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Bundesbildungsministerin Wanka
"Wir haben eine Situation, für die es kein Vorbild gibt"

Die Vorstellung, dass viele Flüchtlinge Deutschlands demografisches Problem lösen könnten oder auch den Fachkräftemangel, sei unrealistisch, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Deutschlandfunk. Die CDU-Politikerin warnte davor, die Herausforderung der Integration zu unterschätzen. "Das ist überhaupt kein Automatismus."

Johanna Wanka im Gespräch mit Christiane Habermalz | 31.01.2016
    Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU)
    Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Christiane Habermalz: Frau Ministerin, wir wollen heute eigentlich über Hochschulpolitik reden, aber bevor wir das tun, können wir auch nicht umhin, noch mal einen Blick zumindest auf die Koalition zu werfen. Der Vizekanzler, Sigmar Gabriel, hat gestern gesagt, es gäbe keinen Streit in der Regierung. Wenn man sich die Zeitungen anschaut, dann fragt man sich: Erlebt er eigentlich die gleiche Koalition wie Sie oder wie Herr Seehofer? Wie empfinden Sie die Stimmung jetzt im Kabinett?
    Johanna Wanka: Wir haben hier eine schwierige Situation. Wir haben eine Situation, für die es kein Vorbild gibt, wo wir Lösungen finden müssen. Und das bedeutet natürlich, dass man diskutieren muss miteinander, was dann schnell als Streit wahrgenommen wird. Aber hier eine gute Lösung zu finden für die Probleme, ist anstrengend und wird dann oftmals so wie von Ihnen beschrieben wahrgenommen. Ich empfinde die Stimmung am Kabinettstisch als gut.
    Habermalz: Aber Ihre Partei, die Union, steht vor der vielleicht größten Zerreißprobe der letzten Jahre. Die Koalition trägt die Regierung und das wird sicher auch nicht ohne Auswirkung auf die Regierungsarbeit bleiben.
    Wanka: Aber auch in der Fraktion ist es eine gute Diskussionskultur. Ich erlebe es ja in den Sitzungswochen, in den Fraktionssitzungen. Und da muss ich Ähnliches sagen, wie für die Regierung: Also, es hat keiner elegante, einfache, bequeme Lösungen. Wer meint, diese zu haben, liegt oft falsch. Und deswegen ist dort, wenn man getragen werden will von dieser Fraktion, auch wichtig, dass mit der Fraktion intensiv gesprochen wird und das geschieht.
    Habermalz: Sie kennen ja die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, schon sehr lange. Wie erleben Sie sie jetzt in dieser Zeit, in der sie so sehr unter Druck steht?
    Wanka: Ich bewundere an der Kanzlerin ihre Rationalität. Dieses Abwägen und dieses wirklich sich auch Zurücknehmen emotional, wenn sie der Überzeugung ist, das ist der richtige Weg, sich dann dafür auch stark zu machen. Und das muss sie im Moment in besonders starkem Maße.
    Habermalz: Ihr Ressort, das Bildungsressort, wird ja als der Schlüssel für die Integration von Flüchtlingen bezeichnet. Auf Schulen und auf die Hochschulen wird in den kommenden Jahren eine immense Herausforderung zukommen. 50 Prozent der Flüchtlinge sind unter 25 Jahren, der größte Teil sind Jugendliche. Viele von denen unterliegen gerade mal oder schon nicht mehr der Schulpflicht. Jetzt nur für den Bildungsbereich gesprochen: Schaffen wir das, Frau Wanka?
    Wanka: Es ist überhaupt kein Automatismus. Also die Tatsache, dass jetzt viele junge Leute gekommen sind, deswegen zu sagen, 'das löst unser demografisches Problem oder unsere Fachkräftenachfrage wird damit bedient', das halte ich für sehr, sehr kurzsichtig. Sondern es ist eine große Aufgabe, wirklich von Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen, in diesen Größenordnungen hier Integration zu realisieren. Aber wenn es uns gelingt, wenn sie hier dann zu Hause sind, wenn sie hier lernen, wenn sie hier arbeiten, dann haben wir alle etwas davon, die jungen Menschen, aber auch die Gesellschaft. Und deswegen glaube ich, nach den anfänglichen Problemen – wie werden sie untergebracht, registriert und anderes – ist jetzt die eigentlich große Aufgabe, Integration zu realisieren, und da ist Bildung natürlich ein Schlüsselthema.
    "Das ist faszinierend, wie schnell die Kinder Deutsch lernen"
    Habermalz: Haben Sie Informationen dazu, wie konkret der Bildungsstand der Flüchtlinge tatsächlich ist? Da hört man ganz unterschiedliche Angaben. Wie gebildet sind die Syrer, die Iraker, die Flüchtlinge, die jetzt hier ankommen?
    Wanka: Es ist sehr heterogen. Es ist sehr heterogen und es gibt auch keine hundertprozentig belastbaren Aussagen, nach dem, was vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und anderen erfasst wurde. Unter Vorbehalt kann man sagen, dass ungefähr 30 Prozent über eine sehr geringe Bildung, also zum Teil Analphabetismus in den eigenen Heimatländern oder nur eine einfache Grundbildung, zwei, drei Klassen verfügen, dass es aber auch genauso einen ähnlichen Prozentsatz gibt, die über ein Abitur oder sogar ein begonnenes Studium oder einen entsprechenden Abschluss verfügen.
    Habermalz: Der Bildungsökonom Ludger Wößmann hat die Pisa-Ergebnisse von Syrien und Deutschland verglichen und kam dabei zu Ergebnissen, die eigentlich sehr alarmierend sind, also, dass die Schulergebnisse kaum vergleichbar sind. Also, er hat Achtklässler verglichen und kam zu dem Ergebnis, dass Schüler der achten Klasse teilweise fünf Schuljahre zurücklagen und ein ganz großer Teil der syrischen Jugendliche gerade über rudimentäre Kenntnisse im Lesen und Schreiben verfügen. Wie kann man diese Kinder, selbst, wenn sie Deutsch lernen, oder diese Jugendlichen, wie sollen die dem Unterricht folgen können, wie kann man die in Ausbildung bringen?
    Wanka: Gerade die Kinder – ich habe es erlebt in Erstaufnahmeeinrichtungen –, das ist faszinierend, wie schnell die Kinder Deutsch lernen. Also Kinder, die seit zwei, drei Monaten erst hier sind, jetzt gerade mal in den Kindergarten gehen, konnten schon viel, viel besser Deutsch sprechen als ihre Eltern. Also ich denke, wenn die Kinder gut in die Kindereinrichtungen oder dann in die Schule aufgenommen werden, dann sind das diejenigen, die besonders schnell sich zurechtfinden werden. Ich glaube, schwieriger ist es für die jungen Männer, die nicht mehr schulpflichtig sind, die möglichst schnell einen Anschluss finden, die jetzt gar nicht ausbildungsfähig sind. Das ist, glaube ich, schwieriger als für diejenigen, die in der Lage sind, die Chance haben, unsere Schule normal zu durchlaufen.
    Habermalz: Viele der Jugendlichen kommen ja aus Ländern, in denen es nie eine Demokratie gab, in der Frauen wenig gelten. Müsste es nicht auch Aufgabe der Bildungsinstitutionen sein, auch westliche oder europäische Werte zu vermitteln? Wo sollten sie das sonst lernen, außer in den Schulen, in den Ausbildungsbetrieben?
    Wanka: Eindeutig. Eindeutig, das ist völlig klar. Es geht nicht nur darum, die Sprache zu lernen oder jetzt rechnen und Chemie nachzuvollziehen, sondern es geht eben darum zu lernen, wie in unserer Gesellschaft gelebt wird, was vor allen Dingen Demokratie bedeutet, dass es anstrengend ist, aber dass es ein Glück ist, dass wir demokratische Verhältnisse haben oder auch das Thema Gleichberechtigung. Aber ich glaube, man kann es nicht nur vermitteln in Ansprachen oder in einem Unterrichtsfach gar, sondern das muss man vorleben. Und für mich ist sehr, sehr interessant und wichtig, dass Integration besonders gut gelingt über den Arbeitsprozess. Und deswegen ist es mir sehr wichtig, dass junge Männer – aber ich möchte vor allen Dingen auch junge Frauen –, dass sie die Chance haben, eine Ausbildung zu realisieren, hier zu arbeiten. Weil das ist etwas, was dann auch hilft, Wertvorstellungen zu vermitteln.
    Jugendliche Flüchtlinge in handwerkliche Ausbildungen bringen
    Habermalz: Wie wollen Sie das erreichen?
