Mittwoch, 08. Mai 2024

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Bulmahn: Entscheidung muss immer auf Seiten der Eltern liegen

Engels: Ein altes Thema steht seit gestern wieder in der öffentlichen Diskussion. Es geht um die so genannte Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Diese Methode erlaubt es, nach einer künstlichen Befruchtung den Embryo auf mögliche Erbschädigungen zu untersuchen und das bevor er in die Gebärmutter eingesetzt wird. So können mögliche Erbkrankheiten schon erkannt werden, bevor das Kind ausgetragen wird. Das ethische Problem besteht darin, dass Ärzte vermeintlich kranke Embryonen aussortieren, sie also gar nicht die Lebenschance erhalten. Gestern hat sich der von Bundeskanzler Schröder eingesetzte nationale Ethikrat mehrheitlich dafür ausgesprochen, PID unter bestimmten Bedingungen auch in Deutschland zuzulassen. Doch die Kritikerstimmen sind zahlreich. Der Streit geht quer durch die Parteien. So sagte Gesundheitsexperte Wolfgang Wodarg von der SPD-Bundestagsfraktion gestern im Deutschlandfunk:

24.01.2003
    O-Ton Wodarg: Wir glauben, dass das, was der nationale Ethikrat jetzt vorgeschlagen hat, dass er also in Einzelfällen es doch zulässt, dass dies dazu führt, dass man sehr, sehr schwer Grenzen halten können wird. Ich glaube, dass bisher niemand die Diagnosen in einer Liste fixieren wollte ist ein Symptom dafür, dass jeder ganz genau spürt, dass die Menschen, die man dann nicht mehr möchte, die man als Embryonen schon töten darf, natürlich mit Behinderungen zum Teil leben und dass man ihnen begegnet und dass man ihnen dann auch ins Auge sehen muss. Die Ärzte behaupten jetzt, sie könnten nur nach ganz vereinzelten definierten Erbkrankheiten gucken. Aber die Praxis in den Vereinigten Staaten ist, dass dort routinemäßig 40 bis 60 verschiedene Tests angeboten werden, wo die Eltern dann langsam auch einen gewissen Garantieanspruch entwickeln können. Das führt in der Tat zu Menschenzucht.

    Engels: Mitgehört hat die Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn, ebenfalls von der SPD. Guten Morgen Frau Bulmahn!

    Bulmahn: Guten Morgen.

    Engels: Was halten Sie der Kritik Ihres Parteifreundes Wolfgang Wodarg entgegen?

    Bulmahn: Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass die Stellungnahme des nationalen Ethikrates sehr abgewogen ist und dass er durchaus die Argumente derjenigen, die jetzt die Stellungnahme des Ethikrates abgelehnt haben, auch aufarbeitet. Was aber Wolfgang Wodarg und auch die anderen Stellungnahmen teilweise nicht berücksichtigen ist, dass die Methode der Untersuchung heute bereits – und zwar schon seit zehn Jahren – zulässig ist und praktiziert wird, aber – und das ist der Unterschied – nur dann, wenn bereits eine Schwangerschaft vorhanden ist, begonnen hat. Ich denke diejenigen machen es sich zu einfach, die alleine auf die Zeitpunkte schauen und nicht auf die Methode selber. Alleine auf die Zeitpunkte schauen wird weder den Eltern noch den Müttern gerecht noch der ganzen Diskussion.

    Engels: Das heißt Sie sind unter Einschränkungen für PID, um den Müttern eine spätere Abtreibung zu ersparen?

    Bulmahn: Ich bin mit Einschränkungen für die Zulassung der PID, weil ich es nicht für verantwortbar halte, Mütter in die Situation zu bringen, sie sozusagen zu zwingen, wenn sie eine solche Untersuchung durchführen wollen. Niemand sollte sie dazu zwingen und wird sie dazu zwingen, eine solche Untersuchung durchzuführen, aber ich halte es auch nicht für richtig, dass man auf jeden Fall praktisch sagt, Schwangerschaft muss erst begonnen haben, bevor eine solche Untersuchung zugelassen wird. Das ist der heutige Rechtszustand.

    Engels: Wie ließe sich das denn kontrollieren? Es ist ja so, dass der Ethikrat vorgeschlagen hat, dass man den Eltern PID erlauben sollte, wenn sie – so wörtlich – in einen existenziellen Konflikt im Falle einer Schwangerschaftsaustragung gerieten. Wie will man das messen?

    Bulmahn: Man muss eigentlich beides zusammen denken, die PID genauso wie die pränatale Diagnostik. Die pränatale Diagnostik ist in Deutschland erlaubt, seit langer Zeit erlaubt. Die PID ist wie gesagt nicht erlaubt. Vor der Schwangerschaft ist es nicht erlaubt; nach Beginn der Schwangerschaft ist es erlaubt. Man muss deshalb beides zusammen denken. Es wird heute und in den letzten Jahren so kontrolliert, dass diese Untersuchung natürlich nicht einfach so durchgeführt werden kann, sondern dass es eine intensive humangenetische Beratung vorher geben muss. Das halte ich auch für erforderlich und für zwingend notwendig, denn Eltern und Mütter müssen einfach auch informiert sein, müssen wirklich eine Entscheidung treffen können. Deshalb liegt die Entscheidung auch nach wie vor und sollte auch nach wie vor in der Hand der Eltern liegen.

    Engels: Wie beurteilen Sie denn beziehungsweise wie bewerten Sie denn die Kritik auch der Behindertenverbände, die Sturm laufen und fürchten, dass diese Form der Aussonderungen künftig die Diskriminierung behinderter Menschen eher noch stärken wird?

    Bulmahn: Dieses Argument gilt genauso jetzt schon bereits für die pränatale Diagnostik, wie gesagt die gleichen Methoden, die jetzt ab dem ersten Monat dann eingesetzt werden können. Ich persönlich halte es für viel kritischer und viel weniger akzeptabel, dass wir zum Beispiel ein Recht haben, eine Gesetzgebung haben, die eine Abtreibung noch zu einem sehr späten Zeitpunkt aus medizinischen Gründen erlaubt, eine Abtreibung im 5., 6. Monat. Das halte ich allerdings für äußerst problematisch und aus meiner Sicht auch nicht für richtig, für akzeptabel. Ich denke darüber müssten und sollten wir im Zuge einer Änderung eines Gesetzes nicht nur diskutieren, sondern dieses sollten wir auch verändern.

    Engels: Das heißt, das ist Teil eines Gesetzentwurfes, den Sie planen?

    Bulmahn: Ich habe ja ausdrücklich schon gesagt, ich denke man muss die ganze Problematik dieser Frage im Zusammenhang betrachten.

    Engels: Möglicherweise dann beides zusammen, sowohl die PID - -

    Bulmahn: Das würde weder den Menschen gerecht noch den Eltern, wenn man praktisch die Würde des Menschen nur für den Zeitpunkt vor der künstlichen Befruchtung, aber nicht mehr das entsprechende Gewicht gibt, sondern es geht insgesamt darum.

    Engels: Also ein Gesetzentwurf, der möglicherweise beides kombiniert?

    Bulmahn: Ein Gesetzentwurf, der möglicherweise beides kombiniert, ja.

    Engels: Was denken Sie denn, ob Sie dafür eine Chance im Parlament haben? Da steht man ja schon diesem Teilaspekt der PID eher skeptisch gegenüber, quer über alle Parteigrenzen hinweg. Was jetzt diesen Aspekt der späten Abtreibung angeht wäre ein weiterer Konflikt. Wie sehen Sie die Chancen?

    Bulmahn: Nein. Ich glaube, dass das, was Sie sagen, falsch ist, sondern dass dann das Parlament dem auch gerecht wird, dass man nicht nach dem Zeitraum differenziert, sondern wie gesagt sich der Frage insgesamt widmet und hier dann auch eine kohärente Antwort darauf findet, wie man verfährt in Fällen schwerer, auch nicht therapierbarer Erbkrankheiten, in den Fällen, in denen also auch eine schwere Konfliktsituation für Mütter und Eltern entsteht. Das ist ja die Grundlage, auf der auch der Ethikrat sein Votum getroffen hat, dass also eine schwere, nicht ertragbare Konfliktlage für Mütter und Eltern entsteht. Diese entsteht für Mütter und Eltern, wenn sie vorhanden ist, egal ob man praktisch diesen Gedanken fasst vor dem Beginn einer Schwangerschaft, also nach einer künstlichen Befruchtung, oder wenn eine Schwangerschaft schon eingetreten ist.

    Engels: Haben Sie den Plan, möglicherweise einen Gesetzentwurf, wie Sie ihn eben angedeutet haben, einzubringen und dann eventuell eine Diskussion so abzuhalten, wie es sie auch über Parteigrenzen hinweg zu den embryonalen Stammzellen gab?

    Bulmahn: Ich glaube, dass man hier einfach keinen Vergleich ziehen soll und auch nicht kann, sondern generell geht es in der Frage der PID wie gesagt wirklich darum, zu welchem Zeitpunkt eine Methode zugelassen wird oder nicht. Die Entscheidung muss – ich sage es ausdrücklich – immer auf Seiten der Eltern liegen. Es muss auch durch eine humangenetische Beratung sichergestellt sein, dass Eltern sich der Tragweite ihrer Entscheidung auch bewusst sind. Was aber notwendig ist, um auf Ihre Frage noch einmal einzugehen, ist sicherlich, dass diese Diskussion in ihrer Gesamtheit im deutschen Bundestag stattfindet. Ich gehe auch davon aus, dass im deutschen Bundestag wir entlang unterschiedlicher Fraktionen ein breites Meinungsspektrum haben werden und dass wir von daher wahrscheinlich auch wieder, wie es in besonders ethischen Fragen immer der Fall ist, Gruppenanträge aus dem Parlament haben werden.

    Engels: Vielen Dank! – Das war Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn. Wir haben uns befasst mit der Präimplantationsdiagnostik. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio