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Bundesverband der Deutschen Industrie
"Wir brauchen dringend Breitband- und Autobahnausbau"

In der nächsten Legislaturperiode müsse die neue Regierung mehr Wirtschaft wagen, forderte BDI-Präsident Dieter Kempf im Dlf. Sprudelnde Steuereinnahmen dürften nicht dazu führen, dass sich die Politik zurücklehne. Der Verband bevorzuge zwar eine Große Koalition, aber nicht um jeden Preis.

Dieter Kempf im Gespräch mit Philipp May | 28.11.2017
    Das Bild zeigt Dieter Kempf, den Praesidenten Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Er gestikuliert während eines Interviews.
    Dieter Kempf, Präsident Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), fordert mehr Investitionen von der Politik (imago stock&people / Thomas Koehler)
    Philipp May: Das ist mal ein saftiger Forderungskatalog, den die SPD auf den Unionstisch gelegt hat - als Bedingung für eine erneute Auflage der GroKo. Steuerentlastungen für Gering- und Normalverdiener bei gleichzeitiger Erhöhung des Spitzensteuersatzes zum Beispiel, eine Erhöhung des Rentenniveaus oder die Bürgerversicherung, klassisches SPD-Thema, zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Was sagen die Wirtschaftsverbände dazu? Vor der Sendung habe ich mit Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, gesprochen und ihn gefragt, was ihm denn lieber wäre, eine GroKo oder doch eher eine Minderheitsregierung.
    Dieter Kempf: Ja das ist jetzt nun in erster Linie eine Entscheidung der Politik. Wir bevorzugen eine Große Koalition, aber tatsächlich nicht um jeden Preis. Denn wer immer die Regierung stellt, in welcher Konstellation auch immer, der muss in dieser nächsten Legislaturperiode mehr Wirtschaft wagen, als dies in der vergangenen Legislaturperiode der Fall war. Wir müssen und werden einer kommenden Regierung in jedweder Konstellation auch sagen, dass sprudelnde Steuereinnahmen nicht dazu führen dürfen, dass man sich zurücklehnt. Sie dürfen kein Freifahrtschein zum Ausruhen auf Erreichtem sein.
    May: Mehr Wirtschaft wagen - das klingt so, als wären Sie immer noch ein bisschen enttäuscht, dass die FDP zurückgezogen hat?
    Kempf: Wir sind in der Tat etwas überrascht und ein Stück auch enttäuscht, dass es mit der Jamaika-Koalition nicht geklappt hat. Wir hatten sehr früh deutlich gemacht, dass uns eine Jamaika-Verbindung nicht schreckt. Wir waren sehr wohl der Meinung, dass es nicht ganz einfach sein wird, aber wir hätten darin auch Chancen gesehen. Aber es ist nun Schnee von gestern. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Die Sondierungsgespräche haben nicht zu einem Erfolg geführt. Also muss man die nächsten politischen Optionen durchspielen.
    "Industrie hat am wenigsten Probleme mit Mindestlohn"
    May: Aber ein bisschen enttäuscht von Christian Lindner sind Sie schon?
    Kempf: Ich bin nicht enttäuscht von einzelnen Personen, die in diesen Verhandlungen waren, weil ich zu wenig Inhalte von den Verhandlungen kenne, um hier Position beziehen zu können. Ich kann nur sagen, wir von Seiten der Industrie hätten durchaus Chancen für eine Jamaika-Koalition gesehen. Wenn dies die Verhandlungspartner selbst nicht sehen, dann gibt es bestimmt aus ihrer Sicht sinnvolle Gründe dafür. Jetzt müssen wir halt einfach die anderen politischen Optionen durchspielen.
    May: Welche konkreten Chancen sehen Sie denn bei einer GroKo? Sie haben mal gesagt, dass Sie die bevorzugen vor einer Minderheitsregierung.
    Kempf: Na ja. Es gibt ja den alten Spruch, große Koalitionen taugen für große Aufgaben. Lassen wir den einfach mal so im Raum stehen und hoffen darauf, dass dies so sein könnte.
    May: Es gab ja durchaus einige große Projekte, die die letzte Große Koalition durchgezogen hat. Zum Beispiel den Mindestlohn haben sie eingeführt.
    Kempf: Das will ich auch gar nicht bestreiten, dass große Projekte durchgeführt wurden. Ich bin nur nicht ganz sicher, ob das Adjektiv "groß" in jeder Richtung an dieser Stelle stimmt. Denn das, was Sie anführen, den Mindestlohn...
    May: Viele sagen, dass der Mindestlohn zu klein ist, dass der erhöht werden sollte.
    Kempf: Ich hätte mir auch eine andere Lösung und eine andere Form vorstellen können. Wir haben in Deutschland insgesamt sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Löhne und Gehälter von den jeweils zuständigen Tarifparteien aushandeln zu lassen, und dort, wo dies in Einzelfällen nicht funktioniert, zum Weg der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifs zu kommen. Das hat man aus politischen Gründen nicht in Erwägung gezogen; also Mindestlohn:
    Sie werden sich aber auch erinnern, dass die Industrie wahrscheinlich derjenige Teil ist, der am wenigstens Probleme mit einem Mindestlohn hat. Ich kenne keinen Industrielohn, der unter dem Wert des heutigen 8,50 Euro Mindestlohns ist.
