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Angriff auf Lokalreporter in Bad Lobenstein
Von Reichsbürgern und Pressefreiheit

Ein Video, das einen Angriff auf einen Journalisten dokumentiert. Und ein Bürgermeister, der das Gezeigte abstreitet. Die Auseinandersetzung auf einem Fest in der thüringischen Kleinstadt Bad Lobenstein sorgt für Aufregung bis in die Bundespolitik. Und sie spielt auch in der Reichsbürgerszene.

23.08.2022
Der Marktplatz von Bad Lobenstein
Der Marktplatz von Bad Lobenstein - während eines Festes auf dem Platz hatte der Bürgermeister der Kleinstadt hier eine Auseinandersetzung mit einem Journalisten (picture alliance / dpa / Bodo Schackow)
Das Video ist nur 16 Sekunden lang. Es zeigt den parteilosen Bürgermeister der Stadt Lobenstein, Thomas Weigelt, wie er schnellen Schrittes vom Biertisch auf dem Marktplatz losgeht, den linken Arm ausgestreckt, auf die Kamera zustürmt. Dann verwackelt das Bild, man sieht mal ihn, mal den Journalisten, mal einen Dritten, der dabei zu Boden geht.
Angegriffen fühlt sich der Journalist Peter Hagen von der Ostthüringer Zeitung – kurz OTZ. Er hat Strafanzeige gegen den Bürgermeister gestellt, wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung. Ein Teil der Filmausrüstung sei zu Schaden gekommen. Hagen selbst will sich nun nicht äußern, da die Ermittlungen der Polizei laufen.

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Der Beschuldigte, Bürgermeister Weigelt, spricht, wörtlich, von einer Fehde, gegen ihn seit Beginn der Corona-Pandemie: "In dem letzten halben Jahr hat Herr Hagen einen regelrechten Feldzug gegen mich gestartet, hat mich in unzähligen Artikeln niedergeschrieben." Auf dem Marktplatz, am Stehtisch vor dem Bierwagen, habe er nur die Privatheit seiner Gäste vor der Bedrängung durch den Reporter schützen wollen.
"Er stürmte halt wieder auf uns, es wirkte bedrohlich-aggressiv. Ich hatte richtig Angst und bin dann vor den Tisch getreten, habe die Hände erhoben, bin einen Schritt auf ihn zugegangen, um ihn daran zu hindern, weiter auf den Tisch zuzugehen. Und dann ist er halt rückwärts gelaufen, oder irgendwie so mit jemandem zusammengestoßen, gestürzt. Das war natürlich sehr, sehr unglücklich. Tut mir auch sehr leid."
Das Video, das online steht, zeigt die Situation ganz anderes, nämlich als Angriff Weigelts auf den Reporter, der still stand und filmte.

Innenministerin Faeser verurteilt Übergriff

Für Tino Zippel, stellvertretender Chefredakteur der OTZ, ist das Verhalten des Bürgermeisters völlig unangemessen: „Unser Kollege befindet sich in ärztlicher Behandlung; ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Zum Glück ist nichts gebrochen, aber eine genaue Diagnose ist noch nicht gestellt. Klar, Journalisten sind immer der Kritik auch ausgesetzt, müssen sich beschimpfen lassen, gerade bei Corona-‚Spaziergängen‘ haben wir das erlebt. Aber, dass ein Amtsträger auf diese Art und Weise zur Eskalation beiträgt, haben wir noch nicht erlebt.“
Die Empörung in der Thüringer Landespolitik ist groß. Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken schrieb auf Twitter: „So etwas geht einfach gar nicht! Ein Bürgermeister greift einen Journalisten persönlich und körperlich an. Jetzt muss amtlich gehandelt werden und diese inakzeptable Handlung geahndet werden.“
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser verurteilt den Übergriff. Der Landrat des Saale-Orla-Kreises, Thomas Fügmann, schrieb auf Facebook: „Ein solches Verhalten eines Bürgermeisters, eines Wahlbeamten gegenüber einem Journalisten ist absolut inakzeptabel und wird juristische Konsequenzen haben. Ich fordere von Thomas Weigelt den sofortigen Rücktritt.“

Verband: „Das hat tatsächlich eine neue Qualität“

Gegen Weigelt laufe bereits ein Disziplinarverfahren, in das der Vorfall aufgenommen werde, teilte das Landratsamt als Aufsichtsbehörde weiter mit. Der Geschäftsführer des Thüringer Journalistenverbandes, Sebastian Scholz, sieht es ebenso:
„Wir sind ja leidgeprüft als Journalisten und immer wieder mit Angriffen, meist aus Demonstrationszügen heraus, konfrontiert. Aber, dass ein gewählter Amtsträger, ein Bürgermeister einer Stadt, auf Journalisten losgeht, das hat tatsächlich eine neue Qualität. Und wenn man sich die Reaktionen von Herrn Weigelt auf die Berichterstattung anschaut, dann ist jedem klar, dass dieser Mann nicht für sein Amt geeignet und nicht mehr tragbar ist.“

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Die Ostthüringer Zeitung werde die Entwicklungen um Thomas Weigelt weiter journalistisch begleiten, so Tino Zippel. „Uns ist wichtig, dass wir uns dadurch nicht einschüchtern lassen, sondern trotzdem weiter berichten. Sonst erreichen ja gerade die Kräfte, die gegen Meinungs- und Pressefreiheit sind, ihr Ziel. Und da gehört es halt auch dazu, dass man hinterfragt, warum in Bad Lobenstein zu einem Empfang des Bürgermeisters ein Mann auch eingeladen ist, der aus der Reichsbürgerszene stammt.“

Vorfall mit Vorgeschichte

Dem Geschehen auf dem Marktplatz war ein anderer Vorfall vorausgegangen. Am gleichen Tag hatte der Bürgermeister einen Empfang im Schloss von Bad Lobenstein gegeben. Dort hatte Peter Hagen, der nicht eingeladen war, die Frage nach dem Mann aus der Reichsbürgerszene gestellt:
„Eine Frage hätte ich: Wo liegen die Verdienste von Prinz Heinrich 13., der bei dem Verlag eingeladen ist?“ (Peter Hagen)
„Bitte verlassen sie das Schloss!“ (Thomas Weigelt)
Auch diesen gefilmten Vorfall stellt der Bürgermeister deutlich anders dar. Der Reporter sei aufdringlich und bedrohlich aufgetreten. "Und da ist dann eine Gegenreaktion da. Und die war halt nicht so gut."

Weigelt lehnt Rücktritt ab

Weigelt hatte erst vor wenigen Wochen ein Abwahlverfahren überstanden, weil zwar eine Mehrheit für sein Ausscheiden aus dem Amt zusammenkam, die nötige Mindestanzahl der Abstimmenden aber nicht erreicht wurde. Der Grund für das Abwahlverfahren waren verschwörungstheoretische Äußerungen des Bürgermeisters, mit denen er die Reichsbürgerszene bediente.
Auch nach dem Vorfall vom Wochende fühlt er sich im Recht: "Nein, ich möchte erstmal nicht zurücktreten." Ein Gespräch mit der Ostthüringer Zeitung, vielleicht auch mit einem Mediator, könne er sich aber gut vorstellen.