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Bundesinnenminister De Maizière
"Missbrauch des Kirchenasyls"

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat seine Kritik am Kirchenasyl verstärkt. Keine Institution könne ihr Recht über das deutsche Gesetz stellen, weder die christlichen Kirchen noch die Muslime, sagte er im DLF - weder die christlichen Kirchen noch die Muslime, wenn sie auf die Scharia setzten. Als Christ habe er jedoch Verständnis, wenn Kirchen in Einzelfällen Gnade vor Recht ergingen ließen.

Thomas de Maizière im Gespräch mit Gudula Geuther | 08.02.2015
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Gudula Geuther: Herr de Maizière, Deutschland gedenkt des Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Die meisten, die sich in diesen Tagen geäußert haben, haben besonders seine Rede vom 8. Mai 1985 hervorgehoben. Was ist für Sie das Prägendste, was er hinterlässt?
    Thomas De Maizière: Richard von Weizsäcker war mein erster Chef nach Abschluss meiner Ausbildung. Da war meine erste Funktion Redenschreiber bei ihm, und deswegen habe ich jahrelang mit ihm zusammengearbeitet - bin dann nicht mit nach Bonn gegangen, weil ich mich in meine Frau verliebt hatte. Aber prägend war für mich seine unglaubliche Fähigkeit, sich auf Menschen einstellen zu können und sie in seinen Bann zu schlagen.
    Geuther: Von Ihnen hört man ja häufig das Wort "Haltung", wenn es drum geht, was Ihnen an Menschen wichtig ist. Richard von Weizsäcker war konservativ, aber mit eigenem Kopf. Er hat sich oft gegen seine und damit auch Ihre Partei gestellt, zum Beispiel in seiner Position zu den Ostverträgen der Brand-Scheel-Regierung Anfang der 70er-Jahre. Ist das auch, was Sie positiv mit "Haltung" verbinden?
    De Maizière: Ja, er war aber ein Konservativ-Liberaler. Er war ein großer liberaler Denker mit konservativer Grundhaltung und Benehmen - auch ein schönes Wort, was man häufig dann vielleicht noch mal verwenden sollte. Und es gibt auch so eine Haltung, die dann in, sagen wir mal, Sturheit umschlägt oder so. Das war bei ihm nicht der Fall, sondern es war schon dann eine Überzeugung, die er dann auch elegant und gekonnt vertreten hat. Aber er war nicht jemand, wie es auch manche gibt, die einfach aus Prinzip immer mal dagegen sind, sondern in ein, zwei Punkten hat er gesagt: "Hier müssen wir einen Schritt weiter gehen, als meine Partei das im Moment bereit ist zu tun."
    "Das ist jedenfalls ein Missbrauch des Kirchenasyls"
    Geuther: Ein Thema, mit dem Sie gerade einige innerhalb der christlich-demokratischen Union überrascht haben dürften, das ist Ihre Kritik am Kirchenasyl. Sie haben kürzlich vor Bischöfen gesagt, dass Sie es prinzipiell und fundamental ablehnen und gleichzeitig haben Sie Verständnis dafür geäußert, dass die Kirchen in Einzelfällen unter dem Gesichtspunkt des Erbarmens Flüchtlinge aufnehmen. Was denn nun?
    De Maizière: Ja, das war eine interne Runde, aber ich will es gerne noch einmal sagen. Ich bin Verfassungsminister; die Verfassung gilt gegenüber jedermann, auch gegenüber der Kirche. Um ein Beispiel zu sagen: Die katholische Kirche hält Abtreibung für eine schlimme Sünde, und der Staat hat andere Regeln des Strafrechts, und die gelten. Und wir haben staatliche Regeln über Aufenthalt und Aufenthaltsbeendigung, und wenn eine rechtskräftige Entscheidung für eine Aufenthaltsbeendigung vorliegt, die durch Gerichte und alles mögliche bestätigt ist, dann hat keiner das Recht - auch nicht die Kirche - zu sagen: "Ich sehe das aber mal anders." Trotzdem, das ist die Meinung des Verfassungsministers. Die Meinung des Christen ist, dass es auch mal ein Erbarmen geben kann, aber dann reden wir über vier, fünf, sechs, zehn Fälle im Jahr. Da wird man dann vielleicht mal "Gnade vor Recht ergehen lassen", wie es auch so schön heißt. Wir reden jetzt inzwischen über hunderte von Fällen, über zum Teil eine systematische Verhinderung von Überstellungen nach Dublin, und das ist jedenfalls mal ein Missbrauch des Kirchenasyls.
    Geuther: Jetzt ist es dem Kirchenasyl ja geradezu immanent, dass man sich damit über Gesetze hinwegsetzt, weil man die christliche Nächstenliebe im Einzelfall für das höhere Gut hält.
    De Maizière: Ja, das geht eben nicht, dass eine Institution sagt: "Ich entscheide jetzt mal, mich über das Recht zu setzen." Ich will mal ein etwas anderes Beispiel nehmen: Die Scharia ist auch eine Art Gesetz für Muslime, sie kann aber in keinem Fall über deutschen Gesetzen stehen. Das ist, glaube ich, ganz eindeutig. Und trotzdem gilt, dass, wie gesagt, in wenigen Fällen, wo es um Erbarmen geht - um das Wort noch mal zu verwenden - auch ein Innenminister eines Bundes oder eines Landes irgendwie Verständnis zeigen muss. Aber eine richtige förmliche Berufung und hunderte von Fällen, das geht zu weit.

    Geuther: Was folgt daraus? Derzeit sind rund 360 Menschen in Kirchenasyl.
    Flüchtlinge in einer Kirche in Berlin-Kreuzberg
    Flüchtlinge in einer Kirche in Berlin-Kreuzberg: Laut de Maizière stellen die hunderte Fälle von Kirchenasyl ein Missbrauch dar. (imago/Christian Mang)
    De Maizière: Ich wollte hier gar keine Diskussionen auslösen, sondern das war eine Wortmeldung in einem internen Gespräch. Wenn jetzt darüber auch in Kirchen eine Diskussion stattfindet, fände ich das gut.
    Zuwanderung: "Wir fürchten einen sogenannten Pull-Effekt"
    Geuther: Herr de Maizière, eine Idee, die in Ihrer Partei derzeit kontrovers diskutiert wird, das ist das Einwanderungsgesetz, möglicherweise mit Punktesystem. Sie sagen: "Wir haben ausreichend Regelungen." Sie sprechen jetzt auch von einem Zuwanderungsmarketing. Aber darum geht es ja zumindest nicht nur. Geht es nicht eigentlich um das Signal der Einladung, das mit einem solchen Gesetz verbunden wäre?
    De Maizière: Ich kann nicht erkennen, dass mit einem Gesetz irgendwie mit einer Überschrift in Indonesien große Zuwanderungserfolge möglich sind, sondern es kommt ja auf die Regelung an. Welcher junge Mensch darf hier eine Ausbildung machen und hier bleiben? Welcher ausländische Student darf hier bleiben? Welche Fachkraft gelingt es, für Deutschland anziehend zu machen? Darum geht es doch und nicht um die Frage, welche Überschrift über einem Gesetz steht.
    Geuther: Sie haben aber selbst zugestanden, dass das derzeitige Recht zumindest unübersichtlich ist.
