Freitag, 19. April 2024

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Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Kampeter: Rente nicht noch mehr belasten

In der Rentenpolitik sieht Steffen Kampeter von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände keinen Bedarf für Aktionismus. Er kritisierte, dass die Politik von der Rente mit 67 schrittweise abrücke, statt konsequent daran festzuhalten. Die Rente bleibe bezahlbar, wenn sie nicht noch mehr belastet werde, sagte er im Dlf.

Steffen Kampeter im Gespräch mit Dirk Müller | 23.06.2021
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, empfahl der Politik bezüglich der Rente keine Versprechungen zu machen, die sie nicht halten könnten (dpa / picture alliance / Britta Pedersen)
Ein Milliarden-Defizit ist in der Rentenversicherung absehbar: zu hoch sind die Kosten, zu niedrig die Einnahmen. Die Union schlägt nun eine kapitalgedeckte Generationenrente von Geburt an vor, ohne zu sagen, was die Beschäftigten, die Unternehmen dafür bezahlen müssen. Berechnungen gehen da von mehreren Milliarden Euro pro Jahr aus. Die Grünen setzen auf eine Bürgerversicherung, was auch zusätzlich kosten würde, und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz verspricht, das Renten-Niveau zu sichern, was wohl auch nur mit höheren Beiträgen funktionieren kann.
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, sagte dazu im Dlf, dass die Politik keine Versprechungen bezüglich der Rente geben solle, die sie finanziell nicht halten könnte. Der BDA-Hauptgeschäftsführer warb dafür, konsequent am Renteneintrittsalter von 67 Jahren festzuhalten. Mittelfristig sollte man auch über ein noch späteres Renteneintrittsalter nachdenken. Wenn die Lebenserwartung steige, müsse auch die Lebensarbeitszeit länger sein, meinte Kampeter. Rentenpolitik gegen die Demografie funktioniere nicht.
Hände einer Seniorin auf der Tastatur eines Laptops.
Das steckt hinter dem Vorstoß zur Rente mit 68
Berater der Bundesregierung haben Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) vorgeschlagen, das Renteneintrittsalter schrittweise zu erhöhen. Bis zum Jahr 2042 soll es danach auf 68 Jahre steigen – ansonsten drohe ein Finanzierungsschock. Wie sinnvoll ist dieser Vorstoß?
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Herr Kampeter, wird das Ganze teurer?

Steffen Kampeter: Erst mal die gute Nachricht: Die Pandemie hat an den Grundfesten der Rentenversicherung und der Sicherheit der Renten überhaupt gar nichts gerüttelt. Die Finanzen der Rentenversicherung in 2021 sind in Ordnung. Wenn wir ein bisschen nach vorne blicken: Wenn wir weiter so machen und weitere Leistungsausweitungen in allen sozialen Sicherungssystemen, nicht nur in der Rentenversicherung zum Gegenstand machen, dann würde ich sagen, dann wird es A teurer, und ich glaube, dass die so geweckten Erwartungen niemals erfüllt werden. Ich plädiere einfach für Nüchternheit und Ehrlichkeit in der Sozialversicherung und insbesondere der Rentenpolitik und ich glaube, für Aktionismus besteht jetzt überhaupt gar kein Anlass. Wir haben die Rente mit 67, die in der übernächsten Legislaturperiode möglicherweise noch mal angepasst werden muss oder sollte. Darüber wird zu reden sein. Wir haben sehr nüchterne Vorschläge der Alterssicherungskommission. Ich glaube, der Rente ist am besten geholfen, wenn man jetzt nicht noch mehr Lasten draufpackt. Dann bleibt sie bezahlbar und sicher. Allerdings wenn man so weitermacht, immer mehr Versprechungen, dann wird der Bundeshaushalt und die Beitragszahler über Gebühr belastet. Das ist unsere Sorge.

Müller: Was meinen Sie denn damit, mehr Versprechungen? Mütterrente?

Kampeter: Wir haben ja ein Problem. Wir haben die Rente mit 67 vor längerer Zeit festgelegt und seitdem rückt die Politik immer schrittweise davon ab und macht immer mehr abschlagsfreie Frühverrentungen. Ich glaube, der wichtigste Punkt ist, dass wir konsequent festhalten an dem Ziel der Rente mit 67. Das ist der größte Bereich, wo wir empfehlen, Finanzierungen stabil zu halten.

"Die Politik soll keine Versprechungen jetzt machen, die sie finanziell nicht halten können"

Müller: Entschuldigung, wenn ich da unterbreche. Das heißt, jeder soll auch dann bis 67 arbeiten und nicht schon mit 63 den Hut nehmen?

Kampeter: Genau und über diesen oder jenen gesetzlichen Umweg Ausnahmeregelungen etc. pp. Und das zweite ist: Die Politik soll keine Versprechungen jetzt machen, die sie finanziell nicht halten können. Wir haben ja derzeit ungefähr 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt Rentenzuschuss. Das wird steigen und damit wird die Rente zum dominanten Fiskalfaktor. Wir haben Prognosen, dass die Rentenversicherungsbeiträge auch schon bei geltendem Recht über 20 Prozent steigen. Das bedeutet weniger Netto für die Beschäftigten, ohne dass es jetzt die Strukturprobleme der Rente löst. Ich empfehle den Parteien, machen Sie keine neuen Versprechungen. Halten Sie an dem Ziel einer generationengerechten Aufteilung der Demographie fest und schauen Sie bei Zeiten nach, ob man da nachsteuern muss.

"Wenn unsere Lebenserwartung immer weiter steigt, muss unsere Lebensarbeitszeit eigentlich auch steigen"

Müller: Jetzt haben Sie viel analysiert mit vielen Fakten. Danke dafür, Steffen Kampeter. Jetzt würde ich die Frage noch mal stellen, wird das Ganze teurer. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, ist das im Grunde ausgemachte Sache.

Kampeter: Es wird teurer in dem Maße, in dem Politik was drauflegt. Es wird bezahlbar – und dass Alterssicherung uns was kosten muss, das ist, glaube ich, auch Position, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern überhaupt gar nicht streitig ist. Aber wenn unsere Lebenserwartung immer weiter steigt, muss unsere Lebensarbeitszeit eigentlich auch steigen. Das Verhältnis von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern auf der einen und Rentnerinnen und Rentnern auf der anderen hat sich so verändert, dass die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler immer stärkere Lasten tragen müssen. Deswegen werden wir, wenn die Rente mit 67 konsequent umgesetzt ist, über weitere Veränderungen der Lebensarbeitszeit diskutieren. Nicht heute, nicht morgen, aber mittelfristig. Ohne eine Anpassung der Lebensarbeitszeit an die zunehmende Lebenserwartung ist die gesetzliche Rentenversicherung auf Dauer nach unserer Auffassung nicht finanzierbar, und das sagen eigentlich auch die meisten Experten.

Müller: Anpassung hört sich immer gut an. Anpassung heißt ja, dementsprechend länger zu arbeiten. – Sie haben das gerade gesagt. Es gibt diesen Beschluss bis 67. Da kritisieren Sie, dass das mit vielen Ausnahmen bestückt ist, wobei die Regierung das durchgesetzt hat, dass bestimmte Berufsgruppen wie Maurer beispielsweise, Bauarbeiter, Dachdecker, die hart körperlich arbeiten müssen, nicht über 40 Jahre, 45 Jahre arbeiten müssen, sondern vielleicht dann diesen Vorteil haben, etwas früher ausscheiden zu dürfen.

Kampeter: Herr Müller, ich widerspreche Ihnen nur ungern, aber wenn Sie schauen, wer frühverrentet ist, dann sind das nicht diese Berufsgruppen. Die entscheiden sich in der Regel lang zu arbeiten. Es sind andere Berufsgruppen, die nicht die Begründung dafür waren für Frühverrentung, sondern diese Regelung wird nicht von genau denjenigen angenommen, die dazu angeführt worden sind, dass sie das tun können.

Müller: Aber für die waren die Ausnahmen ja gedacht. Das habe ich gesagt. Für die waren die Ausnahmen ja ursprünglich vorgesehen.

Kampeter: Ja! Aber ich sage nur, das ist ein Teil von Rentenversicherungspolitik, dass immer gesagt wird, wir tun was Gutes, aber im Ergebnis kommt das Gute bei den Menschen, die man in der politischen Debatte anführt, gar nicht an und es wird im Ergebnis nur teurer.

Renteneinstiegsalter – "Man braucht differenzierte flexible Lösungen"

Müller: Reden wir noch mal über die Lebensarbeitszeit. 67 ist jetzt Fakt für die Generationen, die jetzt dort reinkommen, die da betroffen sind, für die Jahrgänge Mitte der 60er und so weiter. Die kommen jetzt rein in diese Regelung. Dann haben Sie gesagt, das wird vielleicht nicht heute, morgen, übermorgen diskutiert, aber in Zukunft. Jetzt hat eine Expertenkommission aus dem Wirtschaftsministerium ja gesagt, wir wollen arbeiten bis 68 beziehungsweise wir sollen arbeiten bis 68. Dann hat die Politik das vor dem Wahlkampf vermutlich oder vor dem Hintergrund des Wahlkampfs im Moment einfach so abgetan – interessiert keinen, stimmt nicht. Auch jetzt wieder an Sie die Frage: Entweder steigen die Beiträge, oder wir arbeiten länger? Keine Alternative dazu?

Kampeter: Oder der Steuerzuschuss steigt. – Die nüchterne Betrachtung, die ich einfordere: Ich glaube, dass man dafür werben muss, wenn immer weniger Menschen immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren, dann ist das ein Fairness-Problem, das zwischen den Generationen zu klären ist. Wichtig ist aus Sicht der Arbeitgeberorganisationen, dass die Weichen für einen möglichen Anstieg des Renteneintrittsalters – und wir reden über den Zeitraum von 2030 – rechtzeitig gestellt werden. Wir diskutieren beispielsweise eine automatische Koppelung an die Lebenserwartung, dass man, wenn die Lebenserwartung steigt, auch die Regelaltersgrenze steigen lässt. Ich bin gar nicht so sehr erfreut, dass man da bestimmte Altersgrenzen festsetzt, sondern das muss man gucken. Wie entwickelt sich die Gesundheit, wie entwickelt sich die Möglichkeit, auch länger zu arbeiten. Man braucht differenzierte flexible Lösungen.

Es gibt ja viele Totschlagsargumente, die sagen, wir sollen jetzt alle länger arbeiten. Dann wird gesagt, oh nein, wir wollen nicht länger arbeiten, und dann ist die Diskussion beendet. Eine Rentenpolitik gegen Adam Riese, die Demographieverweigerung der Politik, das wird nicht gehen. Nach 2030 muss die Politik auch Antworten geben und dafür werben wir.
Der X. Senat des Bundesfinanzhofs mit der Vorsitzenden Richterin Jutta Förster  (Mitte) verkündet sein Urteil.
Renten-Doppelbesteuerung - Bundesfinanzhof weist Klage ab
Die Rentenreform von 2005 führt möglicherweise dazu, dass einige Rentnerinnen und Rentner doppelt Steuern zahlen müssen. Der Bundesfinanzhof hat in zwei Einzelfällen geprüft, ob das Gesetz gegen die Verfassung verstößt, die entsprechenden Klagen aber nun abgewiesen.