    Wanka: Wir haben uns in den letzten Jahren sehr stark bemüht, Jugendliche mit Migrationshintergrund – also jetzt nicht neu hinzukommende Flüchtlinge –, diese für das duale System zu begeistern, ihre schulischen Leistungen zu verbessern. Und da sind Erfolge zu verzeichnen. Und die Instrumente, die wir da angewandt haben, zum Beispiel in der siebten und achten Klasse intensive Beratung: Was willst du vom Leben? Was könntest du lernen? Welche Berufe werden möglich? Oder dann in den KAUSA- Beratungsstellen (Koordinierungsstelle Ausbildung bei Selbstständigen mit Migrationshintergrund), wo es vor allen Dingen darum geht, dass Unternehmer mit Migrationshintergrund Jugendliche mit Migrationshintergrund für eine Ausbildung aufnehmen. Diese Instrumente, die nutzen wir jetzt, da haben wir Erfahrung, da wissen wir, dass es gut funktioniert. Und deswegen haben wir da jetzt auch Geld hineingesteckt. Zum Beispiel diese Beratungsstellen verdoppelt, sodass die in allen großen Zentren Deutschlands sind. Also, wir bemühen uns, auch mit den Handwerkskammern zusammen. Und wir werden in Kürze ein neues Programm vorstellen, wo es vor allen Dingen darum geht, junge Menschen in handwerkliche Ausbildungen zu bringen und vielleicht, wenn es uns gelingt, gerade auch in Bereiche, in die sie normalerweise nicht gehen. Also, in ländliche Bereiche, wo bis jetzt sehr wenig jugendliche Flüchtlinge hingegangen sind.
    Habermalz: Aber wir haben jetzt ja schon dieses Matching-Problem, das immer beschrieben wird, dass es auf der einen Seite ausbildungswillige Jugendliche gibt, auf der anderen Seite Ausbildungsplätze, die ganz andere Anforderungen stellen. Das wird jetzt ja noch mal verstärkt werden, dieses Problem.
    Wanka: Eben, und deswegen muss man dort jetzt auch richtig Geld einsetzen, um eben zu begeistern für gewisse Berufe, um klarzumachen, was für Anforderungen in diesen Berufen sind. Und dieses Geld, das wir dafür einsetzen, das ist gut angelegt. Weil, wenn sie eine Ausbildung absolvieren – ja –, dann sind sie nicht auf soziale Unterstützung angewiesen, sondern, dann sind sie in der Lage, Geld zu verdienen, dann werden sie am besten integriert. Und deswegen glaube ich, dass dieses Präventive jetzt am Anfang, dass das ganz wichtig ist. Und mein Haus ist ja da ein Haus, was im besonderen Maße sich um diese Präventionen bemüht.
    Habermalz: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, es soll ein Programm geben des Bundes, das Flüchtlinge, zugewanderte Jugendliche ausbildungsfähig machen soll und vermitteln soll.
    Wanka: Ja, genau. Mit der Bundesagentur für Arbeit und mit den Handwerkskammern zusammen. Aber nicht etwas, wo man so allgemein mal ein bisschen weiterbildet, sondern wo es wirklich zielgerichtet darum geht und wo sie dann auch echt von den Handwerkskammern einen Ausbildungsplatz erhalten müssen.
    Berufsabschluss als "Eintrittskarte in ein selbstbestimmtes Leben"
    Habermalz: Nun ist ja das duale System sehr deutschlandspezifisch und in Syrien und im Irak wenig bekannt. Wie wollen Sie junge Leute, die hier herkommen, davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, erst mal eine Ausbildung zu machen, wo es kein Geld gibt, oder sich vorzubereiten auf eine Ausbildung, sogar noch lange Kurse zu belegen, wenn sie doch wahrscheinlich hierhergekommen sind und in der Erwartung und Hoffnung, schnell zu arbeiten und Geld zu verdienen?
    Wanka: Ja, das ist verführerisch. Das ist verführerisch, das geht aber nicht nur jungen Flüchtlingen so, sondern zum Teil auch jungen Deutschen. Und ich denke, hier muss man klarmachen, wenn man wirklich langfristig, wenn man selbstbestimmt leben will, wenn man über lange Phasen gut verdienen will – auch wenn die Arbeitslosigkeit sich vielleicht mal wieder erhöht –, dann ist es wichtig, einen beruflichen Abschluss zu haben. Das ist sozusagen die Eintrittskarte in ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland. Und das kann man sicher nicht mit ein paar bunten Schautafeln oder mit einem Vortrag, sondern da muss man sich intensiver bemühen. Und wenn die dann in einem Betrieb sind und sehen, was sich die Arbeiter dort leisten können und wie die leben, dann ist das auch motivierend, glaube ich.
