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Bund Deutscher Kriminalbeamter
Fiedler fordert Videoüberwachung als Signal gegen Randalierer

Videoüberwachung sende das Signal, wer randaliere werde auch identifiziert und dem Richter vorgeführt, sagte Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter im Dlf. Eine Videoüberwachung "relevanter Hotspots" sei deshalb geboten. Auch Alkoholverbotszonen in eng begrenzten Arealen seien sinnvoll.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Dirk Müller | 27.07.2020
Der Vorsitzende des BDK, Sebastian Fiedler, in einer Aufnahme vom Januar 2018 in der Staatskanzlei in Düsseldorf
Der Vorsitzende des BDK, Sebastian Fiedler, spricht sich für ein Bündel von Maßnahmen zur Eindämmung von Krawallen und Ausschreitungen aus. (dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd)
Rohe Körperlichkeit, das Werfen von Gegenständen, Fußtritte und Faustschläge, Molotow-Cocktails und brutale Gewalt gegen die Sicherheitskräfte: Die Randalenächte von Stuttgart und Frankfurt, die anhaltende Gewalt gegen Ordnungskräfte, und die Angriffe auf Polizisten - das hat in der Wahrnehmung vieler in Deutschland zugenommen.
Nach den nächtlichen Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt am Main mehren sich unter anderem Forderungen nach Alkohol-Sperrgebieten in Städten.
Wie funktioniert die Szene und wie können Randale und Ausschreitungen wirkungsvoll verhindert werden? Verschiedene Ansätze sind im Gespräch: mehr Polizei, ein Alkoholverbot oder Videoüberwachung sind einige davon.
Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, warnt vor einfachen Antworten.
Dirk Müller: Herr Fiedler, brauchen wir in den deutschen Innenstädten viel härtere Auflagen?
Sebastian Fiedler: Viel härtere Auflagen und viel mehr Polizei sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Deswegen plädiere ich im Zweifel für härtere Auflagen. Das muss ich tatsächlich so sagen. Ich habe auch gar keine Bauchschmerzen dabei, wenn die Kommunen zum Ergebnis kommen, dass sie Alkohol-Verbotszonen einrichten. Ich habe überhaupt keine Probleme damit, ganz im Gegenteil, wenn wir über Videoüberwachung bei solchen relevanten Hotspots diskutieren. Das ist für uns nämlich deswegen schon allein von großer Bedeutung, weil wir so eine Vogelperspektive dann haben, um frühzeitig zu erkennen, wo sich was zusammenbraut.
Scherben der zertrümmerten Scheiben einer Bushaltestelle liegen am Morgen vor der Alten Oper auf einem Stadtplan Frankfurts. In der Nacht zum Sonntag war es auf dem Opernplatz zu gewalttätigen Krawallen gekommen. Wie die Polizei mitteilte, hatten rund 3000 Menschen Partys gefeiert, als die Randale ausbrachen. 39 Menschen seien daraufhin festgenommen worden, acht davon seien am Sonntagmorgen noch in Gewahrsam gewesen. 
Krawalle in Frankfurt: Corona ist das Problem!
Den Jugendlichen und jungen Erwachsenen fehlen durch die andauernden Club-Schließungen die Möglichkeit zu feiern. Ludger Fittkau zeigt deswegen Verständnis für Parties unter freiem Himmel. Dennoch: Attacken auf Polizisten gingen nicht.
Müller: Das ist für Sie der erste Schritt, der wichtigste Schritt?
Fiedler: Das ist sehr schwer, jetzt hier zu priorisieren – insbesondere deswegen, weil ja ganz Deutschland darüber diskutiert, ohne so ganz genau wirklich zu wissen, wo die jeweilige Ursache ist, und dann kommt immer wieder natürlich der Satz davon, dass wir hier ein gesellschaftliches Problem haben, und der ist genauso kompliziert, wie er andererseits allerdings auch richtig ist.
Müller: Und auch komplizierter zu lösen?