    De Maizière: Das stimmt. Das ist ein Gesetzeswerk, was nach und nach um Zuwanderung ergänzt worden ist, um Einwanderung ergänzt worden ist. Wir wissen, dass wir ein Einwanderungsland bereits sind. Wir wissen, dass wir Zuwanderung brauchen. Aber das Wenigste, was wir an Änderungen brauchen, sind Regelungen, sondern man muss diese Regelungen nutzen. Im Unterschied zu Kanada, zum Beispiel, kommt noch hinzu, dass wir Teil der Europäischen Union sind, auch keine Insel sind, so dass bisher 60 bis 70 Prozent unserer Zuwanderung aus den europäischen Staaten kommt. Und da brauchen wir gar keine Regeln. Wir haben eine Regel, die hat ein Wort: Freizügigkeit. Und dann haben wir Asylbewerber, die, soweit sie politisch verfolgt sind, deren Zahl man auch nicht steuern kann. Und deswegen ist für sogenannte Drittstaaten die Debatte viel kleiner, als sie etwa in Kanada wäre. Und da ist, wie gesagt, das Meiste gut geregelt.
    Geuther: Sie haben selber eben die jungen Menschen angesprochen, die hier eine Ausbildung machen. Einwanderung ist nicht mit Asyl gleichzusetzen. Trotzdem, mehrere Ministerpräsidenten, darunter Ihr Parteifreund Volker Bouffier aus Hessen, fordern einen sicheren Aufenthaltsstatus für junge Asylbewerber, mindestens so lange sie in der Ausbildung sind. Haben sie recht?
    De Maizière: Natürlich, auf den ersten Blick klingt es überzeugend, wenn junge Menschen hier sind und sie was können oder was können wollen. Und wenn unklar ist, ob sie bleiben dürfen, dass man dann sagt: "Dann macht lieber was, eine Ausbildung; und wenn ihr dann gut seid, bleibt", als dass man sie zurückschickt. Nur, man muss das ein bisschen genauer durchdenken. Was heißt das für die Familien? Wenn man dann einen hat, der die Ausbildung macht und sechs, sieben andere, die vom Asylbewerberleistungsgesetz leben, ist das sicher ein Problem. Und es ist natürlich ein Zufallsprinzip. Diejenigen, die gerade da sind, denen erlaubt man, wie man so sagt, den Statuswechsel vom Asylbewerber oder vom Geduldeten zum Zuwanderer. Das hat mit gesteuerter Zuwanderung - was ja die meisten wollen - erst mal schon mal gar nichts zu tun. Und wir fürchten einen sogenannten Pull-Effekt. Das heißt, wenn man darauf setzen kann, dass man einfach eine Weile hier bleibt und jung und kräftig ist, dann ist das etwas, was sich blitzschnell rumspricht und möglicherweise nicht unter humanitären Gesichtspunkten Menschen nach Deutschland bringt, sondern unter Bezahlung von Schleppern diejenigen, die sich darauf berufen wollen. Und das muss alles durchdacht werden, und das werden wir sicher in den nächsten Wochen auch noch mal miteinander besprechen.
    Geuther: Die Ministerpräsidenten sagen ja auch: Diese Ausbildung muss nicht notwendig dazu führen, dass die Menschen danach hierbleiben, sondern auch unter humanitären Gesichtspunkten kann es ja sinnvoll sein, diese Leute dann mit einer Ausbildung danach ins Leben zu entlassen - wo immer das stattfinden mag.
    De Maizière: Das ist ein gutes Argument, und das stimmt auch oft, aber in der Regel läuft es dann eben anders. Dann ist dieser junge Mensch ausgebildet - wir haben einen Fachkräftemangel - und dann sagt der Betrieb: "Ja, ist doch verrückt, jetzt haben wir den ausgebildet, warum sollen wir den denn zurückschicken?"
    Geuther: Aber das kann ja auch so sein.
    De Maizière: Das kann im Einzelfall ja vernünftig sein, nur ob das Teil von Zuwanderungspolitik sein soll, darüber müssen wir noch mal reden. Es gibt ein mindestens genauso wichtiges Anliegen, das bezieht sich auf Minderjährige, die hier sind und dann einen Schul- oder Ausbildungsabschluss beginnen - das ist ja oft der Fall mit 16, 17. Und da stellen sich noch mal diese Fragen, die Sie stellen, verschärft. Ich bin also bereit, über alle diesen Fragen zu reden, sie müssen gründlich durchdacht werden. Das sind einzelne Änderungen, über die man reden kann. Das ist aber etwas ganz anderes, als ein neues Einwanderungsgesetz zu schaffen.
    Anti-Terror-Gesetze: "Wir sind nicht schlecht aufgestellt"
    Geuther: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Herr Minister, nach den Anschlägen in Paris war in Deutschland die Betroffenheit groß, Gesetze wurden verschärft - bisher allerdings nur, soweit es ohnehin geplant war. Haben wir schon ein ausreichend hohes Sicherheitsniveau? Sind wir seit dem 11. September schon so gewohnt an den Gedanken der Anschlagsgefahr, dass tatsächliche Anschläge für die Sicherheitsarchitektur keinen Unterschied mehr machen?
    De Maizière: Ich möchte zunächst an Ihrem Wort "Betroffenheit" noch mal anknüpfen. Natürlich ist verständlich wenn so etwas geschieht, dass man dann besonders betroffen ist. Und das waren wir alle - nicht nur das französische Volk, sondern auch wir Deutschen. Aber es wäre falsch, vorsorgende Politik nur nach Betroffenheit zu machen. Die Terrorlage hat sich durch die Anschläge in Frankreich eher etwas verschärft, obwohl jetzt der zeitliche Abstand schon größer ist und viele denken: "Na ja, da passiert ja hier vielleicht nichts." So kann Sicherheitspolitik nicht funktionieren, sondern wir müssen eine kluge Analyse machen, wie die Gefährdung ist, und dann müssen wir darauf reagieren. Das, was jetzt an Gesetzesverschärfungen unterwegs ist, war bereits vorher beschlossen, weil wir bereits vorher eine verschärfte Terrorlage hatten. Wir haben noch einige streitige Punkte - darunter die Vorratsdatenspeicherung. Aber sonst sind wir dann, was die Gesetze angeht, nicht schlecht aufgestellt. Das praktische Handeln allerdings, das ist mindestens genauso wichtig, wie Gesetze und unsere "Haltung" - um den Begriff noch mal aufzunehmen. Wir müssen sorgenvoll sein und sorgsam, aber dürfen den Terroristen nicht den Triumph gönnen, dass wir illiberal werden, dass wir uns einschüchtern lassen und dass wir furchtsam durch die Welt laufen.
    Auf dem Pariser Platz in Berlin stehen Plakate mit der Aufschrift: "Vorratsdaten? Ich sage NEIN!" Hundert Meter entfernt im Hintergrund ist das Brandenburg Tor zu sehen.
    Protest gegen Vorratsdatenspeicherung: Seit den Anschlägen von Paris ist sie wieder im Gespräch. (dpa / Stephanie Pilick)
    Geuther: Diese Besonnenheit, die da drin zum Ausdruck kommt - was meinen Sie, hätten wir einen solchen Anschlag in Deutschland, wären wir dann als Gesellschaft erwachsen genug, das auch beizubehalten?
    De Maizière: Die Frage stelle ich mir oft, und ich kann sie letztlich nicht beantworten. Es ist ja nicht nur Frankreich, was so großartig reagiert hat, sondern denken Sie mal an die Briten nach diesem schrecklichen Anschlag auf die U-Bahn, wie wunderbar sie reagiert haben und mit welcher Stärke sie dann wieder in die U-Bahnen gestiegen sind oder die Spanier. Ich hoffe, wir würden auch so reagieren, und ich bin zuversichtlich, dass es so ist. Ganz sicher kann man sich nicht sein.
    Geuther: Ich hatte schon angesprochen, es sind Gesetze verschärft worden oder die Verschärfungen sind auf dem Weg. Und das betrifft die sogenannten "Foreign Fighters", diejenigen, die in die Kampfgebiete reisen oder reisen wollen. Die meisten davon reisen ja über die Türkei. Es ist die Rede von einem Geheimdienstabkommen mit der Türkei. Was kann man sich darunter vorstellen?
