Gerd Breker: Mehrere gesetzliche Krankenkassen rechnen durch den 2009 startenden Gesundheitsfonds mit Beiträgen geradezu in Rekordhöhe für Millionen von Versicherten. "Ich halte einen bundesweit einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent für das Jahr 2009 für durchaus plausibel", sagt etwa der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse, Johannes Vöcking, heute in der "Süddeutschen Zeitung". Die Barmer ist die bundesweit größte Krankenkasse. Auch der Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, geht davon aus, dass 2009 eine 15 vor dem Komma bei den Krankenkassenbeiträgen stehen wird. (
MP3-Audio
, Beitrag von Melanie Hinter)
Die Studie, von der die Rede ist, stammt vom Institut für Gesundheitsökonomik in München. In Auftrag gegeben wurde sie von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der Chef dieses Instituts für Gesundheitsökonomik, der ist nun am Telefon. Guten Tag, Günter Neubauer!
Günter Neubauer: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: Herr Neubauer, das Bundesgesundheitsministerium spricht von unseriösen Mutmaßungen. Wir haben es gerade im Bericht gehört, unseriös und bewusst falsche Zahlen. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Neubauer: Dass die Schätzung, die wir vorgelegt haben, dem Ministerium nicht passt, kann man relativ gut daraus ableiten, weil es ja politisch verantwortlich ist für diese Entwicklung. Zum Zweiten: Unseriös stützt sich auf das Hauptargument vom Ministerium, dass wir 1,5 Milliarden Steuergelder, die ab 2009 dem Gesundheitsfonds zusätzlich zur Verfügung stehen, nicht eingerechnet hätten.
Breker: Haben Sie nicht?
Neubauer: Das haben wir auch nicht. Wir haben das aber deswegen nicht getan, weil wir bei den entsprechenden Faktoren, die die Ausgaben anheben, auch entsprechend vorsichtig waren, und sind davon ausgegangen, dass diese 1,5 Milliarden Steuerzuschüsse für den Fonds längstens aufgefressen werden von den Ausgaben, die wir nicht mal mit eingerechnet haben. Aber selbst wenn man das mit einrechnen würde, würde die Schätzung nicht bei 15,5, sondern bei 15,35 liegen. Also die Richtung bliebe die gleiche, und der Ausgabenanstieg wäre nach wie vor politisch nicht angenehm.
Breker: Herr Neubauer, nun ist ein weiterer Vorwurf, Sie hätten nicht bedacht, dass die Konjunktur so gut laufe, wie sie nun gerade läuft, und dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ebenfalls zunimmt. Was sagen Sie dazu?
Neubauer: Das ist so nicht zutreffend, denn wir haben schon bei den Einnahmen eine höhere Einnahme geschätzt als das Ministerium selbst. Wir gehen von einem Prozent Zuwachs aus. Das Ministerium selbst schätzt nur 0,64 Prozent. Dann müsste man natürlich auch die Schätzung vom Ministerium, die bei 0,64 liegt, als unseriös einstufen.
Man muss einfach dazu sagen: Jede Schätzung, die der Zeit vorausgeht, hat natürlich einen bestimmten Unschärfebereich, denn erst wenn man die Fakten kennt, kann man nachblickend exakt berechnen. Aber deswegen können wir nicht auf Schätzungen verzichten. Die sollen ja gerade dazu da sein, Entwicklungen, die man nicht will, verhindern zu können frühzeitig.
Breker: Herr Neubauer, Sie sprechen von Unschärfe. Das könnte man auch Fehlerquotient nennen. Wo würden Sie denn den Fehlerquotienten bei Ihrer Studie sehen?
Neubauer: Ich muss vielleicht anders herum ausholen: Es gibt zwei verschiedene Ansätze, einmal wie der Beitragsbedarf wäre, wenn man all die Forderungen auch nur annähernd berücksichtigen würde, die auf dem Tisch liegen. Beispielsweise: Die niedergelassenen Ärzte gehen davon aus, dass sie einen Honorarrückstand von sieben bis acht Milliarden haben. Wir setzen an, dass 2,5 Milliarden mehr Honorar mutmaßlich 2009 abgedeckt wird.