    Habermalz: In den Ländern sind die Aufgaben schier endlos. 20.000 zusätzliche Lehrer werden in den Ländern gebraucht, dazu kommen Deutschlehrer, Förderlehrer, Schulsozialarbeiter. Was kann der Bund tun, um die Länder bei dieser Mammutaufgabe zu unterstützen?
    Wanka: Der Bund hat ja in den Jahren seit 2008 mit den Ländern gemeinsam die Qualifizierungsinitiative, wo es darum ging, gemeinsam im Bildungsbereich voranzukommen, also die Zahl der Schulabbrecher zu senken gemeinsam vorangetrieben. Und jetzt sind wir von Seiten des Bundes der Meinung, dass die Bewältigung der Flüchtlingsströme, diese Problematik, dass das eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Das heißt, der Bund bemüht sich in den Bereichen, wo er Kompetenz hat, wie wir bei der beruflichen Ausbildung – aber er stellt dann natürlich auch in Größenordnung Geld zu Verfügung für die Länder, damit sie ihre Aufgaben realisieren können. Da haben wir schon Verteilungsrunden; gestern Abend wurde wieder getagt. Und ich glaube, da werden wir noch sehr oft miteinander diskutieren müssen: Wer übernimmt welche Aufgabe und wer setzt dafür finanzielle Mittel ein? Also, es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, wo keiner mit dem Finger auf den anderen zeigt, sondern wo jeder das, was er tun kann, was er am besten kann, wo er Kompetenzen hat, tun sollte und man gemeinsam die Kosten bewältigt.
    Habermalz: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, Malu Dreyer, hat jetzt gestern, glaube ich, ein Investitionsprogramm vorgeschlagen, von Bund und Ländern, die sollen gemeinsam in Schulen, Kitas und Integrationsmaßnahmen für Arbeitsplätze investieren. Wie stehen Sie dazu? Ist das eine Möglichkeit?
    Wanka: Gestern Abend wurde beschlossen, eine Bund-Länder-Kommission einzusetzen. Die überlegt: Was sind die wichtigsten Schritte? Wo müsste man investieren? Wie ist das mit der Wohnraumversorgung und anderem? Und wir haben, glaube ich, auch einen ehrgeizigen Zeitplan, dass diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe bis Ende Februar erste Eckpunkte vorlegt, die man dann in eine Strategie umsetzen kann, und da geht es auch um die Erörterung der eben angesprochenen Fragen. Das sind aber noch keine Antworten.
    Habermalz: Die SPD hat die Vorstellung, angesichts der nationalen Aufgabe, die Flüchtlinge in Bildung zu integrieren, das Koalitionsverbot auch im Schulbereich zu kippen. Ist das nicht eigentlich eine gute Idee? Immerhin ist das ja auch eine außergewöhnliche Situation, die es zu bewältigen gilt.
    Wanka: Wenn wir jetzt anfangen, über eine Grundgesetzänderung zu diskutieren, was unter Umständen Jahre dauert, was bisher nicht funktioniert hat, dann, glaube ich, ist das genau das Falsche. Sondern angesichts der problematischen, der schwierigen Situation, müssen wir jetzt handeln und keine Verteilungsdiskussion führen. Und generell glaube ich, dass wir klären müssen: Welche Struktur möchte man dann? Möchte man dann zum Beispiel ein ganz einheitliches Bildungssystem in Deutschland, soll der Bund Kompetenzen bekommen? Bis jetzt, zum Beispiel die neuen KMK (Kultusministerkonferenz)-Vorsitzende, Frau Bogedan, hat vor kurzem erklärt, sie möchte nicht, dass der Bund Kompetenzen im Schulbereich bekommt. Und deswegen wird der Bund das nicht einfach einfordern, sondern gucken, wo kann man gemeinsam mit den Ländern Bildungsaufgaben bewältigen.
    Habermalz: Letztlich, man hat immer die Kompetenzen, die man sich nimmt, oder nicht? Man könnte zum Beispiel ein Sonderprogramm auflegen und damit zusätzliche Lehrer finanzieren. Sonderprogramme hat es ja in der Vergangenheit auch gegeben, Bund-Länder-Sonderprogramme.
    "Es war richtig, universitäre Spitzenforschung zu befördern"
    Wanka: Wenn wir aber in Verhandlungen den Ländern Geld zugestehen, was sie dann einsetzen können je nach ihrer Bedarfslage, können sie auch dieses tun.
    Habermalz: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Frau Wanka, die wichtigste wissenschaftspolitische Entscheidung des Jahres steht an: Bund und Länder müssen entscheiden, wie es weiter gehen soll mit der Exzellenzinitiative. Vor zehn Jahren haben Bund und Länder dieses Förderprogramm für Spitzenforschung gestartet, Ende 2017 läuft sie aus. Dass sie verlängert werden soll, ist schon entscheiden, nur wie und in welcher Form, darum wird noch gerungen. Heute wurde der Imboden-Bericht vorgestellt – lange erwartet –, der das bisher Erreichte evaluieren sollte. Immerhin 4,6 Milliarden Euro sind in den letzten zehn Jahren von Bund und Ländern im Rahmen dieser Exzellenzinitiative ins Hochschulwesen geflossen. Ein Harvard oder ein Oxford haben wird deswegen aber immer noch nicht in Deutschland. Was hat der Imboden-Bericht für Sie ergeben?
    Wanka: Die Imboden-Kommission sollte ja einschätzen, was hat diese Exzellenzinitiative, was hat die mit dem Hochschulsystem, mit dem universitären System in der Bundesrepublik gemacht? Hat es also einige befördert, die anderen eher zurückgedrängt? Welche Wirkung hat es? Und deswegen ist dieser Bericht von einer unabhängigen Kommission für uns sehr interessant. Und er hat festgestellt: Es war richtig. Es war richtig, universitäre Spitzenforschung zu befördern. Es ist ein Prozess, der eigentlich sehr lange dauert, bis man wirklich Hochschulen hat, die in der ganz allerersten Spitzenliga spielen, sodass der Imboden-Bericht in der Quintessenz sagt: Der Weg ist richtig, aber wir sind erst ein Stück des Weges gegangen und genau in dieser Richtung muss weitermarschiert werden.
    Habermalz: 'Erfolgreich in vielen Bereichen', das hat der Imboden-Bericht gesagt, aber er hat auch einige Probleme aufgezeigt der deutschen Universitäten, die auch Auswirkungen auf die Exzellenz haben. Also, zum Beispiel die hohen Studierendenzahlen wurden genannt oder auch der schlechte Betreuungsschlüssel für Studenten. Auch die exzellente Lehre zeichnet ja Spitzenuniversitäten wie Oxford oder Stanford aus. Müsste nicht das auch in eine Exzellenzbewertung mit einfließen?
    Wanka: Die Imboden-Kommission hat Baustellen aufgezeigt, und da gehörte das eben von Ihnen Genannte dazu. Aber die Exzellenzinitiative ist sozusagen keine Allzweckwaffe, die alle Probleme im Hochschulbereich löst, sondern die ist wirklich fokussiert auf internationale Sichtbarkeit, Spitzenleistung, hat zum Beispiel die forschungsorientierte Lehre sehr stark verbessert, gepusht. Das kommt eindeutig im Bericht heraus. Für andere Fragen, zum Beispiel: Wie bewältigt man die wachsenden Studierendenzahlen?, haben wir ja Instrumente. Wir haben den Hochschulpakt. Da haben wir jetzt, wenn der ausläuft, über 20 Milliarden, also nicht nur fünf, wie für die Ex-Ini (Exzellenzinitiative), sondern 20 Milliarden investiert. Oder "Qualitätspakt Lehre". Das heißt, wir gehen auch an diese Probleme heran, aber die Exzellenzinitiative hat nicht ursächlich eine Wirkung auf die Zahl der Studierenden, das muss man sagen. Und deswegen ist für mich vor allen Dingen interessant: Was hat es denn bewirkt zum Beispiel für den wissenschaftlichen Nachwuchs, was hat es bewirkt für unsere Spitzenposition oder in der Welt, haben wir uns verbessert? Und da liefert der Bericht doch, denke ich, ganz erfreuliche Ergebnisse oder Einschätzungen.
