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Bund und Länder einigen sich auf Verschärfung des Waffenrechts

Ensminger: Das Waffengesetz noch einmal verschärfen, Gewalt in den Medien eindämmen, das sind die Antworten Politiker aller Couleur auf den Angriff eines Erfurter Schülers. Und das erklärten auch gestern wieder zahlreiche Vertreter, sowohl der SPD- als auch der Unionsgeführten Länder, und zwar vor und nach dem Treffen der 16 Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Schröder. Einigkeit also, über die Parteigrenzen hinaus. Schröder selbst plädierte für die Anhebung der Altersgrenze für den Waffenbesitz bei Sportschützen von 18 auf 25 Jahre. Sollte sich die Arbeitsgruppe, die auch gebildet werden soll, auf ein Mindestalter von 21 Jahren einigen, dann müsse eine Eignungsprüfung zur Pflicht werden. Der christdemokratische Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, war natürlich auch bei dem Treffen in Berlin dabei, und er ist jetzt am Telefon. Herr Müller, große Einigkeit gestern, aber an welchen Stellen gibt es denn noch Uneinigkeit?

    Müller: Ich darf zunächst einmal sagen, dass sich die Einigkeit natürlich darauf bezogen hat, dass es zwar Dinge gibt, die wir zeitnah angehen können, wie die nochmalige Überarbeitung des Waffengesetzes, dass es darüber hinaus aber sehr grundsätzliche Fragen gibt, deren Bearbeitung längere Zeit in Anspruch nehmen wird, etwa die Frage nach der Stärkung der Erziehungskraft der Familie und der Schule, die Frage nach der Ächtung der Gewalt in unserer Gesellschaft. Das sind grundsätzliche Fragestellungen, die wir weiter behandeln werden, die Gegenstand der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 16. Juni sein werden, die wir gestern Abend nicht abschließend besprechen konnten. Und es bestand auch Einigkeit, dass, was wir auch immer tun, es keine absolute Sicherheit geben wird. Wir können versuchen, das Risiko einer Wiederholung dieser schrecklichen Tat oder einer vergleichbaren Tat auf ein Minimum zu reduzieren, aber wir werden es nicht völlig ausschließen können. Und wir wissen auch, was auch immer die Politik tut, die besten Gesetze, die besten Schulen werden nicht dasjenige ersetzen können, was in den Familien versäumt wird. Und vor diesem Hintergrund haben wir auch über das Waffenrecht, über Jugendmedienschutz und Jugendschutz gesprochen. Dort gab es, was die Zielrichtung der Veränderung betrifft, tatsächlich weitgehende Übereinstimmung. Die Debatte ist auch nicht entlang von parteipolitischen Konstellationen gelaufen. Und im Bereich des Waffenrechtes ist es so, dass wir eine Erhöhung der Altersgrenze beim Erwerb von Schusswaffen wollen; über die Einzelheiten muss man reden. Das ist im Übrigen so, dass noch einmal geredet werden muss, ob nicht bestimmte Waffenarten überhaupt verboten werden, ob nicht die Befugnis zum Führen von Waffen stärker begrenzt wird. Und wir haben auch über die Frage der getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition und die Frage des Verbotes einer privaten Aufbewahrung großkalibriger Munition gesprochen; da gibt es allerdings im Einzelnen Klärungsbedarf, und das soll durch eine Arbeitsgruppe erledigt werden, die Bund und Länder gemeinsam eingesetzt haben.

    Ensminger: Sie haben einerseits das Mindestalter für den Waffengebrauch angesprochen, andrerseits auch darüber, dass eine Verschärfung des Waffenrechts allein nicht ausreicht. Nun sagt der niedersächsische Ministerpräsident Pfeiffer, es gebe zwischen 15 und 20 Millionen illegale Waffen. Was bringt denn das, das Mindestalter heraufzusetzen, wenn es tatsächlich so viele illegale Waffen gibt?

    Müller: Also richtig ist, dass die vermutete Zahl der illegalen Waffen in Deutschland höher ist als die Zahl der Waffen, die sich im legalen Besitz befinden. Dessen waren wir uns gestern bewusst, und deshalb wurde gerade auf Drängen der Ministerpräsidenten als ein Thema, mit dem sich die Arbeitsgruppe beschäftigen muss, die Frage eingeführt, was wir denn tun können, um illegalen Waffenbesitz einzudämmen.

    Ensminger: Was wird das sein?