"Die Rente ist in der nächsten Legislaturperiode nicht das Kernproblem"

Müller: Schauen wir noch mal auf den anderen Punkt, den Sie angesprochen haben. Es geht nicht nur um die Rente. Wir haben folgende Zahlen gefunden: Rente steigt, muss steigen, wie auch immer, von 18,6 jetzt auf 18,7, 2024 auf 19,7 – ist eine Projektion. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Arbeitslosenversicherung: Beitrag steigt von 2,4 auf 2,6 2023. Die Krankenkassenbeiträge werden auch durch Corona mit großer Wahrscheinlichkeit steigen, über ein Prozent, 1,6 Prozent ist da die Prognose. Und auch die Beiträge zur Pflegeversicherung werden durch die Reform weiter steigen. Ab 2023 ist da die Vorhersage, dass es ohne Beitragssteigerungen nicht geht. Das heißt, es bleibt immer weniger Geld im Portemonnaie der Arbeitnehmer? Ist dem so?

Kampeter: Das ist eine Befürchtung, die ich teile, Herr Müller. Danke für die Frage. – Ja, ich glaube, die Rente ist auch in der nächsten Legislaturperiode nicht das Kernproblem. Wir haben in der Pandemie die Diskussionen über die Reformen in den sozialen Sicherungssystemen – ich glaube im Übrigen zurecht und nachvollziehbar – nicht fortgeführt. Die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung ist leistungsfähig geblieben. Die Arbeitslosenversicherung hat beispielsweise mit dem Kurzarbeitergeld super gearbeitet und für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet. Aber die Rücklagen, die wir hatten, sind schneller geschmolzen als Schnee in der Sahara.

Wenn ich glaube, was wir in der nächsten Legislaturperiode brauchen, dann ist das eine Gesamtschau für alle vier sozialen Sicherungssysteme. Die Sozialgarantie 40 Prozent läuft aus. Sie war befristet bis zur Bundestagswahl. Und ich glaube, wir müssen uns alle sozialen Sicherungssysteme mal separat, aber auch integriert angucken. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung beispielsweise mehr Wettbewerb, Vertragsmanagement, in der Pflegeversicherung gucken, was können wir tatsächlich in der sozialen Pflegeversicherung uns leisten. Weg bitte von dem Trend zur Vollkasko-Versicherung. Bei der Arbeitslosenversicherung wieder zurückkommen auf den eigentlichen Bereich Schutz vor Arbeitslosigkeit und nicht irgendwie fortentwickeln im Sinne eines bedingungslosen Grundeinkommens, wie manche jetzt vorschlagen. Unser Leitbild ist, dass wir auch im Schutz für das Netto der Beschäftigten die 40 Prozent nicht reißen, und dazu muss man nicht nur Rente, sondern muss auch Pflege-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung betrachten. Da finde ich allerdings weniger als wohlfällige Worte in allen Parteiprogrammen, nichts. Ich glaube, nach der Wahl muss man, wenn alle wieder nüchtern auf die Zahlen gucken, den Taschenrechner anmachen und Reformen vorantreiben.

"Nach Corona wollen die Leute mehr Netto vom Brutto haben"

Müller: Wir haben noch eine knappe Minute, Herr Kampeter. Damit Sie jetzt nicht verwechselt werden mit einem Gewerkschafter; ich hatte Sie nach Arbeitnehmern gefragt. Arbeitgeber: Ist das für Sie dann auch schon fast eingepreist, eingebucht, dass auch die Belastungen für die Unternehmer größer werden?

Kampeter: Bei den Sozialversicherungen sind beide im Boot, denn wir teilen uns ja die Sozialversicherungsabgaben. Da sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im gleichen Boot. Für die einen sind es Kosten und für andere sind es niedriger Netto. Ich glaube, stabile Sozialversicherungsabgaben ist das Gebot der Stunde. Nach Corona wollen die Leute mehr Netto vom Brutto haben und ich finde, das ist fair. Deswegen stehen wir da, glaube ich, nicht gegeneinander. Mehr Ausweitung des Sozialstaates kann eigentlich nicht uns in die Zukunft führen, sondern wir müssen schauen, dass wir ihn langfristig finanzierbar halten. Das ist unsere Botschaft.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.