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Bundeskanzler Schröder will die Vertrauensfrage stellen

Zagatta: Am Telefon begrüße ich den SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Dresen. Herr Dresen, sind Sie von dieser Entwicklung überrascht, dass der Kanzler nun ganz offensichtlich die Vertrauensfrage stellen will?

    Dresen: Ja, ich bin schon etwas überrascht, aber doch nicht zu sehr, denn irgendwo glaube ich schon, dass der Kanzler jetzt einfach mal klären muss, wie die Verhältnisse sind.

    Zagatta: Wenn aber die acht Grünen, wie wir eben gehört haben, bei ihrer Ankündigung cbleiben, gegen diesen Bundeswehreinsatz zu stimmen und das direkt mit der Vertrauensfrage verbunden wird, dann wäre das das Ende der Koalition. Rechnen Sie jetzt damit?

    Dresen: Also, ich hoffe und bete eigentlich auch dafür, dass die Grünen sich überlegen, denn sie müssen sich ja fragen, was die Alternative ist. Und die Alternative ist sicherlich, wenn hier eine andere Koalition zustande käme, würde alles was wir im Sozialbereich, oder, wenn Sie daran denken, was wir auch im Rechtsbereich erreicht haben, zur Frage gestellt. Leidtragende wären eigentlich die vielen Arbeitnehmer. Die angefangenen Betriebsverfassungsgesetze werden dann alle wieder auf den Prüfstand gestellt, und deswegen würde ich an die Grünen appellieren, sich das noch mal zu überlegen: Wenn es mit der Vertrauensfrage verbunden wird - was steht dann nicht alles auf dem Spiel!

    Zagatta: Haben Sie denn kein Verständnis für diese acht Grüne, die sagen, das sei für sie eine Gewissensentscheidung, sie seien gegen diesen Einsatz. Verlangt man von denen jetzt nicht, ihrem Gewissen nicht mehr zu folgen, davon abzurücken? Finden Sie das richtig?

    Dresen: Also, ich muss Ihnen ja ehrlich sagen, ich bin ja auch der Meinung, dass deutsche Soldaten auf fremden Boden, also außerhalb der Nato, nichts zu suchen haben. Und ich bin auch der Meinung, dass militärische Operationen natürlich kein Mittel der Politik sein dürfen. Und trotzdem Stimme ich aus zwei Gründen zu: wir haben ja auch als Abgeordnete die Sicherheit der eigenen Leute hier zu gewährleisten und so ein Anschlag kann sich auch bei uns wiederholen. Der zweite Grund ist, dass ich natürlich immer wieder gesagt habe, ich sehe keine andere Möglichkeit, diesen Hintermännern des Verbrechens und Anschlags habhaft zu werden. Ich habe also auch mit Friedensleuten diskutiert und habe immer gesagt, sagt mir eine Alternative. Und das können auch die acht nicht machen und deswegen meine ich ja, das ist natürlich für diese acht eine neue Situation. Sie müssen es sich überdenken. Ich habe besonders Verständnis für Gewissensfragen - da gebe ich Ihnen völlig recht -, aber jetzt gibt es ja wieder eine andere Situation und ich finde, jetzt muss man das neu überlegen.

    Zagatta: Herr Dresen, es geht ja nicht nur um diese acht. Es gab sogar Meldungen, dass bis zu 20 Abgeordnete in Ihrer eigenen Fraktion, also in der SPD, sich überlegen, bei einem Bundeswehreinsatz möglicherweise auch mit nein zu stimmen. Wie steht es denn um die?

    Dresen: Also ich muss Ihnen ehrlich sagen, wenn ich jetzt frei, ohne diese übergeordneten Punkte entscheiden könnte, würde ich mich auch ganz gern gegen diesen Einsatz aussprechen. Aber, wie gesagt, zwei Punkte habe ich schon genannt, warum ich das nicht mache, und das dritte ist natürlich auch, dass der UN-Sicherheitsrat ja hinter dieser militärischen Aktionen steht. Aber ich kritisiere trotzdem den Weg, der jetzt eingeschlagen wird: Man findet ja nicht so richtig das Ziel. Man will ja eigentlich die zwei Ziele erreichen, nämlich Taliban vernichten und natürlich Bin Ladin habhaft zu werden, damit man diesen verbrecherischen Organisationen endlich das Handwerk legt.