Die Krankenhäuser gehen davon aus, dass sie rund vier Milliarden unterfinanziert sind. Wir gehen davon aus, dass die Krankenhäuser 750 Millionen mehr an Mitteln erhalten. Das sind also so Angaben, wo man jetzt unterschiedlicher Meinung sein kann, denn die Politik hat es ja in der Hand, den Beitragssatz festzulegen, aber der Beitragssatz muss deswegen nicht den Bedarf abdecken. Wenn er das nicht tut, dann trifft das nicht nur Ärzte und Krankenhäuser, sondern auch Patienten, weil eben diese Ärzte und Krankenhäuser entsprechend weniger Mittel haben und sie weniger ausgestattet sind und auch weniger Personal vorhalten können.
Breker: Aber genau das hat ja die Politik, hat das Bundesgesundheitsministerium ja noch mal betont. Die Krankenkassen werden genau das bekommen, was sie benötigen, heißt es da.
Neubauer: Ja, und das ist auch ein guter Satz. Was sie benötigen, legt das Ministerium fest, und das ist ein politischer Vorgang. Wir wissen, dass vor Wahlen ein demokratischer Staat nicht in der Lage ist, Steuern zu erhöhen, und der Beitragssatz ist ganz ähnlich wie eine Steuer. Von daher muss man das einfach aus meiner Sicht auch bereits als Wahltaktik einschätzen. Ich vermute auch, dass im Jahr 2009 die Politik den Beitragssatz nicht so anhebt, wie er erforderlich wäre, was aber dann bedeutet, dass die Kassen schneller gezwungen werden, von den Versicherten direkt Beiträge einzuholen. Der Versicherte und die Patienten werden es letzten Endes doch bezahlen, auch wenn das Ministerium heute sagt, es wird alles so nicht kommen.
Breker: Nun sagt die bayerische Sozialministerin, man möge doch überlegen, ob man den Gesundheitsfonds nicht verschiebe. Würde das aus Ihrer Sicht, aus der Sicht des Wissenschaftlers, helfen?
Neubauer: Ich sage mal andersherum, auch wieder. Der Fonds ist nicht die Ursache, aber er löst das Problem auch nicht. Dann muss man sich doch fragen, warum man sich dieses bürokratische Ungetüm eines Gesundheitsfonds antut, der so viele Dinge verändert, ohne Probleme zu lösen. Da hat die Ministerin Recht, Verschieben und neu Nachdenken und am besten gar nicht mehr neu Auflegen wäre die richtige Lösung.
Breker: Der Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München Günter Neubauer war das im Deutschlandfunk. Herr Neubauer, danke für dieses Gespräch.
Neubauer: Danke auch. Wiederhören.
Die Studie, von der die Rede ist, stammt vom Institut für Gesundheitsökonomik in München. In Auftrag gegeben wurde sie von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der Chef dieses Instituts für Gesundheitsökonomik, der ist nun am Telefon. Guten Tag, Günter Neubauer!
Günter Neubauer: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: Herr Neubauer, das Bundesgesundheitsministerium spricht von unseriösen Mutmaßungen. Wir haben es gerade im Bericht gehört, unseriös und bewusst falsche Zahlen. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Neubauer: Dass die Schätzung, die wir vorgelegt haben, dem Ministerium nicht passt, kann man relativ gut daraus ableiten, weil es ja politisch verantwortlich ist für diese Entwicklung. Zum Zweiten: Unseriös stützt sich auf das Hauptargument vom Ministerium, dass wir 1,5 Milliarden Steuergelder, die ab 2009 dem Gesundheitsfonds zusätzlich zur Verfügung stehen, nicht eingerechnet hätten.
Breker: Haben Sie nicht?
Neubauer: Das haben wir auch nicht. Wir haben das aber deswegen nicht getan, weil wir bei den entsprechenden Faktoren, die die Ausgaben anheben, auch entsprechend vorsichtig waren, und sind davon ausgegangen, dass diese 1,5 Milliarden Steuerzuschüsse für den Fonds längstens aufgefressen werden von den Ausgaben, die wir nicht mal mit eingerechnet haben. Aber selbst wenn man das mit einrechnen würde, würde die Schätzung nicht bei 15,5, sondern bei 15,35 liegen. Also die Richtung bliebe die gleiche, und der Ausgabenanstieg wäre nach wie vor politisch nicht angenehm.
Breker: Herr Neubauer, nun ist ein weiterer Vorwurf, Sie hätten nicht bedacht, dass die Konjunktur so gut laufe, wie sie nun gerade läuft, und dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ebenfalls zunimmt. Was sagen Sie dazu?
Neubauer: Das ist so nicht zutreffend, denn wir haben schon bei den Einnahmen eine höhere Einnahme geschätzt als das Ministerium selbst. Wir gehen von einem Prozent Zuwachs aus. Das Ministerium selbst schätzt nur 0,64 Prozent. Dann müsste man natürlich auch die Schätzung vom Ministerium, die bei 0,64 liegt, als unseriös einstufen.
Man muss einfach dazu sagen: Jede Schätzung, die der Zeit vorausgeht, hat natürlich einen bestimmten Unschärfebereich, denn erst wenn man die Fakten kennt, kann man nachblickend exakt berechnen. Aber deswegen können wir nicht auf Schätzungen verzichten. Die sollen ja gerade dazu da sein, Entwicklungen, die man nicht will, verhindern zu können frühzeitig.
Breker: Herr Neubauer, Sie sprechen von Unschärfe. Das könnte man auch Fehlerquotient nennen. Wo würden Sie denn den Fehlerquotienten bei Ihrer Studie sehen?
Neubauer: Ich muss vielleicht anders herum ausholen: Es gibt zwei verschiedene Ansätze, einmal wie der Beitragsbedarf wäre, wenn man all die Forderungen auch nur annähernd berücksichtigen würde, die auf dem Tisch liegen. Beispielsweise: Die niedergelassenen Ärzte gehen davon aus, dass sie einen Honorarrückstand von sieben bis acht Milliarden haben. Wir setzen an, dass 2,5 Milliarden mehr Honorar mutmaßlich 2009 abgedeckt wird.
Die Krankenhäuser gehen davon aus, dass sie rund vier Milliarden unterfinanziert sind. Wir gehen davon aus, dass die Krankenhäuser 750 Millionen mehr an Mitteln erhalten. Das sind also so Angaben, wo man jetzt unterschiedlicher Meinung sein kann, denn die Politik hat es ja in der Hand, den Beitragssatz festzulegen, aber der Beitragssatz muss deswegen nicht den Bedarf abdecken. Wenn er das nicht tut, dann trifft das nicht nur Ärzte und Krankenhäuser, sondern auch Patienten, weil eben diese Ärzte und Krankenhäuser entsprechend weniger Mittel haben und sie weniger ausgestattet sind und auch weniger Personal vorhalten können.
Breker: Aber genau das hat ja die Politik, hat das Bundesgesundheitsministerium ja noch mal betont. Die Krankenkassen werden genau das bekommen, was sie benötigen, heißt es da.
Neubauer: Ja, und das ist auch ein guter Satz. Was sie benötigen, legt das Ministerium fest, und das ist ein politischer Vorgang. Wir wissen, dass vor Wahlen ein demokratischer Staat nicht in der Lage ist, Steuern zu erhöhen, und der Beitragssatz ist ganz ähnlich wie eine Steuer. Von daher muss man das einfach aus meiner Sicht auch bereits als Wahltaktik einschätzen. Ich vermute auch, dass im Jahr 2009 die Politik den Beitragssatz nicht so anhebt, wie er erforderlich wäre, was aber dann bedeutet, dass die Kassen schneller gezwungen werden, von den Versicherten direkt Beiträge einzuholen. Der Versicherte und die Patienten werden es letzten Endes doch bezahlen, auch wenn das Ministerium heute sagt, es wird alles so nicht kommen.
Breker: Nun sagt die bayerische Sozialministerin, man möge doch überlegen, ob man den Gesundheitsfonds nicht verschiebe. Würde das aus Ihrer Sicht, aus der Sicht des Wissenschaftlers, helfen?
Neubauer: Ich sage mal andersherum, auch wieder. Der Fonds ist nicht die Ursache, aber er löst das Problem auch nicht. Dann muss man sich doch fragen, warum man sich dieses bürokratische Ungetüm eines Gesundheitsfonds antut, der so viele Dinge verändert, ohne Probleme zu lösen. Da hat die Ministerin Recht, Verschieben und neu Nachdenken und am besten gar nicht mehr neu Auflegen wäre die richtige Lösung.
Breker: Der Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München Günter Neubauer war das im Deutschlandfunk. Herr Neubauer, danke für dieses Gespräch.
Neubauer: Danke auch. Wiederhören.