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Bundespräsidentenwahl in Österreich
"Das war ein Rechtsruck, und zwar ein gewaltiger"

Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger bezeichnete den Erfolg der rechtspopulistischen FPÖ bei den Bundespräsidentenwahl als "gigantischen Wechsel." Mit ihrem Kandidaten Norbert Hofer als Staatsoberhaupt würde sich Österreich in Richtung Präsidialdemokratie entwickeln, sagte er im Deutschlandfunk.

Josef Haslinger im Gespräch mit Christine Heuer | 26.04.2016
    Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger
    Haslinger: "Wir würden uns in Richtung Präsidialdemokratie entwickeln". (dpa / picture-alliance / Jens Wolf)
    Haslinger betonte, dass Hofer angekündigt habe, ein starker Präsident zu sein. Er wolle in die Regierungsgeschäfte eingreifen und die Minister entlassen, falls ihm der Kurs nicht passe. Dieses Recht habe das Staatsoberhaupt zwar schon immer, aber davon Gebrauch gemacht habe noch niemand. "Wir würden uns in Richtung Präsidialdemokratie entwickeln", sagte der Schriftsteller.
    Die FPÖ habe eindeutig rassistische Untertöne. Diese seien auch von den anderen Parteien zuletzt bedient worden. Die deutliche Mehrheit von 35 Prozent für Hofer im ersten Wahlgang sei "ein Rechtsruck, und zwar ein gewaltiger."

