Lange: Sind Sie auch erstaunt, dass diese Einigung jetzt schon zustande gekommen ist?
Articus: Es war eine ausgesprochen vernünftige Diskussion, in deren Verlauf dennoch nicht klar war, dass es zu einer Einigung kommen würde. Insofern kann man schon sagen, dass es erstaunlich und erfreulich ist, dass es eine Einigung gegeben hat.
Lange: Dass man sich in diesem Finanzplanungsrat so relativ einfach verständigt hat, lässt den Verdacht aufkommen, dass das vielleicht eine gut gemeinte, aber unverbindliche Willenserklärung ist. Was ist das Papier tatsächlich wert?
Articus: Also, zunächst muss man sagen, dass wir als Kommunen uns bei der Abstimmung dieses Papiers enthalten haben. Das will ich gleich erläutern. Dennoch bewerten wir auch den Inhalt des Papiers eigentlich ganz positiv. Es gibt eine Reihe von Verabredungen dort, die vernünftig sind, die so auch neu sind: So hat beispielsweise der Bund gegenüber den Ländern und Bund und Länder gegenüber den Kommunen anerkannt, dass die Situation und die Konsolidierungschancen auf der Bundesebene, auf den Länderebenen und auf kommunaler Ebene unterschiedlich sind, oder so hat man gegenseitig anerkannt, dass es wirklich darum geht, bei zukünftigen Veränderungen nicht erneut zu versuchen, eigene Probleme dadurch zu lösen, dass man dem anderen Lasten zuschiebt. Solche Erklärungen hat es in dieser Form bisher noch nicht gegeben. Das sind also wie gesagt durchaus positive Vereinbarungen, die fast etwas überraschen.
Lange: Und warum haben sich die Städte enthalten?
Articus: Die Städte haben sich aus einem einfachen Grund enthalten: Wir sagen, dass wir schon seit zehn Jahren in besonderem Maße Sparkurs-Konsolidierungsstrategien in den Kommunen fahren. Der Ausgabenstand in den Städten 1993 ist ebenso hoch wie der Ausgabenstand im Jahr 2002. In beiden Jahren haben die Kommunen insgesamt 148 Milliarden Euro ausgegeben, das heißt, wir begrenzen unsere Ausgaben schon seit zehn Jahren, und die Forderung, dass wir in den nächsten Jahren nicht mehr als einen Ausgabenzuwachs von einem Prozent haben, die erfüllen wir schon. Wir geben in diesem Jahr nur 0,5 Prozent mehr aus als im Vorjahr und wir werden auch im nächsten Jahr nur ungefähr 0,6 Prozent mehr ausgeben. Das bedeutet, dass eine Ausgabenbegrenzung als ein Mechanismus der Defizitsteuerung richtig ist, aber er ist nicht hinreichend. Es muss darüber hinaus gehen. Wir brauchen Strukturen, die reformiert werden. Wir brauchen Reformen in der sozialen Arbeitsmarktpolitik, damit wir dadurch neue Konsolidierungschancen erschlossen bekommen. Und weil wir diesen Gesichtspunkt zukünftiger Veränderungen, die eben noch nicht beschlossen und noch nicht erreicht sind, mit einem besonderen Nachdruck versehen wollten, haben wir gesagt: Wir stimmen den Verabredungen, wie sie jetzt getroffen sind, zwar zu, aber wir wollen darüber hinausgehende Sicherheiten haben, dass der Konsolidierungskurs auch mit Reformen unterlegt wird. Deswegen haben wir uns enthalten.
Lange: Die Städte können das ja wohl auch noch nicht so einfach zusagen - plus ein Prozent, das kriegen wir hin. Da gibt es ja doch eine Menge Variablen: die vorhandenen Schulden, die Zinsentwicklungen, Lohnabschlüsse, Steuereinnahmen, sonstige teure Lasten. Ist das überhaupt möglich, so eine Zusage für die nächsten zwei Jahre zu machen?
Articus: Dass gerade die Städte das nicht zusagen können, Herr Lange, ist eben sehr richtig, weil Bund und Länder die Gesetzgeber sind. Bund und Länder sind diejenigen, die darüber entscheiden, ob alte Belastungen wirklich abgebaut werden und neue Belastungen durch neue gesetzliche Regelungen dazukommen. Genau deswegen haben wir eben auch nicht zugesagt, obwohl wir, wie gesagt, die Zielrichtung und die Initiative richtig finden. Ich glaube nicht, dass es gelingen wird, tatsächlich in dem Maße wie es notwendig ist und wie es vorgesehen ist, in den nächsten zwei Jahren schon die Defizite zurückzufahren.
Lange: Das heißt, Sie sehen das Ganze doch als eine Art Willenserklärung an - gut gemeint, aber die Realität wird eine andere sein?
Articus: Wenn der gute Wille schon in die richtige Richtung führt, weiter führt als bisher, ist das schon positiv, aber es wird nicht ausreichend sein.
Lange: Das Ganze steht ja auch unter der Annahme einer äußerst günstigen Konjunkturentwicklung: Minimum 2,5 Prozent Wachstum pro Jahr. Ist unter dieser Voraussetzung, die Sanierung der Haushalte denn überhaupt realistisch?
Articus: Also, man wird für die Sanierung der Haushalte wohl drei Elemente brauchen: Das eine Elemente ist eine gute Konjunktur - darauf hoffen wir alle, davon gehen natürlich auch die Perspektiven dieses Beschlussvorschlages aus. Man braucht daneben eine Ausgabenbegrenzung, über die man sich verständigt hat. Das ist das zweite Element. Aber man braucht eben als drittes Element auch Reformen, strukturelle Reformen. Über die hat man sich verabredet, aber die sind noch nicht einmal gestartet, und deswegen kommt es darauf an, dass auch dieses dritte Element, die Reformen - wir fordern dabei insbesondere eine Gemeindefinanzreform - auch tatsächlich, nicht nur in Angriff, sondern richtig entschieden und dann auch umgesetzt werden.
Lange: Mit klaren Kompetenzen und Geld- oder Steuerverteilung zwischen den drei Ebenen?
Articus: Das ist in der Tat das Schlüsselwort: Mit sehr klaren Kompetenzen, mit glasklaren Aufgabentrennungen und entsprechenden Finanzregelungen.
Lange: Das wird sich nicht so schnell machen lassen wie dieser Stabilitätspakt?
Articus: Also, man hat ja gestern auch über diese Gemeindefinanzreform-Kommission gesprochen. Man hat sich darauf verständigt, wie sie sich zusammensetzt. Sie wird wohl in der nächsten Woche beschlossen werden und sie soll nach Ostern unmittelbar eingesetzt werden. Die Kommunen sind da vernünftig beteiligt, worüber wir uns freuen. Der Plan ist, dass man ungefähr 12 bis 14 Monate an den Grundfragen der Reformen arbeitet und dann in das Gesetzgebungsverfahren geht. Das ist ein sehr ehrgeiziger Plan, aber wir werden schon aus eigenem Interesse alles tun, damit dieser Plan nicht aus den Augen verloren wird.
Lange: Aber dieser Prozess - ich sage mal - der Ausdünnung der öffentlichen Infrastruktur, sagen wir, Schließung von Freibädern, die Mittelbewirtschaftung für Schulen, usw., wird nicht aufhören, durch diesen Stabilitätspakt? Das wird immer so weiter gehen?
Articus: Das wird nicht aufhören, das wird sich in den nächsten ein bis zwei Jahren mit Sicherheit sogar noch verstärken.
Lange: In den Informationen am Morgen war das Stefan Articus, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied im Deutschen Städtetag. Ich danke Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio