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Bundestagswahlkampf
"Die FDP muss mutiger sein"

Die Verpackung dürfe nicht wichtiger werden als der Inhalt: Mit diesen klaren Worten kritisiert FDP-Mitglied und Ex-NRW-Fraktionsvorsitzender Gerhard Papke seinen Parteichef Christian Lindner und die Wahlkampagne der FDP. Er sagte im Dlf, die Partei habe es verpasst, bei wichtigen Themen wie etwa der Zuwanderung die Meinungsführerschaft zu übernehmen.

Gerhard Papke im Gespräch mit Stefan Heinlein | 14.07.2017
    Gerhard Papke (FDP)
    Gerhard Papke (FDP) (dpa)
    Stefan Heinlein: Großer Auftrieb in dieser Woche in der Berliner Parteizentrale der FDP. Medienwirksam präsentieren die Liberalen ihre Plakate für die kommende Bundestagswahl. Es gibt nur ein Motiv: Parteichef Christian Lindner. Er ist Gesicht und Aushängeschild der FDP. Er soll die FDP nach vier Jahren zurück in den Bundestag führen. Die Aussichten sind gut, in allen Umfragen liegen die Liberalen deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde.
    Dennoch: Nicht alle sind offenbar überzeugt von der Marschrichtung des Vorsitzenden. Man muss aufpassen, dass die Verpackung nicht wichtiger wird als der Inhalt, so die zentrale Kritik von Gerhard Papke, lange Jahre Fraktionschef der FDP in Nordrhein-Westfalen, bis vor kurzem auch Landtags-Vizepräsident in Düsseldorf und ein enger politischer Weggefährte von Christian Lindner.
    Guten Morgen, Herr Papke.
    Gerhard Papke: Schönen guten Morgen, Herr Heinlein.
    Heinlein: Sie haben ein Buch geschrieben über Ihre Partei und über Christian Lindner. Warum so kurz vor der Wahl dieses Buch?
    Papke: Nun, ich habe Mitte September des vergangenen Jahres erklärt, bei der Landtagswahl im Mai 2017, bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wegen meiner inhaltlichen Differenzen mit der Parteiführung nicht mehr anzutreten. Ende Mai bin ich dann aus meinen öffentlichen Ämtern ausgeschieden. Es war selbstverständlich, dass ich mein Buch erst danach veröffentlichen würde. Aber wenn ich bis nach der Bundestagswahl gewartet hätte, wäre der zeitliche Abstand zu groß geworden. So ein Buch lebt ja auch von der Aktualität.
    "Die Gratwanderung besteht darin, mich auf die politische Analyse von Christian Lindner zu beschränken"
    Heinlein: Sie schreiben in der Einleitung, ein kritisches Buch über Christian Lindner ist für Sie eine Gratwanderung. Wie schmal ist dieser Grat? Wo droht der Absturz?
    Papke: Na ja. Ich räume ja auch ganz offen ein, dass ich überlegt habe, ob ich dieses Buch überhaupt schreiben soll. Denn ich kenne ihn natürlich sehr, sehr gut. Es ist im Übrigen nicht nur ein Buch über Christian Lindner, sondern vieles andere spielt auch eine Rolle. Aber natürlich speist sich das öffentliche Interesse aus meiner ganz besonderen Beziehung zu Christian Lindner.
    Und die Gratwanderung besteht darin, mich auf die politische Analyse von Christian Lindner zu beschränken, natürlich aus der Sicht eines Insiders, aber viele Dinge, die unser persönliches Verhältnis betreffen und die auch privat bleiben müssen, dabei nicht als Argument anzuführen, denn das würde sich nicht gehören.
    Heinlein: Dann erzählen Sie uns dennoch ein bisschen als Insider der FDP. Was stört Sie an Christian Lindner? Er ist ja sehr erfolgreich und wird Ihre Partei voraussichtlich zurück in den Bundestag führen.
