
Für die Kölner Firma ist der Fall klar: Der ehemalige Mitarbeiter hat seinen Rückfall selbst verschuldet. Auch für den Karlsruher Arbeitsrechtler Rütger Boeddinghaus ist die Entscheidung nachvollziehbar. Denn juristisch gesehen ist die Ursache einer Alkoholsucht immer Selbstverschulden, so Boeddinghhaus.
"Würde man einer strengen Kausalitätstheorie folgen, dann käme man zum Ergebnis, dass den Arbeitnehmer an dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit auch dann ein Verschulden trifft, wenn der Rückfall ohne Verschulden eingetreten ist, aber die Grunderkrankung verschuldet ist."
Ein Gutachten kam zu einem anderen Ergebnis. Selbstverschuldetes Verhalten ist demnach medizinisch ausgeschlossen. Dem betroffenen Mitarbeiter hätte eine sechswöchige Lohnfortzahlung also zugestanden. Auch für Elisabeth Wienemann stellt sich die Frage nach Selbstverschulden nicht. Laut der Arbeitswissenschaftlerin von der Universität Hannover hat das Unternehmen die Risiken des Betroffenen unterschätzt, was eine schleichende Alkoholkarriere im Betrieb geebnet habe.
"Die Abhängigkeitserkrankung ist ja dadurch gekennzeichnet, dass die Steuerungsfähigkeit weitgehend verloren geht oder nur durch besondere therapeutische Unterstützungsmaßnahmen wiederhergestellt werden kann und deswegen ist ein Selbstverschulden in dem Fall nicht anzunehmen. Also wenn ein Mensch eingeschränkt steuerungsfähig ist und das die Krankheit kennzeichnet, dann kann man nicht vorwerfen, dass diese Person diese Steuerungsfähigkeit nicht hat."
Wienemann kritisiert, dass Betriebe häufig erst im akuten Krankheitsfall therapeutische Hilfe anbieten. Um die Alkoholsucht frühzeitig einschätzen zu können, gibt die Unfallverhütungsvorschrift der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege einen umfassenden Überblick.
Zusätzlich stellt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen Leitfäden ins Netz, an denen sich Unternehmen orientieren können. Jeder Betrieb habe eine Lotsenfunktion für die Gesundheitsförderung betroffener Mitarbeiter, so Wienemann. Gesetzlich vorgesehen ist die betriebliche Regelung mit präventiven Maßnahmen jedoch nicht, erklärt Dorothee Mücken, Leiterin der Landesstelle Sucht NRW.
"Ne Pflicht besteht dazu nicht, es ist immer ne Frage der Fürsorge. Gerade in kleinen Betrieben ist eine Regelung hilfreich, wenn die betroffene Person ausfällt und nicht ersetzt werden kann."
Jeder fünfte Arbeitnehmer von Alkoholsucht betroffen
Mücken und ihre Kollegen der Landesstelle Sucht NRW erstellen Konzepte, um die Suchtprävention in Betrieben zu fördern. Die Aufmerksamkeit hinsichtlich Sucht am Arbeitsplatz ist ihrer Meinung nach in den vergangenen Jahren gestiegen. Nicht zuletzt durch die Regelung der Gesundheitsförderung durch eine Betriebsvereinigung Sucht. Ziel ist es, Arbeitnehmer umfassend zu beraten und langfristig zu integrieren, aber auch einen möglichen Wechsel des Arbeitsplatzes zu erwägen. Wird jedoch voreilig eine Kündigung verhängt, führt das häufig zur Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes. Denn alkoholabhängige Arbeitssuchende haben es schwer, in einem neuen Unternehmen Fuß zu fassen.
"Die Arbeit spielt für unsere eigene Zufriedenheit so eine große Rolle auch für unsere soziale Integration. Und daran arbeiten wir auch, an Konzepten, Modellen, wie bekommen wir die Personen, die arbeitssuchend und suchtkrank sind dazu, sinnstiftende Tätigkeiten zu vollziehen."
Trotz umfangreicher Tätigkeiten deutscher Suchthilfestellen im Bereich Suchtprävention am Arbeitsplatz, bleibt die Zahl alkoholabhängiger Arbeitnehmer konstant. Arbeitswissenschaftlerin Wienemann zufolge ist jeder fünfte Arbeitnehmer von Alkoholsucht betroffen. Für einen Betrieb kann das erhebliche volkswirtschaftliche Schäden bedeuten: sinkende Arbeitsleistung, vermehrte Arbeitsausfälle und bis zu 30 Prozent Arbeitsunfälle unter Alkoholeinfluss.
Alkohol am Arbeitsplatz zu verbieten, kommt für die Leiterin der Landesstelle Sucht NRW, Dorothee Mücken, nicht in Frage. Vielmehr müssen Menschen lernen mit dem Kulturgut Alkohol umzugehen. Das gilt für Mitarbeiter und die Betriebsleitung gleichermaßen, so Mücken. Die Grenze zwischen Selbstverschulden und Krankheit sei schließlich schwindend gering.