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Bundespräsident Rau besucht Tschechien

Gerner: Am Telefon jetzt Ingo Friedrich, stellvertretender Vorsitzender der CSU und Mitglied im Europäischen Parlament. Herr Friedrich, gibt es etwas, was Sie Johannes Rau stellvertretend für Ihre Partei mitgeben wollen auf diese Reise?

    Friedrich: Ja gerne. Johannes Rau hat die Chance, durch seinen Besuch einen Beitrag dazu zu leisten, dass gerade der politischen Elite in der tschechischen Republik die Augen geöffnet werden. Es geht hier nicht um eine deutsch-tschechische Auseinandersetzung, sondern es geht um die Akzeptierung, dass durch den Beitritt der tschechischen Republik zur Europäischen Union sich ein Beitritt zu einer Werteordnung vollzieht, und de sind bindend für alle Beteiligten. Und dass der Wahlkampf hier nicht so weiter geht wie bisher, gerade in der tschechischen Republik, dazu kann der Besuch von Johannes Rau sicher einen Beitrag leisten.

    Gerner: Herr Friedrich, wir haben eben gehört, dass Rau keine führenden Politiker, zumindest nicht die umstrittenen aus deutscher Sicht treffen wird. Wie soll er dennoch die Benes-Dekrete ansprechen?

    Friedrich: Durch das Treffen mit den beiden Staatspräsidenten hat er natürlich die Möglichkeit dazu und ich gehe davon aus, dass wenn die Diskussion mit Schülern stattfindet Presse, Rundfunk und Fernsehen dabei sind, so dass er natürlich dieses nutzen kann und darauf hinweisen muss, dass durch den Beitritt zur Europäischen Union natürlich spezifische Aspekte der Benes-Dekrete, soweit sie Rechtsfolgen bis in die heutige Zeit hinein haben, so nicht beibehalten werden können.

    Gerner: Was heißt das aus Sicht der CSU? Bestehen Sie auf der Zurücknahme der Benes-Dekrete?

    Friedrich: Ich brauche hier gar nicht auf CSU-Beschlüsse zurückgreifen, sondern das Europäische Parlament, dessen Vizepräsident ich ja sein kann, hat mehrfach eindeutig beschlossen, dass Rechtswirkungen, die bis heute hineinwirken und die jemanden wegen seiner Herkunft oder wegen seiner Nationalität diskriminieren, in der Europäischen Union keine Geltung behalten können. Die müssen also vor Beitritt geändert werden.

    Gerner: Also ich habe da gestern etwas anderes gelesen, Herr Friedrich, nämlich dass der Rechtsdienst des Europäischen Parlamentes jetzt vor der Debatte im Europäischen Parlament in der kommenden Woche wie auch die EU-Kommission und deren Rechtsdienst gesagt hat, die meisten strittigen Rechtsakte betreffend Enteignung und Vertreibung seien für künftige Tatbestände nicht relevant. Gesetze, die lange vor dem EU-Beitritt erlassen würden, könnte man nicht per EU-Beitritt nachträglich ändern. Mir scheint als hätten da die Juristen, die auch Ihnen die Vorlagen geben, den Wind aus den Segeln genommen?

    Friedrich: Nein, nein. Schauen Sie, entscheidend wird folgendes sein, dass das Präsidium des Parlaments ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hat an hochkarätige Juristen, zum Beispiel den Herrn Professor Frowein, aber auch an den Engländer Lord Kingsland, das bis September diesen Jahres vorliegen soll, in dem eben genau analysiert wird, ob zum Beispiel bei der Wiedergutmachung für Enteignung Deutsche und Ungarn ausgeschlossen werden, bis heute, ob zum Beispiel bei der Rückerstattung von Eigentum eine unterschiedliche Behandlung erfolgt, oder eventuell sogar Universitätsabschlüsse anders akzeptiert und behandelt werden. Das heißt das Votum des Europäischen Parlaments, des einzelnen Abgeordneten, aber auch sicher das notwendige einstimmige Votum im Ministerrat wird sicher wesentlich dadurch beeinflusst, wie dieses internationale Rechtsgutachten, das für den Herbst erwartet wird, die Dinge beurteilt.

    Gerner: Sollte das in dem Sinne ausfallen, wie ich es eben den Zeitungen entnommen habe, würden Sie sich darüber hinwegsetzen?

    Friedrich: Jeder Abgeordnete ist allein seinem Gewissen verantwortlich. Für mich und viele Kollegein im Europäischen Parlament - und ich wiederhole die vorhin zitierte Beschlussfassung - gilt, dass Rechtswirkungen bis heute nicht akzeptiert werden können. Dies wird von einer großen Mehrheit des Europäischen Parlaments geteilt. Die Entscheidung des Europäischen Parlaments wird sich sicher daran orientieren und jeder muss, egal wie jetzt das Gutachten ausfällt, mit sich selber ins Reine kommen, wie er sich einem Beitritt gegenüber verhält.

    Gerner: Herr Friedrich, wir haben eben gehört, Rau legt dort keinen Kranz nieder, wo zu Kriegszeiten die Gestapo ihre Zentrale in Prag hatte, wo tschechische Widerstandskämpfer gefoltert wurden. Innenpolitisch hieß es, aus Berliner Kreisen sei das derzeit in Deutschland schwer zu vermitteln. Hat das etwas mit der ganzen Diskussion um die deutsche Vergangenheit zu tun?

    Friedrich: Ich gehe davon aus, dass leider das deutsch-tschechische Verhältnis noch nicht so entspannt ist wie zum Beispiel zwischen Polen und Deutschen, wo eindeutig seitens vieler Polen erklärt wurde, wir bitten um Vergebung, wir gewähren Vergebung. Denn es sind natürlich in der Folge des Zweiten Weltkriegs auf beiden Seiten Verbrechen gigantischen Ausmaßes geschehen und wir Deutsche haben uns zu dieser Vergangenheit bekannt und Vaclav Havel hat auch gesagt, wir wollen in der vollen Wahrheit leben. Es fehlt eben jetzt noch der Mut vieler tschechischer Politiker zu sagen, auch auf tschechischer Seite sind grausamste Verbrechen an Deutschen vollzogen worden. Insofern fehlt hier noch ein Stück Diskussion. Die tschechische Republik war 40 Jahre hinter dem eisernen Vorhang. Dieses Stück Diskussion muss nachvollzogen werden und deswegen ist gewisse Rücksichtnahme auf gerade deutsche Ressentiments sicher angebracht.

    Gerner: Ingo Friedrich war das von der CSU. - Danke Ihnen für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio