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Bundeselternrat
"Viele Schulleitungsstellen sind alles andere als attraktiv"

Der Vorsitzende des Bundeselternrats, Hans-Peter Vogeler, fordert mehr Unterstützung für Schulleiter. Oftmals fehlten Unterstützungssysteme für die schwierige Aufgabe, sagte Vogeler im Deutschlandfunk. Deshalb seien viele Stellen unbesetzt. In Düsseldorf beginnt am Freitag der dritte Deutsche Schulleiterkongress.

Hans-Peter Vogeler im Gespräch mit Christoph Heinemann | 14.02.2014
    Christoph Heinemann: Vielleicht hat die eine oder der andere ihre oder seine Schulzeit so unbeschwert erlebt wie in dem Film „Die Feuerzangenbowle“. Durchgehend idyllisch war Schule damals sicherlich nicht - schon deshalb nicht, weil in den Klassenzimmern geschlagen, um nicht zu sagen geprügelt wurde. Und auch heute bedeutet Schule für alle Beteiligten beileibe nicht nur Spaß. In Düsseldorf tagen zurzeit Rektoren und Direktoren aus allen Bundesländern beim deutschen Schulleiter-Kongress. Viele Stellen sind zu besetzen. Allein in Nordrhein-Westfalen fehlt an jeder achten Schule eine Chefin oder ein Chef. Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz melden ebenfalls viele freie Stellen. Und über ein anderes Problem wird in der Bildungswelt gerade diskutiert: Wie können sich Schulen von unfähigen Lehrerinnen und Lehrern trennen? Dort, wo die Pädagogen Beamte sind, ist das alles andere als einfach. Dabei sind schlechte Lehrer das letzte, was dieses Land brauchen kann.
    Der Bundeselternrat hält laut Selbstbeschreibung im Internet im Rahmen seiner länderübergreifenden Aufgaben engen Kontakt zu Ministerien, Institutionen und Verbänden, um den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule zu fördern und in Übereinstimmung mit Artikel VI des Grundgesetzes die Rechte der Eltern zu wahren. Am Telefon ist Hans-Peter Vogeler, der Vorsitzende des Bundeselternrates. Guten Morgen!
    Hans-Peter Vogeler: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    "Ein Schulleiter ist im Prinzip der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens"
    Heinemann: Herr Vogeler, wieso sind zurzeit so viele Chefstellen in den Schulen frei?
    Vogeler: Positionen generell. Wenn Stellen frei sind und Menschen sich überlegen, ob sie sich darauf bewerben, hat etwas mit Attraktivität zu tun. Und wenn wir uns derzeit in der Schullandschaft umgucken, dann sind viele, viele Schulleitungsstellen alles andere als attraktiv. Mit attraktiv meine ich nicht nur eine adäquate Bezahlung. In der Industrie geht es nach Verantwortung, nach Umsatzverantwortung, nach Personalverantwortung. Wenn wir uns jetzt bei einem Schulleiter umgucken bei einer mittelgroßen Schule, da sind 30 bis 50 Kollegen, die direkt an den Schulleiter berichten, und da ist der erste Punkt: Welche Leitungsstruktur, welche Unterstützungssysteme hat, bietet Schule.
    Ein Schulleiter ist im Prinzip der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens. Er ist ein Personalvorstand, er ist die Controlling-Instanz und er ist die pädagogische Leitung. Da sind schon mal so viele Funktionen in einer Person vereint. Das zu leisten, ist als Einzelner ganz schwierig. Also die Attraktivität besteht darin: Habe ich eine Leitungsstruktur, in der ich mir über drei, vier Köpfe hinweg diese Funktion wahrnehmen kann, und habe ich Zeit, meine Leitungsfunktion wahrzunehmen? Es gibt ja noch viele Bundesländer, da unterrichtet der Schulleiter ja mehr, als dass er Stunden hat, für Leitung zu sorgen.
    Das ist der eine Punkt und der zweite noch ganz kurz: Unterstützungssysteme. In der Industrie ist es doch überhaupt gar kein Makel, wenn man einen Coach an der Seite hat, wenn man Fortbildung hat. Haben wir, kriegen wir, kriegen die Schulleiter überall einen Coach an die Seite, um sich weiterzuentwickeln und über ihr eigenes Handeln zu reflektieren? Ich glaube nicht.
