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'Bundesregierung muss endlich Handlungsfähigkeit beweisen'

Heuer: Wunder gibt es immer wieder, und weil das so ist, scheint die SPD jetzt ihre Hoffnungen auf Freitag den 14. März zu setzen. An diesem Tag will der Bundeskanzler sich offenbar als Macher profilieren und so die politische Stimmung im Land wenden. Unangenehme Reformen werde Schröder ankündigen, so ist zu hören. Wenn das nicht nach Ruck klingt? Die Gewerkschaften jedenfalls sind alarmiert. Nach dem gescheiterten Kamingespräch mit den Arbeitgebern im Kanzleramt stehen sie unter Dauerbeschuss. Einer der sich gern mit den Gewerkschaften anlegt ist der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag, Friedrich Merz. Vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen und ihn zuerst gefragt, ob er nach dem Knatsch zwischen Schröder und den Gewerkschaften an eine Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Kanzlers glaubt?

    Merz: Frau Heuer ich weiß noch nicht, ob ich daran glauben darf, aber sie ist notwendig. Der Generalsekretär der SPD hat vor einigen Tagen gesagt, jetzt würde die Regierung handeln. Also mit Verlaub: diese Regierung ist seit viereinhalb Jahren im Amt, um handeln zu müssen. Dafür wird sie bezahlt. Wir haben jetzt 4,7 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Gerade gestern sind die Zahlen bekannt gegeben worden über den Monat Februar 2003. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt überproportional an. Wir haben den höchsten Stand der Jugendarbeitslosigkeit, den wir jemals in Deutschland hatten. Also es ist nun wirklich Zeit zu handeln und ich kann nur hoffen, dass im Interesse dieses Landes der Bundeskanzler am nächsten Freitag nicht nur eine fulminante Regierungserklärung abgibt, sondern auch das notwendige sagt und anschließend das notwendige tut und dies auch in der SPD-Bundestagsfraktion durchsetzt.

    Heuer: Und gegenüber den Gewerkschaften. Sie haben, Herr Merz, gesagt, wenn man den Sumpf trockenlegen will, dann dürfe man die Frösche nicht fragen. Wir fragen nicht die Frösche, wir fragen Sie: Womit konkret könnte Schröders Befreiungsschlag gegen die Gewerkschaften denn funktionieren?

    Merz: Ja, ich habe das in der Tat gesagt. Es ist übrigens ein Wort, das gar nicht von mir stammt und das auch gar nicht persönlich gemeint war, obwohl es offensichtlich einige so aufgefasst haben. Entscheidend ist, dass die Politik ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnt und insbesondere bereit ist, Entscheidungen auch gegen Interessengruppen durchzusetzen. Dazu zähle ich die Gewerkschaften genauso wie die Arbeitgeber- und Industrieverbände. Die Politik muss handeln, und wenn wir in der Regierung wären, dann gäbe es eine klare Agenda. Die lautet: 1. Reformen auf dem Arbeitsmarkt unter Einschluss des Tarifrechts und des Betriebsverfassungsrechts. 2. Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe mit entsprechend korrigierten Anspruchsvoraussetzungen für Sozialhilfe bei arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängern. Das muss man korrigieren. 3. Reformen in den sozialen Sicherungssystemen, also Krankenversicherung, Rentenversicherung, Pflegeversicherung. 4. - und das könnte man dann in der Tat zum 1.1.2004 bereits machen - eine Steuerreform mit niedrigeren Steuersätzen für Arbeitnehmer und Betriebe. Das geht aber nur, wenn man zuvor die Reformen gemacht hat, die ich grob skizziert habe und die dann auch entsprechende Freiräume in den öffentlichen Haushalten für eine solche Steuerpolitik eröffnen.

    Heuer: Fangen wir mal mit der Angleichung Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe an. Das scheint der Kanzler ja vorschlagen zu wollen. Dann müssten Sie eigentlich schon zufrieden sein?

    Merz: Ich kann nur sagen: auf geht's! Wenn er das wirklich vorschlagen will, ist das die richtige Richtung. Wir haben das ja in unserem Regierungsprogramm auch bereits vorgeschlagen. Wir diskutieren übrigens über die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe seit vier Jahren. Es ist kein neues Thema. Der Streit geht um die Frage, wie hoch soll denn dann die neue Leistung sein. Ich sage klar: Sie darf nicht höher sein als die Sozialhilfe. Die Sozialhilfe ihrerseits muss umstrukturiert werden. Insbesondere für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger muss in Zukunft gelten: keine Leistung mehr ohne Gegenleistung.

    Heuer: Wenn Sie sagen, dieses Arbeitslosengeld II darf nicht höher sein als die Sozialhilfe, heißt das auch nicht zehn Prozent höher als die Sozialhilfe?