    De Maizière: Wir arbeiten seit Jahren ja mit der Türkei zusammen. Die Türkei ist NATO-Partner. Wir haben deutsche Truppen in der Türkei. Und deswegen gibt es auch eine sehr gute Zusammenarbeit der Polizeien und der Nachrichtendienste. Das hat eine alte Tradition. Wenn Millionen von Touristen in die Türkei fahren, da geschehen auch mal Dinge, die nicht so erfreulich sind, und da müssen Polizeien zusammenarbeiten. Es gibt Drogenwege, die über die Türkei gehen - da gibt es schon eine lange Zusammenarbeit. Jetzt gibt es eine verstärkte Zusammenarbeit auch der Nachrichtendienste, denn wir wollen wissen, im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger: Wer kommt aus der Türkei zurück in unser Land? Und die Türkei möchte wissen: Welche gefährlichen Leute kommen denn in der Türkei an? Und damit das etwas systematischer geschieht, wird darüber gesprochen. Das ist kein Abkommen, sondern ein "Memorandum of Understanding", sozusagen eine Art Besprechung der Verwaltungspraxis. Da ist nichts Neues und Aufregendes dahinter, sondern eine Systematisierung dessen, was wir schon tun.
    "Zusammenarbeit mit der Türkei dient der Sicherheit unseres Landes"
    Geuther: Es geht ja nicht nur um die Türkei, es geht auch um die Herkunftsstaaten der potenziellen Dschihadisten. Das sind unter anderem Maghreb-Staaten oder es geht um Golfstaaten als Durchreiseländer, da gelten andere rechtsstaatliche Maßstäbe als bei uns. Wie weit schließen die Dienste jetzt Kompromisse - vielleicht andere Kompromisse als zuvor - zwischen Grundwerten und Sicherheit?
    De Maizière: Wir brauchen eine internationale Zusammenarbeit auch der Nachrichtendienste. Die Terroristen halten sich nicht an irgendwelche Regeln und Grenzen und reisen nicht nur von der Türkei zu uns, sondern natürlich auch über andere Staaten. Und deswegen brauchen wir eine Zusammenarbeit im Antiterrorkampf auch mit Staaten aus dem Nahen Osten, den Vereinigten Arabischen Emiraten auch und selbst mit Saudi-Arabien. Wir haben - auch in meiner ersten Amtszeit - wichtige Hinweise im Antiterrorkampf von Saudi-Arabien bekommen. Und auch da möchte ich gerne dieses Interview mal nutzen, das zu sagen. Wenn wir nur mit Staaten zusammenarbeiten würden, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung haben und unser Rechtsstaatsniveau und unser Datenschutzniveau, dann könnten wir irgendwie nur noch mit überwiegenden EU-Staaten zusammenarbeiten. Das dient nicht der Sicherheit unseres Landes. Deswegen heißt "Zusammenarbeit" nicht Aufgabe unserer Werte, das heißt auch, dass wir darauf achten, welche Informationen wir geben. Wir können auch nicht nur Informationen bekommen, sondern müssen eben auch welche geben. Das geschieht behutsam und sensibel, aber es muss geschehen.
    Geuther: Aber trotzdem noch mal die Nachfrage: Zusammenarbeit ist ja nicht gleich Zusammenarbeit.
    De Maizière: Ja.
    Geuther: Es gibt ja verschiedene Intensitäten, die man wählen kann. Machen wir jetzt mehr Kompromisse, als wir das vorher gemacht haben?
    De Maizière: Es ist ja nicht ein Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit, sondern es ist die Abwägung: Könnte eine Information, die wir geben, sozusagen dazu genutzt werden, dass die betreffende Person vielleicht Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist? Das weiß man nie so genau, deswegen gibt dann oft auch Zusicherungen des Staates, das nicht zu tun. Aber eine große Strategieänderung gibt es nicht, aber die Bedürfnisse nach Austausch wegen der mobileren Terroristen, die gibt es schon.
    Geuther: Sie haben es eben angesprochen, diese Probleme haben wir in Europa nicht, die Fragen stellen sich nicht. Da, heißt es jetzt immer wieder, soll der Informationsaustausch verbessert werden - das stößt auf allgemeine Zustimmung, auch bei der Opposition. Aber was heißt das eigentlich? Unsere Gesetze für BKA, BND, Verfassungsschutz, die sehen mehr oder weniger strenge Übermittlungsvorschriften vor. Sollen die jetzt nivelliert werden?
    De Maizière: Nein, diese Übermittlungsvorschriften, die Sie ansprechen, sind für die Staaten der Europäischen Union kein Hindernis. Da geht es um etwas anderes, da gibt es zwei Dinge, die dabei eine Rolle spielen. Einmal bei Europol, da gibt es einen Focal Point, also einen zentralen Punkt, wo Meldungen eingehen können, polizeiliche Meldungen. Dafür gibt es auch ein Regelwerk. Es ist leider nur so, dass vier bis fünf Staaten dort nur "einmelden", wie wir das nennen, darunter Deutschland. Und andere Staaten sollten das mehr tun, dann wüssten wir mehr voneinander. Und das Zweite sind die Nachrichtendienste, der Austausch von Namen dort. Das funktioniert auch ganz gut, aber eben nicht gut genug. Und deswegen ist das ein wichtiger Punkt des praktischen Arbeitens, da müssen wir keine Regeln ändern. Was wir dann brauchen, ist allerdings eine Änderung im Schengen-Anwendungsbereich. Um es verständlich zu sagen: Jeder Polizist an einer Außengrenze des Schengener Grenzregimes - also zum Beispiel in Griechenland - muss wissen, wen er vor sich hat, wenn er sich einen Ausweis anguckt und muss wissen: Geht es um einen Dschihadisten? Ist das jemand? Und das müssen wir sicherstellen - und dabei sind wir.
    "Datenschutzrichtlinie ist immer noch streitig"
    Geuther: Je mehr ausgetauscht wird in Europa, je mehr Informationen ausgetauscht werden, desto mehr müsste es doch eigentlich Anspruch sein, ein hohes Datenschutzniveau vereinheitlicht zu haben. Die Datenschutzrichtlinie - gerade für Polizei und Justiz - liegt mehr oder weniger auf Eis, passt das zusammen?
    De Maizière: Ich will zunächst noch mal sagen, weil Sie da - verständlicherweise - so hartnäckig nachfragen: Wir reden hier über den Informationsaustausch zwischen Demokratien über Menschen, die gegebenenfalls Anschläge planen. Und da ist sozusagen mein datenschutzrechtliches Mitleid etwas geringer als bei normalen Bürgern, deren Daten irgendwie ausgetauscht werden, und die ja zum Teil selber von sich selbst die wildesten Dinge ins Netz stellen. Das muss man, glaube ich, ein bisschen unterscheiden. Die Datenschutzrichtlinie, die Sie ansprechen, über polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, ist immer noch streitig, vor allen Dingen die Abgrenzung zum Allgemeinen Datenschutz. Aber gerade in der letzten Woche in Riga, hat es dort einen Fortschritt gegeben. Wir wollen, dass es zur Verabschiedung dieser Richtlinie kommt. Sie ist allerdings nicht so eilbedürftig, wie die Datenschutzgrundverordnung, die wir im Internetzeitalter dringend brauchen. Und die Justiz- und Rechtstraditionen in der Europäischen Union, sind eben sehr, sehr unterschiedlich, von Großbritannien über Deutschland, Skandinavien und Italien. Und der Umgang - wann gibt es Akteneinsicht? Wann darf sich ein Anwalt Ermittlungsakten angucken? Wann wird überhaupt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet? - ist so unterschiedlich, dass da die Vereinheitlichung dieser Fragen noch ein bisschen dauert.
    Geuther: Eine andere Frage des Datenschutzes - wenn auch genau von der anderen Seite gesehen -, ist die Frage der Vorratsdatenspeicherung. Sie haben sich schon lange für eine Neuauflage ausgesprochen - seit den Anschlägen von Paris finden Sie damit auch wieder beim Koalitionspartner mehr Gehör. Nur ist das ja nicht so einfach, der Europäische Gerichtshof hat hohe Hürden aufgestellt. Wie wollen Sie um die herumkommen?
    De Maizière: Sie haben es sehr schön formuliert, es gibt mehr Gehör, das ist so, und das möchte ich auch nutzen - aber vertraulich. Und wir sind hier nicht ganz unter uns in diesem Interview und deswegen möchte ich dazu nicht viel sagen. Klar ist, dass wir die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllen müssen und können.
    Geuther: Und "können", ist schon die erste Frage. Konkret geht es ja um einen Satz, in dem Richter unter anderem die "anlasslose Speicherung" als solche kritisieren. Nun ist die "anlasslose Speicherung" das Wesen der Vorratsdatenspeicherung, warum glauben Sie trotzdem, dass das geht?
    De Maizière: Weil ich mir denken kann, dass es Vorschläge gibt, die dem Rechnung tragen. Aber noch mal, wir sind in einer wirklich komplizierten, aber vielleicht hoffnungsvollen Lage, dass wir jetzt aus der puren Forderung und der puren Ablehnung in konstruktive Phasen übergehen - das ist ja jahrelang anders gewesen. Und das ist ein so zartes Pflänzchen, das wird von zu viel gießen und vor allen Dingen zu viel Licht und Sonne nicht wachsen.
    Geuther: Ich glaube, weitere Nachfragen haben keinen Sinn.
    De Maizière: So ist es.
    Datenzentrumschef Joel Kjellgren läuft durch die Serverräume im schwedischen Lapland.
    NSA vs. NSU: Thomas de Maizière kritisiert die einseitige Sichtweise beim Thema Datenschutz. (AFP / JONATHAN NACKSTRAND)
    Geuther: Zu einer ganz anderen Datensammlung, Herr de Maizière, einer, die hierzulande weniger in Zusammenhang mit islamistischen als mit rechtsextremistischen Umtrieben diskutiert wird. Nach der Diskussion um die Morde des NSU 2013, vor fast zwei Jahren, da wurde die Einrichtung einer V-Leute-Datei der Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern diskutiert. Sie sollte Ende 2013 fertig sein. Inzwischen haben einige weniger Länder, einige wenige Daten geliefert - wenn ich das richtig verstanden haben. Was läuft schief?
    De Maizière: Ich will zunächst vor dem Hintergrund unseres bisherigen Interviews einmal auf folgenden Punkt hinweisen: Hier, beim Kampf gegen Rechtsextremismus und nach dem Versagen der Sicherheitsbehörden bei NSU, ist die Forderung eigentlich eine ganz andere gewesen. Es kann doch nicht sein, dass einzelne Behörden etwas wissen und sich nicht austauschen, also bloß Austausch von Daten von Rechtsextremisten. Anderswo heißt es: 'Bitte nicht so viel Austausch - vielleicht ist es ja ein Datenschutzmissbrauch'.
    Geuther: Nein.
    De Maizière: Also man muss - ich sage das ja nicht Ihnen, sondern unseren Zuhörern. Man muss, glaube ich, in beiden Fällen die Kirche ein bisschen im Dorf lassen. Ein Informationsaustausch über Straftäter und gefährliche Leute ist prinzipiell etwas Gutes, und Datenschutz ist auch etwas prinzipiell Gutes und soll vor allen Dingen den rechtschaffenen Bürger schützen in seiner Privat- und Intimsphäre. Und da kann man jetzt nicht totale Unterschiede machen, nur weil es ein Terrorist oder ein Rechtsextremist ist, sondern das muss man ungefähr gleich behandeln.
