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Bundestagspräsident Lammert hält Einheitsdenkmal für überfällig

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hält ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Deutschland für überfällig. Bislang habe man sich vor allem mit den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt, sagte Lammert. Ein Einheitsdenkmal sei aber ein geeignetes Mittel, um die deutsche Freiheitsgeschichte entsprechend zu würdigen. Über den geeigneten Ort müsse seiner Ansicht nach noch diskutiert werden, betonte der CDU-Politiker.

Moderation: Christian Schütte | 09.11.2007
    Christian Schütte: Heute vor 18 Jahren fiel die Mauer. Am Grenzübergang Bornholmer Straße zwischen den Bezirken Wedding und Prenzlauer Berg öffnete gegen 22:30 Uhr der erste Schlagbaum. Viele Menschen in Deutschland können sich an die Bilder jenes Abends erinnern. Am Telefon ist Norbert Lammert, der Bundestagspräsident. Guten Morgen!

    Norbert Lammert: Guten Morgen.

    Schütte: Wann und wie haben Sie damals von der Grenzöffnung erfahren?

    Lammert: Das habe ich in lebhafter Erinnerung. Ich bin am Abend der Maueröffnung bei einer Veranstaltung in Essen zusammen mit dem damaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm gewesen und wir hatten uns vorgenommen, im Anschluss an die Veranstaltung noch ein Thema miteinander zu diskutieren, so dass wir zu mir nach Hause gefahren sind, und haben dann irgendwann die Zeit zwischen grobe Richtung 22 Uhr und 24 Uhr bei mir verbracht. Als er sich dann verabschiedete, um sich auf seinen Rückweg nach Bonn zu machen, habe ich in der Zeit, in der er schnell noch mal die Toilette besuchte, das Fernsehgerät angeschaltet, um zu gucken, ob da gerade Nachrichten oder so was zu sehen waren, und hatte den Eindruck, da müsse irgendwas Untypisches, Außergewöhnliches, jedenfalls nicht Alltägliches passiert sein, was sich dann auch prompt bestätigte. Wir haben dann glaube ich noch eine ganze Weile ebenso fasziniert wie begeistert gemeinsam vor dem Fernsehgerät gesessen und dann ist Blüm nach Bonn zurückgefahren und ich habe noch eine Weile weitergeguckt und habe mich unmittelbar am Wochenende auch auf den Weg nach Berlin gemacht.

    Schütte: 18 Jahre liegt dies zurück. Formaljuristisch ist das Deutschland ohne die innerdeutsche Grenze heute volljährig geworden. Aber komplett vollzogen ist die Einheit noch nicht?

    Lammert: Wann ist eigentlich eine Einheit komplett vollzogen?

    Schütte: Wir reden beispielsweise immer noch von Ossis und Wessis. Wir sprechen auch noch selbstverständlich von den neuen Bundesländern, von der wirtschaftlichen Situation ganz zu schweigen.

    Lammert: Ich finde es ja richtig und vernünftig, dass wir in den Ansprüchen, was wir uns im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit vorgenommen haben und vornehmen sollten, offenkundig ehrgeizig geblieben sind. Aber die gelegentlich mal ausdrücklich und mal heimlich damit verbundene Vorstellung, die deutsche Einheit sei vollendet, wenn überall die gleichen Lebensverhältnisse herrschen, ist natürlich weder wirklichkeitsnah, noch vernünftig. Mal abgesehen davon, dass sich Einheit nicht vollenden lässt. An ihr lässt sich allenfalls ständig arbeiten. Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse hat es in Westdeutschland auch nie gegeben. Wir haben immer schon zwischen verschiedenen Teilen und Regionen unseres Landes und in größeren Bundesländern auch innerhalb dieser jeweiligen Bundesländer zum Teil beachtlich unterschiedliche Lebensverhältnisse, unterschiedliche Einkommensverhältnisse, unterschiedliche Mobilitätsbedingungen gehabt und das wird es in einem gewissen Umfang zwischen Ost und West sicher auch in Zukunft geben. Mein Eindruck ist, bei genauem Hinhören und Hinsehen will auch niemand Einheitlichkeit von Lebensverhältnissen.

    Schütte: Der Bundestag stimmt heute über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal ab. Warum ist dies längst überfällig, wie Sie vor kurzem gesagt haben?

    Lammert: Ich halte es deswegen für überfällig, weil es auch eine Vervollständigung unseres eigenen Umgangs mit der deutschen Geschichte darstellt. Wir finden nicht nur, aber insbesondere in der Hauptstadt eine ganze Reihe von auffälligen Erinnerungsstätten und Mahnmalen, die an die beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert erinnern. Das ist richtig und notwendig, aber ich sehe keinen überzeugenden Grund, warum wir nicht auch an die Einheits- und Freiheitsgeschichte unseres Landes erinnern dürften und sollten, die für das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein dieses Landes ganz gewiss nicht weniger wichtig ist.

    Schütte: Aber Teilung, Mauerfall und Einheit sind historisch längst nicht vollständig aufgearbeitet. Man denke nur an die Akten in der Birthler-Behörde. Eigentlich ist es doch noch zu früh für ein Denkmal?