    Merz: Die Formulierung Arbeitslosengeld II, die ja aus der Hartz-Konzeption stammt, halte ich schon per se für falsch, denn das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung. Wir sprechen aber hier über eine Sozialleistung. Wir haben zur Zeit zwei Sozialleistungen, die nebeneinander bestehen: Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Wenn man die Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe integriert und gleichzeitig die Sozialhilfe um zehn Prozent erhöht, dann verschärft man das Problem, dass nämlich gerade in diesen Einkommensbereichen Beschäftigung im regulären Arbeitsmarkt nicht entsteht. Zehn Prozent draufzulegen ist falsch!

    Heuer: Wenn man Einschnitte macht bei der Arbeitslosenversicherung, wieso dann nicht auch bei der Rentenversicherung, um zum Beispiel kurzfristig Geld einzusparen? Wäre es denkbar, eine Rentenerhöhung in Zukunft auch einmal ausfallen zu lassen?

    Merz: Die Bundesregierung hat das ja gemacht, die Rentenanpassung auszusetzen im Zuge der ganzen sehr schwierigen Debatte um die Rentenreform in den Jahren 1999, 2000 und 2001. So eine Maßnahme zerstört Vertrauen, und deswegen halten wir sie für falsch. Entscheidend ist, dass man die Rentenversicherung so umbaut, dass daraus eine verlässliche dauerhafte Grundsicherung im Alter wird, also die Absicherung im Alter bleibt auf der Basis eines umlagefinanzierten Systems, dass man sie aber sehr frühzeitig beginnt, um kapitalgedeckte Elemente zu ergänzen, also private Altersvorsorge und betriebliche Altersversorgung ergänzt. Dann kann daraus eine dauerhafte Altersleistung werden.

    Heuer: Das sind - den Vorwurf werden Sie schon häufiger gehört haben - langfristige Reformvorschläge, Reformvorschläge, die allerhöchstens mittelfristig wirken könnten. Die Rentensysteme haben aber jetzt schon Probleme. Wäre es deshalb möglich, dass es sinnvoll sein könnte, eine Rentenerhöhung, die beschlossen ist, auszusetzen?

    Merz: Ich gebe Ihnen auf diese Frage deshalb keine abschließende Antwort, weil es keinen Sinn macht, aus einem solchen großen Steinbruch einzelne Steine herauszubrechen und zu sagen, das ist jetzt ein Beitrag für die Lösung. Wenn wir in der Politik weiter so handeln, dass wir immer nur kurzatmig reagieren und immer nur auf Kassenlage antworten, dann verspielen wir das Vertrauen, das gerade in einer solchen langfristig angelegten Grundordnung unserer sozialen Sicherungssysteme unverzichtbar ist. Deswegen meine ich wäre es jetzt richtig, auch an Stelle der Bundesregierung zu sagen, wir bauen jetzt ein Gesamtkonzept auf, das eine dauerhafte Versorgung im Alter garantiert, und sagen der Bevölkerung offen, es wird in Zukunft neben der Rentenversicherung als Basisabsicherung ein wesentlich weiter ausgebautes System der persönlichen und betrieblichen Altersversorgung geben müssen, die auf der Basis kapitalgedeckter Elemente aufgebaut wird. So herum wird ein Schuh daraus und das schafft Vertrauen und Verlässlichkeit.

    Heuer: Die Kassenlage ist aber schlecht. Die Situation der Sozialsysteme ist schlecht und das in diesem Moment. Deshalb brauchen wir in Deutschland kurzfristige Antworten und wir brauchen Geld, um Probleme zu lösen. Da wäre ein Vorziehen der Steuerentlastung von 2005 auf 2004 doch eigentlich genau das falsche?

    Merz: Zur Lösung der Probleme gibt es eine Schlüsselantwort. Die betrifft die Steuerhaushalte, die betrifft die Sozialhaushalte und die betrifft auch im Grunde genommen die persönlichen Arbeitseinkommen der Arbeitnehmer. Wir brauchen in diesem Land wieder mehr Wirtschaftswachstum. Es gibt das schöne Wort von Karl Schiller: "Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts". Ich will es mal noch deutlicher sagen: "Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts." Wenn wir nicht aus der Wachstumskrise unserer Volkswirtschaft heraus kommen, wenn wir nicht wenigstens wieder europäischen Durchschnitt erreichen, dann haben wir keine Chance, die Probleme in den öffentlichen Haushalten zu lösen: weder im Bund, noch bei den Ländern, noch bei den Gemeinden, die übrigens in einer katastrophalen Lage sind, noch bei einem einzigen Zweig der Sozialversicherung. Ohne Wachstum laufen uns die Ausgaben davon und bleiben die Einnahmen immer weiter zurück. Damit öffnet sich die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen immer weiter. Also müssen wir eine Wirtschaftspolitik machen, die auf Wachstum ausgerichtet ist. Das ist der entscheidende Punkt, übrigens ein Punkt, den man auch in diesem Jahr erreichen könnte, trotz aller Schwierigkeiten in der Weltkonjunktur, den man allerdings nur erreicht, wenn man eine Wirtschaftspolitik macht, die nicht sprunghaft, heute so herum, morgen so herum ist, sondern die wieder langfristig angelegt ist und Vertrauen schafft, Vertrauen insbesondere der Investoren, die in dieses Land kommen sollen und hier Geld ausgeben sollen.

