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Bundesregierung muss Konzept vorlegen
Schwierige Aufarbeitung der Colonia Dignidad-Verbrechen

Der Alltag in der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile war jahrzehntelang geprägt von Sklaverei, Gehirnwäsche und sexuellem Missbrauch. Die meisten Verbrechen sind bis heute nicht aufgeklärt. Nun läuft die Frist für die Bundesregierung ab, ein Konzept zur Aufarbeitung vorzulegen.

Von Ute Löhning | 28.06.2018
    Angehörige von Colonia Dignidad-Opfern halten 2016 Schilder mit Fotos hoch
    Angehörige von Colonia Dignidad-Opfern demonstrieren 2016 in Chile (dpa / epa / Benjamin Hernandez)
    "Por la vida y por la paz, que nos digan dónde están!
    "Sag uns die Wahrheit, Hopp hopp hopp!"
    Mitte Juni bei einer Kundgebung in Krefeld: Umringt von Transparenten und Fotos von chilenischen Verschwundenen haben sich 50 Personen versammelt. Ein deutsch-chilenisches Paar spielt Lieder der Protestsängerin Mercedes Sosa, viele singen mit. Sie stehen vor dem Haus von Hartmut Hopp, dem früheren Leiter des Krankenhauses der Colonia Dignidad. Colonia Dignidad war eine deutsche Sektensiedlung im Süden Chiles.
    Die 75-jährige Myrna Troncoso ist auch dabei. Sie ist die Vorsitzende des Angehörigenverbandes von Verschwundenen aus der südchilenischen Region des Maule-Flusses. Die Chilenin ist nach Deutschland gereist, um über das Schicksal ihres Bruders Ricardo und aller mutmaßlich in der Colonia Dignidad ermordeten Gefangenen Aufklärung zu fordern. Die zierliche Frau mit geblümter Bluse trägt ein Foto ihres Bruders um den Hals. Sie hat dem ehemaligen Arzt der Sekte einen Brief geschrieben und liest diesen laut vor.
    "Herr Hartmut Hopp, nach 45 Jahren der Suche stehe ich vor Ihrer Haustür. Wir wissen, dass Dutzende unserer Verwandten in die Colonia Dignidad gebracht, dort gefoltert und ermordet wurden. Wir kennen die Aussagen von Bewohnern der Siedlung, die ihre Beteiligung an diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestanden haben."
    Angehörige von Colonia Dignidad-Opfern stehen mit Protest-Schildern in der Hand in Krefeld
    Myrna Troncoso (r.) und weitere Angehörige von Colonia Dignidad-Opfern protestieren in Krefeld für eine Inhaftierung des Sektenarztes Hartmut Hopp (Deutschlandradio / Ute Löhning)
    Gehirnwäsche, Unterwerfung, Sklaverei und sexueller Missbrauch
    Im Jahr 1961 hatte sich der schon damals in Deutschland wegen Kindesmissbrauchs gesuchte Laienprediger Paul Schäfer nach Chile abgesetzt. Mit einer Gruppe von Getreuen, unter ihnen der damals 17-jährige Hopp, baute er 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago eine vorgeblich urchristliche Siedlung auf: Colonia Dignidad, übersetzt "Kolonie der Würde". Schäfer und seine Führungsgruppe etablierten ein System von Gehirnwäsche und Unterwerfung, von Sklaverei und sexuellem Missbrauch. 40 Jahre lang lebten an die 300 Bewohnerinnen und Bewohner hinter Stacheldraht und Zäunen.
    Nach dem Militärputsch 1973 und der Machtübernahme durch Diktator Pinochet richtete der chilenische Geheimdienst DINA in der deutschen Siedlung ein Folterlager ein. Hartmut Hopp galt als Vertreter der Colonia Dignidad nach außen und als Verbindungsmann zur DINA.
    Laut Zeugenaussagen von Bewohnern wurden etwa 100 chilenische Oppositionelle auf dem Gelände ermordet. Myrna Troncoso will wissen, ob ihr Bruder einer von ihnen ist.
    "Mein Bruder Ricardo Troncoso Muñoz war 26 Jahre alt, als er festgenommen wurde. Er war beim MIR, der Bewegung der Revolutionären Linken. Er war Biologielehrer, verheiratet, hatte eine kleine Tochter. Nach der Verhaftung am 15.8.1974 wurde er nach Londres 38 gebracht, ein Haus in dem gefoltert wurde. Ende August wurde er von dort weggebracht - mit unbekanntem Ziel. Wir haben Hinweise, dass er, so wie auch andere Angehörige des MIR, in die Colonia Dignidad gebracht wurde."
