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Bulgarien
Harter Umgang mit Flüchtlingen fördert Menschenschmuggel

Weil Bulgarien für seinen schlechten Umgang mit Flüchtlingen bekannt ist, wollen die meisten von ihnen so schnell wie möglich wieder raus aus dem Land. Dafür heuern sie oft einen Schleuser an. Das Geschäft mit den Schicksalen der Menschen floriert - und wird auch von Grenzbeamten genutzt.

Von Tom Schimmeck | 06.11.2015
    Syrische Flüchtlinge in Sofia in einem Treppenaufgang
    Syrische Flüchtlinge in Sofia (dpa/picture alliance/Vassil Donev)
    "Wir sind alle Schleuser."
    "Hör auf, hör auf!"
    In Sofia sind manche Ganoven recht offenherzig.
    "Sind wir doch!"
    "Machst Du Witze?"
    "Nein Bruder. Genau das machen wir."
    "Die Situation ist gut für mich, weil ich Euros habe."
    In der Tsar-Simeon-Straße im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt stehen auffällig-unauffällig einige Männer herum. Die Ecke ist bekannt für spezielle Dienstleistungen. Dass ein Flüchtling, der genug zahlt, von hier aus weiterkommt über die nächste Grenze. Es ist ein Geschäft. Ein Mann, der wirkt, als hätte er hier etwas zu sagen, lehnt sich aus seinem Mercedes:
    "Hey Schwuchtel, sag ihm, er soll verschwinden."
    "He's he boss..."
    Nach dieser Intervention sind die anderen plötzlich sehr schweigsam.
    Razzien gegen illegale Migranten
    Immer wieder wird kolportiert, dass auch Beamte beteiligt sein müssten bei diesem Menschenschmuggel. Unter Grenzschützern hört man viel Unmut über schlechte Ausstattung, miserablen Lohn und monatelange Einsätze an entlegenen Grenzabschnitten. Krassimir Kanev, Direktor des bulgarischen Helsinki-Komitees:
    "Ja, so funktioniert es. Es wird viel geschmuggelt hier. Und viele Schmuggler sind Verwandte, Nachbarn oder Freunde von Grenzbeamten. Das ist eine organisierte Angelegenheit und die Grenzschützer sind beteiligt."
    Es ist ein Geschäft. Begünstigt auch durch den Umstand, dass Flüchtlinge das Land so schnell wie möglich durchqueren wollen. Bulgarien ist wegen seiner Lager und Flüchtlings-Haftanstalten berüchtigt. Als 2013 die erste große Flüchtlingswelle aus Syrien und dem Irak das Land erreichte, baute man eilig einen Zaun und schickte 1.500 zusätzliche Polizisten an die Grenze. Viel EU-Geld fließt in modernste Überwachungstechnik. Die derzeit aber streckenweise nicht funktioniert - weil Bulgarien angeblich nicht einmal den Strom für die Anlagen zahlen kann.
    Immer wieder gibt es Razzien gegen illegale Migranten. Bei einer landesweiten Aktion vor einer Woche wurden 495 Ausländer und 16 Schleuser festgenommen, so das bulgarische Innenministerium. Immer wieder auch wird von Zurückweisungen, Prügeln und Schüssen an der Grenze berichtet, sogenannten "Pushbacks". Obwohl dies nach EU-Recht verboten ist.
    "Bei solchen illegalen Aktivitäten sind Spannungen unvermeidlich. Es wird dann wichtig, wer wen bezahlt hat. Und wie man die bestraft, die nicht gezahlt haben. Deswegen gibt es diese Schießerei und die Misshandlungen an der Grenze. Viele Menschen werden an der Grenze misshandelt."
    Mitte Oktober wurde im Grenzgebiet unweit der Stadt Sredets ein afghanischer Flüchtling von einem Beamten erschossen. Der Beamte hatte mit Kollegen eine Gruppe von etwa 50 Flüchtlingen gestoppt. Angeblich hatte sich beim Abfeuern eines Warnschusses eine Kugel verirrt. Gewalt an der Grenze, sagt der Direktor des Helsinki-Komitees, sei keine Seltenheit:
    "Es wird auch auf Leute geschossen. Wir hatten mehrere Fälle, wo Menschen in einem Dorf in der Türkei umgebracht wurden. Ein Untersuchungsteam ist dort hingereist, um das zu überprüfen. Und es war offensichtlich, dass dort auf Menschen geschossen wurde und einige gestorben sind."
    Je höher der Fahndungsdruck, desto größer das Schleusergeschäft
    Offiziell ermittelt die Staatsanwaltschaft Burgas gegen den Grenzschützer. Rechte Gruppen demonstrierten spontan für den Beamten.
    "Bulgarien wird gerade angriffen. Es ist der Angriff einer illegalen Horde, die ungehindert unsere Grenze überquert. Ihr Ziel ist die Auswechselung der Bevölkerung Europas - mit islamischen Bewohnern."
    Bei solchen Gelegenheiten ist oft vom Untergang des Abendlandes und einer Invasion der Taliban die Rede. Die orthodoxe Kirche hat die Regierung aufgefordert, die muslimische "Invasion" zu stoppen.
    Je höher der Fahndungsdruck, desto größer das Schleusergeschäft. Seit der Grenzzaun zur Türkei hin wächst, beobachten die Behörden eine rapide Zunahme von verdeckten Einreisen - mit falschen Pässen oder in Verstecken. Vor einigen Tagen wurde am größten Grenzübergang, Kapitan-Andreewo, 129 Flüchtlinge in einem Kühllaster entdeckt. Fast die Hälfte waren Kinder.
    "Das wird von oben vertuscht. Das sind keine Einzelfälle. Wenn sie sich die Fälle Bulgariens vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof anschauen, finden sie eine Menge solcher Fälle, die von Ermittlern und Staatsanwälten vertuscht wurden."
    Zurück in der Tsar-Simeon-Straße. Im Lokal von Sardar Karkuki, einem irakischen Kurden mit schwedischem Pass, sitzen zwei Polizisten beim Mittagessen. Sie verabschieden sich mit Handschlag. Zahlen müssen sie nicht.