    Heuer: Ich möchte trotzdem noch mal nach kurzfristigen Maßnahmen fragen. Sie haben die Gemeinden gerade selber angesprochen. Die Bundesregierung plant ein Investitionsprogramm für die Gemeinden. Wie hoch sollte so etwas Ihrer Meinung nach ausfallen und wie könnte es finanziert werden?

    Merz: Was die Bundesregierung dort offensichtlich plant ist deswegen schwer zu kommentieren, weil wir noch gar nicht wissen, was sie denn eigentlich wirklich wollen.

    Heuer: Wie würden Sie von der Union den Kommunen helfen?

    Merz: Ich würde den Kommunen helfen, indem wir die Gewerbesteuerumlage auf das Maß reduzieren, das bis 2000 gegolten hat. Das ist jetzt sehr technisch, aber das sind über zwei Milliarden Euro. Den Gemeinden wird durch eine Umlage zugunsten der Länder und des Bundes ein wesentlicher Teil ihrer Gewerbesteueraufkommen einfach weggenommen. Jetzt wird gleichzeitig über ein Investitionsprogramm des Bundes geredet. Das heißt es soll den Gemeinden über die Kasse des Bundes ein Teil dessen wieder zurückgegeben werden, was ihnen vorher über die Gewerbesteuer abgeschöpft worden ist. Gebt den Gemeinden die Gewerbesteuer wieder zurück, die sie selbst generieren. Dann haben sie auch wieder Planungssicherheit und dann haben die Gemeinden auch wieder Geld in der Kasse. Das was da mit diesem ganzen Investitionsprogramm jetzt geplant wird, das hat Willy Brandt in den 70er Jahren auch versucht und es ist granatenmäßig schiefgegangen. Da können Sie auch einen 500-Euro-Schein nehmen, das Fenster aufmachen und das Feuerzeug dranhalten; das hat die gleiche Wirkung. Das ist rausgeschmissenes Geld, wenn die Bundesregierung das wirklich machen sollte, was durch einige Ankündigungen jetzt offensichtlich geplant ist.

    Heuer: Ihre Parteifreundin Petra Roth, die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, würde das Geld aber gerne nehmen, wenn sie es bekommen könnte, und zwar würde sie es gerne cash haben.

    Merz: Ja. Was ich hier gerade gesagt habe ist übrigens eins zu eins die Auffassung der Oberbürgermeister der Union, eins zu eins die Auffassung auch von Frau Roth. Nur die sind alle in einer so schwierigen Lage. Wenn die Bundesregierung denen sagt, hier habt ihr 100000 Euro, nehmt sie oder ihr kriegt gar nichts, dann wäre jede Kommune schlecht beraten, die das nicht nehmen würde. Ich sage nur voraus: Es löst kein einziges Problem, schafft aber neue Probleme. Deswegen wäre eine Reduzierung der Gewerbesteuerumlage zugunsten der Gemeinden richtig und alles andere sind Strohfeuereffekte, die wirklich nichts bringen, außer am Ende des Tages eine noch höhere Staatsverschuldung.

    Heuer: Zum Schluss, Herr Merz, eine Frage nach Ihrer eigenen politischen Zukunft. Sie haben ja bereits dementiert, was in einigen Zeitungen stand, dass Sie nämlich beabsichtigen würden, Jürgen Rüttgers im Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen abzulösen oder als Spitzenkandidat bei den nächsten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen anzutreten. Nun sind Sie aber selbst Mitglied im Landesverband. Aus dieser Innenperspektive heraus, könnte Jürgen Rüttgers es etwas besser machen, als er es schon ohnehin tut?

    Merz: Ich finde die CDU in Nordrhein-Westfalen steht im Augenblick gut da. Alle Umfragen zeigen uns, dass wir heute am Tag die Landesregierung ablösen würden, wenn denn Wahlen wären. Deswegen finde ich es völlig deplaziert, dass da jetzt irgendwelche Personalspekulationen angestellt werden, übrigens ohne mein Zutun. Das was da in der letzten Woche in einer Zeitung, in einer kölnischen Zeitung gestanden hat, ist ziemlicher Unfug, aber offensichtlich der Versuch, Unruhe in die Partei hineinzutragen. Jürgen Rüttgers weiß - das habe ich ihm gesagt -, dass ich nicht die Absicht habe, Landesvorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen zu werden. Das habe ich ihm vor langer Zeit schon gesagt. Daran hat sich nichts geändert. Ich habe auch nicht die Absicht, die politische Ebene zu wechseln. Ich mache meine Arbeit in Berlin und alles andere, was sonst geredet und erzählt wird, schadet. Ich werde mich daran nicht beteiligen.

    Heuer: Das war im Interview mit dem Deutschlandfunk der stellvertretende Unionsfraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    Link: Interview als RealAudio