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Bundesratssitzung zur Arbeitsmarktpolitik und zur Rentenreform

Heinlein: Am Telefon hören Sie den amtierenden Bundesratspräsidenten Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Guten Morgen

    Böhmer: Guten Morgen.

    Heinlein: Herr Böhmer, wir haben es gehört, sie müssen eine wahre Mammutsitzung heute im Bundesrat leiten. Mit welchem Verlauf rechnen Sie denn?

    Böhmer: Nun gut, das wird wahrscheinlich kaum anders werden, als Sie es bisher angekündigt haben. Soweit ich gehört habe, ist die Meinungsbildung in den einzelnen Landesregierungen abgeschlossen, und dann dürfte diese Sitzung im Grunde genommen nicht allzu kompliziert werden. Ich weiß, dass eine ganze Menge von Redebeiträgen angemeldet sind. Aber dass das Abstimmungsverhalten der Länder sich während der Debatte noch einmal wesentlich ändert, ist eigentlich nicht zu erwarten.

    Heinlein: Also es steht von vorneherein fest: Die Unionsländer lehnen alles das ab, was die Bundesregierung da heute zur Abstimmung bringt.

    Böhmer: Nein, das heißt nicht alles. Wenn wir einiges in den Vermittlungsausschuss delegieren, weil wir es für nachbesserungsbedürftig halten, dann ist das ja keine komplette Ablehnung.

    Heinlein: Warum denn diese Blockadehaltung der Unionsländer?

    Böhmer: Das ist keine Blockadehaltung. Und das lassen wir uns auch von niemandem einreden. Die Bundesregierung hat ein halbes Jahr eine so genannte 'Hartz-Kommission’ eingesetzt, um Lösungen zu suchen, stellt uns das jetzt als Kampfzustellung zu und verlangt, dass wir in einer Woche uns entscheiden und allem auch noch zustimmen. So lassen wir mit uns nicht umgehen, und wenn wir das dann ablehnen oder in den Vermittlungsausschuss schieben, dann ist das keine Blockadehaltung.

    Heinlein: In welchem Umfang will denn die Union den Bundesrat instrumentalisieren, um Beschlüsse der rot-grünen Bundesregierung in ihrem Sinne zu verändern?

    Böhmer: Die Union will den Bundesrat überhaupt nicht instrumentalisieren. Das werden wir nicht tun, das haben wir auch nicht vor, sondern wir lehnen das ab, was wir für falsch halten, und das ist unser gutes Recht.

    Heinlein: Also unter dem Strich bleibt der Bundesrat in seiner Rolle als Reformbremse. Der Vorwurf der Bundesregierung geht in diese Richtung und der Bundeskanzler unterstellt Ihnen ja eine hemmungslose Demagogie. Was sagen Sie denn zu diesem Vorwurf?

    Böhmer: Da zitiere ich den Bundeskanzler, der 1997 Präsident des Bundesrates war und erzählt hat, dass es richtig und ein gutes Zeichen von Demokratie und Föderalismus ist, dass es zwei Gremien in Deutschland gibt, die korrigieren können, wenn die Bundsregierung Vorschläge macht, die von den Ländern aus als falsch erachtet werden. Das gilt auch heute noch.

    Heinlein: Aber einen Großteil der rot-grünen Pläne können Sie doch überhaupt nicht verhindern, sondern nur verzögern. Welchen Sinn macht denn diese Verzögerung?

    Böhmer: Selbst wenn das so ist, ist das kein Grund zuzustimmen.

    Heinlein: Nun will die Union ja zu allen Reformvorhaben, Sie haben es angesprochen, den Vermittlungsausschuss anrufen. Rechnen Sie denn tatsächlich damit, dass es dort zu Veränderungen in Ihrem Sinne kommt?

    Böhmer: Das wird man schauen. Wir werden auf alle Fälle den Versuch machen und das Angebot machen, Konsenslinien zu finden. Wenn das abgelehnt wird, können wir es nicht ändern. Aber wir werden auf alle Fälle den Versuch machen, denn die Sache ist es wert, dass man wenigstens probiert, eine bessere Lösung hinzubekommen.