    Heinemann: Glauben Sie nicht, sagen Sie. Was macht denn einen guten Schulleiter aus, oder eine gute Schulleiterin?
    Vogeler: Da haben wir das nächste Problem. In der Vergangenheit, wir haben einen Schulleiter ausgewählt, der beste Pädagoge der Schule wurde dann vom Kollegium zum Schulleiter gewählt oder von der vorgesetzten Behörde eingesetzt. Mittlerweile hat sich das System Schule so weit entwickelt, dass ich das Thema Personalentwicklung viel mehr im Vordergrund habe. Ich muss Fähigkeiten haben, ein System zu entwickeln: Wie schaffe ich es, dieses System Schule zu einer sehr guten, zu einer exzellenten Schule zu machen.
    Heinemann: Also mehr Manager und weniger Pädagoge?
    Vogeler: Beides braucht er. Er braucht eine gehörige Portion an Pädagogik, Wissen dahinter. Da kann er aber als Ergänzung auch einen pädagogischen Leiter haben. Aber er muss sehr ein Gefühl dafür haben und Kenntnisse, wie entwickle ich ein System.
    Heinemann: Wären Sie gerne Schulleiter?
    Vogeler: Ja, das würde mich schon reizen.
    Heinemann: Hat aber irgendwie nicht geklappt?
    Vogeler: Ich habe einen anderen Weg eingeschlagen, ja.
    Von schlechten Lehrern trennen können
    Heinemann: Okay. Wie können sich Schulleiter - darüber wird in der Bildungswelt, hatte ich eben gesagt, ja auch im Moment heftig diskutiert -, wie kann man sich von unfähigen Lehrerinnen und Lehrern trennen? Darüber hatte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ am vergangenen Wochenende ausführlich berichtet. Ist nicht ganz einfach?
    Vogeler: Ja. Aber ein Punkt ist mir ganz wichtig. Wir reden hier über Menschen und wir reden hier über Eigenschaften und Funktionen von Menschen. Wir reden nicht davon, eine Person abzuqualifizieren, sondern wir reden davon, ist eine Person in seiner Funktion gut oder nicht. Es geht um die Funktion, niemals um die Person, und da bitte ich bei der Wortwahl auch immer tunlichst drauf zu achten und ich hoffe, es gelingt mir auch. Es geht darum, dass eine Lehrkraft nicht mehr in der Lage ist, einen guten Unterricht zu machen. Jetzt können wir natürlich darüber diskutieren, was guter Unterricht ist.
    Heinemann: Wäre meine nächste Frage gewesen.
    Vogeler: Da kommen wir gleich dazu. Wenn sie das nicht mehr schafft, dann ist doch der erste Punkt zu gucken, woran liegt das: Hospitation von Kollegen von der Schulleitung, was mache ich an Entwicklung, welche Möglichkeiten haben wir. Ich habe schon Fälle erlebt, da reicht die Reduktion der Stundenzahl komplett aus und die Lehrkraft, die früher super gut war und jetzt Schwierigkeiten hat, die wird wieder gut. Oder da ist mal ein Tal aufgrund welcher persönlichen Umstände auch immer. Man muss sich den Einzelfall haargenau angucken und dann Unterstützungsleistungen geben, um diese Person weiterzuentwickeln.
    Heinemann: Und wenn das alles nicht fruchtet?
    Vogeler: Dann muss man sich trennen.
    Heinemann: Wie denn?
    Vogeler: Ich bin jetzt kein Rechtler im Beamtenrecht. Das muss dann entsprechend geregelt werden. Man muss gucken, ob man in dem System der ganzen Behörde eine adäquate Stelle findet, wo diese Person auch von Nutzen ist. Weil ich bin davon zutiefst überzeugt, dass jeder Mensch Fähigkeiten hat, und jetzt müssen wir gucken mit seinen Fähigkeiten, wo können wir ihn einsetzen. Wenn das nicht die Klasse ist, dann gehört er nicht mehr vor eine Klasse. Und selbst da ist ja die Realität so, selbst bei schweren Verfehlungen wie sexuelle Übergriffe und und und, und selbst dort wird sich ja nicht mal von Lehrkräften getrennt, was ich völlig unglaublich finde.
    Schlechte Lehrer "können ganze Menschenkarrieren kaputt machen"
    Heinemann: Was müsste sich konkret ändern?
    Vogeler: Wie gesagt, den rechtlichen Hintergrund, wie das zu ändern ist, weiß ich nicht. Aber die Möglichkeit, in einem Verfahren einer Person zu kündigen, das muss möglich sein.
    Heinemann: Denn was können unfähige Lehrerinnen und Lehrer, nur auf die Funktion bezogen wie gesagt, anrichten?
    Vogeler: Sie können ganze Menschenkarrieren kaputtmachen. Die können auf der einen Seite kaputtmachen und den Lernfortschritt der Kinder massiv behindern. Sie können dafür sorgen, dass wir all diese Ressourcen, die wir - und das ist ja mittlerweile gängige Meinung. Bildung oder Know-how ist unsere Ressource und nicht irgendwie Bodenschätze. Wir können es uns doch überhaupt nicht leisten, diese Kinder, die in die Schule kommen und mit Begeisterung anfangen zu lernen, dass wir die beschädigen und verlieren auf dem Lernweg.
    Heinemann: Ist bekannt seit Jahrzehnten, was Sie gerade gesagt haben, aber es passiert offenbar nichts.
    Vogeler: So würde ich das nicht sagen. Wenn Sie die Studien über Grundschulen angucken, da ist schon sehr, sehr viel passiert. Auch was weiterführende Schulen angeht, haben wir schon mal einen richtigen Weg eingeschlagen. Aber da fehlt es natürlich auch an Durchhaltevermögen. Jeder Bildungsminister oder Kultusminister fängt wieder mit neuen Themen an, um sich bekannt zu machen.
    Heinemann: Ist der Föderalismus hinderlich?
    Vogeler: In bestimmten Dingen ja, wobei ich nicht missverstanden werden möchte. Ein Zentralstaat, der regiert bis in die letzte Kleinstadt hinein, was an der Schule passiert, das geht natürlich überhaupt nicht, weil die Situation einer Schule in einer Kleinstadt auf dem flachen Land ist etwas völlig anderes als eine Schule in einem sozial herausfordernden Gebiet einer Großstadt. Dort muss man für die Situation vor Ort dann jeweils die Lösung finden. Aber was bestimmte Rahmensetzung anbelangt, ist Föderalismus sehr hinderlich. Das was gerne benutzt wird, es ist ein Wettbewerb, nach den besten Lösungen zu streben, das hat sich in der Wirklichkeit nicht bewahrheitet.
    Heinemann: Herr Vogeler, schauen wir mal auf die andere Seite. Lehrerinnen und Lehrer klagen, dass sie die Kinder häufig erziehen müssen, Grundvoraussetzungen, still sitzen, Aufnahmebereitschaft, dass die häufig nicht mehr erfüllt sind. Versagen zu viele Eltern?
    Vogeler: Ja, wenn Sie das Wort Versagen benutzen. Wir haben eine Situation, da viele Kinder in die Schule kommen, ohne gewisse Grundkulturtechniken zu beherrschen. Es ist nun mal die Realität - das können wir jetzt beklagen -, es ist die Realität, dass in vielen Bereichen, in zu vielen Bereichen Kinder keine positiven Vorbilder zuhause haben, dass Eltern dort nicht für zumindest bestimmte Rahmensetzungen sorgen und schon gar nicht die Aufmerksamkeit ihren Kindern widmen und Interesse an dem Lernfortschritt zeigen. Warum das so ist, darüber können wir auch noch mal sprechen.
    Heinemann: Können Lehrer das ausgleichen, was Eltern verbockt haben?
    Vogeler: Zu einem bestimmten Teil ja. Das ist, da machen wir uns nichts vor, mittlerweile auch Aufgabe der Schule, dieses Stichwort Reparaturbetrieb. Das ist Aufgabe der Schule. Wenn Sie bei den Viereinhalbjährigen, Kinder, die viereinhalb Jahre alt werden und dann der Schule vorgestellt werden, wenn Sie sich da angucken: da können einige Kinder nicht auf einem Bein stehen, kein Gleichgewichtsgefühl, kein Körpergefühl, die können keine ganzen Sätze im Deutschen reden. Da ist es ja offensichtlich, dass irgendwas zuhause nicht funktioniert hat. Dann muss die Schule dort einspringen und, ich sage mal, retten, was zu retten ist, und es ist unglaublich viel zu retten, denn die Kinder sind dafür nicht verantwortlich.
    Heinemann: Hans-Peter Vogeler, der Vorsitzende des Bundeselternrates. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Vogeler: Ich danke Ihnen. Tschüß!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.