    Habermalz: Was war für Sie besonders wichtig an den Ergebnissen des Imboden-Berichtes?
    Wanka: Zum einen die Bestätigung, dass die Grundrichtung des Weges, dass das erfolgreich sein kann. Dann die Einschätzung, dass wir eigentlich, auch wenn fünf Milliarden oder 4,6 sehr viel Geld ist, große Effekte erzielt haben mit relativ wenig Geld und dass das ganze Hochschulsystem in Deutschland in eine Aufbruchsstimmung, in eine Veränderung – es geht um Profilierung, es geht um Strategien von Universitäten – gekommen ist. Das hat der Bericht herausgearbeitet. Aber, was aus meiner Sicht auch sehr interessant ist, das ist die Einschätzung der Imboden-Kommission: Wie stark sind Hochschulleitungen in Deutschland, sollten sie stärker werden, ist das wirklich ein Element, was wichtig ist für Spitzenuniversitäten. Aber, eindeutig sagt Imboden auch: Die müssen sich auch was trauen, die müssen auch unpopuläre Sachen machen. Und amerikanische Hochschulen gehen nicht davon aus, dass sie immer Sonderprogramme haben, sondern die entscheiden: Das sind die strategisch wichtigen Bereiche und andere Bereiche werden nicht so gefördert oder zum Teil sogar über Jahre abgebaut. Und so etwas haben wir in Deutschland nicht. Und deswegen, glaube ich, wird man sicher in der Hochschulrektorenkonferenz darüber diskutieren.
    Habermalz: Die Wissenschaftler um Imboden haben ja unter anderem auch vorgeschlagen, die Eliteuniversitäten künftig nicht mehr aufgrund der von ihnen eingereichten Zukunftskonzepte zu bewerten, sondern über ein Prämiensystem. Also keine langwierigen Anträge mehr, sondern nach sechs bis sieben Jahren Bonuszahlungen für die zehn besten Universitäten. Das würde ja vieles vereinfachen. Oder wie stehen Sie dazu?
    Wanka: Wenn wir so begonnen hätten in der Exzellenzinitiative vor Jahren, glaube ich, hätten wir nie diese Dynamik, diese Bewegung, dass auch die Hochschulen – hörten wir heute – positive Effekte haben durch die Exzellenzinitiative, auch wenn sie nicht Gewinner sind. Und ich denke, es ist wichtig zu gucken, was hat eine Hochschule geleistet? Aber dass es nicht nur darum geht, sich auf dem vorhandenen Lorbeer auszuruhen, sondern dass es auch darum geht, was ist die Strategie für die Zukunft? Die kann ja auch einfach beschrieben werden. Aber man muss eine gemeinsame Idee haben, wo man hin will. Das ist, glaube ich, für mich unverzichtbar.
    Habermalz: Auf der anderen Seite wurde von den Universitäten immer beklagt, dass so viel Zeit einfach verwendet wird und so viel Energie, um die Anträge zu stellen, die dann letztlich der Forschung wieder verloren gehen. Das würde dadurch reduziert werden.
    Wanka: Also, diese Klage der Universitäten, die ist berechtigt. Und das ist aus meiner Sicht auch ganz zwingend notwendig, dass wir jetzt in der Nachfolge die Antragstellung und das, was man verlangt, dass man das erleichtert, dass man auch die Zeiträume, in denen dann Förderung gewährt wird, vergrößert. Also, da bin ich sehr dafür. Damit ist aber nicht automatisch klar, dass man einfach sagt: Wir gucken mal, was bisher geleistet wurde und das wird honoriert, sondern es muss ein Stück mehr, es muss ein Stück Idee sein: Was macht man mit diesem Geld. Aber nicht so eine komplizierte Antragstellung und diese große Linie "Zukunftskonzepte", das möchte ich auch verändern.
    Habermalz: Ein Punkt tauchte noch auf bei Imboden, nämlich der Punkt: Wie viele Eliteunis können oder wollen wir uns eigentlich leisten? Das Geld ist ja begrenzt. Sollte man nicht in Deutschland die Mittel mehr konzentrieren und vielleicht lieber fünf richtig als elf ein bisschen exzellent fördern?