    Lammert: Den Kausalzusammenhang kann ich überhaupt nicht erkennen. Man könnte ja mit dieser Begründung geradezu umgekehrt sagen - wiederum übrigens der monströse Vollständigkeitsanspruch mal wieder angesprochen - wenn dies alles vollständig aufgearbeitet sei, dann bedürfe es einer solchen Erinnerung auch gar nicht. Ich stelle fest, dass ganz offenkundig jedes Land - und da unterscheiden sich insofern die Deutschen von unseren Nachbarn überhaupt nicht - zur Stütze der eigenen Erinnerung auch sichtbare Zeichen großer bedeutender Ereignisse braucht. Und es spricht ganz gewiss nicht gegen den Umgang der Deutschen mit ihrer komplizierten Geschichte, dass sie in einer - ich sage das noch mal - sehr auffälligen Weise insbesondere auch und gerade in der Hauptstadt an die großen Verirrungen der deutschen Geschichte erinnern. Aber dann ist es nicht nur zulässig, sondern wie ich finde überfällig, auch daran zu erinnern, dass es auch eine große Freiheits- und Einheitsgeschichte dieses Landes gibt.

    Schütte: Trotzdem sieht es für viele ein wenig nach einem Hauruckverfahren aus, denn in zwei Jahren soll das Einheitsdenkmal schon stehen. Warum hat man es jetzt so eilig?

    Lammert: Auch hier kann ich keine Eile erkennen. Denjenigen, die die bisherigen Abläufe nicht im einzelnen kennen können, will ich in Erinnerung rufen, dass es einen ganz ähnlichen, inhaltlich gleichen Antrag bereits vor vier oder fünf Jahren im Deutschen Bundestag gegeben hat, der damals keine Mehrheit gefunden hat. Dass das gleiche Anliegen nun ein paar Jahre später voraussichtlich eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag findet ist ein Zeichen dafür, dass sich das Bewusstsein über die Angemessenheit und vielleicht auch die Notwendigkeit einer solchen Verdeutlichung der Bedeutung dieser Ereignisse und ihrer Vorgeschichte im Laufe der letzten Jahre weiterentwickelt hat.

    Schütte: Also ein Sinneswandel bei den Sozialdemokraten, denn die hatten ja damals dagegen gestimmt?

    Lammert: Ich finde die Terminologie jetzt ein bisschen übertrieben. Ich habe gerade festgehalten, dass das Anliegen, das vor ein paar Jahren noch nicht mehrheitsfähig war, jetzt ganz offenkundig mit einer breiten Mehrheit rechnen kann. Ich würde mich darüber übrigens auch keinen Augenblick mokieren. Erinnerungskultur, wenn man sie in beiden Hälften dieses Wortes ernst nimmt, braucht auch Zeit, braucht auch ein gewisses Maß an Distanz zu den Ereignissen, wobei im Übrigen die Frage, wann denn ein solches Denkmal fertig gestellt werden kann, sich heute verlässlich gar nicht beantworten lässt. Ich halte den Hinweis auf das Jahr 2009 für außerordentlich ehrgeizig, weil ich persönlich auch öffentlich dafür eintrete, dass wir nach einem solchen Grundsatzbeschluss zwei Diskussionsrunden brauchen: Zunächst eine Diskussionsrunde, die der Verständigung über das dient, woran wir eigentlich erinnern wollen. Da kommt ja nicht nur der Zeitraum 1989/90 in Frage. Wir müssen doch auch darüber nachdenken, was ist eigentlich mit der Vorgeschichte, der Bemühungen um die Verbindung von Einheit und Freiheit in Deutschland, die von 1953 mit dem Arbeiteraufstand in der DDR über 1956 Budapest und 1968 Prag und die Solidarność bis zur Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands geführt haben. Wir müssen in dem Zusammenhang über die Frage nachdenken, was ist eigentlich mit den gescheiterten Einheits- und Freiheitsbemühungen der frühen deutschen Geschichte des frühen 19. Jahrhunderts. Wir begehen in diesem Jahr den 175. Jahrestag des Hambacher Festes. Die damaligen Einheits- und Freiheitskämpfer waren in ihrem Engagement nicht weniger ernst zu nehmen als die der Jahre 89/90. Ihr Bemühen um Einheit und Freiheit hat nicht weniger Würde als das der späteren, die im Unterschied zu ihnen erfolgreich waren. Also wir haben da eine hoch spannende Diskussion vor uns, auf die ich mich ausgesprochen freue, und erst wenn wir uns darüber klar geworden sind, was wir eigentlich damit zum Ausdruck bringen wollen, kann dann die ernsthafte Debatte über die Gestaltung eines solchen Denkmals einsetzen, bei der im Übrigen die auch noch nicht ausdiskutierte Frage behandelt werden muss, ob das eigentlich nur in die Hauptstadt gehört, oder ob das nicht ein Projekt ist, das weil die Einheits- und Freiheitsbewegung kein hauptstädtisches Ereignis und schon gar nicht ausschließlich ein hauptstädtisches Ereignis gewesen ist, nicht an vielen Stellen in Deutschland Erinnerung und Gedächtnis verdient.

    Schütte: Das überrascht mich jetzt ein bisschen insofern, als Sie ja, so weit ich das mitbekommen habe, eingetreten sind für ein zentrales Denkmal in Berlin-Mitte und darüber geht ja auch der Antrag, über den heute im Bundestag abgestimmt wird.

    Lammert: Sie sehen, ich bin immer mal wieder für Überraschungen gut. Was im Bundestag zur Abstimmung steht, ist die Grundsatzentscheidung über die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin. Und um eine solche Entscheidung umzusetzen, wird es der gründlichen Debatte bedürfen, für die ich werbe und in deren Zusammenhang die Aspekte mindestens, vielleicht auch noch ein paar mehr, bedacht werden müssen, auf die ich gerade aufmerksam gemacht habe.

    Schütte: Bundestagspräsident Norbert Lammert am Jahrestag des Mauerfalls. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

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