    Heinlein: Wie könnte denn diese bessere Lösung aussehen? Wo sehen Sie denn noch überhaupt Möglichkeiten, aufeinander zuzugehen?

    Böhmer: Also, was die Probleme der Arbeitsvermittlung betrifft, da hat die Union ja schon vor Jahren Vorschläge gemacht, die damals brüsk abgelehnt worden sind. Und wenn jetzt die Regierung, die rot-grüne Bundesregierung, einige dieser Vorschläge selbst vorschlägt, dann werden wir sie nicht prinzipiell ablehnen, sondern dann werden wir versuchen, dem, was mehrheitsfähig ist und aus unserer Sicht zustimmungsfähig ist, auch tatsächlich zuzustimmen und in Gesetzeskraft treten zu lassen. Aber das muss dann im Vermittlungsausschuss auseinandergenommen werden. Und dann wird sich zeigen, wie weit wir Gemeinsamkeiten finden.

    Heinlein: Also ist ein bisschen Hartz besser als überhaupt kein Hartz?

    Böhmer: Auf alle Fälle ein bisschen Hartz. Da sind ja Vorschläge drin, die seit Jahren in der Diskussion sind, die keineswegs neu sind, und die wir vor Jahren schon zum Teil selber gemacht haben als Union. Und die werden wir auch jetzt nicht ablehnen.

    Heinlein: Sie werden nicht ablehnen, heute im Bundesrat?

    Böhmer: Im Bundesrat liegt ein Paket vor. Dem kann man zustimmen oder nicht. Und die dritte Möglichkeit ist, es dem Vermittlungsausschuss zuzuleiten, um die Punkte rauszusuchen, die konsensfähig sind und dort zu verändern – wenigstens zu versuchen, etwas zu verändern – wo wir jetzt nicht zustimmen könnten.

    Heinlein: Unterliegen denn nach Ihrer Auffassung beide Teile des Hartz-Gesetzes der Zustimmungspflicht des Bundesrates?

    Böhmer: Da gibt es an einigen Stellen durchaus die Möglichkeit, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann. Das muss dann ausdiskutiert werden. Da es auf alle Fälle in die Politik der Länder erheblich eingreift, würde ich sagen ja. Aber ich weiß, dass es da auch andere Meinungen gibt.

    Heinlein: Können Sie einige Punkte nennen, wo Konsens mit der Bundesregierung in Sachen Arbeitsvermittlung in Sachen Hartz...

    Böhmer: Also, was die Vermittlungskriterien betrifft, die Zumutbarkeitskriterien, das sind alles Dinge, die wir schon vor langer Zeit als diskussionswürdig vorgeschlagen haben, wo wir gesagt haben, das es im Grunde genommen für einen ledigen Arbeitssuchenden zumutbar sein muss, auch die größere Entfernung in Anspruch zu nehmen, das sind alles Dinge, über die man im Detail reden kann und auch reden muss, und das haben wir vor.

    Heinlein: Zweiter Punkt, über den heute unter anderem abgestimmt wird, sind die Erhöhungen der Rentenbeiträge. 19,5 Prozent sollen sie betragen. Die Union will auch dies heute verhindern. Wie groß sehen Sie denn Ihre Chance, tatsächlich diese Beitragssteigerung zu verhindern?

    Böhmer: Also, mit einer Abstimmung heute ist das Rentensystem nicht verändert. Die Rentenreform, die schon von Herrn Riester vorgelegt wurde, haben wir als nicht ausreichend empfunden und das auch immer gesagt. Sie ist uns als Jahrhundertreform angekündigt worden. Jetzt hat sie nun bestenfalls ein reichliches Jahr gehalten, schon wieder muss nachkorrigiert werden. Wir brauchen in Deutschland eine grundsätzliche Rentenreform. Die werden wir nicht erreichen, wenn wir das heute ablehnen. Aber wir können auch nicht einer Lösung zustimmen, die im Grunde genommen keine Lösung ist.