Fiedler: Selbstverständlich! – Natürlich! – Ich bin der festen Überzeugung, wer hier einfache Antworten parat hat, der hat das Problem nicht richtig verstanden, und ich glaube, wir alle haben das Problem noch nicht richtig verstanden, weil es ja jetzt nicht erst seit Stuttgart und Frankfurt wirklich ein Problem ist, sondern wir nun seit vielen Jahren Angriffe auf Rettungskräfte, auf Kommunalbeamte, auf Polizeibeamte diskutieren und bemängeln, ohne dass ich tatsächlich erkenne, dass sich etwas zum Besseren wendet. Ganz im Gegenteil!
Fiedler: Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen
Müller: Reden wir über dieses Alkoholverbot oder Alkoholbeschränkung, Einschränkung, wie auch immer definiert. Das kommt aus Reihen der Städte, der Gemeinden, wird immer häufiger artikuliert. Auch viele Innenpolitiker, Rechtspolitiker, Sicherheitspolitiker haben das inzwischen auf ihrer Liste drauf. Ist Alkohol das Problem?
Fiedler: Das ist mit Sicherheit ein Problem. Aber ich würde mal die These wagen, dass es nicht nur Alkohol ist, sondern auch illegale Substanzen, die sich in den Adern derjenigen befinden, die hier Theater machen. Aber deswegen, glaube ich, kann es nur ein ganzes Bündel von unterschiedlichen Maßnahmen sein: Videobeobachtung, Alkoholverbotszonen, Kontrollen durch die Ordnungsbehörden plus die Polizei, um nur einige Stichworte zu nennen. Aber man wird sich wohl auch in dieser Jugendszene etwas intensiver umtreiben müssen. Ich hätte da durchaus mal die Idee, dass wir das tun, was wir ohnehin im Fußball und anderen Bereichen auch schon tun. Wir brauchen solche szenekundigen Kolleginnen und Kollegen, die nichts anderes zu tun haben, als sich tatsächlich in diesen Szenen herumzutreiben, um frühzeitig zu erkennen, wo sich was zusammenbraut, und das schließt Erkenntnisse aus den sozialen Medien mit ein.
Das Foto zeigt Scherben von zertrümmerten Scheiben einer Bushaltestelle vor der Alten Oper
Die Krawalle in Frankfurt sind nicht unbedingt mit Stuttgart zu vergleichen. "Wir haben das Problem noch nicht richtig verstanden", meint Sebastian Fiedler. (dpa-Bildfunk / Hit Radio FFH)
Müller: Das taucht auch immer auf: Streetworker, meinen Sie unter anderem, die da sehr nah heranrücken?
Fiedler: Ja!
Müller: Auch dort wollen die Städte in die Offensive gehen – gibt es alles schon, aber offenbar viel zu wenig.
Fiedler: Ja, viel zu wenig, und vor allem Street greift meines Erachtens zu kurz, weil wir ja nun auch aus Stuttgart unter anderem wussten, dass sich im Vorfeld in den sozialen Medien durchaus schon einiges zusammengebraut hat. Dort bildet sich ja offensichtlich ebenfalls eine feindselige Stimmung staatlichen Organen gegenüber. Auch hier: Das müssen wir natürlich intensiv im Blick behalten.
Müller: Herr Fiedler, kommen wir noch mal auf den Alkohol zurück. Sie sagen, das ist ein Problem. Aber wenn es das geben würde, ein Alkoholverbot, eine offene Bierflasche, die man trägt und auch zur Schau trägt und spazieren trägt, wie auch immer, kennen alle, wenn sie in Innenstädte gehen, ob das tagsüber ist, ob das abends ist, in der Nacht ist es natürlich dann noch viel intensiver. Kann die Polizei so etwas kontrollieren?
Fiedler: Zum einen wäre die Polizei gar nicht in erster Linie dafür zuständig, sondern die kommunalen Ordnungsbehörden, und die Polizei könnte hier unterstützen. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir das natürlich gemeinsam in den Griff kriegen könnten, weil man natürlich weiß, an welchen Orten – das sind ja eng umgrenzte Gebiete – man dort intensiver kontrolliert. Außerdem spricht sich das auf der anderen Seite natürlich auch herum. Man darf nur nicht glauben, dass, wenn man jetzt nur diese Maßnahme trifft, sich das ganze Problem erledigt hat, weil sich ja in den Köpfen derjenigen, die da Randale machen, immer noch nichts geändert hat.
Müller: Aber wie würde das in der Praxis laufen? Das heißt, man nimmt die Bierflasche, die Wodkaflasche, was auch immer da unterwegs ist ab?
Fiedler: Man nimmt sie ab und dann gibt es im Zweifel Ordnungswidrigkeitsverfahren, also Knöllchen, wenn Sie so wollen. Natürlich!
Polizisten stehen in der Stuttgarter Innenstadt vor einer Treppe, die zum kleinen Schlossplatz führt.
SPD-Innenpolitikerin: "Wir müssen alle zeigen, dass wir zur Polizei stehen"
Ute Vogt (SPD) sieht die Randalierer in Stuttgart als Menschen, die jeglichen Respekt verloren hätten – auch den vor der Polizei. Die Triebfeder für die Krawalle sei männliches Imponiergehabe.
Müller: Und das führt zu keinen neuen Aggressionen?
Fiedler: Sie haben ja gerade ein Gegenbeispiel genannt. Das scheint ja jetzt hin und wieder funktioniert zu haben. Ich glaube das nicht. Ich habe ja gerade schon ein paar Mal gesagt, das ist eine Maßnahme von vielen.
Müller: Meine Frage ist ja – Herr Fiedler, Entschuldigung, wenn ich noch mal unterbreche -, ob das realistisch ist. Es gibt ja viele, die da sagen, das ist Humbug, weil Alkoholkonsum, können wir nicht kontrollieren, das bekommen wir nicht in den Griff.
Fiedler: Was für ein Quatsch. Bei aller Liebe! Dann könnten wir ja ganz aufhören. Das gleiche gilt doch auch für Böllerverbotszonen und Ähnliches. Natürlich ist das durchzusetzen, wenn man so etwas in einem eng umgrenzten Areal ausspricht. Das darf nun wirklich nicht die Debatte sein.
"Es geht darum, eine Szene in den Griff zu bekommen"
Müller: Das sagen Sie jetzt einfach so. Mit den Drogen funktioniert es doch auch nicht. Drogen werden nach wie vor genommen, Sie haben es eben gesagt. Ist illegal im Gegensatz zum Alkohol. Alkohol ist legal. Drogenkonsum findet nach wie vor statt.
Fiedler: Richtig! Aber wenn ich jetzt sagen würde, dass ich auf dem Opernplatz wirklich nun über einen Zeitraum ständig kontrolliere, dann findet das statt, was wir Verdrängung nennen. Aber der Vergleich hinkt an vielen Stellen, meines Erachtens, weil es hier darum geht, eine Szene in den Griff zu bekommen – ich will da gar keine Vokabel für finden, sondern es geht darum, ein Bündel von unterschiedlichen Maßnahmen zu ergreifen. Wir können jetzt eins herausgreifen und sagen, können wir das jetzt umsetzen. Das können wir über jede einzelne Maßnahme machen. Wir könnten jetzt auch darüber diskutieren, ob wir genug Streetworker haben und ob das dann nicht geht, wenn wir nicht genug haben. Wir müssen erkennen, dass wir hier mit unterschiedlichen Akteuren, mit unterschiedlichen staatlichen Institutionen Maßnahmen miteinander absprechen müssen. Die können in Frankfurt völlig anders aussehen, als sie in Stuttgart aussehen.