    "Das Thema NSA bleibt wichtig"
    Geuther: Aber das eine sollte mit dem anderen einhergehen - Datenaustausch und Datenschutz.
    De Maizière: Ja, mir fällt nur auf, in dem einen Fall heißt es: "Ihr müsstet mehr voneinander wissen", "Es ist schrecklich, diese Kleinstaaterei"' und "Jedes Land sitzt auf seinen Daten" und so. Und in anderen Fällen heißt es: "Bitte nicht so viel Informationsaustausch, es könnte den Datenschutz gefährden." Wie auch immer, diese Datei gibt es jetzt; auch da muss besser eingeliefert werden, das ist wahr. Wir sind ja in der Schlussphase einer gemeinsamen Beratung über eine Veränderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes als eine Konsequenz aus dem NSU-Skandal und ich hoffe, dass wir damit im März ins Kabinett kommen. Da sind auch solche Regeln getroffen. Da sind vor allen Dingen Regelungen über die Frage: Wer soll eigentlich V-Mann sein? Das ist ja auch ein Wildwuchs gewesen - dafür soll es klarere Kriterien geben. Und dann, denke ich, wird auch diese Datei nach und nach ihren Sinn erfüllen.
    Geuther: Abschließend, Herr de Maizière, Bundeskanzlerin Angela Merkel reist demnächst in die USA. Noch vor wenigen Monaten hätte das dazu geführt, dass wir dieses gesamte Interview über Fragen geführt hätten wie: NSA, Datensicherheit, Geheimdienste...
    De Maizière: Sie hätten mich ja fragen können.
    Geuther: So ist es, die Aufmerksamkeit hat extrem nachgelassen, auch in den Medien. Wie sehr treibt Sie das Thema noch um? Sind schon alle Lehren gezogen?
    De Maizière: Nein, aber ich beschäftige mich natürlich damit - und das sollten die Hörerinnen und Hörer auch wissen, dass ein Minister und ein Ministerium sich nicht nur mit den Dingen beschäftigt, über die gerade Journalisten schreiben. Das Thema NSA bleibt wichtig, im Dialog mit den Amerikanern. Die Zusammenarbeit mit den Amerikanern bleibt wichtig. Das ist für uns und für die Sicherheit Deutschlands und unserer Bürgerinnen und Bürger von überragendem Interesse, ein Informationsaustausch mit den Amerikanern. Aber trotzdem wollen wir, dass unsere Kommunikation ungestört ist und nicht angegriffen wird. Aber das sind insbesondere technische Vorkehrungen, die sich nicht gegen NSA-Wanzen richtet, sondern gegen Wanzen aller Art. Und das bedeutet eine Veränderung unserer Netze des Bundes, die wir mit einem dreistelligen Millionenbetrag verbessern. Das bedeutet, dass wir uns von einem Anbieter getrennt haben. Das bedeutet, dass wir bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen bestimmte Sicherheitsvorkehrungen von Firmen verlangen und viele solcher Dinge. Die werden energisch und Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt. Das richtet sich vor allen Dingen dagegen, dass irgendjemand Regierungskommunikation angreift. Und da ist es mir dann ziemlich egal, ob das die NSA oder andere sind. Und wir arbeiten an einem hohen Sicherheitsniveau für die Internetkommunikation der Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel mit dem IT-Sicherheitsgesetz. Auch das ist ein Schutz, der im Internet nötig ist - trotz oder wegen NSA, ist mir dabei gleichgültig.
    Geuther: Wir werden auch das näher vertiefen. Herr de Maizière, vielen Dank für das Gespräch.
    De Maizière: Bedanke mich auch.