    "Öffentliche Planung schneller machen"
    May: Es gab ja aus der SPD schon einige Forderungen an die Union für eine mögliche Große Koalition. Zum Beispiel eine Rentenreform, die Bürgerversicherung bei der Krankenversicherung, die dann zu gleichen Teilen wieder von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert wird, und eine Steuerreform zu Gunsten der kleinen und mittleren Einkommen. Was halten Sie davon?
    Kempf: Na ja. Man sieht an diesen ersten Äußerungen, dass die drohende Gefahr, dass man sich jetzt wieder aufs erreichten Wohlstand verteilen beschränken könnte, ja nicht von der Hand zu weisen ist. Wir haben Sozialkassen, die so stark gefüllt sind wie nie. Warum ist dies so? Weil wir ein extrem hohes Beschäftigungsniveau haben, insbesondere bei sozialversicherungspflichtigen Jobs. Ich halte es jetzt einfach für falsch zu sagen, hurra, lasst uns dieses Geld nehmen und anders und neu verteilen. Mir wäre es lieber, wir würden uns darauf konzentrieren, Investitionsbereiche zu identifizieren, in die investieren sich lohnt, weil wir damit in der Zukunft Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung sichern. Das geht von der analogen Infrastruktur in Deutschland über die digitale und hört natürlich bei Bildung nicht auf.
    May: Das heißt ganz konkret? Was würden Sie sich wünschen?
    Kempf: Ich würde mir wünschen, dass ein Teil der Steuermehreinnahmen, die wir ja nun glaubhaft auch von den Steuerschätzern prognostiziert haben, in Investitionen in die analoge Infrastruktur geht. Wir brauchen dringend Autobahnausbau. Es kann nicht sein, dass die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eingeht als jemand, der mehrere Jahre braucht, um eine Autobahnbrücke in der Nähe von Köln zu sanieren. Wir brauchen dringend Breitbandausbau, und zwar mit Glasfaser. Das wird mit marktwirtschaftlichen Mechanismen allein nicht gehen.
    May: Wobei das Geld ja für all das momentan da ist und auch schon da war. Aber es fehlte dann häufig die planerische Kapazität.
    Kempf: Es fehlt häufig die planerische Kapazität. Dieses Argument kenne ich auch. Aber dann wäre es natürlich auch interessant zu überlegen, ob eine Tiefbaumaßnahme zum Beispiel für eine Glasfaserkabel-Verlegung in Deutschland tatsächlich zwei Jahre dauern muss, ja oder nein, oder ob man nicht andere Alternativen zum Graben von Kabelschächten auch nehmen könnte, zum Beispiel die Alternativen, Glasfaser-Leerverrohrung - also Leerverrohrung für Glasfaserkabel etwa in Kanalnetzen zu verlegen. Da gäbe es viele andere Möglichkeiten, mit denen wir dafür sorgen könnten, dass die Planungskapazitäten nicht der wirkliche Engpass sind. Ich würde aber gerne mal damit anfangen, öffentliche Planung einfach schneller zu machen.
    "Europa schaut auf Deutschland"
    May: Jetzt wird es ja aller Voraussicht nach noch relativ lange diese Hängepartie geben, beziehungsweise es wird noch ein bisschen dauern, bis wir eine Regierung dann wirklich stehen haben. Wie gefährlich ist das aus Sicht der deutschen Industrie?
    Kempf: Na ja, es gibt natürlich auch Stimmen, die sagen, wenn es keine neuen Gesetze gibt, dann kann die Wirtschaft in Ruhe arbeiten.
    May: Ach, schade! Ich habe diesen Satz hier stehen. Man könnte sagen, je weniger in Berlin passiert, desto ungestörter können Sie sich um den Wohlstand verdient machen.
    Kempf: Ja. Ich glaube, man wird jetzt auch möglicherweise einzelne Beispiele genau für diese These finden. In Wirklichkeit sollte man aber ein bisschen vorsichtig sein. Ich halte es eher für ein bisschen Stammtischlogik. Ich glaube schon, dass wir alles dazu tun sollten und jetzt die politischen Parteien alles dazu tun sollten, möglichst schnell eine leistungsfähige Regierung wieder auf die Beine zu stellen. Das brauchen wir in Europa, das brauchen wir in der Welt. Wir müssen uns klar sein, dass eine Regierung, die zuerst immer Parlamentsmehrheiten organisieren muss, im internationalen Konzert einfach zu langsam ist. Europa schaut auf Deutschland. Das stimmt natürlich umso mehr, je verlässlicher eine deutsche Kanzlerin eine deutsche Position vertreten kann.
    May: Sie haben es ganz zu Anfang schon gesagt: Sie sind für eine GroKo. Aber mit einer Minderheitsregierung hätten Sie prinzipiell auch keine Probleme?
    Kempf: Wir hätten auch keine Probleme mit einer Minderheitsregierung. Das Thema muss einfach lauten, Große Koalition ja in der jetzigen Situation, aber nicht um jeden Preis.
    May: … sagt Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Herr Kempf, vielen Dank!
    Kempf: Haben Sie vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.