    Zagatta: Der Druck des Kanzlers, jetzt mit der Vertrauensfrage zu drohen oder diese auch zu stellen - bei Ihnen zeigt das Wirkung? Sie haben sich umstimmen lassen?

    Dresen: Ich war eigentlich schon vorher auf dem Weg zum ja, weil, wie gesagt, diese Punkte, die ich genannt habe, für mich ganz wichtig waren. Ich habe bei Mazedonien noch anders abgestimmt, aber ich muss Ihnen ehrlich sagen, wenn dort natürlich die Vertrauensfrage mit im Spiel gewesen wäre - ich bin ja gewählt worden, um den Kanzler zu unterstützen und dieser Kanzler hat ja hervorragende Arbeit geleistet, und trotzdem habe ich ihm damals gesagt: Man muss in bestimmten Dingen eben auch frei entscheiden dürfen. Aber, wenn es natürlich um so etwas geht, dann meine ich, hat jeder Abgeordnete sich zu fragen: Was ist die Alternative? Ich finde, Rot-Grün hat wirklich gute Arbeit geleistet.

    Zagatta: Ja, warum damit Schluss machen?

    Dresen: Ja, genau.

    Zagatta: Da haben aber einige Abgeordnete in Ihrer Fraktion auch schon angekündigt, dass sie gegen diesen Bundeswehr-Einsatz stimmen wollen.

    Dresen: Richtig. Ich habe da am Anfang auch diese Gedanken in mir geführt, aber nachdem ich es länger überlegt habe, und wir haben ja in der SPD-Fraktion neuen Stunden schon darüber diskutiert, gestern Abend noch mal mit dem Kanzler zwei Stunden, und ich bin nun wirklich zu der Überzeugung gekommen, dass wir eben nicht anders zu dem Ziel kommen, als dass wir jetzt hier die Bündnistreue auch gegenüber der NATO doch schon machen.

    Zagatta: Woher kommt denn dieser plötzliche Meinungswandel? Vor ein paar Tagen hatte Ihre eigene Führung noch erklärt, Mehrheit ist Mehrheit, und damit könne man gut leben.

    Dresen: Ja, nun, Sie haben das ja erlebt, wie uns die Presse in den vergangenen Tagen gejagt hat. Und es hätte damit ja nicht aufgehört. Sie wissen, da kommt ja noch der Grüne Parteitag dazu, der wiederum die ganze Sache ein Stück kleiner gemacht hätte, und hinterher hätte die Presse gesagt: Ja, jetzt müssten eigentlich die, die dagegen gestimmt haben, dann auch gegen den Haushalt stimmen, denn da sind ja Mittel für diese ganzen Aktionen drin. Irgendwo meine ich schon, es ist richtig, wenn der Kanzler einfach sagt: Wir müssen jetzt hier mal klar Schiff machen und müssen schauen, kann ich jetzt noch so weitermachen oder geht`s nicht mehr.

    Zagatta: Was wollen Sie denn, wenn die Koalition am Freitag platzt? wollen Sie dann mit der FDP weitermachen oder sind Sie dann für Neuwahlen?

    Dresen: Also, da bin ich eher für Neuwahlen. Also, mit dieser neoliberalen FDP können Sie keine Politik machen. Im gesamten Sozialbereich, auch in der Wirtschaftspolitik, gibt es da erhebliche Differenzen. Das Einzigste, wo wir gute Übereinstimmung haben, wäre in der Rechtspolitik - das sehe ich auch so -, aber ansonsten haben wir auf allen anderen Gebieten diametrale Meinungen, und ich kann mir nicht vorstellen, wie wir da unter einen Hut kommen sollen.

    Zagatta: Dankeschön für das Gespräch. Das war Peter Dresen, SPD-Bundestagsabgeordneter.