Archiv


Bundeskanzler Gerhard Schröder will die Vertrauensfrage stellen

Zagatta: Als wir vor einer Stunde mit der Sendung begonnen haben, da war es noch mehr oder minder ein Gerücht. Seit einigen Minuten aber haben wir Gewissheit: Bundeskanzler Schröder will die Vertrauensfrage stellen. Das hat der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, gerade bestätigt - einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters jedenfalls zufolge. Dirk Müller in unserem Berliner Hauptstadt-Studio. Weiß man schon mehr, wie das ablaufen soll?

    Müller: Das wissen wir, Martin Zagatta in Köln, derzeit noch nicht. Die Information, die über die Agentur, also Reuters, von Gernot Erler, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion, gelaufen ist, ist bislang auch die einzige Quelle, die einzige Bestätigung, die wir zur möglichen Vertrauensfrage haben. Genauso wird im Moment darüber spekuliert: Wenn es denn so sein sollte, wann soll das Ganze statt finden? Am Donnerstag ist ja ursprünglich nun die Bundestagsdebatte mit Abstimmung zum Militäreinsatz angesetzt worden. Nach Informationen von Erler soll die Vertrauensabstimmung dann erst am Freitag statt finden. Man muss sich hier natürlich nach dem politischen Sinn fragen. Es könnte also sein, das Schröder mit Blick auf den Donnerstag eine Niederlage erhält, weil er keine eigene Mehrheit zustande bekommt und dann am Freitag wiederum die Bestätigung der gesamten Koalition für die Fortführung seiner Politik bekommt. Aber diese Entscheidung gegen diesen Militäreinsatz am Donnerstag, sprich, ohne eigene Mehrheit, wäre natürlich auch eine Entscheidung gegen seine Politik. Von daher würde es politisch mehr Sinn machen, beide Fragen miteinander zu verknüpfen. Dabei weiß noch niemand in Berlin so recht, wie das gehen soll.

    Zagatta: Es gibt jetzt allerdings wiederum eine Eilmeldung, Herr Müller. Danach soll genau das passieren - da hat sich offensichtlich der SPD-Partei-Linke, Detlef von Lärcher, geäußert. Er hat sich offenbar gestern mit Schröder getroffen, bei einem Treffen Schröders mit der Partei-Linken dann erfahren, dass es genau so ablaufen soll, dass demnach also die Abstimmung vom Donnerstag auf den Freitag verschoben wird. Das könnte bedeuten, man stimmt über beide Fragen, also Bundeswehreinsatz und Vertrauensfrage, gemeinsam ab. Acht Grüne haben ja schon angekündigt, dass sie da nicht mitziehen wollen, zumindest beim Bundeswehreinsatz. Das würde ja schon reichen, um Schröder zu kippen. Wäre das das Ende der rot-grünen Koalition?

    Müller: Das wäre definitiv das Ende zunächst einmal der rot-grünen Koalition. De facto würde eine Niederlage bei der Vertrauensabstimmung damit verbunden sein, dass der Kanzler seinen Rücktritt einreicht, bzw. gegenüber dem Bundespräsidenten klar machen muss, dass das Parlament aufzulösen ist. Dies würde für eine Frist von 21 Tagen gelten. Wenn sich innerhalb dieser Frist keine neue Mehrheits- und Regierungsbeteiligung bzw. -bildung ergibt, beispielsweise durch Rot-Gelb, dann könnte der Bundespräsident nach 21 Tagen das Parlament auflösen und dann dementsprechend Neuwahlen ausschreiben. Die Frage ist: Was will Schröder damit bezwecken? Die Mehrheitsverhältnisse sind eben - sie haben es bereits angesprochen - unklar: Acht Grüne haben am Sonntag definitiv gesagt, dass sie dagegen stimmen, und diese acht Stimmen würden ausreichen, um die Kanzlermehrheit zu unterminieren, zu contrakarieren, denn: die Kanzlermehrheit ist definiert - und das gilt eben auch für das Vertrauensvotum, für die Vertrauensfrage, die der Kanzler stellen will - durch die Hälfte der gesetzlichen Abgeordneten im Parlament - das sind 666. Die Hälfte davon sind 333 plus eine Stimme, d.h. Schröder muss bei der Vertrauensfrage und muss bei der Kanzlermehrheit 334 Stimmen zusammen bekommen. Die Koalition hat aber 341. Das heißt, es dürfte sieben Abweichler geben. Der achte wäre dann gewissermaßen einer zu viel. Dann wäre die Koalition am Ende.

    Zagatta: Also wenn die acht Grünen bei ihrem nein zum Bundeswehreinsatz bleiben und diese Abstimmung gleichzeitig mit der Abstimmung der Vertrauensfrage verbunden würde, dann wäre das das Ende der Koalition. Herr Müller, woher kommt denn dieser Meinungswandel beim Bundeskanzler und in der SPD-Führung. Vor Tagen noch hat es geheißen: Mehrheit ist Mehrheit, ob sie nun auch mit der Opposition zustande kommt. Jetzt plötzlich die Vertrauensfrage. Wie ist dieser Meinungswandel zu erklären?

    Müller: Das sind vielleicht zwei Faktoren: Am Freitag hat der Kanzler gesagt: Mehrheit ist Mehrheit, ganz gleich wie sie zustande kommt. Dann ist am Sonntag dieser Aufruf, diese Erklärung der acht Grünen-Abgeordneten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, also als öffentlich gemachte Erklärung - Wir machen da auf gar keinen Fall mit -, erschienen. Das wird den Kanzler natürlich in Rage versetzt haben. Genauso aber gestern Abend, wo er sich mit den SPD-Linken der Fraktion getroffen hat: Bei einer Umfrage kam dort heraus, dass neben den vier-, die sich bereits von der SPD aus ausgesprochen hatten, dagegen zu stimmen, plötzlich über 20 potenzielle Abweichler bzw. Dissidenten oder zumindest Kritiker noch in den eigenen Reihen stehen, und das mag das Fass zum Überlaufen gebracht haben.

    Zagatta: Dankeschön. Das waren Informationen von Dirk Müller aus unserem Berliner Studio.