    Wanka: Na, "ein bisschen exzellent" ist vielleicht nicht ganz fair gesagt. Aber wie viele dann in der Spitze sind, das ist zu diskutieren. Und man muss sich wirklich überlegen: Ist das Geld, was man dann zur Verfügung stellt, auch so, dass es die Universitäten in die Situation versetzt, wirklich spitze zu sein? Und letztendlich muss man sagen, wenn man jetzt sieht, was in den Exzellenzclustern in den letzten Jahren geleistet wurde, wie die Publikationszahlen hochgegangen sind, dann haben unsere Hochschulen wirklich allen Grund stolz zu sein, mit welchen relativ bescheidenen Mitteln sie welche Ergebnisse erzielen.
    "Wir wollen eine Eliteförderung"
    Habermalz: Frau Wanka, die Bundesländer haben bislang in sehr unterschiedlichem Maße profitiert von der Exzellenzinitiative. Wie groß ist die Gefahr, dass am Ende, wenn die Länder mitentscheiden über die künftige Struktur, doch eher wieder politisch entschieden wird nach dem Motto: Wir wollen alle eine Eliteuni. Lässt sich Eliteförderung im föderalen System überhaupt durchsetzen?
    Wanka: Es gibt das klare Bekenntnis aller Bundesländer: Wir wollen eine Eliteförderung, wir wollen also die Nachfolge der Exzellenzinitiative nicht als Gießkannenprinzip, sondern wirklich nuanciert die Gelder einsetzen. Wie man das genau macht, das ist ganz schwierig auszuhandeln. Und diese Verhandlungen, die wir jetzt vertraulich führen, die sind nicht ohne Sprengkraft.
    Habermalz: Die Verfassungsänderung im letzten Jahr, die hat Ihnen ja neue Möglichkeiten gegeben. Die Abschaffung des Kooperationsverbotes im Hochschulbereich, dafür haben Sie gestritten. Wäre das nicht eine Gelegenheit, diese Karte jetzt auszuspielen?
    Wanka: Ja. Die Möglichkeiten, die wir durch die Grundgesetzänderung haben, dass der Bund also auch institutionell fördern kann, bei entsprechendem Einverständnis der Länder, das ist eine Chance, die wir nutzen sollten in der Nachfolge der Exzellenzinitiative. Ich bin dazu bereit, ich möchte das gerne.
    Habermalz: Inwiefern, wo wollen Sie das einsetzen?
    Wanka: Das, Frau Habermalz, diskutieren wir erst.
    Habermalz: Aber was sind Ihre Vorstellungen?
    Wanka: Ach, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Dass man sich – nur theoretisch – vorstellen könnte, dass ein Cluster, was ganz herausragend ist, was sich bewährt hat über viele Jahre, was zur Weltspitze gehört, dass es dort ein Bundesinteresse gibt, nicht nur temporär – sieben, acht Jahre –, sondern längerfristig Geld einzusetzen. Natürlich muss immer mal die Qualität überprüft werden. Und Langfristigkeit ist im Wissenschaftsbereich, wenn man weiß, dauerhaft, das ist fast so viel wert wie Cash.
    Habermalz: Aber Bundesexzellenzuniversitäten wird wird es nicht geben?
    Wanka: Mit mir nicht.
    Habermalz: Es muss jetzt sehr schnell gehen, das haben Sie heute morgen auch schon gesagt, Politik ist in Verzug. Bund und Länder müssen sich bis Ende April geeinigt haben, wie es weitergehen soll. Selbst dann ist es für die Forschungsprojekte kaum noch zu schaffen, die Folgeanträge rechtzeitig zu stellen. Braucht es – wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefordert hat – eine Übergangsfinanzierung?
    Wanka: Also, "die Politik ist in Verzug", dem würde ich heftig widersprechen. Und ich glaube auch, Herr Imboden hat klargemacht, dass man gar nicht schneller sein konnte. Man konnte die Betrachtung des Gesamtsystems nicht nach zwei Jahren Exzellenzinitiative realisieren. Dass wir uns das ehrgeizige Ziel gesetzt haben, jetzt sofort in diesem halben Jahr die Entscheidung zu treffen, das, glaube ich, spricht für die Politik. Aber ob wir dann einen Zeitraum bis – wie geplant – Ende 2017 haben oder ob wir sagen, wir brauchen ein Jahr mehr oder ein halbes Jahr mehr, das werden wir diskutieren mit den Ländern untereinander. Wichtig ist, dass das, was wir inhaltlich wollen, nicht durch einen unnötigen Zeitdruck konterkariert wird, sondern dass die Hochschulen dann auch entsprechend die Zeit haben zu agieren. Darüber kann man sprechen, ich glaube, das ist ganz notwendig.
    Habermalz: Sie wollen in diesem Jahr auch die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessern. Umfragen zufolge überlegen Zweidrittel der jungen Wissenschaftler wegen schlechter Perspektiven aus der Wissenschaft auszusteigen oder ins Ausland zu gehen. Auch da geht Deutschland ja Exzellenz verloren. Können wir uns das leisten?
    Wanka: Im Moment haben wir die Situation, dass viele der jungen Leute, die vor Jahren nach USA oder Kanada gegangen sind, zurückkommen möchten. Und es gelingt uns auch, internationale Spitzenforscher – anders, als vor zehn, 15 Jahren – wirklich nach Deutschland zu holen. Aber die Exzellenzinitiative, die meisten Gelder sind eingesetzt worden für Nachwuchswissenschaftler. Sie können sich vorstellen, ungefähr 6.000 Stellen für Promovierende oder für Postdocs sind durch die Exzellenzinitiative finanziert worden. Aber das ist natürlich immer nur zeitlich befristet. Und damit wird besonders deutlich: Wir haben viel mehr junge Leute im System Exzellent und zu wenig unbefristete Professuren und die Entscheidungen (ob man eine Professur bekommt) fallen zu spät. Und deswegen mein Vorstoß, dass wir eine Milliarde von Seiten des Bundes einsetzen wollen, um hier mehr unbefristete Stellen zu erreichen und über Tenure-Track wirklich früher die Entscheidungen fallen. Und das ist dann attraktiv für junge Frauen, die ich kenne, die in USA sind, die dort eigentlich schlechtere Stellen haben, aber unbefristet. Und deswegen glaube ich, ein solches Umsteuern, eine frühere Entscheidung und auch mehr unbefristete Professorenstellen ist notwendig und ist vielleicht eine positive Folge der Exzellenzinitiative, dass jetzt der Druck an der Stelle steigt und deswegen die Initiative des Bundes. Aber das kann man nicht allein, sondern da müssen wir mit den Ländern arbeiten, da sind wir in Verhandlungen.
    Habermalz: Trotzdem wird darüber ja noch heftig gestritten. Die SPD will mit dem Geld neue Stellen auch für den Mittelbau schaffen, auf der Ebene von wissenschaftlichen Mitarbeitern oder Lehrbeauftragten mit Daueraufgaben. Auch das sind ja wichtige Aufgaben für die Hochschulen. Warum sträuben Sie sich so sehr dagegen und warum wollen Sie Stellen nur für Professuren schaffen?
    Wanka: Wir waren bei der Exzellenzinitiative und da zeigt sich eindeutig, für die Spitze müssen wir den Spitzenleuten Möglichkeiten in Deutschland bieten – also das ist dann im professoralen Bereich. Aber wir haben ja seit dem 1. Januar des letzten Jahres das BAföG im Bund zu 100 Prozent übernommen, finanziert und damit das erste Mal, also seit ich mich erinnern kann, unbefristet Geld in die Länder gegeben. Jedes Jahr haben die Länder in Summe 1,2 Milliarden. Damit kann man in den Ländern unbefristete Stellen finanzieren. Damit kann man zum Beispiel Mittelbaustellen finanzieren. Und ich würde mich sehr freuen, wenn das Geld dann auch an möglichst vielen Stellen so eingesetzt wird. Das Geld ist vom Bund zur Verfügung gestellt worden.
    Habermalz: Frau Ministerin, zum Schluss eine hypothetische Frage: Bildung ist ja Ländersache, jeder redet rein, wo er kann, auch die Parteien und die Koalitionsspitzen. Nehmen wir an, Sie hätten, sagen wir, on top eine Milliarde Euro zur Verfügung, die Sie ganz alleine ausgeben dürfen, ohne föderale oder parteipolitische Rücksichtnahme: Wohin würden Sie das Geld stecken?
    Wanka: Ich würde das Geld nehmen, um es im System der beruflichen Bildung auch zu investieren, weil das ist die Zweitsäule neben der Hochschulbildung, also, um die Attraktivität der dualen Ausbildung zu erhöhen, aber eben auch im Hochschulsystem und da nicht nur für die Universitäten, sondern auch für die Fachhochschulen.
    Habermalz: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Wanka.
    Wanka: Gerne.