    Papke: Mein Buch ist keine Generalabrechnung, noch nicht einmal eine Abrechnung. Was Christian Lindner betrifft, würdige ich ja ausführlich auch seine herausragenden Begabungen, die ich schon sehr früh kennenlernen durfte, als er noch völlig unbekannt war. Und ich würdige in meinem Buch auch, was die FDP ihm zu verdanken hat. Ich wäre der Letzte, dies zu leugnen.
    Auf der anderen Seite beschreibe ich aber auch meinen Dissens mit ihm, denn er war mir zu zögerlich bei der Aufnahme wichtiger Themen, jedenfalls von Themen, die ich für sehr bedeutend gehalten habe. Das waren in erster Linie die Auseinandersetzung mit der islamistischen Bedrohung und die Zuwanderungsfrage. Ich habe beispielsweise im Herbst 2014 ein Thesenpapier zur islamistischen Bedrohung verfasst, das heute kein großes Aufsehen mehr erregen würde. Damals wurde ich in die rechte Ecke gestellt und auch Christian Lindner – und das hat mich sehr enttäuscht – hat sich davon distanziert.
    Damit hat die FDP nach meiner Einschätzung eine Chance vertan, Meinungsführerschaft bei einem Thema zu übernehmen, das die Menschen in unserem Land massiv beschäftigt.
    "Die Bundeskanzlerin hat die ungesteuerte Massenzuwanderung mit ihrer Haltung erst richtig befeuert"
    Heinlein: Sie schreiben, wenn ich es richtig zitiere, wenn Parteien der Mut fehlt, Probleme beim Namen zu nennen, ruiniert das ihre Glaubwürdigkeit.
    Herr Papke, ist diese Asylpolitik, die Auseinandersetzung mit dem Islamismus ein Problem der FDP? Fehlt da den Liberalen der Mut, die Probleme ganz offen beim Namen zu nennen, wegen des politischen Erfolges? Opfert man quasi da die Werte und Vorstellungen?
    Papke: Nein. Es ist im Übrigen nicht nur ein Problem der FDP, sondern es ist natürlich ein Problem der etablierten demokratischen Parteien insgesamt, dass ihnen bei heiklen Themen häufig der Mut fehlt, auch die Probleme klar zu benennen und dann Lösungen aufzuzeigen. Und das ist deshalb gefährlich, weil sich dann viele Menschen enttäuscht abwenden, gar nicht mehr zur Wahl gehen oder sich den Rändern zuwenden. Und mich besorgt beides.
    Man darf auch nicht übersehen, dass die Probleme ja teilweise von anderen Parteien ausgelöst worden sind. Mit Verlaub: Die Bundeskanzlerin hat die ungesteuerte Massenzuwanderung mit ihrer Haltung ja erst richtig befeuert. Das war nicht die FDP. Ich hätte mir aber gewünscht und würde mir weiter wünschen, dass die FDP diese Probleme klar benennt. Die FDP war immer eine sehr mutige Partei, die für ihre Überzeugung teilweise auch ihre Existenz riskiert hat. Nun kann man das nicht täglich so betreiben, aber ich glaube, ...
    Heinlein: Ist die FDP feige geworden mit Christian Lindner, Herr Papke?
    Papke: Nein, sie ist nicht feige. Aber ich glaube, sie muss etwas mutiger sein, wenn sie einen Beitrag dazu leisten will, die Politikverdrossenheit zu überwinden. Und ich schreibe in meinem Buch ja auch, gerade weil ich Christian Lindner so gut kenne, weil ich um seine herausragenden Begabungen weiß, bin ich enttäuscht, dass er sie bisher nicht genutzt hat für eine wirklich mutige Politik, das heißt die Bereitschaft, sich auch einmal frisch in den Wind zu stellen, wenn es darum geht, bei heiklen Themen Flagge zu zeigen.
    "Wahlergebnisse sind erstens flüchtig und zweitens kein Selbstzweck"
    Heinlein: Geht Christian Lindner Erfolg über alles? Opfert er dafür auch liberale Grundüberzeugungen?
