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Bütikofer warnt vor Radikalisierung der Arbeitsmarktdebatte

Burkhard Birke: Wir begrüßen Reinhard Bütikofer, den Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen. Schönen guten Morgen, Herr Bütikofer.

Moderation: Burkhard Birke |
    Reinhard Bütikofer: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Birke: Herr Bütikofer, BDI-Chef Rogowski fordert ja, die Unternehmen sollen Arbeitsplätze schaffen, während die Beschäftigten die soziale Sicherung und das Gesundheitssystem selber finanzieren sollen. Herr Straubhaar hat das grundsätzlich unterstützt, unterstützen Sie das auch als Idee?

    Bütikofer: Nein, ich glaube, manche denken, es wäre die Saison ausgebrochen für Modelle, wie man die Gesellschaft möglichst effektiv teilen kann. Meine Vorstellung von der Gesellschaft ist immer noch, dass es um die Teilhabe aller geht. Und wer von der Produktivität der Gesellschaft lebt, wer davon lebt, dass wir lange gut gefahren sind mit einem hohen Maß an sozialem Konsens und sich dann hinstellt, oben draufsetzt auf die Errungenschaften und vom Berg höhnisch herabschleudert, dass die, die dazu beigetragen haben, jetzt mal für sich selber sorgen sollen, der hat keine gute Vorstellung von einer demokratischen Republik.

    Birke: Herr Bütikofer, die Frage ist doch aber, ob wir uns dieses Niveau an Sozialleistungen noch leisten können?

    Bütikofer: Da haben Sie allerdings recht. Ich glaube, was im Moment passiert ist, dass zwei unterschiedliche Diskussionen in unzulässiger Weise vermischt werden. Ob wir uns die Regelungen, die wir bisher hatten, noch leisten können, ist eine sehr legitime Diskussion. Wenn wir zum Beispiel mal die Arbeitsmarktpolitik angucken, dann sagen ja wir auch als Grüne, dass wir nicht mehr wie bisher mit einem zweigeteilten System von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe fahren können, bei dem für die einen der Standard der Lebensstandardsicherung gilt und für die anderen gilt, "draußen vor der Tür", als Parole. Sondern dass wir hier zu einem gemeinsamen System der Existenzsicherung für alle kommen sollen, das dann verbunden ist mit immer wieder neuen Angeboten, um zurückzufinden in die Teilhabe an der Arbeit, an die Bildung et cetera. Insofern, die Diskussion ist legitim, die führen wir. Aber das wird nun mit Karikaturen vermischt, mit polemischen Karikaturen der Realität. Sie haben eben selbst in Ihrem Gespräch mit Herrn Straubhaar eine solche Karikatur benutzt und haben von der "absoluten Angleichung" gesprochen, ein solch irreales Ziel verfolgt niemand. Da wird das Ziel der Teilhabegesellschaft polemisch denunziert, um die Debatte zu radikalisieren.

    Birke: Wie weit muss denn die Angleichung gehen, wie weit können wir die uns denn leisten zwischen Ost und West?

    Bütikofer: Ich bin nicht sicher, dass das so geführt werden kann, die Diskussion, nach dem Motto, was können wir denn den Ossis abgeben? Denn das schwingt ja in so einer Frage mit.

    Birke: Aber die Solidarität, Herr Bütikofer, scheint doch an Grenzen zu stoßen, wenn auch immer mehr Westländerministerpräsidenten darauf hinweisen, wie viel in den Osten fließt und dass in Zukunft die Strukturfonds eben auch in strukturschwache Regionen, etwa hier in Nordrhein-Westfalen Gelsenkirchen mit 20 Prozent Arbeitslosenquote fließen sollten.

    Bütikofer: Dass die Solidarität an die Grenzen stößt, das erlebe ich und damit setze ich mich auseinander, weil ich glaube, unser Land hat insgesamt nur eine gute Chance, wenn es sich auch in Zukunft als ein solidarisches Land begreift. Was die Ministerpräsidenten betrifft, denen der Herr Bundespräsident Köhler mit seinem Wort vom Subventionsstaat eine sehr zweifelhafte Vorlage geliefert hat, weil er ihnen nämlich erlaubt jetzt sozusagen auf dem Thema herumzuhacken, der Osten, das sind die Kostgänger. Da muss man doch mal sehen, dass beispielsweise beim geltenden Länderfinanzausgleich sich die Westländer künstlich arm rechnen, indem die Finanzkraft der Kommunen nur zu zwei Dritteln angerechnet wird. Da erscheint Sachsen reicher, als es wirklich ist und Bayern ärmer. Wenn man guckt, wer wirklich Subventionen nicht abgebaut hat, ich will jetzt nicht mal über die Steinkohlesubvention reden, lassen Sie uns über die Agrarsubventionen reden, lassen Sie uns über die Eigenheimzulage, Pendlerpauschale reden, das sind ja die Westministerpräsidenten gewesen und das finde ich eine billige Diskussion, wenn man immer mit dem Finger auf den Osten zeigt.

    Birke: Vom Finanzausgleich, von den 15 Milliarden jährlich, fließen 13 in die neuen Länder, das nur nebenbei bemerkt. Aber Sie haben eben Herrn Köhler und die Haltung dazu angesprochen, der Bundeskanzler selbst hat ja gesagt, er habe nie festgestellt in seinen Gesprächen mit Köhler, dass es in Fragen der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West einen Mangel an Sensibilität des Herrn Bundespräsidenten geben könnte.

    Bütikofer: Das mag ja sein, dass er keinen Mangel an Sensibilität hat, aber er hat aus meiner Sicht das jedenfalls nicht gut getroffen, was er vielleicht sehr sensibel ausdrücken wollte. Meines Erachtens hat er mit dieser polemischen Parole von Subventionsstaat, die da den Ostländern aufgedrückt worden ist, eine schiefe Debatte aufgemacht.

    Birke: Das war Reinhard Bütikofer der Vorsitzende von Bündnis90/Die Grünen in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.