich nicht verlagert. Das ist selbstverständlich weiter in Berlin. Das möchten auch die Länder gar nicht anders."
    Wenn Hofreiter in die Zukunft blickt, bemächtigt sich seiner eine gehörige Portion Kühnheit. Anfangsschwierigkeiten hin oder her – am Ende der Legislaturperiode sieht er die bundespolitische Abteilung seiner Partei auf einem steilen Weg nach oben.
    "Ich sehe die Grünen als die führende Kraft der Opposition, die eine klare Alternative zu einer zukunftsvergessenen und im Populismus der Gegenwart verharrenden Regierung geschaffen hat. Ich sehe die Grünen als potenziellen Regierungspartner, dem es gelungen ist, sich sehr, sehr selbstbewusst und selbstständig zu positionieren."
    Außerhalb des Raumschiffes Bundestag sehen viele die Lage weniger visionär. Beim Kiezfest der Grünen aus Berlin Pankow steht eine junge Frau an der Luftballon-Aufblas-Gasflasche und erklärt die grüne Welt nach der Wahlniederlage vom 22. September so.
    "Ich glaube, das Gute ist, dass jetzt die Erwartungen so gering sind. Jetzt kann man einfach mal so machen. Mal Ausprobieren. Das ist ganz gut."
    Das kleine Fest ist eine Wahlkampfveranstaltung auf dem Kollwitzplatz. Der wiederum ist eigentlich ein Symbol für Gentrifizierung. Dass die Grünen unter den gut betuchten, meist in Westdeutschland geborenen Bewohnern der sanierten Altbauviertel Berlins eine besonders treue Wählerschaft haben, kann man der Statistik entnehmen. Im Europawahlkampf macht auch Cem Özdemir eine Ausnahme und schaut auf dem Kollwitzplatz vorbei – obwohl Sonntag ist.
    "...und ich habe eine Vereinbarung: Sonntags ist eigentlich politikfrei. Aber nachdem er gesagt hat, wer das veranstaltet – und dass das ihr seid, die hier der netteste KV..."
    Özdemir ist nach der Bundestagswahl nicht vom Parteivorsitz zurückgetreten. Auf dem Parteitag im Oktober des vergangenen Jahres spricht er davon, dass auch er Verantwortung für das schlechte Bundestagswahlergebnis trage. Worin die Verantwortung besteht, erfährt man allerdings nicht. Er wird mit 71,4 Prozent wiedergewählt. Ein Jahr zuvor waren es noch zwölf Prozentpunkte mehr. Aber auch Simone Peter, die Neue aus dem Saarland, wird mit nur knapp 76 Prozent Co-Vorsitzende. Mittlerweile führt das Duo die Partei für grüne Verhältnisse ziemlich unumstritten. Und weil bei der zurückliegenden Bundestagswahl die fehlende Machtoption allgemein als Übel ausgemacht wurde, wird nun häufig über künftige Regierungskonstellationen geredet. Rot-Rot-Grün scheint aus dem Rennen zu sein.
    "Es kommt gedanklich selbstverständlich vor. Ich sehe nur gerade, wie die Linkspartei sich entwickelt. Anstatt, dass sie sich ein bisschen zur gesellschaftlichen Mitte hin entwickelt, beispielsweise in der Außenpolitik Verantwortung übernimmt, tut sie sich ja nach wie vor schwer. Die Ideologie ist bei denen ja so stark, dass sie selbst bei einem Projekt, bei dem Chemiewaffen in Syrien beseitigt werden sollen, selbst da können die nicht zustimmen, weil das voraussetzt, dass das halt nicht Hanni und Nanni machen, sondern ausgebildete Soldaten natürlich logischerweise machen müssen."
    Die neue Führung der Grünen nach ihrer Wahl
    Simone Peter und Cem Özdemir kurz nach ihrer Wahl. (picture alliance / dpa Michael Kappeler)
    Müßige Farbenspiele
    Da auch Rot-Grün auf Bundesebene ein bisschen aus der Mode gekommen ist, bleibt das gerade in Hessen praktizierte Modell Schwarz-Grün. Immerhin haben die Sondierungen zwischen Union und Bündnisgrünen nach der Bundestagswahl ergeben: Im Prinzip würde es gehen.
    "Als Parteivorsitzenden freut mich das, wenn ich nicht sklavisch an die SPD gebunden bin. Jetzt kann man uns nicht vorwerfen, dass wir häufige Partnerwechsel begehen würden. Denn wir haben es jetzt dreimal mit der SPD versucht. Es hat dreimal nicht gereicht. Es ist häufig an der SPD gescheitert. An den mangelnden Prozenten. Insofern kann uns niemand vorwerfen, dass wir da untreu werden. Und wenn die SPD sagt, das hat für Rot-Grün nicht gereicht, deshalb machen wir eine Große Koalition, dann gilt dasselbe Recht auch für die Grünen, dann dürfen wir uns ebenfalls umschauen, ob es mit anderen Partnern reicht für grüne Politik."
    Claudia Roth, Özdemirs ehemalige Partnerin im grünen Führungsduo, will von solchen Überlegungen – vorsichtig ausgedrückt – nichts wissen.
    "Also ich muss Ihnen sagen, mir geht diese Debatte richtig auf den Wecker oder auf den Keks oder wie immer Sie es sagen wollen. Also wir haben jetzt 2014. Diese Bundesregierung ist noch nicht mal ein Jahr im Amt. Die fangen jetzt an, Reformen auf den Weg zu bringen, die nicht gut sind für unser Land. Und wenn es immer nur darum geht, mit wem man 2017 die Macht hat, ja was ist das denn für eine Reduzierung von Politik auf: Ich will die Macht."
    Aber wenn es nicht um die Macht geht, worum dann? Die Grünen haben sich immerhin den Green New Deal, die ökologische Umgestaltung der Industriegesellschaft, vorgenommen. Cem Özdemir zu der Frage, ob es sich dabei um eine historische Mission, als grünes Gegenstück zur von den Kommunisten favorisierten Historischen Mission der Arbeiterklasse handelt?
    "Also, es ist jedenfalls ein Projekt, das sicherlich weit über eine Generation hinausgeht. Und ich wüsste nicht, wer es besser machen kann als die Grünen. Umso ärgerlicher, dass wir jetzt nicht regieren."
    Daran, dass sich das ändert, arbeiten längst diverse Gesprächskreise. Vor allem zwischen Grün und Schwarz lebt der Gedankenaustausch stetig auf. Claudia Roth aber bleibt bei ihrem Urteil.
    "Das sind so politische Sandkastenspiele. Die bringen doch gar nichts. Also mit Politik punkten und nicht mit Farbdebatten."