    Angehörige fordern Aufklärung
    Da Ricardo Troncosos Leiche bis heute nicht gefunden wurde, gilt er als Verschwundener. Bisher sind die Namen derjenigen, die in der Colonia Dignidad umgebracht wurden, nicht bekannt. Und auch nicht die ihrer Mörder. Myrna Troncoso fordert auch von deutschen Behörden und der deutschen Justiz, aufzuklären und zu ermitteln.
    In Chile und Deutschland waren die Zustände in der Colonia Dignidad spätestens seit 1967 bekannt. In dem Jahr war es dem damals 20-jährigen Wolfgang Kneese gelungen, aus der abgeriegelten Siedlung zu fliehen. Er war vom Sektenchef Schäfer bereits als Kind nach Chile verschleppt worden. Kneese berichtete der chilenischen und der deutschen Presse vom systematischen sexuellen Missbrauch in der Sekte, von Prügel und zwangsweiser Verabreichung von Psychopharmaka. Doch weder in Chile noch in Deutschland griffen Justiz oder Regierungen ein.
    Weitere aus der Kolonie Geflohene, die es bis in die Deutsche Botschaft geschafft hatten, fanden dort keinen Schutz. Führungspersonen der Sekte, die "gute Beziehungen" zur Botschaft unterhielten, kamen und nahmen die Leute wieder mit, um sie teilweise für Jahre im sekteneigenen Krankenhaus einzusperren und mit Psychopharmaka ruhigzustellen.
    Der Zeitzeuge Wolfgang Kneese diskutiert zum Thema "Colonia Dignidad" am 26.04.2016 im Auswärtigen Amt in Berlin.
    Wolfgang Kneese gelang mit 20 Jahren die Flucht aus der "Colonia Dignidad" (dpa / Jörg Carstensen)
    Steinmeier: "Umgang mit der Colonia Dignidad kein Ruhmesblatt"
    1976 veröffentlichten die UNO und 1977 Amnesty International Berichte über Folter an chilenischen Oppositionellen in der Colonia Dignidad. Doch auch das brachte die bundesdeutsche Regierung und deren Repräsentanten vor Ort jahrelang nicht dazu, auf Distanz zu Schäfers Siedlung zu gehen.
    Erst im April 2016 äußerte sich Frank-Walter Steinmeier - damals noch Bundesaußenminister. Der heutige Bundespräsident verneigte sich vor den Opfern und sagte selbstkritisch:
    "Nein, der Umgang mit der Colonia Dignidad ist kein Ruhmesblatt, auch nicht in der Geschichte des Auswärtigen Amtes. Über viele Jahre hinweg von den 60er- bis in die 80er-Jahre haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut, jedenfalls eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan."
    Steinmeier machte damit den ersten großen Schritt in Richtung Aufarbeitung der deutschen Mitverantwortung an der Geschichte der Colonia Dignidad.
    Ein gutes halbes Jahr später reiste eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten nach Chile. Sie machten sich selbst ein Bild in der deutschen Siedlung. Seit 1988 nennt sich diese Villa Baviera, "Bayerisches Dorf". Es finanziert sich unter anderem durch ein Tourismusunternehmen mit Hotel und Restaurant im bayerischen Stil.
    Die damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast von den Grünen: "Es war ja die offizielle Delegation des Rechtsausschusses, es waren alle Parteien vertreten, und es waren alle extrem beeindruckt. Wir hatten uns quasi das Versprechen gegeben in Chile, das war mir wichtig, wenn wir zuhause sind, machen wir daraus einen Antrag, um jetzt wirklich ernsthaft Aufarbeitung zu versuchen"
    "Villa Bavaria" ist auf einem Stein zu lesen, der zwischen Palmen auf einem kleinen Hügel steht. Aufnahme von 2016.
    Villa Baviera heißt heute die Siedlung, die ehemals als Colonia Dignidad bekannt war (EFE/EPA/MARIO RUIZ )
    Dabei sind sie geblieben. Am 29. Juni des vergangenen Jahres fand kurz vor Mitternacht im Bundestag eine sehr bewegende Debatte statt, bei der auch Opfer der Sekte anwesend waren. An deren Ende stimmten Abgeordnete von CDU, CSU, SPD, Grünen und Linken einem fraktionsübergreifenden Antrag zu, der die "Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad" fordert.
    Kommission aus Regierungsvertretern beider Staaten
    Jetzt greift der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand, die Forderungen aus dem Parlamentsbeschluss wieder auf.
    "Nach dem Bekenntnis der moralischen Mitverantwortung muss die Bundesregierung den Worten Taten folgen lassen. Der deutsche Bundestag macht fraktionsübergreifend Druck. Wir wollen Aufarbeitung der Vergangenheit, wir wollen, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden, und dass vor allen Dingen die Opfer konkrete Unterstützung bekommen."
    Um die historische Aufarbeitung und die Errichtung einer Gedenkstätte zu koordinieren, wurde noch im Sommer 2017 eine bilaterale Kommission gegründet. Diese sogenannte "Gemischte Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Colonia Dignidad" besteht aus Regierungsvertretern beider Staaten. Zwei Mal hat sich die Kommission bislang getroffen.
    Wie groß das Aufklärungsinteresse der neuen chilenischen Regierung des rechts-konservativen Präsidenten Piñera sein wird, bleibt abzuwarten. Der neue Minister für Justiz und Menschenrechte, Hernán Larraín, galt bis Ende der 90er-Jahre als Unterstützer der Colonia Dignidad.
    Etwa 100 Chilenen auf dem Gelände der Sekte ermordet
    In Chile sind während der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 insgesamt etwa 3.000 Menschen ermordet worden. Mehr als 1.000 Personen gelten als verschwunden. Aussagen von Bewohnern der Colonia Dignidad zufolge haben DINA-Mitarbeiter etwa 100 Chilenen auf dem Gelände der Sekte zu Tode gefoltert oder im Wald erschossen. Das sind fast zehn Prozent aller während der Pinochet-Diktatur Verschwundenen. Anschließend wurden die Toten in Massengräbern verscharrt, 1978 wieder ausgegraben, verbrannt, ihre Asche im Fluss verstreut - so sollten Spuren verwischt werden.
    Möglicherweise können auf dem Gelände der Villa Baviera heute noch sterbliche Überreste identifiziert werden. Die chilenische Justiz hat Grabungen veranlasst. Kürzlich konnten Forensiker an einem Ort zwar Spuren von Verbrennungen nachweisen, doch Rückschlüsse auf die Identität der Toten ließen sich nicht ziehen.
    Diese Aufnahme aus den 80er-Jahren zeigt den Eingang zum Gelände der Sekte Colonia Dignidad in Chile
    Eingang zum Gelände der Sekte Colonia Dignidad in Chile auf einer Aufnahme aus den 80er-Jahren (dpa / picture alliance)
    Renate Künast von den Grünen erinnert an eine Zusage aus Deutschland: "Wir müssen helfen bei der Forensik, unterstützen mit Personal und Technik bei diesen Ausgrabungen."
    Laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Jan Korte und der Fraktion der LINKEN hat die chilenische Regierung im Januar eine konkrete Bitte an das deutsche Außenministerium gerichtet. Dabei ging es um kriminaltechnische und finanzielle Unterstützung. Die jedoch gibt es bis heute nicht.
    Große Aktenbestände noch nicht wissenschaftlich ausgewertet
    Außerdem existieren noch rund 45.000 Karteikarten eines in der Colonia Dignidad geführten Geheimarchivs. Diese Dokumente könnten Licht ins Dunkel der Kooperation mit dem Pinochet-Regime bringen, denn die in Chile eingesetzten Wahrheitskommissionen, die sich um die Aufarbeitung der Diktatur bemühten, haben die Verbrechen der Colonia Dignidad ausgeklammert.
    Der Politologe Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika: "Es gibt in Deutschland und Chile noch große Aktenbestände, die noch nicht wissenschaftlich ausgewertet werden konnten. Meines Erachtens sollten auch alle heutigen und ehemaligen Bewohner der Colonia Dignidad von einer Sachverständigenkommission angehört werden."
    In dem vor einem Jahr im Bundestag verabschiedeten Antrag ist auch von einer deutsch-chilenischen Expertenkommission zur historischen Aufarbeitung die Rede. Eingesetzt ist dieses Gremium jedoch bis heute nicht. Auch der Aufbau eines Gedenk-, Dokumentations- und Lernortes zur Förderung der Menschenrechtsarbeit in Chile wird gefordert. Das Auswärtige Amt soll die Umsetzung dieses Vorhabens "im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel" bis zum 30. Juni prüfen. Myrna Troncoso ist zuversichtlich. Als Vertreterin der Angehörigen von Verschwundenen war sie Mitte des Monats in den Bundestag eingeladen.
    "Ich wurde sehr herzlich empfangen und bin sehr zufrieden. Die Abgeordneten haben mir zugehört und ich sehe, dass sie etwas tun: Sie werden Geld zur Verfügung stellen für einen Ort der Erinnerung. Ich denke, dass das in unserer Region sein muss, denn die Erinnerung ist da, wo die Dinge geschehen sind."
    Umstrittenes privates Wohnen auf dem öffentlicher Gedenkort
    Die verschiedenen Opfergruppen einzubeziehen, ist aufwendig. Es handelt sich um jetzige und frühere Bewohner der Siedlung, Chilenen aus der Umgebung, die als Kinder Opfer von Missbrauch wurden, Oppositionelle, die in der Siedlung gefoltert wurden und Angehörige der dort verschwundenen Gefangenen.
    Elke Gryglewski ist stellvertretende Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz. Sie leitete im Auftrag des Auswärtigen Amtes einige Seminare mit Experten und Betroffenen in der heutigen Villa Baviera.
    "Wir moderieren unterschiedliche Gesprächsgruppen, wo gemeinsam überlegt wird, was ist sinnvollerweise Funktion eines solchen Ortes usw. Wir sind der festen Überzeugung, dass es sinnvoll ist, vor Ort etwas einzurichten und dass das auch wirklich gut machbar ist, indem man beispielsweise die fünf Hauptgebäude, die wirklich historisch bedeutsam sind für die Geschichte von Unterdrückung, dass man dort Ausstellungen bauen kann. Ich glaube, es müsste einen Ort geben, wo eine übergreifende Ausstellung gemacht wird, die die Gesamtgeschichte der Colonia Dignidad bis hin in die Villa Baviera hinein erzählt."
    Aus ihrer Sicht könnten diejenigen Bewohner, die die Siedlung nicht verlassen wollen, weiter in ihren Häusern wohnen. Privates Wohnen und öffentlicher Gedenkort könnten nebeneinander funktionieren. Doch das ist nach wie vor umstritten bei den Bewohnern und den Angehörigen der Verschwundenen.
    Bis heute keine Anklage gegen Hopp
    Auch zur juristischen Aufarbeitung findet sich ein Absatz im ein Jahr alten Beschluss des Bundestages. Die Bundesregierung - heißt es da - soll "die ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen, um die strafrechtlichen Ermittlungen in Deutschland und in Chile voranzutreiben.
    Zum Beispiel im Fall Hartmut Hopp. Der frühere Leiter des Krankenhauses der Colonia Dignidad galt als rechte Hand des Sektenchefs Schäfer. Seit 2011 ermittelt die Staatsanwaltschaft Krefeld gegen ihn - unter anderem wegen Köperverletzung durch zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka und wegen Beihilfe zum Mord an drei chilenischen Oppositionellen. Der Krefelder Oberstaatsanwalt Axel Stahl sagt, er habe 2013 bereits die chilenische Justiz um Unterstützung gebeten – ohne ausreichenden Erfolg. Bis heute wurde keine Anklage gegen Hopp erhoben. Auch einige andere frühere Führungsmitglieder der Sekte leben von der Justiz unbehelligt in Deutschland.
    Hartmut Hopp steht mit Sonnenbrille vor einer Tafel
    Der deutsche Sektenarzt Hartmut Hopp auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1999 (dpa / epa / MARCELO AGOST )
    Das soll nun anders werden. Auf Initiative des Bundesjustizministeriums reisten deutsche Staatsanwälte und Vertreter von Außen- und Justizministerium Ende April nach Chile. Die Staatsanwälte waren dort bei Zeugenvernehmungen anwesend.
    "Die chilenischen Kolleginnen und Kollegen waren ausgesprochen hilfsbereit und daran interessiert eben auch zusammenzuarbeiten, alles zu tun, um Deutschland bei Ermittlungen zu unterstützen."
    Dirk Mirow ist im Bundesjustizministerium Leiter der Abteilung, die für internationale Rechtshilfe zuständig ist. Er erklärt, dass Anfragen deutscher Justizbehörden nun schneller als bisher an die zuständige Behörde in Chile gelangen sollen - und umgekehrt. Außerdem sollen Videokonferenzen künftig die Teilnahme an Zeugenvernehmungen im anderen Land ermöglichen.
    Hopp setzte sich 2011 nach Deutschland ab
    "Das ist aus meiner Sicht ein ganz großer Ertrag dieser Reise, dass das wechselseitige Verständnis ungemein gewachsen ist und auch ein großes Vertrauen besteht, dass erstens in Chile gründlich und extrem rechtsstaatlich ermittelt worden ist, und dass die chilenische Seite eben auch sieht, dass ein entsprechendes Interesse in Deutschland besteht."
    Juristisch brisant bleibt derweil die Frage, ob Hartmut Hopp eine chilenische Strafe in Deutschland verbüßen muss. Der in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilte frühere Sektenarzt setzte sich 2011 nach Deutschland ab und entzog sich dieser Strafe. Seit sieben Jahren lebt er als freier Mann in Krefeld.
    Neben einem Ukulelenkoffer liegt ein handbemaltes Schild mit der Aufschrift: "Allez Hopp in den Knast"
    Angehörige von Colonia Dignidad-Opfern protestieren in Krefeld für eine Inhaftierung des Sektenarztes Hartmot Hopp (Deutschlandradio / Ute Löhning)
    Da Deutschland ihn als deutschen Staatsbürger nicht ausliefert, beantragte die chilenische Regierung 2014, Hopp solle seine chilenische Strafe in Deutschland verbüßen. Das Landgericht Krefeld hat im vergangenen August befunden, dass das chilenische Urteil nach rechtsstaatlichen Kriterien zustande gekommen sei. Es hat dem Haftvollstreckungsersuchen deshalb zugestimmt. Als letzte Instanz prüft nun das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Beschwerde Hopps dagegen. Eine Entscheidung der Düsseldorfer Richter ist jederzeit möglich.
    Die allerschwierigste Entscheidung steht noch aus
    Derweil läuft die Frist aus, die der Bundestag im Juni 2017 der Bundesregierung gab. Bis Ende des Monats soll das Auswärtige Amt auch ein Konzept für Hilfsleistungen für die Opfer der Sekte vorlegen. Es geht um einen finanziellen Ausgleich für deren jahrzehntelange Zwangsarbeit ohne Lohn oder Rentenzahlungen. Aber auch um psychosoziale Hilfe für diejenigen, die noch immer unter den Folgen der Misshandlungen leiden. Bislang hat das Ministerium dem Parlament noch keine Vorschläge gemacht.
    Michael Brand von der CDU: "Das steht jetzt an in den nächsten Tagen."
    Sobald die Vorschläge vorliegen, wollen die Abgeordneten diese diskutieren und in die Etatberatungen für den Bundeshaushalt 2019 einbringen.
    Die allerschwierigste Entscheidung aber steht noch aus: Wer soll diese finanzielle Hilfe überhaupt erhalten? Chilenen? Deutsche? In Chile und in Deutschland lebende Personen?
    Michael Brand: "Wir haben ja auch komplizierte Verhältnisse, dass Opfer später zu Tätern werden. Wie geht man damit um? Und dazu wird anschließend eine Kommission gebildet. Dort werden Ministerien beteiligt sein und wir als Abgeordnete werden auch mit acht Personen vertreten sein."
    "Dieses Schweigekartell" durchbrechen
    "Ich würde dafür optieren, dass eine Kommission mit Personen besetzt wird, die langjährige Kenntnisse über die Colonia Dignidad erworben haben", sagt die Anwältin Petra Schlagenhauf. Denn für den Umgang mit Grenzfällen sei Expertenwissen unabdingbar.
    "Ich würde von jemand, der sagt, 'Ich bin auch Opfer gewesen in der Colonia Dignidad', wo es aber auch einen Bereich gibt, der grau bzw. vielleicht auch schwarz ist im Verhalten dieser Person, zumindest erwarten, und das auch daran koppeln, dass man alles, was man weiß, auch offenlegt, und dieses Schweigekartell durchbricht."
    Die Wahrheit über die Colonia Dignidad und deren Zusammenarbeit mit dem chilenischen Geheimdienst aufzudecken, wäre auch ein Zeichen des Respekts gegenüber den Angehörigen der Verschwundenen, sagt sie. Denn diese fordern vom deutschen Staat zwar kein finanzielle Entschädigung, aber endlich Aufklärung der Geschichte und des Verbleibs ihrer Liebsten.
    Myrna Troncoso: "Wir haben immer gesagt, dass es am wichtigsten ist zu wissen, was mit ihnen geschehen ist. Wie wurden sie ermordet? Wer hat sie ermordet? Diese Menschen müssen bestraft werden! Wir fordern Wahrheit, Gerechtigkeit und auch Erinnerung. Denn wir haben nichts - nicht einmal die Gewissheit darüber, wer in der Colonia Dignidad umgebracht wurde."