Und am Ende des Tages – und das haben wir noch gar nicht besprochen und das sollte durchaus auch wichtig sein – kann es nicht sein, dass 400 Randale machen und wir nur 40 ermitteln. Deswegen brauchen wir natürlich auch Videobeobachtung, um deutliche Signale nach außen zu senden: Wer Randale macht, wird anschließend auch identifiziert und wird vor den Richter geführt. Das ist ebenfalls ein wichtiges Signal.
19.07.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Mitarbeiter der Stadtreinigung beseitigen am Morgen vor der Alten Oper Scherben der zertrümmerten Scheiben einer Bushaltestelle. In der Nacht zum 19.07.2020 ist es auf dem Opernplatz zu gewalttätigen Krawallen gekommen. Wie die Polizei mitteilte, hatten rund 3000 Menschen Partys gefeiert, als die Randale ausbrachen. 39 Menschen seien daraufhin festgenommen worden, acht davon seien am Sonntagmorgen noch in Gewahrsam gewesen. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa | Verwendung weltweit
Konfliktforscher: "Der Corona-Sommer hat sicher als Katalysator gewirkt"
Die Ausschreitungen in Frankfurt/Main gehen nach Ansicht des Konfliktforschers Stefan Luft auf eingewanderte Menschen zurück, die in Deutschland nicht hätten Fuß fassen können und infolge der Coronakrise "aus Strukturen herausgerissen" seien.
Müller: Sie sagen 400, davon 40, gegen die ermittelt wurde. Die waren am nächsten Tag alle frei.
Fiedler: Eben! Sage ich ja gerade. Und das eine hat mit dem anderen natürlich ein Stück weit zu tun. Das wäre schon wichtig.
Müller: Herr Fiedler, der Deutsche Städtebund fordert jetzt ganz klar konsequentere Strafverfolgung. Inwieweit ist das in der Praxis möglich und, wiederum die Frage, realistisch?
Fiedler: Das hängt genau damit zusammen. In all diesen – wir nennen das Tumultdelikte -, in all diesen Situationen liegt das Kernproblem darin, dass wir die Leute identifizieren müssen, und deswegen sage ich gerade, an solchen Stellen ist Videobeobachtung mit hoch auflösenden Kameras durchaus ein probates Mittel, um uns da ein Stück weit näher zum Ziel zu bringen.
"Wir haben die rechtlichen Möglichkeiten"
Müller: Und was bringt das, wenn das keine Konsequenzen hat?
Fiedler: Das hat ja dann Konsequenzen. Es hat deswegen derzeit keine Konsequenzen, weil wir die Leute nicht identifizieren können, und ich glaube, das wäre durchaus denkbar. Wir haben die rechtlichen Möglichkeiten, wir können beschleunigte Verfahren durchführen, die Leute schnell vor den Kadi bringen. Es gäbe durchaus Möglichkeiten. Es scheitert daran nicht, sondern man muss sich hinsetzen und wirklich Konzepte auch ernsthaft durchsetzen.
Müller: Dann kommen die Datenschützer und sagen: Aufgepasst!
Fiedler: Ja, gut. Alter Hut, kennen wir, aber …
Müller: Der immer noch getragen wird, dieser Hut.
Fiedler: Ja, richtig! Kenne ich. Es ist in meinem Alltag, darüber zu diskutieren. Das ist kein Allheilmittel, aber es ist hier durchaus eine wichtige Komponente.
Müller: Wir haben nicht mehr viel Zeit, trotzdem die Frage: Glauben Sie, dass konsequent etwas verändert wird?
Fiedler: Ich glaube das und ich hoffe das, weil ich glaube, dass die Signale, die wir auch aus europäischen anderen Städten haben – das ist nämlich kein rein deutsches Problem -, uns wirklich Warnung genug sein sollten, um das wirklich jetzt mal ernst anzugehen mit unterschiedlichen Akteuren. Ich hoffe, kein Hin- und Herschieben des jeweiligen Balles, sondern tatsächlich die Dinge ernsthaft mal anzugehen. Das wäre eine Wunschvorstellung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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