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Bundeskabinett ein "Bundeskabarett"?

Gero Neugebauer hält die Bundesregierung nur für "bedingt regierungsfähig". Das Einzige Gemeinsame Von CDU, CSU und FDP sei der Wahlerfolg und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Jochen Spengler | 06.01.2010
    Jochen Spengler: Überschattet vom Streit über Steuersenkungen und die Rolle der Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach treffen sich FDP und CSU heute zu ihren traditionellen Tagungen zum Jahresauftakt. Die FDP kommt zur Dreikönigskundgebung in Stuttgart zusammen, die CSU-Landesgruppe im Bundestag zu ihrer Klausur im bayerischen Wildbad Kreuth. Noch sind die Koalitionäre von CDU/CSU und FDP keine 100 Tage im Amt, sie haben also eigentlich noch Schonung verdient. Dennoch lädt dieser Dreikönigstag geradezu ein zu einer vorsichtigen ersten Zwischenbilanz dieser Christlich-Liberalen Koalition, und die wollen wir nun ziehen mit dem Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Guten Tag, Herr Neugebauer.

    Gero Neugebauer: Guten Tag!

    Spengler: Herr Neugebauer, hören wir uns zunächst einmal das zentrale Ziel der Bundesregierung an, so wie es die Kanzlerin formuliert hatte.

    O-Ton Angela Merkel: Diese Christlich-Liberale Koalition der Mitte, sie hat den Anspruch, Deutschland zu stärken und dabei den Zusammenhalt unseres Landes zu festigen.

    Spengler: Bislang, Herr Neugebauer, hat man eher den Eindruck, das zentrale Ziel der Regierung sei es, weniger Deutschland als vielmehr die Koalition selbst zu festigen und zusammenzuhalten. Teilen Sie den Eindruck?

    Neugebauer: Ja, durchaus. Wenn man feststellt oder sich erinnert, dass nach den Koalitionsverhandlungen diese Regierung das Prädikat "bedingt regierungsfähig" erhielt, und dann aber erlebt, was danach passierte, von den Personalrochaden mal angefangen bis zu den Schwierigkeiten, die CDU-Ministerpräsidenten auf Linie zu bekommen bei dem schönen sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dann kann man nur sagen, na ja, sie schlittern knapp, etwas polemisch formuliert, an der Rolle des Bundeskabaretts vorbei. Aber ein Bundeskabinett, das sich darüber verständigt hat, was denn zentral gemacht werden kann, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern - das ist ja eine Gemeinwohlorientierung -, oder um Deutschland zu stärken, das dann aber Gesetze verabschiedet, die eher Gruppeninteressen begünstigen, dann habe ich erhebliche Zweifel, ob dieses Selbstverständnis, was Frau Merkel geäußert hat, bis jetzt in irgendeiner Art und Weise schon erfüllt worden ist.

    Spengler: Womit erklären Sie es sich denn, dass es da mehr Konflikte vor allem zwischen FDP und CSU zu geben scheint als gemeinsame Projekte?

    Neugebauer: Das muss man einerseits sehen aus, glaube ich, der Erfahrung der FDP in Bayern nach der Landtagswahl 2008. Als sie dort in die Koalition eingezogen sind, haben sie der CSU die wirtschaftspolitische Kompetenz geraubt, gleichzeitig aber auch deutlich gemacht, dass das erste Prinzip des Selbstverständnisses der CSU, Bayern und die CSU sind eins, nicht mehr gilt, und sie haben, sagen wir mal, in Anlehnung an die Fortsetzung des Parteienwettbewerbes die Situation ausnutzen können, dass die CSU nicht in der Lage ist, sich geschlossen darzustellen, dass sie schwer gebeutelt ist von Problemen im Lande und dass die etwas unstete oder unstet erscheinende Politik des CSU-Vorsitzenden Seehofer die Mitglieder verunsichert. Das heißt, die FDP hat das Kapital, wir sind die eigentlichen Wahlgewinner, die CSU schwächelt, taumelt ja seit dieser Landtagswahl und die Union, also die CDU selbst unter der Führung von Frau Merkel ist ja – wir sehen es auch an den konkurrierenden Personen – immer noch nicht so geschlossen, dass Frau Merkel auftreten kann und sagen kann, jetzt bitte schön, ihr kleineren Parteien in dieser Koalition, jetzt rauft euch mal zusammen und wir formulieren ein gemeinsames Ganzes. Das ist nicht da.

    Spengler: Das heißt, habe ich Sie richtig verstanden, Herr Neugebauer, dass Sie sagen, dass der regionale Konflikt in Bayern quasi rübergeschwappt ist nach Berlin?

    Neugebauer: Der regionale Konflikt in Bayern hängt der CSU sehr viel stärker nach, als sie es nach außen zugeben will. Sie hat ja einerseits sehen müssen, dass ein Teil des von ihr immer so begünstigten Mittelstandes als Wähler zur FDP gewandert ist, mal von den Freien Wählern, die sie ja auch noch bedrängt haben, abgesehen, und zum zweiten stellt sie eben fest, dass die FDP auf Gebieten, auf denen die CSU eigentlich auch immer eine bestimmte, wenn man so will, Vorreiterrolle beansprucht hat, unter anderem bei der Begünstigung bestimmter Gruppen – jetzt sind es die Hoteliers, früher oder jetzt immer noch sind es auch die Landwirte gewesen –, auf einmal selbst auch eine Klientelpolitik macht, und die Situation der CSU in Bayern ist nicht so gewesen, dass sie die FDP faktisch, ich nenne es mal etwas respektlos, disziplinieren konnte.

    Spengler: Können Sie eine zentrale Botschaft der Regierungskoalition in Berlin erkennen?

    Neugebauer: Im Moment nicht.

    Spengler: Bräuchte denn eine Regierung eine zentrale Botschaft?

    Neugebauer: Ja, müsste sie haben, und zwar muss sie die schon deshalb haben, weil der Bürger daran interessiert ist zu wissen, woran orientiert sich eine Regierung langfristig. Frau Merkel sagt, Stärkung Deutschlands. Dann bitte schön nenne ich aber die Strategien, ich nenne die Instrumente, ich führe die erwarteten Wirkungen vor, ich sage, das und das. Aber was erlebe ich? Ich erlebe doch, dass ich jetzt aufmerksam gemacht werde durch Herrn Brüderle, der wirklich auch als Ideologe hervorragend argumentiert hat heute, dass er sagt, ja, die wichtigen Termine sind zum Beispiel Steuerschätzung und wir werden das schon machen, wir bleiben an einem Thema fest. Dann sagt der Bürger, ja wer entscheidet nun eigentlich, die Steuerschätzer, oder entscheidet die Regierung, hat die einen Plan A, hat die einen Plan B, wie wird Zusammenhalt gefördert. Wenn man in Umfragen schaut und sieht, die Bürger sind mehrheitlich verunsichert, dann ist die Annahme von Herrn Brüderle beispielsweise, die werden jeden Cent, den sie zusätzlich bekommen, nehmen und einkaufen und damit die Wirtschaft fördern, schon reichlich riskant, um nicht zu sagen, in manchen Fällen möglicherweise auch etwas naiv. Was der Bürger auch erwartet ist, dass er sagt, ich möchte jetzt bitte schön nicht nur auf ein Thema reduziert werden, das heißt das Thema Steuerreform, ich möchte wissen, wie die Regierung sich auch in anderen Fällen verhält, wie sie beispielsweise uns erklären will, was sie tut, wenn das Eis weiterhin dünn ist, das heißt wenn die Wirtschaft nicht den Aufschwung nimmt, der erwartet wird, wenn die Zahl der Arbeitslosen zunimmt. Es gibt sicher Leute, die sich freuen über die Politik der Regierung und über das, was sie durch die Steuer oder andere Geschenke bekommen, aber es gibt eine Menge Leute, die auch sagen, wir sind nicht betroffen, wir sind eher verängstigt, wir möchten Orientierung, und das vermisse ich zurzeit.

    Spengler: Könnte es sein, dass es diese zentrale Botschaft deswegen nicht gibt, weil es einfach zu wenig Gemeinsamkeiten gibt, dass es da einfach zwei sozialdemokratisierte Parteien gibt, CDU und CSU, und eine neoliberale?

    Neugebauer: Manchen mag ja die FDP wie der gelb lackierte Wirtschaftsflügel der CDU erscheinen, denn vieles, was die FDP vertritt, wird ja in der Union, in der CDU und auch teilweise in der CSU vertreten. Aber man muss auf der anderen Seite sehen: die sogenannte Sozialdemokratisierung der CDU ist nicht eingetreten. Die Sozialdemokratisierung der CDU war ein Reflex auf die Haltung der SPD einerseits, und positiv gesehen in der Großen Koalition: Das waren zwei große Parteien. Die hatten in sich sehr viel mehr Sensoren, die darauf aufmerksam machten, wenn es darum ging, sozusagen Gemeininteressen, Interessen der Allgemeinheit zu riskieren und mehr auf Partikularinteressen überzugehen. Das ist jetzt eher der Fall. Diese Parteien, CSU mit ihrem spezifischen Interesse, FDP mit ihrem spezifischen Interesse, tangieren den Anspruch der CDU als Volkspartei, die dann sagt, aber unter anderem könnten wir das nicht machen, und wenn Frau Merkel dann Äußerungen macht und sagt, die anderen lassen mich ja nicht, ich würde gerne anders, wenn ich wollte, zeigt sie auch eine erstaunliche Schwäche.

    Spengler: Reden wir über Personen. Müsste die Kanzlerin mehr führen?

    Neugebauer: Ja, sie müsste mehr führen. Ich will nicht daran erinnern, dass diese Diskussion ja auch in der Großen Koalition sehr polemisch von Herrn Struck und von Herrn Müntefering geführt worden ist und bei mir immer den Eindruck hervorgerufen hat, wenn eine Person nicht führt, dann, bitte schön, stellen sich andere auf und erheben den Führungsanspruch. Aber die Kanzlerin müsste es zumindest zustande kriegen, dass in der Regierung eine Diskussion über das Selbstverständnis dieser Regierung eintritt, dass man sagt, was repräsentieren wir denn als Ganzes, was ist das Gesamte. Bisher, Entschuldigung, haben sie doch als Gemeinsames nur den Wahlerfolg und das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Aber was sonst? Wo ist denn die zentrale Botschaft, außer der, dass man sagt, wir warten mal ab, was die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und was vorher die Steuerschätzung bringen wird und danach ist dann alles wieder offen. Nein, das ist doch nicht das, was irgendwie Zuversicht bringt und Orientierung.

    Spengler: Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Danke, Herr Neugebauer, für das Gespräch.

    Neugebauer: Bitte schön.