    Heinlein: Aber durch diese Verzögerung, die Sie ja heute dann durch Ihre Ablehnung verursachen, droht eine Steigerung auf 19,5 Prozent. Wieso riskieren die Unionsländer diese Steigerung, diese noch stärkere Belastung?

    Böhmer: Das ist eine Drohhaltung, mit der man uns von vorne herein den Schwarzen Peter zuschieben und praktisch zur Zustimmung nötigen will. So kann man miteinander nicht umgehen, wenn man einen Konsens sucht.

    Heinlein: Hat denn die Union eine Alternative zur Erhöhung der Beiträge?

    Böhmer: Wir sind auf alle Fälle bereit, darüber zu sprechen. Das Rentensystem muss grundlegend geändert werden.

    Heinlein: Können Sie da einen Punkt nennen?

    Böhmer: Ja, dazu gehört die Selbstbeteiligung und die Berücksichtigung eines demografischen Faktors. Das wird von der Union schon seit längerer Zeit vorgeschlagen. So lange die Regierung sich gegen solche Sachen wehrt, kann sie nicht erwarten, dass wir Lösungen zustimmen, die wir von vorneherein wieder für falsch halten.

    Heinlein: Wie steht es denn um größere Abschläge für Frührentner? Das wird ja von Ihrer Seite, von der Seite der Union, immer wieder ins Gespräch gebracht.

    Böhmer: Ja, das wird gar nicht anders gehen. Die Menschen werden immer älter. Das wollen wir, darüber freuen wir uns. Das Renteneintrittsalter ist deutlich nach unten gerückt. Das hängt wieder mit der arbeitsmarktpolitischen Situation zusammen. Solche Belastungen kann keine noch so gute Rentenkasse aushalten. Und deswegen muss in diesem Bereich grundsätzlich korrigiert werden. Man kann die Rentenversicherung auch nicht benutzen, um den Arbeitsmarkt zu entlasten.

    Heinlein: Herr Böhmer, eine Frage zum Schluss: Am Rande der heutigen Sitzung soll auch über eine mögliche Nullrunde für Beamte gesprochen werden. Berlin und Sachsen-Anhalt und Ihr Kollege Wolfgang Vogel haben sich für diesen Vorschlag ausgesprochen. Wie wird sich denn Sachsen-Anhalt verhalten?

    Böhmer: Also, wir halten in der gegenwärtigen Situation bei den Tarifverhandlungen eine Nullrunde für angemessen. Die Haushaltssituation ist so katastrophal, dass wir tatsächlich meinen, dies sollten wir uns – und zwar alle – in diesem Jahr zumuten.

    Heinlein: Könnte es denn hier zu einem gemeinsamen Vorgehen von Bund und Ländern kommen?

    Böhmer: Das kann ich noch nicht vorhersagen. Auf alle Fälle gibt es eine Abstimmungsrunde, das haben Sie ja richtig gesagt, zwischen den Ministerpräsidenten dazu.

    Heinlein: Überlegt wird auch, für Länderbeamte künftig weniger zu bezahlen als für Bundesbeamte. Ist dies ein gangbarer Weg?

    Böhmer: Das setzt eine ganze Reihe von gesetzlichen Regelungen voraus. Da muss das rechtlich geöffnet werden. Das sind alles Probleme, die sind bei weitem noch nicht ausdiskutiert, weder beamtenrechtlich noch tarifrechtlich. Ich würde mich solchen Überlegungen nicht von vorneherein verschließen, aber man kann da nicht vorpreschen, ohne das juristisch geprüft zu haben.

    Heinlein: Machtprobe heute in der Länderkammer. Dazu heute morgen hier im Deutschlandfund Wolfgang Böhmer, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Herr Böhmer, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Böhmer: Bitteschön, Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio