Dienstag, 23. April 2024

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Bund Deutscher Kriminalbeamter bemängelt Lauschangriff-Urteil

Engels: Gestern hat das Bundesverfassungsgericht große Teile des so genannten Großen Lauschangriffs für verfassungswidrig erklärt. Die Richter beschränkten die Zahl der Fälle, in denen der Bürger in seiner Wohnung abgehört werden kann, deutlich. Nun darf zum Beispiel nicht gelauscht werden, wenn der Beschuldigte mit seinen engsten Familienangehörigen oder mit seinem Anwalt in der Wohnung ist. Was bedeutet das in der Praxis? Dazu ist uns nun zugeschaltet Holger Bernsee, Sprecher vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Guten Morgen, Herr Bernsee.

Moderator: Silvia Engels | 04.03.2004
    Bernsee: Schönen guten Morgen.

    Engels: Sie haben als erste Reaktion gestern gesagt, sie seien von dem Urteil nicht überrascht. Warum nicht?

    Bernsee: Kritik war ja allenthalben vorhanden und wir dachten uns schon, dass das Bundesverfassungsgericht hier Einschränkungen verhängen wird. Gleichwohl ist es natürlich zu kritisieren, als dass das Urteil ein wenig an der Rechtspraxis oder Praxis der organisierten Kriminalität vorbeigeht. Zu den Strukturen organisierter Kriminalität gehört ja in der Regel nicht, dass einzelne, besonders schwerwiegende und von daher mit besonders hoher Strafe belegte Straftaten begangen werden, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Straftaten, die in ihrer Gesamtheit zu werten sind und daran geht das Urteil leider vorbei.

    Engels: Welche Folgen erwarten Sie denn für Ihre praktische Arbeit?

    Bernsee: Wir werden demnächst in einzelnen Bereichen tatsächlich, weil es eben eine ultima-ratio-Situation ist, die Akten schließen müssen, weil wir einfach nicht mehr weiterkommen. Es geht ja um Verfahren gegen insbesondere organisierte Kriminelle, die sich in besonderem Maße abgeschottet haben, teilweise auch mit ethnischen Strukturen, wo Sie mit anderen herkömmlichen polizeilichen Mitteln nicht hineindringen können. Wenn ich mal allein an das Beispiel Korruption denke, wenn das so der Einstieg in ein solches Verfahren ist, dann haben wir künftig keine Möglichkeit mehr, von diesem Verfahren Gebrauch zu machen.

    Engels: Wie oft wurde denn in den vergangenen Jahren dieser Große Lauschangriff eingesetzt und wie erfolgreich war er da?

    Bernsee: Vergleichsweise sehr selten, wir haben im Jahresdurchschnitt eine Größenordnung von etwa 30 Fällen. Was bereits deutlich macht, dass die Strafverfolgungsbehörden sich der Bedeutung dieses Eingriffes einerseits sehr bewusst sind, zum Zweiten auch die Aufwandnutzenrelation berücksichtigen. Darüber hinaus kann ich sagen, in den Fällen, in denen es durchgeführt wurde, war es durchaus erfolgreich. Wir haben eine Trefferquote, in Anführungsstrichen, von etwa 50 Prozent, das heißt in jedem zweiten Verfahren haben diese Maßnahmen direkt zur Gewinnung von Beweismitteln, die letztendlich dann auch zur Verurteilung geführt haben, geführt.

    Engels: Nun hat ja das Bundesverfassungsgericht die Hürden höher gelegt. Allerdings den Großen Lauschangriff nicht ganz abgeschafft. Beispielsweise müsste es aber jetzt so sein, dass die Apparate abgeschaltet werden, wenn beispielsweise ein Anwalt ins Zimmer des Abgehörten kommt. Ist denn so etwas realistisch für die Praxis?

    Bernsee: Das würde ja beinhalten, dass die eintretende Person sich zunächst einmal gegenüber dem unbekannten Lauscher, in Anführungsstrichen, als Rechtsanwalt vorstellt. Das ist natürlich eine etwas ulkige Situation oder bei Ärzten wäre genau die gleiche Situation gegeben. Darüber hinaus würde es bedeuten, dass solche Abhörmaßnahmen rund um die Uhr stattfinden müssten, das heißt also nicht nur Aufnahmen, sondern es müsste ein Beamter grundsätzlich dabei sein, der auch tatsächlich live mithört. Das wirft schon ein paar Fragen für die Praxis auf.

    Engels: Das heißt, für Sie ist der Große Lauschangriff, so wie er einmal durchgeführt wurde, als Instrument nicht mehr praktikabel?

    Bernsee: Zunächst einmal würde ich mich gegen den Begriff Großer Lauschangriff eigentlich wehren, das hat sich zwar so eingebürgert, aber es handelt sich um die akustische Wohnraumüberwachung in ganz besonders schwerwiegenden Fällen organisierter Kriminalität. Dieses Urteil bedeutet in der Tat eine deutliche Einschränkung, weil es eben auf den Strafrahmen einzelner Delikte abstellt und nicht auf ein Gesamtbild, das für die Struktur einer bestimmten kriminellen Gruppe ausschlaggebend ist.

    Engels: Sie haben die organisierte Kriminalität angesprochen, was bedeutet denn diese Einschränkung jetzt in Ihren Maßnahmen in der Überwachung oder in der Überprüfung mutmaßlicher Terroristen?

    Bernsee: Da gilt im Grunde genommen das Gleiche, bloß in den Fällen, in denen klar ist, dass wir es mit Personen zu tun haben, die Straftaten begehen, beziehungsweise die einer Straftat verdächtig sind, bei denen der Strafrahmen entsprechend hoch genug ist, wenn wir also an Tötungsdelikte oder dergleichen mehr denken, dann ist es natürlich kein Problem. Aber in den Fällen, in denen es wirklich nur um einen Anfangsverdacht geht, dass es sich um eine Zelle handeln könnte, wo zwar Straftaten im Raume stehen aber eben noch nicht so hochwertige, das würde bedeuten, dass wir dann mit den Ermittlungen, mit den Strukturermittlungen insbesondere, - Strukturermittlungen heißt welche Menschen haben hier miteinander zu tun, was planen die, was machen die, wir müssen uns erst einmal ein Bild darüber machen, mit wem wir es hier zu tun haben -, da haben wir keine Möglichkeit mehr.

    Engels: Nun haben ja die Richter vor allen Dingen mit dem Schutz der Menschenwürde auf den nichtüberwachten Wohnraum argumentiert. Was für eine Antwort könnten Sie denn geben, damit mit diesen Daten, die erhoben werden auch wirklich verlässlich umgegangen wird? Beziehungsweise ist das nicht ein Argument, das man gelten lassen muss?

    Bernsee: Ich sagte ja schon vorhin, das Horrorszenario, das ursprünglich gezeichnet wurde, dass mit der Einführung dieser Maßnahme unter jedem zweiten Schlafzimmerbett jetzt irgendwelche Wanzen vorzufinden wären, ist ja durch die Praxis widerlegt. Bei einer Größenordnung, wie gesagt von 30 Anwendungsfällen pro Jahr bundesweit, kann ja von einer solchen Situation überhaupt nicht die Rede sein. Es sind tatsächlich solche Fälle, in denen die Polizei vorher bereits intensive Ermittlungen geführt hat, andere Maßnahmen durchgeführt hat und festgestellt hat, wir kommen nicht anders weiter, das ist die ultima-ratio-Maßnahme, wir müssen uns einen entsprechenden richterlichen Beschluss, nicht von einem einzelnen Richter, sondern von einem Richtergremium einholen, der ist zeitlich befristet und an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Erst in einer solchen Situation wird das durchgeführt, darüber hinaus kommt der enorme Aufwand hinzu, der technisch und personell damit zu leisten ist. Es ist wirklich eine ultima-ratio-Maßnahme, das heißt, es ist gar nicht notwendig gewesen, hier noch weiter Fallstricke und weiter Beschränkungen einzuführen, weil die Polizei, die Strafverfolgungsbehörden bewiesen haben in einer mehrjährigen Praxis, dass sie da sehr, sehr sensibel von Gebrauch machen.

    Engels: Die Bundesregierung muss nun, laut Bundesverfassungsgericht, das Gesetz bis Mitte 2005 nachbessern. Was muss denn Ihrer Ansicht nach in dem neuen Gesetz stehen, damit es für Sie noch praktikabel ist?

    Bernsee: Die Voraussetzungen sind jetzt verhältnismäßig schwierig, wir müssen eben sehen, welche Delikte im einzelnen erfasst sein müssten und man muss dann auch darüber nachdenken, kriminalpolitisch, ob man nicht tatsächlich das eine oder andere Delikt vom Strafrahmen her anhebt. Ich denke beispielsweise an den Bereich der Korruptionsdelikte, ganz wesentliches Merkmal organisierter Kriminalität, dass ein Eindringen in staatliche Institutionen, in die Politik, in die Verwaltung angestrebt wird, da spielt Korruption eine große Rolle. Notfalls muss man das über den Strafrahmen regeln.

    Engels: Holger Bernsee war das, Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Bernsee: Ich danke Ihnen.