    Papke: Nein. Ich sehe nicht, dass er liberale Grundüberzeugungen opfert. Natürlich geht es in der Politik um Macht und Einfluss und darum, Wahlergebnisse zu optimieren. Das betreiben alle Parteien so.
    Aber die FDP hat sich immer als Avantgarde gesehen und sie hat Wahlergebnisse nicht als Selbstzweck betrachtet. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Walter Scheel hat 1969 kurz vor der Bundestagswahl die Bereitschaft der FDP erklärt, Willy Brandt zum Bundeskanzler zu wählen. Das Resultat waren ziemlich jämmerliche 5,8 Prozent. Aber damit wurde die Ära Brandt-Scheel eingeleitet und die neue Ostpolitik, die 20 Jahre später dann zur Wiedervereinigung, das heißt zum Fall der Mauer und dann zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes geführt hat.
    Also Wahlergebnisse sind erstens flüchtig und zweitens kein Selbstzweck. Ich glaube, alle Parteien, aber auch meine eigene sollten das in den Blick nehmen.
    "Es ist manchmal ein schmaler Grat zwischen Wahlwerbung und Selbstinszenierung"
    Heinlein: Herr Papke, reden wir noch ein bisschen über Christian Lindner. Sie schreiben, "Politik ist keine Lifestyle-Inszenierung. Man muss aufpassen, dass die Verpackung nicht wichtiger wird als der Inhalt." Ist für Christian Lindner die Verpackung wichtiger als der Inhalt?
    Papke: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Zeitgemäße Werbemittel gehören bei allen Parteien inzwischen zum Wahlkampf dazu. Das ist auch selbstverständlich. Aber es ist manchmal ein schmaler Grat zwischen Wahlwerbung und Selbstinszenierung, und ich glaube, gerade wenn eine Kampagne so ausdrücklich auf eine Persönlichkeit zugeschnitten ist, wie bei der FDP auf Christian Lindner, muss man sicherlich darauf achten, dass diese Gratwanderung gelingt.
    "Lindners innerparteilicher Machtanspruch ist ziemlich ausgeprägt"
    Heinlein: Wandelt Christian Lindner noch auf diesem Grat, oder ist er abgestürzt, oder droht er abzustürzen?
    Papke: Nein, er ist nicht abgestürzt. Er wird, da bin ich mir sehr sicher, die FDP zu einem herausragenden Wahlergebnis bei der Bundestagswahl führen. Die FDP wird mit einem guten bis herausragenden Wahlergebnis in den Bundestag zurückkehren. Darüber würde ich mich auch freuen, denn die FDP wird gebraucht.
    Das heißt aber nicht, dass ich nicht Entwicklungen, die ich als problematisch erachte, die ich in der Rückschau, glaube ich, auch sehr präzise beschreiben kann, unter den Tisch fallen lassen würde. Gerade weil der Führungsanspruch von Christian Lindner ein sehr umfassender ist - sein innerparteilicher Machtanspruch ist sehr ausgeprägt -, muss er auch kritische Bemerkungen zu seiner Politik aushalten. So verstehe ich meinen Beitrag.
    Heinlein: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sich die FDP mit Christian Lindner ein wenig rechtskonservativer gewünscht hätten und nicht so rechtsliberal, wie Christian Lindner jetzt den Kurs im Moment festlegt?
    Papke: Ich gelte innerhalb der FDP sicherlich nicht zu Unrecht als Traditionalist und, wenn Sie so wollen, als Liberal-Konservativer. Und ich habe ja Themen benannt, die ich auch ausführlich beschreibe in meinem Buch, bei denen ich meine, dass auch die FDP oder vielleicht sogar gerade die FDP mutiger sein sollte. Da kann man auch anderer Auffassung sein. Aber klar ist für mich: Wenn die Parteien, auch meine eigene, Themen, die die Menschen bewegen, nicht aufgreifen, dann suchen sich diese Themen andere Parteien und andere Lösungen.
    Heinlein: Sie meinen die AfD?
    Papke: Zum Beispiel die AfD, wen auch immer. Jedenfalls werden die Lösungen dann nicht innerhalb des traditionellen demokratischen Parteienspektrums gesucht und das hielte ich für fatal. Ich habe als Abgeordneter, als langjähriger Abgeordneter beobachten müssen, wie sich die Distanz zwischen dem politischen Establishment und den Bürgerinnen und Bürgern doch erkennbar vergrößert. Dieser Prozess besorgt mich und ich hoffe auf die FDP – und deshalb bin ich auch etwas enttäuscht von meinem früheren Freund Christian Lindner -, diesen Prozess aufzugreifen und vielleicht umzukehren.
    Heinlein: Ist Christian Lindner der richtige Mann oder der falsche Mann, um diese, von Ihnen beschriebene Distanz zwischen Bürgern und Politikern zu schließen?
    Papke: Er hätte das Potenzial dazu, neue Wege zu gehen, sich aus dem Korsett der parteipolitischen Übung, so wie wir es von den etablierten Parteien seit Langem erleben, ein Stück weit zu befreien. Das war das, was ich ihm zugetraut und was ich von ihm erhofft habe, und vielleicht bin ich deshalb bisher so enttäuscht von ihm. Aber er ist ein sehr junger Mann. Er hat ja noch viele Jahre vor sich in der Politik. Und wer weiß, in welcher Hinsicht er sich dabei auch noch verändern wird.
    "Das Buch kann ihm nicht gefallen, das ist mir schon klar"
    Heinlein: Letzte Frage, Herr Papke. Haben Sie schon Reaktionen auf Ihr Buch? Hat Christian Lindner sich bei Ihnen gemeldet? Oder hoffen Sie auf Reaktionen, auf Antworten?
    Papke: Nein, er hat sich noch nicht bei mir gemeldet. Ich gehe auch nicht unbedingt davon aus, dass er das tun wird. Das Buch kann ihm nicht gefallen, das ist mir schon klar. Ich meine aber, dass der Vorsitzende einer liberalen Partei auch eine solche Stellungnahme aushalten muss. Ansonsten habe ich ganz unterschiedliche Reaktionen bekommen, auch aus der FDP.
    Natürlich ist schon Kritik bei mir aufgelaufen. Es gibt aber auch Stimmen, die mir gratulieren und sagen, endlich traut sich mal einer, die Dinge auch aus diesem Blickwinkel zu bewerten, auch kritisch zu bewerten. Kritische Diskussionen bringen uns weiter und das gilt auch für die FDP.
    "Mein Buch ist ja keine Abrechnung mit Christian Lindner"
    Heinlein: Also Sie sind nicht allein mit Ihrer Kritik parteiintern an Christian Lindner? Es gibt auch andere Stimmen innerhalb Ihrer Partei, die diesen Kurs kritisieren?
    Papke: Noch einmal: Mein Buch ist ja keine Abrechnung mit Christian Lindner. Er spielt eine wesentliche Rolle. Ich habe geschrieben über Themen, die noch anders aufgegriffen werden müssten, und da, kann ich Ihnen sagen, geben mir viele in der FDP recht. Mit meinen beispielsweise islamismuskritischen Thesen, mit meinen Thesen über die Notwendigkeit, die Zuwanderung klar zu begrenzen, bin ich in der FDP in den zurückliegenden Jahren auf große Zustimmung gestoßen. Da stehe ich bei Weitem nicht alleine. Über die Reihen meiner Partei hinaus ohnehin nicht.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der FDP-Politiker Gerhard Papke, lange Jahre Fraktionschef der Liberalen im Düsseldorfer Landtag. Herr Papke, herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Papke: Ich danke Ihnen, Herr Heinlein. Einen schönen Tag.
    Heinlein: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.