    Müller: Wir haben noch einmal geredet über die Erhöhung der Strafdrohung. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob das tatsächlich die Situation verbessert, wenn die illegale Mitführung von Waffen unter einer stärkeren Strafdrohung gestellt wird. Und im Übrigen muss man da einfach noch einmal nachdenken; da hat im Moment noch niemand eine verbindliche Idee, was im Einzelnen getan werden kann. Richtig aber ist: Das größere Bedrohungspotential geht von den illegalen Waffen aus. Das kann aber nicht heißen, dass wir im Bereich des legalen Waffenbesitzes nicht alles tun, was wir tun können, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu erreichen. Die Tat von Erfurt ist ja nicht mit einer illegal erworbenen Waffe begangen worden, sondern da handelte es sich um Waffen, die legal erworben waren.

    Ensminger: Gut, das ist das Eine. Wenn man jetzt sagt, da muss noch viel drüber diskutiert werden, auch um die illegalen Waffen eben einzuschränken, dann ist die zweite Frage natürlich, was soll die Gesellschaft tatsächlich tun, um die Gewalt einzugrenzen, damit überhaupt ein Waffengebrauch gar nicht erst stattfindet, zumindest wie er hier bei Amokläufen passiert ist? Sie haben gestern gesagt, es müsse auf allen Ebenen versucht werden, die Gewalt in unserer Gesellschaft zu ächten. Was heißt das konkret?

    Müller: Das heißt zunächst einmal, dass wir darüber reden müssen, und dass wir auch Maßnahmen ergreifen müssen, dass Gewalt als Konfliktlösungsmittel nicht unreflektiert dargestellt, sondern dass es problematisiert wird. Dazu gehört beispielsweise, dass wir uns gestern verständigt haben, dass es besonders gewaltdarstellende, besonders jugendgefährdende Videospiele und Videofilme künftig nicht mehr geben soll, dass die Verbreitung, die Verleihung dieser Filme generell unterbunden werden soll, nicht nur mit Blick auf Jugendliche, sondern auch mit Blick auf Erwachsene, damit diese nicht die Möglichkeit haben, sie an Jugendliche weiterzugeben. Es wird eine Änderung des Jugendschutzgesetzes in diesem Sinne geben, und es wird noch einmal überprüft, ob der Paragraph 131 des Strafgesetzbuches geändert werden muss. Das Zweite: Wir haben uns gestern verständigt, dass es eine Alterskennzeichnung von Computerspielen künftig durchgängig geben wird. Das ist eine alte Forderung, die seit vielen Jahren erhoben wird, das soll jetzt im Jugendschutzgesetz umgesetzt werden. Darüber hinaus stellt sich natürlich schon die Frage, was wir tun, um Gewaltprävention in unseren Schulen noch stärker zu praktizieren, als dies in der Vergangenheit der Fall war, und es stellt sich die Frage, wie wir die Autoritäten in unserer Gesellschaft stärken, wie wir Vertrauen in diese Autoritäten schaffen. Dazu soll es eine grundsätzliche Debatte im Deutschen Bundestag geben, das ist gestern so angeregt worden. Der Bundestag muss autonom darüber entscheiden, ob er diese Debatte führt, etwa nach dem Vorbild der Gentechnik-Debatte, die dort geführt worden ist. Und darüber hinaus gibt es einen Arbeitsauftrag an den niedersächsischen Ministerpräsidenten und an mich, die nächste Ministerpräsidentenkonferenz unter diesem Gesichtspunkt vorzubereiten und Maßnahmen vorzuschlagen, wie wir die Erziehungskraft der Familie und der Schule stärken und Gewalt in der Gesellschaft stärker ächten können.

    Ensminger: Kommen wir mal zu einem ganz anderen Punkt. Sie haben gesagt, Sie sollen die nächste Ministerpräsidentenkonferenz vorbereiten. Nun war es ja so, dass Sie als Vorsitzender dieser Ministerpräsidentenkonferenz für Donnerstag geladen hatten. Hat Sie das eigentlich geärgert, dass Schröder Ihnen nun zuvorgekommen ist?

    Müller: Das war ein etwas unübliches Verfahren. Normalerweise gehen wir so nicht miteinander um. Auf der anderen Seite muss die Sache und die Aufarbeitung der Sache im Vordergrund stehen. Es war so, dass die Einladung für den gestrigen Abend erst kam, nachdem bereits für den Donnerstag eingeladen war. Wir haben das zur Kenntnis genommen, und ich möchte jetzt keine kleinliche Debatte über Abläufe führen, das ist sicherlich nur von nachrangiger Bedeutung. Auf der anderen Seite ist es schon so, dass natürlich Zuständigkeiten und Kompetenzen beachtet werden müssen, und dass Zusammenarbeit und Miteinander auch so stattzufinden hat, dass wechselseitig Rücksicht aufeinander genommen wird. Das war in der Vergangenheit so, und es soll auch in der Zukunft so sein.

    Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio