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Bundesverfassungsgericht
Ära Voßkuhle endet mit einem Konflikt über Kompetenzen

Nach zwölf Jahren verlässt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle das Bundesverfassungsgericht und hinterlässt einen Konflikt mit dem EuGH. Nun wird es an seinem Nachfolger Stephan Harbarth sein, die Verwerfungen aufzulösen.

Von Stephan Detjen | 15.05.2020
Der Präsident des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, kommt am 03.03.2016 in Karlsruhe (Baden-Württemberg) bei der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über ein Verbot der rechtsextremen NPD in den Gerichtssaal.
Andreas Voßkuhle war zwölf Jahre Richter am Bundesverfassungsgericht, zehn davon Gerichtspräsident (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
Zwölf Jahre hat Andreas Voßkuhle im Namen des Volkes die höchste richterliche Autorität des Landes ausgeübt. Den Willen des Volkes, geronnen in demokratischen Wahlen, zu respektieren, war ein Leitmotiv seiner Rechtsprechung. Kontroll- und Mitbestimmungsrechte des Parlaments wurde immer wieder gestärkt. Oft zum Missfallen der Politik.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT 2. SENAT, MÜNDLICHE VERHANDLUNG, 03.03.2016, KARLSRUHE - Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
Karlsruher Richter in Erklärungsnot
Gerne hat sich das Bundesverfassungsgericht als weit über Deutschland hinausstrahlendes Vorbild, kommentiert Stephan Detjen. Nach dem EZB-Urteil aber befindet sich das Gericht in der Defensive.
"Wenn Verfassungsrichter Politik machen wollen, mögen sie bitte für den Deutschen Bundestag kandidieren. Am 22. September ist Bundestagswahl. Jedem steht es frei, dort anzutreten und zu kandidieren", wetterte der damalige CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich gegen den Sozialdemokraten an der Spitze des höchsten Gerichts. Mehr als es einem traditionellen Richterbild entsprach, verstand Voßkuhle sich auch als Akteur in einer modernen Medienöffentlichkeit.
"Ich glaube an etwas, was ich die Kultur des guten Arguments nennen möchte, dass man das Gespräch suchen muss und das Klarheit und ein gutes Argument dann schließlich auch zu einem guten Ergebnis führen", so Voßkuhle.
Ein Gericht der Bürger
Hatte der damals 44-Jährige nach seiner Wahl zum Verfassungsrichter im April 2008 erklärt. Das spannungsreichste, am Ende brachiale Ringen um bessere Argumente und überlegene Macht lieferte sich Voßkuhle nicht mit der Politik in Berlin, sondern mit den Kollegen am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.
Voßkuhle bei Urteilsverkündung: "Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden mit der Maßgabe abgelehnt, dass die Ratifikation des Vertrages zur Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus nur erfolgen darf, wenn zugleich völkerrechtlich sichergestellt wird, dass sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland ..."
Karlsruhe: Außenaufnahme des Bundesverfassungsgerichts
Anleihen-Urteil des EuGH - "Regelverstoß" des Bundesverfassungsgerichts
Die Tonalität, die das Bundesverfassungsgericht in Richtung des Europäischen Gerichtshofs angeschlagen habe, sei "wirklich schlimm", sagte der Europarechtler Franz Mayer bezüglich des EZB-Urteils.
Mit zunehmender Vehemenz stemmte sich der Zweite Senat unter Voßkuhles Vorsitz gegen eine in den Augen der Richter ausufernde Erweiterung europäischer Kompetenzen. In den Verfahren über die Euro-Rettungspolitik stellte das Gericht immer wieder Stopp-Schilder auf, verschob sie nach hinten bis schließlich der Hammer fiel:
"Erstmals in seiner Geschichte stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt sind und daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten können", sagte Voßkuhle bei der Urteilsverkündung des EZB-Urteils.
In den letzten Tagen seiner Amtszeit beendete Andreas Voßkuhle den ebenbürtigen Dialog auf Augenhöhe, den er mit dem Europäischen Gerichtshof gesucht hatte. In barschem Ton aus Voßkuhles Mund kanzelte das Bundesverfassungsgericht die Vorgaben des Europäischen Gerichtshof als willkürlich und nicht nachvollziehbar ab.
Sein Nachfolger muss es richten
Nach Voßkuhles Überzeugung, die er in Vorträgen, Interviews und Gesprächen ausdrückt, wirkt das Bundesverfassungsgericht auch im Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof als Gericht der Bürger, des Volkes, in dessen Namen es spricht und dessen Anliegen als Rentner, Sparer und Mieter es auch in seinem EZB-Urteil besonders in den Blick nimmt. Der europäische Gerichtshof erscheint dagegen als unnahbare Verkörperung einer abstrakten Rechtsidee. In einem gestern veröffentlichten Interview mit der "Zeit" macht er die "liberale Elite" mitverantwortlich für den Aufstieg von Populisten und Skepsis gegenüber der Demokratie.
In dem jetzt eskalierten Machtkampf geht es nicht nur um europarechtliche Verfassungsideen und richterliche Vormacht, sondern auch um Bürgernähe, Vertrauen und öffentliche Wirkung.
"Ob es klug ist, dass dann am Ende der EuGH darüber entscheidet, ob er alles richtig gemacht hat und ob dass das Vertrauen in die Europäischen Institutionen stärkt – da wäre ich eher etwas skeptisch", warnt Voßkuhle im Südwestrundfunk gestern mit Blick auf die EU Kommission vor einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen seines letzten Urteils im obersten Richteramt.
Mit Voßkuhles Ausscheiden wechselt das Präsidentenamt zum Vorsitzenden des Ersten Senats, Stephan Harbarth. Der erste Senat hatte in seinen Entscheidungen zuletzt eine europarechtsfreundlichere Haltung eingenommen. Harbarth wird deshalb auch vor der Aufgabe stehen, die Verwerfungen innerhalb des Bundesverfassungsgerichts aufzulösen, die Voßkuhle am Ende seiner Amtszeit hinterlässt.