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Zeitenwende, Erdbeben, blaues Wunder - so lauteten die Schlagzeilen nach dem FPÖ-Triumph in der ersten Runde der Präsidentenwahl in Österreich. Norbert Hofer, Kandidat der Rechtspopulisten, hat sie klar gewonnen. SPÖ und ÖVP, die österreichischen Volksparteien, wurden vom Wähler abgestraft und landeten weit abgeschlagen auf aussichtslosen Plätzen. In der entscheidenden Stichwahl am 22. Mai tritt nun der grüne Alexander van der Bellen gegen den FPÖ-Mann Norbert Hofer an. Der aber gilt auch in der zweiten Runde bislang als Favorit.
    Was bedeutet das alles für Österreich, am Ende aber auch für Deutschland und Europa? Fragen jetzt an Josef Haslinger. Der österreichische Schriftsteller fordert politische Denker statt politischer Strategen und er hat schon früh vor einem Durchbruch der FPÖ gewarnt. Guten Morgen erst einmal, Herr Haslinger.
    Josef Haslinger: Guten Morgen.
    Heuer: War das ein Rechtsruck, was Österreich gerade erlebt hat?
    Haslinger: Ja, das kann man wohl so sagen. Das war ein Rechtsruck, und zwar ein gewaltiger.
    Heuer: Wieso eigentlich Ruck? Ist die FPÖ in Österreich nicht längst etabliert?
    Haslinger: Es ist ja das beste Ergebnis. Norbert Hofer ist ja der Kandidat der FPÖ und damit ist es auch ein Sieg für die FPÖ. 35 Prozent, das hatte die FPÖ noch nicht erreicht. Als die FPÖ unter Jörg Haider an die 30 Prozent rankam, war das ja schon eigentlich ein großer Aufschrei in ganz Europa und durch die Regierungsbeteiligung damals gab es sogar Boykottmaßnahmen gegen Österreich.
    Man wollte sozusagen diese Partei klein kriegen und jetzt ist sie, wenn man das vergleicht mit den anderen Parteien, 35 Prozent für Hofer und die FPÖ und die beiden Großparteien, die ehemaligen Großparteien, die beiden Koalitionsparteien, liegen jeweils um die zehn Prozent herum. Das ist natürlich ein gigantischer Wechsel. So etwas hat es bisher nicht gegeben. Wenn man das vergleichen will, dann muss man zurück, hin zu historischen Beispielen, die in der präfaschistischen Zeit liegen.
    "Sie haben eindeutig rassistische Untertöne"
    Heuer: Nämlich?
    Haslinger: Dem damaligen Aufstieg der Nationalsozialisten, wo plötzlich auch ein großer Ruck durchs Land ging in die rechte Richtung, und das scheint hier im Moment auch der Fall zu sein. Aber man darf die beiden natürlich nicht vergleichen. Das sind keine Nationalsozialisten. Aber sie haben eindeutig rassistische Untertöne, die auch von den Koalitionsparteien zuletzt bedient wurden, als Österreich antieuropäisch handelte und die Balkan-Route schloss, ohne sich mit den betroffenen Ländern abzusprechen.
    So hat die SPÖ, die sich zuerst ausgab als besonderer Freund von Tsipras und als besonderer Freund von Angela Merkel, plötzlich einen Schwenk vollzogen, quasi in Vorwegnahme dessen, was jetzt bei der Wahl rausgekommen ist. Und da haben die Wähler halt gesagt, na gut, wenn die SPÖ das auch so sieht und jetzt dort hinschwenkt, wo die FPÖ schon lange steht, dann wird die FPÖ wohl das Richtige machen. Und so sind die Wähler vom Schmiedel zum Schmied gegangen, wie man bei uns sagt.
    "Es wird zu einer Art Lagerwahlkampf kommen"
    Heuer: Na ja. Aber jetzt nach der ersten Runde der Wahl habe ich viele Österreicher gehört, die gesagt haben, ja, die Flüchtlingspolitik der Regierung war lange Zeit falsch und deshalb haben wir die FPÖ gewählt. Also bedient die Partei doch das, was die Bürger wollen.
    Haslinger: Sagen wir so: Die Partei bedient, was die Bürger wollen, die 35 Prozent auf jeden Fall. Darauf muss man sich einstellen, dass das Potenzial an rechten Wählern, die gegen eine Asylpolitik sind, die europäischen Normen entspricht, mit Sicherheit schon ein Drittel bedeutet. Ob es die Mehrheit ist, das muss sich herausstellen und das wird sich bei der Stichwahl herausstellen.
    Das heißt, es wird zu einer Art Lagerwahlkampf kommen. Allerdings sind diese Lager nun ganz anders, als sie historisch waren. Historisch war das links und rechts, aber das ist jetzt nicht mehr der Fall, denn es gibt durchaus sehr viele sogenannte ehemalige Rechte, also konservative Menschen, die allerdings unbedingt haben wollen, dass man Menschenrechte einhält, die vielleicht auch christlich gesinnt sind und so weiter, die dann gegen Hofer stimmen werden. Und auf der anderen Seite gibt es Linke - das zeigt sich in Wien besonders deutlich -, ehemalige Linke, die Arbeiterbezirke in Wien, die Hochburgen der SPÖ sind alle an Norbert Hofer gefallen.
    "Norbert Hofer hat vor, als Präsident in die Regierungsgeschäfte einzugreifen"
    Heuer: Herr Haslinger, rechnen Sie denn damit, dass Norbert Hofer Präsident wird in Österreich und was wäre dann? Wie würde er das Land verändern?
    Haslinger: Er hat angekündigt, ein starker Präsident zu sein. Er hat angekündigt, nicht davor zurückzuscheuen, die Regierung zu entlassen, wenn sie seiner Ansicht nach keine gute Arbeit verrichtet. Das heißt, wir würden uns Richtung Präsidialdemokratie entwickeln. Es gibt zwar verfassungsmäßig verankert diese Rechte des Präsidenten immer schon, aber kein Präsident hat je davon Gebrauch gemacht, sondern man hat die Regierung doch der Regierung, dem Nationalrat und den Stimmenverhältnissen überlassen, so wie sie bei der Nationalratswahl rausgekommen sind.
    Aber dieser Norbert Hofer hat vor, als Präsident in die Regierungsgeschäfte einzugreifen.
    Und Sie dürfen nicht vergessen: In zwei Jahren sind Nationalratswahlen, und so wie es jetzt aussieht wird als Siegerpartei die Partei der FPÖ, und das ist die Partei von Herrn Strache, hervorgehen, und damit ist es zu erwarten, dass es zu einem wirklichen Rechtsruck auch in der Politik des Landes kommt.
    "Es gibt sich die FPÖ in der letzten Zeit etwas handzahm"
    Heuer: Herr Haslinger, das würde mich nun doch interessieren. Welche Veränderungen erwarten Sie in diesem Falle in Österreich?
    Haslinger: Das ist schwer zu sagen. Das ist schwer zu sagen. Es gibt sich die FPÖ in der letzten Zeit etwas handzahm. Das heißt, sie vermeidet Angriffsflächen, weil ihr die Wähler zufallen, indem sie nichts tut. Wofür die FPÖ steht ist bekannt. Es ist bekannt, dass sie eine radikale Ausländerabwehr betreibt. Das hat sie immer schon gemacht. Das hat sie schon gemacht, als unter Ausländer vor allem Leute verstanden wurden, die jetzt in der EU sind und die man nicht mehr abwehren kann wie zum Beispiel Rumänen oder so. Und jetzt sind es in erster Linie die Flüchtlinge, die man abwehren will, und man hat ja auch jetzt schon wieder angefangen mit Grenzkontrollen gegen Ungarn, als ob in Ungarn sich ein Flüchtlingshort befinden würde, wo eine Gefahr droht. Das sind ja alles schon absurde Maßnahmen mittlerweile.
    "Da ist doch noch ein großer Unterschied"
    Heuer: Ganz Europa freut sich über den Sieg, jedenfalls die Rechtspopulisten in ganz Europa, auch die AfD in Deutschland. Müssen wir in Deutschland mit etwas Ähnlichem rechnen wie Sie gerade in Österreich, oder gibt es da gravierende Unterschiede?
    Haslinger: Das ist schwer zu sagen. Das kommt darauf an, wie Österreich sich entwickelt. Wenn das Ganze so glatt über die Bühnen geht, wie die Rechten sich das vorstellen, und Europa dagegen machtlos ist, dann kann es sein, dass dieses Modell auch auf Deutschland ausstrahlt. Die Möglichkeiten sind jedenfalls gegeben, wenngleich Deutschland da noch etwas zulegen müsste. Denn zwischen 35 Prozent und da, wo die AfD in Deutschland liegt, sagen wir mal so bei 14, 15 Prozent, da ist doch noch ein großer Unterschied.
    Heuer: Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Haslinger: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.